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Theater - Zettel - Sammlungen: Erschließung, Digitalisierung, Forschung
Theater - Zettel - Sammlungen: Erschließung, Digitalisierung, Forschung
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Theater - Zettel - Sammlungen: Erschließung, Digitalisierung, Forschung

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Theaterzettel sind, sofern es sich um Ankündigungen berühmter Opern- und Theateraufführungen handelt, beliebte Ausstellungsstücke, und für die Spielplanforschung seit jeher eine bedeutende Quelle. In den letzten Jahren hat das Interesse an Theaterzetteln in auffälliger Weise zugenommen: Die Theaterwissenschaft nimmt sich nun verstärkt dieses Mediums an, was eine deutliche Erweiterung des Interpretationspotenzials mit sich bringt, und zahlreiche Archive, Bibliotheken und Museen organisieren Projekte zur Erschließung und/oder Digitalisierung ihrer - aufgrund des regionalen Bezugs stets einzigartigen - Theaterzettelbestände.
Das Don Juan Archiv Wien widmet den vorliegenden ersten Band der Reihe Bibliographica dem Theaterzettel und seinen Sammlungen. Neben theaterhistorisch und theaterwissenschaftlich orientierten Aufsätzen behandeln Beiträge Fragen zu Konzeption und Präsentation von Erschließungs- und Digitalisierungsvorhaben. Neben allgemeinen Darstellungen werden konkrete Projekte von Berlin über Detmold, Düsseldorf, Erfurt, Moskau und Weimar/Jena bis Wien präsentiert.
LanguageDeutsch
Release dateNov 11, 2012
ISBN9783990120798
Theater - Zettel - Sammlungen: Erschließung, Digitalisierung, Forschung

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    Theater - Zettel - Sammlungen - Paul S. Ulrich

    453–506.

    FORSCHUNG

    THEATERZETTEL UND THEATERALMANACHE – QUELLENKRITISCHE ANMERKUNGEN

    PAUL S. ULRICH (BERLIN)

    Theaterzettel und -almanache hatten ihre große Zeit im 18. und 19. Jahrhundert. Es gab sie auch noch nach dem Ersten Weltkrieg, dennoch verloren sie zunehmend die Bedeutung, die sie davor besessen hatten. Der Grund dafür waren Änderungen im deutschsprachigen Theater nach 1918, die Auswirkungen auf die Tradition der Theaterzettel und der Theateralmanache hatten. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts erschienen die ersten Programmhefte, die viele Aufgaben des Theaterzettels übernahmen. Zudem wurden die öffentlich ausgehängten Zettel durch großformatige Plakate ersetzt, und die Verteilung der Zettel an einzelne Haushalte wurde eingestellt. Die zunehmende Übernahme des Theaterbetriebs durch die Kommunen sorgte für eine finanzielle Sicherheit der Theater, sodass sich diese immer mehr aus dem Bereich rein kommerzieller Unternehmen entfernten.

    Die Bedeutung von Theaterzetteln und Theateralmanachen für die Forschung wird erst deutlich, wenn man sich mit der Praxis auseinandersetzt, für die sie hergestellt wurden.

    Vorab ist festzustellen, dass nicht abzuschätzen ist, in wie vielen Orten im 19. Jahrhundert deutschsprachiges Theater gespielt wurde. Wenn man die Orte zählt, die in Theateralmanachen (u. a. Almanach für Freunde der Schauspielkunst – ab 1854 unter dem Titel Deutscher Bühnen-Almanach¹, Almanach der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger² und Ferdinand Roeders Theater-Kalender³) erwähnt werden, kommt man auf über 3.000 Orte.⁴ Nur einige dieser Orte hatten mehr als 40.000, die Mehrheit zwischen 1.000 und 10.000 Einwohner, d. h. die Anzahl der potenziellen Theatergänger war gering. Die Anzahl der Sitzplätze in den meisten Spielstätten lag zwischen 400 und 700, obwohl es auch Spielstätten mit über 1.500 Sitzplätzen gab. Um diese Plätze täglich oder zumindest fast täglich zu belegen, musste der Direktor regelmäßig neue Programme zeigen – ständig Wiederholungen zu bieten, hätte letztlich zum wirtschaftlichen Ruin geführt. Die größere Anzahl der Theatergesellschaften waren Privatunternehmen mit geringer oder keiner finanziellen Unterstützung der Städte, d. h. sie waren auf den Verkauf von Theaterkarten angewiesen und mussten mit anderen Unterhaltungsangeboten – Konzerten, Lesungen, Bällen, Gesellschaftsabenden – konkurrieren.⁵

    Das Theaterpersonal und die Theatergesellschaften waren sehr mobil; höchstens das Theatergebäude – sofern es überhaupt ein Gebäude war – könnte man als stabil bezeichnen. Stücke wurden nicht en suite gespielt, sondern es gab ein sich täglich änderndes Angebot von Stücken, die selten – mit Ausnahme der kurzen Stücke – mehr als einmal in einer Saison gegeben wurden. Häufig bestand das Programm aus kürzeren Stücken, die in wechselnden Kombinationen wiederholt wurden. Dadurch sollte der Eindruck erweckt werden, dass sich die abendlichen Angebote unterschieden. Zusätzlich gab es konzertante, ebenso Tanz- bzw. gymnastische Darbietungen – zwischen den einzelnen Akten oder zusätzlich zu kürzeren Stücken.

    Die verschiedenen lokalen⁶ zeitgenössischen gedruckten Quellen, die aktuelle Informationen über das Theater liefern, sind am besten zu verstehen, wenn man sie nach den Urhebern gruppiert.

    1. Zeitungen⁷ bieten Informationen von unterschiedlichen Urhebern:

    – Vorankündigungen, die von den Theaterdirektoren bezahlt wurden. Sie sind Ankündigungen und müssen nicht unbedingt mit dem tatsächlich Gespielten übereinstimmen;

    – Anzeigen, die das Theater betreffen. Diese konnten vom Direktor in der Zeitung platziert werden, doch haben gelegentlich auch Souffleure über das Erscheinen ihres Theaterjournals Anzeigen in Auftrag gegeben;

    – Kritiken, die nach einer Aufführung erschienen und in unterschiedlichem Umfang Auskunft darüber geben, was der Kritiker⁸ wahrgenommen hat. Da Wiederholungen von Stücken in einer Saison relativ selten waren, erschienen, obwohl nicht jede Aufführung rezensiert wurde, viel mehr Rezensionen über Aufführungen, als man es aus heutigen Zeitungen kennt. Wiederholungen von Aufführungen wurden meist nur dann rezensiert, wenn ein Gast darin auftrat;

    – Berichte von Redakteuren der Zeitung. Diese haben unterschiedliche Qualität. Teilweise berichten sie über historische oder gegenwärtige Geschehnisse im Theater;

    – Briefe bzw. Gedichte von Lesern, die einen Zusammenhang mit dem Theater aufweisen, z. B. Kritik am Theaterdirektor oder Huldigungen an Schauspieler. Der Leser musste für die Veröffentlichung bezahlen. Die Texte haben sehr subjektiven Wert; dafür vermitteln sie Einblicke, wie die Theaterwelt vom Publikum gesehen wurde.

    Abb. 1: Almanach des Theaters in Wien (1774): Wien, Bibliotheca Ernestea Sezzatense.

    2. Veröffentlichungen des Theaterdirektors⁹, die auf eigene Kosten¹⁰ erstellt¹¹ und im Ort verteilt wurden.¹² Wenn die Veröffentlichungen als Zettel gedruckt wurden, hängte sie der Zettelträger an von der Stadt festgelegten Standorten auf und verteilte sie an Privathaushalte.

    – Saisonankündigungen wurden am Anfang der Saison auf Handzetteln veröffentlicht. Sie wurden verwendet, um die städtische Verwaltung über den Spielplan der Saison zu informieren und um die Einwohner zu animieren, Abonnements für mehrere Aufführungen zu günstigeren Preisen zu erwerben.

    – Theaterzettel wurden meist am Tag vor einer Aufführung einseitig auf einem Blatt¹³ gedruckt.¹⁴ Sie lagen abends im Theater als Ankündigung der darauffolgenden Aufführung zum Mitnehmen aus¹⁵ und wurden am selben Tag oder am folgenden Morgen¹⁶ vom Zettelträger in der Stadt verteilt.¹⁷ Für Abonnenten der Theaterzettel¹⁸ wurden die Zettel vom Zettelträger ins Haus ge-bracht.¹⁹ Bei kurzfristigen Änderungen des Spielplans konnte es passieren, dass sogar ein zweiter Theaterzettel auf farbigem Papier zur Kennzeichnung dieser Änderung angefertigt und ebenfalls verteilt wurde.²⁰

    – Statistische Rückblicke wurden vorwiegend am Ende der Saison in größeren Städten, in denen die städtische Verwaltung finanziell am Theater beteiligt war, vom Direktor angefertigt, um eine Berichterstattung über seine Aktivitäten den Behörden gegenüber zu belegen. Diese Veröffentlichungen hatten unterschiedliche Formen – entweder als kleine Broschüre oder als Zettel. Es ist unwahrscheinlich, dass sie unter der Bevölkerung verteilt wurden.²¹

    3. Veröffentlichungen des Souffleurs.²² Diese Veröffentlichungen wurden auf eigene Kosten von den Souffleuren erstellt. Sie wurden entweder vom Souffleur selbst oder vom Zettelträger in der Stadt verteilt, im Theater angeboten oder in der Wohnung des Souffleurs verkauft.

    – Theateralmanache bzw. -journale waren fester Bestandteil des Theaterlebens im 19. Jahrhundert. Diese Veröffentlichungen enthielten eine Übersicht über das Personal, meist eine chronologische Auflistung der aufgeführten Stücke und häufig kurze Gedichte,²³ Quodlibets aus erfolgreichen Aufführungen und Anekdoten. Es ist davon auszugehen, dass jeder Souffleur (entweder allein oder zusammen mit anderen Souffleuren, wenn das Theater mehr als einen Souffleur hatte) sich bemühte, am Ende der Saison²⁴ bzw. zum neuen Jahr ein Journal anfertigen zu lassen, da dies eine zusätzliche Einnahmequelle darstellte.

    – Selbst geschriebene Gedichte und andere Texte.

    – Kopien von theaterbezogenen Texten. Besondere Couplets aus aufgeführten Stücken wurden vom Souffleur angefertigt und zum Verkauf angeboten.²⁵

    4. Veröffentlichungen des Zettelträgers. Der Zettelträger ließ gelegentlich Gedichte auf Zettel drucken, die er während seines Rundgangs zusätzlich verteilte. Ziel war es, Trinkgelder zu bekommen. Bei der ihm obliegenden Aufgabe, die gedruckten Theaterzettel täglich persönlich zu verteilen, konnte er oft Trinkgelder erwarten – auch wenn dies von seinen Auftraggebern nicht gewünscht war.²⁶ Aufgabe des Zettelträgers war es, die Zettel an öffentlichen Orten anzubringen und sie an Privathaushalte zu verteilen. Unabhängig von den Theaterzetteln wurden auch andere Zettel durch offiziell zugelassene Zettelträger in den Städten verteilt. Offenbar war die Tätigkeit so lukrativ, dass die Zettelträger ihr Privileg sogar mit öffentlichen Anzeigen verteidigten, um sich gegen Missbrauch zu schützen.²⁷

    Die Quellen geben unterschiedliche Auskunft über die Zugehörigkeit der Zettelträger. Sehr oft scheint der Zettelträger vom Drucker selbst angestellt worden zu sein; umgekehrt tauchen Zettelträger stets in der Liste des Theaterpersonals auf – eindeutig als Mitglieder der Theatergesellschaft. Es ist möglich, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts, als die Theaterdirektoren die Zuständigkeit für die Theaterzettel an die Druckereien abgaben, auch die Zugehörigkeit der Zettelträger änderte und diese nicht mehr Angestellte des Theaters waren. Sofern Zettelträger zum Stammpersonal des Theaters gehörten, übten sie häufig auch andere Tätigkeiten bei der Theatergesellschaft aus, z. B. sehr oft als Requisiteure, gelegentlich auch als Schauspieler.

    THEATERZETTEL ALS QUELLE

    Und doch verrät gerade der Theaterzettel in dem, was er bietet und beichtet, wie in dem, was er weise oder dummerweise verschweigt, vielfach eine deutlichere Charakteristik von dem Zus[t]and des betreffenden Theaters, wie sie kein böswilliger Rezensent, […] klarer berichten könnte. Der Theaterzettel in seiner Folge von Tag zu Tag, von Saison zu Saison, ist das curriculum vitae des Theaters, er ist das beste kritische Zeugnis für den Darsteller wie für den dramatischen Autor.²⁸

    Kurzum, Theaterzettel liefern „wichtige Indizien für das Selbstverständnis von Theater und Schauspielerstand im 18. und 19. Jahrhundert einschließlich der Verhaltensnormen der Gesellschaft"²⁹. Theaterzettel sind Ankündigungen, d. h. sie sind als Absichtserklärungen einzustufen. Als Quellen für Aufführungen muss man dies immer berücksichtigen und sie durch andere Quellen (Kritiken, Theateralmanache, evtl. auch Tagebücher) verifizieren.³⁰ Auf dem Theaterzettel stehen die Namen des Theaters bzw. der Spielort und ggf. die aufführende Gesellschaft, das Datum (nicht immer mit Jahr, oft mit dem Wochentag), die Titel der aufzuführenden Stücke, die Rollen mit den Besetzungen (bis zum Ende des 19. Jahrhunderts allerdings selten mit Vornamen³¹), Beginn und evtl. auch Ende der Vorstellung, Eintrittspreise sowie die Orte, wo Eintrittskarten zu erwerben sind, Angaben über Abonnements, Benefiz-Vorstellungen, Gäste, welches Stück am darauffolgenden Tag geplant war, welche Schauspieler krank³² bzw. beurlaubt waren, gelegentlich Ankündigungen des Direktors³³ und Anzeigen.

    Die Angaben auf den Theaterzetteln sind oft fehlerhaft. Nicht nur werden die Namen der Schauspieler und sogar der Verfasser der aufgeführten Stücke nicht immer richtig geschrieben, gelegentlich sind Rollen bzw. die Besetzung mancher Rollen nicht vermerkt.³⁴ Zusätzliche Angaben sind nicht immer stimmig, z. B. wurde während der Gastspiele des Berliner Novitäten-Ensembles im Kurtheater in Berg bei Stuttgart im Jahre 1900 Der Probekandidat von Max DREYER (1862–1946) mehrmals aufgeführt, jedes Mal mit Angaben über die Zahl der Aufführungen. Am 21. Juli steht auf dem Theaterzettel, es werde „zum 21. Male, und am 25. Juli, es werde „zum 23. Male aufgeführt. Zwischenzeitlich wurden täglich zwei Stücke gespielt – ebenfalls mit einer durchgehenden Zählung, die lückenlos ist und sogar nach dem 25. Juli lückenlos weitergeführt wird. Offenbar wurde die 22. Aufführung unterschlagen. Eine weitere – aber nicht nachweisbare – Unterschlagung einer Aufführung des Stücks könnte auch in der darauffolgenden Saison vorliegen, denn die letzte Aufführung in der Saison 1900/1901 wurde als 28. angegeben, und die erste in der Saison 1901/1902 als 30.

    Obwohl Theaterzettel auch als Einzelne interessant sein können, so ist eine lückenlose Sammlung von Theaterzetteln von einer oder mehreren Spielzeiten eines Theaters besonders wertvoll für die Theaterforschung, denn sie bietet die Möglichkeit, viel über die Praxis des Theaters, das Verhalten der Schauspieler und den Geschmack des Publikums zu erfahren. Besonders in Zusammenhang mit den lokalen Theatergesetzen bzw. den Hausordnungen³⁵ könnte man zahlreiche Erkenntnisse über den tatsächlichen Theaterbetrieb gewinnen. Dass solche Untersuchungen bis jetzt nicht unternommen worden sind, ist wahrscheinlich damit zu erklären, dass das Interesse der Forscher sich viel mehr auf den Spielplan – d. h. die aufgeführten Stücke – als auf die betriebliche Praxis und den Einsatz der Schauspieler fokussiert hat. Solche Untersuchungen könnten uns aber Informationen über eine Reihe von Fragen geben, etwa: In welchem Ausmaß waren die einzelnen Schauspieler beschäftigt? Wie viele Stücke mussten die Schauspieler gleichzeitig lernen? Wie viele Proben fanden tatsächlich statt? u.s.w.³⁶

    THEATERALMANACHE UND -JOURNALE³⁷ ALS QUELLEN

    Theateralmanache sind für das 18. und 19. Jahrhundert zwar die inhaltlich ergiebigsten und zuverlässigsten, in ihrer Art gleichzeitig aber aus [!] kargsten Quellen zur Theatergeschichte. Sie sind aussagestark im Hinblick auf personelle Belange wie Direktionen und Ensemblezusammensetzung und verzeichnen akribisch auch all die übrigen am Theater beschäftigten Kräfte von den Orchestermitgliedern bis zum Souffleur (meist aber ohne Vornahmen [!]), ferner für das tägliche Repertoire (vorwiegend nur Stücktitel) und für die Neuinszenierungen (diesfalls oft auch mit Hinweisen auf Autoren und Komponisten).³⁸

    Die Herausgabe lokaler Theateralmanache³⁹ fing im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts an und wurde ein fester Bestandteil des Theaterlebens⁴⁰ bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Diese lokalen Almanache bzw. Journale wurden nur in den seltensten Fällen vom Direktor veranlasst; vielmehr waren sie die Erzeugnisse privater Initiativen, meist von den Souffleuren des jeweiligen Theaters. Sie wurden auf eigene Kosten produziert und stellten einen Nebenverdienst dar.⁴¹

    Es ist eine längst bekannte Sitte bei’m Theater, daß der Souffleur am Schlusse der Theatervorstellungen ein Theater-Journal resp. Almanach herausgiebt, dessen Ertrag als Benefiz für ihn bestimmt ist.

    Ich glaube daher keine Fehlbitte zu thun, wenn ich ein hochverehrtes Publikum ergebenst bitte, mich in Rücksicht auf meine Stellung, die doch gewiß zu den anstrengendsten und undankbarsten zu zählen ist, durch kleine Gratificationen gütigst erfreuen zu wollen.⁴²

    Weil die Herausgabe eines Almanachs – offenbar ein lohnendes Geschäft – so verbreitet war, war es wahrscheinlich eine Seltenheit, dass ein Souffleur kein Journal anfertigte. Unklar ist, wie viele Exemplare angefertigt wurden.

    Die Almanache wurden im Theater, in der Wohnung des Souffleurs und – ähnlich wie Theaterzettel – durch einen Besuch des Souffleurs in den Wohnungen der Theaterbesucher vertrieben. Es sind einzelne Fälle bekannt, in denen die Souffleure das Erscheinen des Journals entweder auf dem Theaterzettel⁴³ oder durch Zeitungsanzeigen⁴⁴ bekannt gemacht haben.

    Zu allen hohen Gönnern schleicht

    Der Souffleur, den Almanach unterm Gewande,

    Sonst schlagen ihn die Gläubiger in Bande

    ‚Was willst Du mit dem Büchlein? sprich!‘

    Herrscht finster ihn an mancher Wutherich. [sic]

    ‚Die Stadt mit Almanach erfreuen.‘

    ‚Dann soll’n mich auch acht Groschen nicht reuen.‘⁴⁵

    Gewöhnlich wurde kein fester Preis für die Journale verlangt,⁴⁶ sondern der Souffleur überließ dem Abnehmer die Entscheidung, was er für ein Heft zu zahlen bereit war.

    Befragt nun eine Dame heut’ ihren Gemahl:

    ‚Gibst du dem Soufler was für’s Abschieds-Journal?‘

    Da, gebe der Himmel, daß keiner dann spricht:

    ‚Na möglich ist’s wohl, aber wahrscheinlich nicht.‘⁴⁷

    Wann i a Göld hab’, bin i luschti,

    Wann i koan’s hab’, bin i durschti,

    Und da i koans hab’, muaß i wandern

    Von aanem Haus zum andern;

    Drum öffnen S’ halt die Börsen

    Zum Besten der Souffleursen [!].⁴⁸

    Die Almanache hatten einen jeweils sehr unterschiedlichen Umfang: Manche wurden auf einem Blatt gedruckt,⁴⁹ andere wiederum weisen mehrere hundert Seiten auf.⁵⁰ Gemeinsam ist ihnen allen die Auflistung des Personals und eine meist chronologische Übersicht über das Repertoire. Wenn diese Angaben nicht den gesamten Platz auf den Druckbogen füllen, wurden zusätzliche Texte verwendet: Gedichte, Couplets aus erfolgreichen Aufführungen, Anekdoten und Charaden. Damit bieten die Journale eine kompakte Zusammenfassung der vergangenen Saison. Diese Repertoirelisten dürften zuverlässigere Quellen als Theaterzettel für die tatsächlich aufgeführten Werke sein. Allerdings sind die bibliografischen Angaben zu den Stücken (vollständige Titel, Verfasser, evtl. Vorlage) nicht so ausführlich wie die Angaben auf den Theaterzetteln. Auch fehlen Angaben über die Besetzung der Rollen.

    Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Theateralmanache attraktiver gestaltet, indem Fotos des Personals mit abgedruckt wurden – in solchen Fällen wurden die Herstellungskosten durch Werbung mitfinanziert, und für den Almanach wurden feste Preise verlangt.

    Unter den verwendeten Gedichten befinden sich zahlreiche über das beschwerliche Leben der Souffleure. Diese Gedichte sind selten Originale; es scheint ein verbreiteter Fundus von Gedichten immer wieder verwendet worden zu sein, denn man begegnet denselben Texten fast überall mit leichten Textänderungen. Ein Beispiel dafür:

    Theure Gönner! Für Euch blinket

    Dieser freundlich heitere Pokal.

    Nehmt ihn an; er faßt die Zahl

    Aller Wonne, die Euch winket.

    Durch der Jahre weiten Raum

    Nicht nur wachend, auch im Traum

    Werden Euch des Schöpfers Freuden

    In dem reichsten Maaß zu Theil;

    Ringt Ihr selbst in herben Leiden

    Sprießet Euch daraus nur Heil!

    Jede neue Sonne

    Schaffe neue Wonne.

    Unter Scherzen

    Fern von Schmerzen

    Fülle Lust

    Eure Brust.

    Weise

    Würze die

    Freuden,

    Weise

    Kürze die Leiden,

    Darum scheucht d. Sorgen

    Fern vom Lager jeden Morgen;

    Nur der Freude sei stets offen

    Aufgethan das heitre Thor des Lebens.

    Dürft’ ich, theure Gönner! nicht vergebens

    Meiner Wünsche Wirklichkeit verhoffen!

    Wer wäre außer mir – wohl glücklicher allhier.⁵¹

    Theateralmanache und -journale zu ermitteln, ist schwierig. Teilweise ist dies auf ihre sehr unterschiedlichen Titel zurückzuführen. Am einfachsten ist es, wenn sie Titel wie Almanach, Theater-Almanach, Journal, Theater-Journal, Taschenbuch, Neujahrs-Journal, Repertorium, Statistischer Rückblick oder Abschieds-Journal haben. Leider ließen die Souffleure bei der Benennung ihrer Veröffentlichungen ihre oft sehr lebendige Fantasie spielen. Folgende Titel sind Beispiele für die Vielfalt der Namensgebung: Souvenir, Oster-Ei, Palmenblätter und Ostereier, Märzblümchen zum Abschiede, Valete et Favete, Wanderers Scheidegruß, Abschieds-Kranz, Sommersprossen als Souvenir zum Bühnen-Schluß, Nur Einmal im Jahre, Treibhaus-Bouquet des Eismond’s und Wer anklopft, dem wird aufgethan, Wer wagt gewinnt, oder: Die Belohnung des bedürftigen Souffleurs.⁵²

    Wo sind diese Almanache geblieben? Viele Bibliotheken, Museen und Archive haben die Veröffentlichungen – selten vollständig – in ihrem Bestand. Zusätzlich gibt es sie in Privatsammlungen, und regelmäßig sind sie auch in Antiquariatsangeboten zu finden.⁵³ Woher die Bestände in den Institutionen kommen, ist unterschiedlich, besonders wenn die Almanache nicht aus dem Ort der jeweiligen Institution stammen. Teilweise scheinen sie aus den Nachlässen von Schauspielern zu kommen,⁵⁴ bei anderen Institutionen ist die Herkunft rätselhaft.⁵⁵

    Wie sie aufbewahrt und erschlossen worden sind, ist ebenfalls unterschiedlich. Folgende Aufbewahrungsmodi sind bekannt:

    – Einzelhefte;

    – mehrere in einem Band zusammengebundene Hefte;

    – mitgebunden mit bzw. beigelegt zu Theaterzetteln als eine Art Register.⁵⁶

    Theateralmanache werden von Bibliothekaren vorwiegend als Periodika betrachtet und entsprechend behandelt. Weil die Herausgeber selten länger an einem Ort waren und auch weil die Theatergesellschaften – die letztlich nichts mit der Herausgabe der Journale zu tun hatten – keine festen Einrichtungen waren, ist es jedoch für die meisten Journale problematisch, sie als Periodika einzustufen.⁵⁷

    Zudem gibt es in vielen Fällen für eine Gesellschaft zwei Journale pro Saison: ein Neujahrs-Journal, das am Ende des Kalenderjahres erschien, und ein Journal am Ende der Saison – häufig als Abschieds-Journal. Wie dieses Konstrukt als Periodikum zu betrachten ist, ist unklar.

    Wegen der Behandlung als Periodika gibt es Probleme bei der Identifizierung bzw. Zuordnung von eingesehenen und nachgewiesenen Almanachen, denn

    – die leicht abweichenden Titel werden nicht immer erfasst;

    – „fehlende" Hefte werden nicht immer angegeben;

    – wenn zwei Souffleure zwei selbständige, mit identischem Titel versehene Almanache für dieselbe Berichtszeit⁵⁸ herausbringen, ist unsicher, ob beide Bände vorhanden sind oder doch nur einer;

    – Berichtszeiten und Erscheinungsjahre werden oft vermischt, und

    – gelegentlich gibt es mehrere Ausgaben desselben Almanachs.⁵⁹ Diese Situation macht die Klärung schwer, ob tatsächlich alle vorhandenen Almanache entdeckt worden sind.

    Weitere Probleme beim Auffinden von Almanachen sind:

    – dass sie oft anhand des Katalogisats nicht als solche erkennbar sind⁶⁰ bzw. unterschlagen werden;⁶¹

    – dass sie als Kleinschrifttum bzw. Handschriften aufbewahrt werden und nicht entsprechend im Katalog nachgewiesen werden;

    – dass sie als Zettel gedruckt wurden und so nicht als Almanach erkennbar sind,⁶² und

    – dass sie unbearbeitet in Nachlass-Konvoluten liegen.

    Bis jetzt war es mir möglich, ca. 6.000 lokale Theateralmanache aus 250 Orten für die Zeit von 1772 bis 1918 nachzuweisen.⁶³ Dies entspricht ca. 8 % der Orte, in denen nachweislich Theater gespielt wurde. Sollte der Gebrauch so verbreitet sein, wie die Quellen andeuten, dann würde dies bedeuten, dass mindestens 100.000 Journale produziert worden sind, von denen allerdings der Großteil verschwunden sein dürfte.

    Die noch erhaltenen Theaterzettel und -journale wurden vereinzelt bewundert und als Illustrationen für das Theater des 18. und 19. Jahrhunderts verwendet. Obwohl sie wertvolle Quellen sind, wurden sie bis jetzt nicht ausreichend in die Theaterforschung einbezogen. Ohne eine vertiefte Beschäftigung mit dem Inhalt dieser Quellen werden unsere Kenntnisse über den Theaterbetrieb lückenhaft bleiben.

    BIBLIOGRAFIE

    Beobachter für Deutschland und Bayern, hg. von Moritz Gottlieb SAPHIR. München 1834.

    Der bayerische Eilbote 35, 20. März 1840.

    Fürther Tagblatt 151, 21. September 1839.

    Intelligenz-Blatt der freien Stadt Frankfurt, verbunden mit dem Amtsblatt, Organ der hiesigen Staatsbehörden, und den Frankfurter Nachrichten als Extrabeilage 212, 8. September 1857, 7. Beilage.

    Neuer Theater-Almanach. Theatergeschichtliches Jahr- und Adressen-Buch, hg. von der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger. 11. Jahrgang. Berlin: Druck und Commissions-Verlag von F. U. Günter & Sohn 1900.

    Phoebus. Nürnberger Morgenblatt 36, 1. Oktober 1846.

    Phoebus. Nürnberger Morgenblatt 37, 3. Oktober 1846.

    SATORI-NEUMANN, Bruno Thomas: Die Frühzeit des Weimarischen Hoftheaters unter Goethes Leitung (1791 bis 1798). Nach den Quellen bearbeitet. Berlin: Gesellschaft für Theatergeschichte 1922 (= Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 31).

    SATORI-NEUMANN, Bruno Thomas: Dreihundert Jahre berufsständisches Theater in Elbing, Bd. 2: Berufsständisches Theater in Elbing 1846–1888. Marburg: Elwert 1962.

    SCHACHERL, Lillian: Der Komödianten-Karren kommt. Von den Wandertheatern in Böhmen. München: Heimeran 1967.

    SCHIRMER, Lothar und Paul S. ULRICH: Das Jahr 1848. Kultur in Berlin im Spiegel der Vossischen Zeitung. 2 Bde. Berlin: Gesellschaft für Theatergeschichte 2008 (= Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 78).

    L. S. [d. i. SCHNEIDER, Louis]: „Zettel", in: Allgemeines Theater-Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde unter Mitwirkung der sachkundigsten Schriftsteller Deutschlands, hg. von Robert BLUM, Carl HERLOSSSOHN und Hermann MARGGRAFF, Bd. 7. Altenburg, Leipzig: Expedition des Theater-Lexikons 1846, S. 259.

    THEATERZETTEL

    [O. A.]: Die ältesten deutschen Theaterzettel. Texte und Abbildungen für die Teilnehmer am Jahres-Festmahl der Gesellschaft für Theatergeschichte 1911. In Druck gegeben vom geschäftsführenden Ausschuß. Berlin: Elsner 1911.

    [O. A.]: „Die beiden Seiten des Theaterzettels", in: Deutsche Bühne. Amtliches Blatt des Deutschen Bühnen-Vereins 6/14 (19. Oktober 1914), S. 520–522.

    [O. A.]: „Der Theaterzettel", in: Deutsche Bühne. Amtliches Blatt des Deutschen Bühnen-Vereins 2/18 (25. November 1910), S. 297–299.

    [O. A.]: „Theaterzettel und Bekanntmachung", in: Aus Weimar’s Theater-Leben. Ein Bild der Erinnerung. Weimar: T. F. A. Kühn 1859, S. 2–3.

    [O. A.]: „Wie die Väter der Gemeinde den Wohlthätern ihrer anvertrauten Kinder dankbar sind, oder: Was dem Einen recht, ist auch dem Andern billig", in: Die Stadtfraubas 3 (1864), S. 10.

    [O. A.]: „Würzburger Theaterzettel 1804–1904", http://theaterzettel.franconica.uni-wuerzburg.de/einleitung.html.

    ANSEHL, Peter: „Zur Notwendigkeit und Konzeption eines internationalen Katalogs der Theaterzettelsammlungen", in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock 6/7 (1974) (= Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 23), S. 473–475.

    AUßERER, Elmar: „Theaterzettel", in: Südtiroler Theater-Zeitung 6 (2005), S. 3–7.

    BELITSKA-SCHOLTZ, Hedvig und Paul S. ULRICH: „Theater-Gesetze, Hausordnungen, -Regulative und -Verordnungen im 18. und 19. Jahrhundert. Was verraten die Gesetze über den Theaterbetrieb im deutschsprachigen Theater?", in: Polen und Europa. Deutschsprachiges Theater in Polen und deutsches Minderheitentheater in Europa, hg. von Horst FASSEL, Małgorzata LEYKO und Paul S. ULRICH. Lodz, Tübingen: Thalia Germanica 2005 (= Thalia Germanica 6), S. 177–209.

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    CEPL-KAUFMANN, Gertrude: „Die Einblatt-Archivalie ‚Theaterzettel‘ als Erinnerungsträger und Medium kulturwissenschaftlicher Forschung. Zum Bestand der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf", in: Bibliothek und Forschung. Die Bedeutung von Sammlungen für die Wissenschaft, hg. von Irmgard SIEBERT. Frankfurt a. M.: Klostermann 2011 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderband 102), S. 45–73.

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    CEPL-KAUFMANN, Gertrude: „Zum kulturellen Stellenwert von Theaterzetteln", in: Flugblätter von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart als kulturhistorische Quellen und bibliothekarische Sondermaterialien, hg. von Christiane CAEMMERER, Jörg JUNGMAYR und Eef OVERGAAUW. Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2010, S. 127–157.

    EDER, Ruth: Theaterzettel. Dortmund: Harenberg 1980 (= Die bibliophilen Taschenbücher 153).

    EISINGER, Ralf (Hg.): Braunschweiger Theaterzettel 1711–1911. Braunschweig: Literarische Vereinigung Braunschweig 1990 (= Bibliophile Schriften der Literarischen Vereinigung Braunschweig 37).

    FREY, Silvester: „Vom Theaterzettel", in: Deutsche Bühne. Amtliches Blatt des Deutschen Bühnen-Vereins 7/43 (25. Oktober 1915), S. 509–511.

    GRAEWE, Richard: „Ein Theaterzettel erzählt. Ein Stück hannoverscher Theatergeschichte am Ende des 18. Jahrhunderts", in: Heimatland (1963), S. 251–256.

    GROSS, Ferdinand: „Eine Plauderei über den Theaterzettel", in: Die illustrirte Welt 18/11 (1869), S. 146–148.

    HÄNSEL, Johann-Richard: Die Geschichte des Theaterzettels und seine Wirkung in der Öffentlichkeit. Diss., Freie Universität Berlin

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