Etwas, das mich glücklich macht: Stories
By Tessa Müller
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Etwas, das mich glücklich macht - Tessa Müller
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Die Lösung des Problems
Jens und ich waren glücklich, bis zu dem Tag, als er sich von mir trennte. Er sagte mir, er habe eine andere Frau kennengelernt. Ich dachte, ich müsste sterben. Das lag an meinem Gehirn. Es fing an, in mehrere Richtungen gleichzeitig zu denken, was zu einer vollkommenen Lähmung meines Körpers führte. Ich konnte mich nicht vom Fleck rühren, nicht essen, nicht reden. Ich konnte einfach keine Entscheidung mehr treffen. Das bedeutete Stillstand, und Stillstand bedeutet Tod. Ich lag drei Tage im Bett und tat nichts, außer das Flimmern vor meinen Augen auf eine Wand zu projizieren. Jens setzte sich zu mir. Er sagte, dass wir jetzt nicht mehr zusammen in dieser Wohnung leben könnten, nach einer Trennung sei das nicht möglich. Er hatte eine Idee zur Lösung des Problems: Ich sollte ausziehen.
Ich kaufte mir ein Feng-Shui-Buch und fing an, meine neue Wohnung einzurichten. Bett mit Kopfteil im Westen, im Süden stellte ich eine rote Lampe auf, die Schriftstellern und Schauspielern zu Erfolg verhelfen soll. Ich bin weder Schriftstellerin noch Schauspielerin, aber ich mag diese Leute. Ich verbrannte Salbei und lief in Achten durch die Räume, besonders gefiel mir aber der Satz: Befreien Sie sich von altem Tand und Trödel. Ich hatte nicht gewusst, dass ich im Wegwerfen so gut sein würde.
Das Buch warnte auch davor, im Südwesten Stapel von Papier aufzubewahren, weil dies einen negativen Einfluss auf Partnerschaft und Erotik haben könne. Ich versuchte mich daran zu erinnern, ob im Südwesten der Wohnung von Jens und mir Papier gestapelt war. Es gelang mir nicht. Ich konnte mir keines unserer Zimmer ins Gedächtnis rufen. Hinter mir lag ein schwarzes Loch. Ich habe gehört, dass bei Unfallopfern und Menschen, die einen schweren Schock erlitten haben, Teile ihrer Vergangenheit wie aus dem Gedächtnis gelöscht sind. Mir ging es ähnlich. Nicht einmal Jens konnte ich mir vorstellen – nein, da war nichts, was ich hätte aufrufen können. Würden wir uns jetzt zufällig auf der Straße begegnen, ich würde an ihm vorbeigehen wie an einem Fremden.
Im Klamottenwegwerfen war ich dann doch nicht so gut. Ich stand lange vor dem Spiegel und konnte mich nicht entscheiden. Es klingelte an der Tür. Es war ein Mann. Es war Jens. Ich erkannte ihn, und aus einer alten Gewohnheit heraus freute ich mich, ihn zu sehen. Er musterte mich und fragte, ob er hereinkommen dürfe, und ich sagte Ja. Ich ging hinter ihm her in die Küche, auf dem Kopf eine Norwegermütze. Ich hatte sie anprobiert, weil ich mir unsicher war, ob ich sie in die Altkleidersammlung geben sollte. Wir setzten uns an den Küchentisch, und Jens sagte, er brauche nur eine Unterschrift von mir, eine reine Formsache. Er legte ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber vor mich auf die Tischplatte. Die Mütze fing zu jucken an. Ich wollte sie abnehmen, aber ich befürchtete, dass meine Haare darunter fettig aussehen würden. Ich nahm sie nicht ab. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. Es ging darum, dass ich als Zweitmieter aus unserem Wohnungsvertrag austrat. Jens hatte bereits alles vorformuliert. Ich fing unter der Norwegermütze zu schwitzen an. Ich wollte nicht unterschreiben. Ich kroch unter den Tisch und ging dort in die Hocke.
Sophie?
Ich riss mir die Norwegermütze herunter, dann stand ich auf. Mit dem Küchentisch auf dem Kopf verließ ich die Wohnung.
Sophie?
Ja.
Würdest du bitte hier unterschreiben?
Ja.
Die Sache ist die: In naher Zukunft wird unsere Erde von Flutkatastrophen und Wirbelstürmen heimgesucht werden. Der Meeresspiegel wird ansteigen, die Gletscher werden schmelzen. Es kommt zur Ausbreitung von Parasiten und tropischen Krankheiten. Die Medien waren voll von Meldungen dieser Art. Ich hatte mich vorher nie mit dem Klimawandel auseinandergesetzt. Ich hatte früher auch nie zum Frühstück Zeitung gelesen. Und ich erinnere mich genau an den Tag, an dem es mir wie Schuppen von den Augen fiel: Bald würde alles vorbei sein. Da konnten Jens und seine Freundin ruhig von einem neuen gemeinsamen Leben träumen. Bald würde es richtig ungemütlich werden.
Ich saß in meiner Küche und versuchte, ein Brötchen zu essen und Kaffee zu trinken und weiterzumachen. Davor war ich aufgestanden und hatte mich gewaschen. Ein Tag braucht Struktur.
Es war die Phase nach unserer Trennung, in der ich mich betrogen fühlte, doppelt betrogen. Ich war verlassen worden. Und ich war von Jens verlassen worden. Dieses Gefühl kann man nur verstehen, wenn man Jens kennt. Jens ist Dramaturg am Stadttheater. Dramaturgen sind Menschen, die eine Arbeit machen, die keiner sieht, aber ihr Leben dafür hingeben. Jens trägt einen Gürtel und sein Hemd in der Hose. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass Jens mich nie verlassen würde, nie, weil das einfach überhaupt nicht in ihm angelegt ist. Er hatte es getan. Rückblickend hätte ich ebenso gut drei Jahre meines Lebens mit einem Mann verbringen können, der irgendwas mit Acrylfarbe auf Leinwänden macht. Mit dem gleichen Ergebnis.
Ich saß also am Frühstückstisch, und während ich mir Marmelade auf mein Vollkornbrötchen strich, schmolz irgendwo in der Antarktis das letzte Eis. Das war, wie bei Regen im Zelt sitzen. Ein warmer Schauer kroch mir über den Rücken. Bald würde alles vorbei sein. Ich schmierte mir ein zweites Brötchen. Mein Appetit kam zurück.
Ich weiß nicht, wie es so weit kommen konnte. Ich wollte es gar nicht. Plötzlich stand ich vor unserer alten Wohnung. Nach ein paar Minuten kamen Jens und seine neue Freundin aus der Tür. Ich behauptete beim Umzug etwas vergessen zu haben. Was hätte ich tun sollen? Ein Buch. Lyrik. Von Bert Brecht. Gut, sagte Jens, lass uns nachsehen, ob es zwischen meine Bücher gerutscht ist. Ich glaube, sie hieß Aline, und sie sagte, sie müsse los. Natürlich küssten sie einander zum Abschied, und mir winkte sie zu, als würden wir manchmal zusammen Kaffee trinken. Jens und ich gingen in die Wohnung und suchten. Im Bücherregal und unter der Couch, in der Küche auf der Anrichte. Wir sahen hinter den Schränken nach. Wir fanden nichts. Und du bist dir ganz sicher, dass du es nicht mitgenommen hast? Jens ist ein netter Mensch, er glaubt immer an das Gute, und er traut mir zu, dass ich Gedichte lese. Von Bert Brecht! Wer liest heute noch Gedichte von Bert Brecht? Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich begann laut zu schluchzen. Jens sah mich an, und ich wischte mir mit dem Handrücken über das Gesicht. Ist es dir so wichtig?, fragte Jens. Ich nickte und schluckte. Ich werde beim Aufräumen noch einmal suchen, und dann bring ich es dir. Ich schluderte Rotz durch die Nase, und Jens stand da und sah mich an. Weiter nichts. Da musste ich erst recht weinen.
Sophie?
Ich steckte meinen Kopf unter seinen Pullover.
Sophie?
Ja.
Ich bring dich noch zur Tür.
Ja.
Was für ein Selbstmordtyp sind Sie? Bevorzugen Sie den Tod durch Strick, Kugel oder Gift? Man sollte sich frühzeitig Gedanken darüber machen. Wenn es so weit ist, ist es lästig, sich um Organisatorisches kümmern zu müssen.
Ich dachte daran, einen entsprechenden Test auszuarbeiten und ins Internet zu stellen. Als Grundlage wollte ich jene Psychotests verwenden, die man in Frauenzeitschriften auf Doppelseiten findet. Das Internet ist voll verzweifelter Menschen. Ich wollte ihnen helfen. Sie sollten nicht in so eine ähnliche Situation geraten wie ich. Tod durch Strick konnte ich aufgrund der Wand- und Deckenbeschaffenheit in meiner neuen Wohnung beispielsweise vergessen. Rigips. War aber erst einmal nicht weiter tragisch. Ich war sowieso kein Stricktyp. Vermutlich gehörte ich eher zum Typ Geisterfahrer: Einer, der noch möglichst viele Menschen mit in den Tod reißt, bevor er selber gegen einen Brückenpfeiler fährt.
Ich brachte mich dann doch nicht um. Es ging ja voran. Ich las von einem Wirbelsturm vor der US-Ostküste, von Waldbränden in Kalifornien, und ich sah Fotos von Allgäuer Kühen, die im Mai auf einer verschneiten Wiese stehen.
Ich