Nur Idioten sind glücklich: Short Stories
By Polly Adler
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In ihrem ersten Kurzgeschichten-Band zeigt die Kultautorin Polly Adler (alias "profil"-Journalistin Angelika Hager) ein schillerndes soziologisches Panoptikum: Da eröffnen Charity-Furien einen Streichelzoo für Obdachlose, weil sie die Einsamkeit ihrer Ehe nicht mehr ertragen können, Burn-out-Manager suchen das Elend anderer in Depressions-Gruppen, um von ihrem eigenen abzulenken und ansonsten knallharte Karriere-Frauen machen sich für ein bisschen Liebe sowas von zum Affen.
"Das Leben ist kein Ponyhof", seufzt eine von Polly Adlers Figuren - und dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
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Nur Idioten sind glücklich - Polly Adler
Knietief im Glamour
Alarmstufe roter Teppich. Er sah sich in den Spiegel. Tom Ford war ein eitler Fatzke. Aber das mit den Smokings hatte er noch immer am besten drauf. Und der Inhalt des Smokings war auch nicht von schlechten Eltern. Mein lieber Schwan! Mit seinen 42 sah er noch immer wie ein Mann aus, für den ein Kirchenfürst getrost ein Fenster eintreten würde.
O. K., es gab zwar in Hollywood eine Reihe Milchbubis mit eigenartigen Namen wie Orlando oder Joaquin, die in sein Fach drängten. Und – verflucht noch einmal – diese Flachwichser hatten ihm in den letzten Jahren mehrfach die römisch Eins im Geschäft, den »Sexiest Man Alive«, im »People«-Magazin streitig gemacht. Auf diesen Ordenstitel, der im Business den Kurswert verlässlich in die Höhe schnellen ließ, hatte er über Jahre nahezu ein Abonnement besessen.
Ab 35, in Hollywood die Lebensphase, in der bereits viele über dem Hügel drüber waren, war sein Aussehen dann leider in Arbeit ausgeartet. Irgendwann kann man von seinem genetischen Konto eben nicht mehr nur abheben, sondern muss bar einzahlen. Und zwar regelmäßig.
Er hatte sich einen eigenen Fitnesstrainer geheuert, der wie ein ägyptischer Pharaonensklave aussah und ihm fünf Mal die Woche an den Maschinen die Peitsche gab. Auf Drehs reiste Lou, so hieß sein Züchtigungsmeister, einfach mit. In den oft elendslangen Pausen gab’s kein Fackeln. Unter 70 Liegestütze mit einer Hand brauchte er Lou, in dessen Grinsen eine Schuhbürste bequem Platz hatte, gar nicht zu kommen.
Ein sehr aufgeregter und sehr schwuler Food-Coach hatte ihm einen strikten Ernährungsplan zusammengestellt, nachdem er sich drei Tage lang in einem Labor um 8000 Dollar wie ein Weltklasse-Astronaut durchtesten ließ. Mit dem Ergebnis, dass er von rotem Fleisch eher die Finger lassen sollte und an einer gewaschenen Ziegenkäseunverträglichkeit litt. Ziegenkäse war sowieso Mädchenkram, doch die Sache mit dem roten Fleisch ging ihm auf den Geist. Ab und zu brauchten richtige Männer auch in diesem cholesterinparanoiden Zwergenstaat namens Hollywood einen vor Fett triefenden, mittel durchgebratenen Burger, der von einem dichten Kranz Fritten umgeben war.
Doch sowas kam der Sexiest Woman Alive sowieso nicht auf den Speiseplan. Eher wäre sie tot über dem Gartenzaun gehangen, als dass sie in ihrer Schlafsaal-großen, von einem Feng-Shui-Meister oder einem auf sonst irgendeinen fernöstlichen Tralala spezialisierten Guru ausgependelten Küche ein solches Prol-Futter heraus gebrutzelt hätte. Wenn die Kinder das sehen würden – Himmel Hindu-Gottheit – null Vorbildwirkung. Schließlich bekamen die armen, kleinen Racker von einer in der französischen Schweiz ausgebildeten Köchin ständig organisches Zwergzucchini-Püree oder Karotten-Quiche aus Vollkornmehl zubereitet.
Wie viele waren es eigentlich zur Zeit? Er begann nämlich manchmal den Überblick zu verlieren, denn die Sexiest Woman Alive wollte sich nämlich nicht nur auf das Berufsgebiet Erotik-Ikone beschränken, sondern hatte auch den Ehrgeiz, als Sexiest Mutterschaftsgöttin Alive den globalen Wettbewerb zu kontrollieren. Ihr Uterus sollte sich über alle fünf Kontinente stülpen. Ständig wollte sie Kinder aus Krisengebieten adoptieren, am liebsten schwer traumatisierte, denn die Liebe zu solchen angeknacksten Exemplaren ließ sie in der öffentlichen Wahrnehmung nahezu überirdisch edel erscheinen.
Madonna kam da ganz schön unter Zugzwang, aber dieser Guy Ritchie hat wenigstens rechtzeitig den Absprung geschafft. Vielleicht sollte er sich einmal mit diesem Typen auf ein Gespräch unter Männern treffen. Und ihm dazu gratulieren, dass er sich von dieser Controlfreak-Braut befreit hatte. Vielleicht sollte er – aus purer Kerls-Solidarität – sogar einmal in einem seiner Filme mitspielen. Obwohl … Man muss es ja nicht übertreiben. Der Typ galt als äußerst mittelmäßiger Regisseur und schwachbrüstiger Tarantino-Epigone. Und Durchschnitt war immer tödlich. Da war es fast noch besser, alle heiligen Zeiten einen fetten Flop in der Zweihundert-Millionen-Klasse hinzulegen. Um nachher gleich wieder aufs Pferd zu steigen. Das verzieh Hollywood eher als kontinuierliche Lauwärme im Mittelfeld.
Sein Blick schweifte über das Chaos in der Suite. Überall lag pädagogisch rundum geprüftes Spielzeug verstreut – ein Montessori-Schlachtfeld im Louis-Quinze-Ambiente. Das Carlton-Personal trug bereits dicke Rufzeichen des Vorwurfs, wenn es innerlich seufzend im Stundentakt das Selbstverwirklichungs-Massaker der Krisengebiete-Kids wieder verschwinden lassen musste.
Nun ja, diese … ihre Kinder hatten unter der Sexiest Woman Alive und dem ehemaligen Sexiest Man Alive sicherlich ein weitaus schöneres Leben als in diesen Bananen-Diktaturen. Jetzt einmal abgesehen von den abgedrehten Vornamen, die sich ihre neue Mum für sie ausdachte. Den letzten, für das kleine, sehr fotogene Mädchen aus dem Kongo, hatte sie mit einem dort ansässigen Wunderheiler und Zauberer erarbeitet: Ogadudu. Frühmorgens war sie mit dem Mann auf einen Berg gegangen und hatte mit ihm bei Sonnenaufgang Hölzchen geworfen, deren Fallwinkel aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen die Symbolkraft von Buchstaben besaßen.
Er hatte sich aus dieser Namensfindungskiste sowas von ausgeklammert, was ihm wahrscheinlich ein dickes Minuszeichen in ihrem inneren Klassenbuch gebracht hatte. Armes Baby! Wie würde sie es später anlegen? »Tagchen, ich bin Ogadudu – und wie läuft’s bei euch so?« Diese Kinder werden ja schließlich irgendwann erwachsen und haben prinzipiell ein Menschenrecht auf einen Vornamen, der keine Lachnummer ist.
Oh Gott, jetzt ein Königreich für einen Burger. Aber auf diesem südfranzösischen Filmstrich gibt’s sowas durch und durch Ehrliches sicher nicht. Und schon gar nicht für ihn, das Beiwägelchen der Sexiest Woman Alive. Würde er sich jetzt eineinhalb Stunden vor Premierenbeginn – der globale Uterus hatte einen ernsthaften Film gemacht – über eine Menschenrechtskämpferin im Pinochet-Regime, die für ihr Engagement mit dem Tod, einem sehr malerischen Tod, bezahlen muss – in eine Frittenbude stehlen, wären morgen alle Zeitungen voll damit.
»Verkraftet er den Erfolg seiner Frau nicht und sucht Trost bei Burgern?« oder »Allein auf dem roten Teppich! Während sie einen Welterfolg feiert, verdrückt er sich zum Frustfressen ins Hinterland«.
Nein, hier, wo jede Bewegungsmeldung von diesem Paparazzi-Pack registriert wird, und man wie nirgends sonst unter dem Brennglas der Weltöffentlichkeit steht, laufen keine Extratouren. Das Gebiet eignet sich auch hervorragend für Imagekorrekturen. Dass es in ihrer Beziehung zu einer psychosozialen Schieflage gekommen war, hatte sich mittlerweile bis zu den dümmsten Klatschblättern herumgesprochen.
»Steht die schönste Patchwork-Familie der Welt vor dem Aus?«, hatte der »Star Examiner« getitelt und der weit weniger streichelfreudige »National Enquirer« sein Scharfbeil geschwungen: »Das Terrorregime der Sexiest Woman Alive – wie lange macht er das noch mit? Und wer bekommt die Kinder?«
Leute, die kann sie sich sowas von behalten. Er hatte im Gegensatz zu ihr keinen Volksgründungs-Komplex. Er würde dann wahrscheinlich seine eigenen Kinder machen – mit einem hundsordinären amerikanischen Mädchen hundsordinäre amerikanische Kinder, für deren Vornamen keine kongolesischen Fruchtbarkeitspriester konsultiert werden müssten. Die würden schlicht Janet oder Steven heißen, und Fritten mit Ketchup essen dürfen, wenn ihnen der Sinn danach stand.
Um die Nattern zum Schweigen zu bringen, hatte sich Missis Dominanz gestern für das Theaterstück »Heimliches Liebesrendezvous im Star-Geheimtipp Tou-tou« entschieden.
Verlässlich wie immer hatte sich der Rattenschwanz der Knipser in Bewegung gesetzt, als sie auf einem von ihrer PR-Schreckschraube geheuerten Motorrad in das Restaurant in den Bergen gedüst waren. Die Moto Guzzi hatte, so war sich die PR-Domina sicher, den angemessenen Coolness-Faktor. Auf dem Socius-Sitz umschlang sie seine Hüften wie eine Königskobra. Er bekam richtiggehend Atembeschwerden. Ausschließlich mit Hilfe von Lous’ autogener Trainingstechnik war er in der Lage, eine heranschleichende Panik-attacke abzuwenden.
»Nimm’ mich«, hatte sie ihm zugezischt, als sie das Restaurant betraten und gehorsam hatte er den Arm um ihre klapperdürre Hüfte geschlungen, aus der die Knochen mittlererweile wie bei äthiopischen Weiderindern herausstanden.
Und schon wurden hinter den Oleanderbüschen die wohl vertrauten Knipsgeräusche hörbar und zwischen den Zweigen waren die dunklen Teleobjektive zu sehen, die wie bedrohliche Kanonenrohre herausstachen. Zum Abschuss freigegeben. Doch in diesem Spiel waren sie Opfer und Täter zu gleichen Teilen. Deswegen war das Gejammere, ständig unter Beobachtung zu leben, ziemlich scheinheilig. Denn sie lebten auch davon, dass jeder ihrer Schritte weltweit dokumentiert wurde. Ein neues Krisen-Kind in ihrer Mitte und Erdbeben und blutige Revolutionen wanderten auf Platz 2 in den Weltnachrichten. Ziemlich abgedreht eigentlich.
Bei einer Fischsuppe, aus der sie sich lustlos die weißen Stückchen rauspickte, kreiste das Gespächsthema ausschließlich um Organisatorisches – die Farben der Kinderzimmer in Berlin, ihre zunehmende Unzufriedenheit mit der PR-Tante, die 5000 Dollar im Monat bekam, um die Fassade rissefrei zu halten, und die die Aasgeier nicht unter Kontrolle halten konnte, sowie die Überlegung, »Vanity Fair« eine Homestory in Malibu zu gewähren. Die hatten Annie Leibovitz als Fotografin vorgeschlagen, doch eigentlich hatte die ihren Höhepunkt bereits lange hinter sich. Besonders seitdem sie die Hochzeit von dieser vulgären Latina-Sängerin für »Hello« fotografiert hatte. Nein, die war definitiv nicht mehr hip genug. Da müsste ein anderes Kaliber ran – David LaChapelle vielleicht, obwohl der in den letzten Jahren vor allem Transsexuelle auf dem Straßenstrich fotografiert und mehrfach in Interviews vermeldet hatte, dass die Inszenierung von »shiny people« ihn künstlerisch endlos langweilte.
So gesehen wäre es natürlich verdammt hip, LaChapelle für die Idyllereportage ködern zu können. Die Sexiest Woman Alive hatte andauernd einen ziemlichen Stress mit ihrem Hipness-Faktor. Beim Verlassen des Lokals küsste er sie sogar freiwillig. Ihr Oh-Gott-was-bin-ich-nicht-sinnlich-Mund sah nicht nur aus wie ein Schlauchboot, sondern fühlte sich inzwischen auch so an. Den Kuss setzte er nicht auf das Schlauchboot, weil plötzlich die Leidenschaft mit ihm durchgegangen wäre, sondern weil er die Choreographie des Wir-liebenuns-bis-zum-Anschlag-Theaters selbst bestimmen und nicht von ihr mit einem knochenharten Handgriff dazu genötigt werden wollte. Klick, klick, alles lief wie bestellt. In genau diesem Moment überfiel ihn eine schmerzende Sehnsucht, wenigstens einmal für sich sein zu können, einmal nicht funktionieren zu müssen, einmal sowas wie Nasenbohren zu können, ohne dass das irgendjemandem auffiele oder auch nur irgendwie interessierte.
Im Lala-Land fand er manchmal einen Notausgang. In sehr schwachen Momenten klebte er sich seinen Tarn-Schnurrbart auf und setzte sich ein Lakers-Käppi auf, um weit weg von Malibu in einem Drive-In – wie in einer geheimen Sekten-Zeremonie – sich einen Doppel-Whopper mit extra Mayo in die Figur zu werfen. Es war ein rares Gefühl von Autonomie und Kontrolle über sein persönliches Glück, wenn er dann auf dem Parkplatz dieses Ernährungs-Verbrechen genüsslich in sich hineinmampfte, sich vielleicht vorher dazu noch ein Bierchen auf einer Tankstelle besorgt hatte, und aus irgendeinem Sender, der