Geisterbahn: Eine Wiener Weltreise
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Erleben Sie eine Welt der Wunder, der komischen Katastrophen, der bizarren Ausgeburten Wienerischer Dämonie. Vergessen Sie Ihr Auto! Fahren Sie mit der Geisterbahn!
"Lida Winiewicz hat ein Auge für Details und ein Ohr für skurril Heiteres. In ihrem Buch entführt sie den LEser auf eine Wienreise der anderen Art. Handy-Telefonierer, Selbstdarsteller, Touristen, Kindermund sowie Sitzplatz- und Beziehungsdramen skizziert Winiewicz in 72 Miniaturen, zumeist in Dialogform rund um Geschehnisse in Wiener Öffis."
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Book preview
Geisterbahn - Lida Winiewicz
Vorwort
In Irland fährt keine Straßenbahn. In Irland fahren Busse, unpünktlich, schlecht gefedert, von hohem Unterhaltungswert: ein Greis, keinen Zahn im Mund, bläst Mundharmonika. Zwei Buben prügeln einander, ein Kirchturm kommt in Sicht, die beiden halten inne, bekreuzigen sich, prügeln weiter.
Zwei Frauen reden über einen gewissen Joe Murphy: »Er kauft ein Haus? Wozu? Er hat doch ein Haus!«
»Ins neue geht er nur, um zu saufen.«
Die Iren sind wunderlich?
Wir nicht, hätte ich geschworen.
Wieder daheim in Wien, nach zwanzig irischen Jahren, hatte ich Ordnung erwartet, moderne Sachlichkeit, bequeme Verkehrsmittel, pünktlich, ohne anekdotisches Beiwerk.
Stimmt: bequem und pünktlich sind sie. Aber was das Beiwerk betrifft …
Nein, wir haben keinen Grund, uns vor den Iren zu verstecken!
Unsere Wiener Linien bieten erstklassige Unterhaltung bei täglich wechselndem Programm zwischen Nußdorf und Südbahnhof, Reumannplatz und Kagran, Schubertring und St. Marx.
Der Fahrschein gilt als Eintrittskarte ins preisgünstigste Kabarett der ganzen Stadt.
Viel Vergnügen.
U 2, 19.20 Uhr
Bericht
Der Wagen ist vollbesetzt.
Eine Frau, allein auf einer Bank für zwei, spricht hektisch in ihr Handy.
Ein Mann setzt sich neben sie.
Sie schaut ihn empört an und sagt: »Sehen Sie nicht, dass ich telefoniere?«
LINIE 38, 17.00 Uhr
Bericht
Die junge Frau, rothaarig, mit Sommersprossen übersät, trägt einen Overall, der jeder Beanspruchung trotzt. Sie beaufsichtigt drei kleine Buben, Alter zwischen drei und sechs, die zu dritt auf zwei Plätzen sitzen, lachen, schreien, Unfug treiben und aussehen wie Illustrationen zu einem Kästner-Buch.
Waren sie im Wienerwald?
Die Buben haben Tannenzapfen, Stadtkinder offenbar, von den kleinen Schuppengebilden nachhaltiger beeindruckt als vom neuesten Videospiel.
Plötzlich beginnt der Kleinste, den Zapfen zu zerlegen, methodisch, Schuppe um Schuppe.
Die Schuppen schweben zu Boden.
Eine Frau mit Hut – er sieht aus wie eine sitzengebliebene Torte – regt sich auf: »Unerhört! Wer kehrt die Bescherung weg?«
Die Rothaarige, Au-pair-Mädchen, schätze ich, denn die drei Buben sind blond, blickt fragend: »What did you say?«
Die Frau mit Hut kann nicht Englisch. Ein betulicher Herr übersetzt: »Who will sweep the garbage away?«
»What garbage?«
»Garbage« heißt Müll, das Wort Bescherung, englisch, habe ich nicht griffbereit.
Die junge Frau scheint den Vorwurf trotzdem verstanden zu haben. Sie blickt bedauernd zu Boden und fügt nachsichtig hinzu:
»He has an inquisitive mind!«
»Er hat einen Forschergeist«, übersetzt der betuliche Herr und schafft’s, den neutralen Ton missbilligend einzufärben.
Der Tortenhut regt sich auf: »Forschergeist? Dass ich nicht lache! Er hat keine Kinderstube, das ist das ganze Geheimnis! Bei uns hätte es das nicht gegeben! Da gab’s Zucht und Ordnung, jawohl! Wir mussten still sitzen, brav sein und folgen! Widerspruchslos! Geredet durfte nur werden, wenn wir was gefragt wurden. Sonst nicht.« Der Kleine hat unterdessen den Zapfen leergezupft und beschnuppert den gelblichen Strunk.
»Don’t!«, sagt die Rothaarige freundlich, als er ihn in den Mund schieben will. Der Kleine gehorcht, allerdings nach einer pro-forma-Pause.
Die Straßenbahn hält.
»Come on, boys!«
Die junge Frau steigt aus, hebt die Buben aus dem Wagen, behutsam – der Älteste verwahrt sich gegen die Hilfe und springt – und dann gehen sie weg, alle vier, einander an den Händen haltend.
Der Tortenhut schreit ihnen nach: »Damals gab’s eben noch so etwas wie ordentliche Erziehung!«
»Wohin die führt, haben wir gesehen!«
Wenn Blicke töten könnten! Warum ausgerechnet mich?
Ach so. Ich hab laut gedacht!
LINIE 46, 7.20 Uhr
Dialog
(Drei siebenjährige Buben mit Schultasche,
ein älterer Herr mit Zeitung)
1. Bub (zuzelnd):
Und dann war der Zahn in der Supp’n.
2. Bub:
Hast ihn g’schluckt?
1. Bub:
Ausg’spuckt.
3. Bub:
Ich hab am Sonntag beim Frühstück mein’n linken Vorderzahn g’schluckt.
1. Bub:
Und?
3. Bub:
Die Mutti hat g’schimpft.
2. Bub:
Statt dass sie die Rettung ruft!
3. Bub:
Geh, wegen ein’n verschluckten Zahn ruft man nicht gleich die Rettung!
2. Bub:
Wir haben die Rettung g’rufen. Der Opa wär fast erstickt.
3. Bub:
Hat er auch seinen Vorderzahn g’schluckt?
2. Bub:
Geh, der hat doch kein’n Vorderzahn mehr! Das ganze Gebiss!
1. Bub:
Hat er g’schluckt?
2. Bub:
Und bis die da war, die Rettung, war er schon blau. Was lachst?
1. Bub:
Mein Opa is auch manchmal blau.
3. Bub:
B’soffen?
1. Bub:
Nein, nein – bisserl lustig, halt. Dann verdreht die Mutti die Augen und schimpft.
2. Bub (zum 3. Buben):
Warum hat deine g’schimpft?
3. Bub:
Sie hätt den Zahn aufheben wollen.
1. Bub:
Den Vorderzahn? Zu was?
3. Bub:
Fürs Schachterl.
1. Bub:
Was denn für a Schachterl?
3. Bub:
Mit Sachen.
2. Bub:
Was für Sachen?
3. Bub:
Die was mich angehen.
1. Bub:
Nämlich?
3. Bub (verlegen):
Eine Locke von mir. Wie ich klein war. Und meine Babyklapper.
1. Bub (verachtungsvoll):
Du hast a Klapper g’habt?
3. Bub:
Jedes Baby hat a Klapper.
1. Bub:
Ich nicht. Ich hab keine g’habt.
3. Bub:
Blödsinn.
1. Bub:
Ich erinner mich.
3. Bub:
Depp!
1. Bub:
Selber Depp!
3. Bub:
Superdepp!
1. Bub:
Megadepp!
3. Bub (rempelt)
1. Bub (rempelt zurück)
3. Bub (rempelt stärker)
1. Bub (rempelt stärker zurück)
Älterer Herr mit Zeitung:
Aufhören! Sofort aufhören!
2. Bub:
Der Alte hat Recht! Hört’s auf!
(Er trennt die Raufenden, die Straßenbahn hält. Die drei steigen einträchtig aus.)
Älterer Herr mit Zeitung (schaut ihnen nach):
Ihr werd’s euch noch wundern, Freunde! Jetzt geht’s ihr in die Schule, und über Nacht seid’s alt!
D-WAGEN, 17.00 Uhr
Bericht
Der Wagen ist voll. Leute stehen. Ein Sitzplatz wäre frei, doch da liegt ein Rucksack. Skandal!
Der Eigentümer, ein dunkler, verwegen aussehender Mann, Zielscheibe ungnädiger Blicke, scheint tief und fest zu schlafen. Er trägt einen schwarzen Schnauzbart, eine Goldkette mit Amulett, das Hemd bis zum Nabel offen, Brust und Arme sind schwarz behaart, die buschigen Augenbrauen