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Screening Youth: Eine Studie über den Zusammenhang von Depression, Angst, Alkohol- und Nikotinkonsum im Jugendalter
Screening Youth: Eine Studie über den Zusammenhang von Depression, Angst, Alkohol- und Nikotinkonsum im Jugendalter
Screening Youth: Eine Studie über den Zusammenhang von Depression, Angst, Alkohol- und Nikotinkonsum im Jugendalter
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Screening Youth: Eine Studie über den Zusammenhang von Depression, Angst, Alkohol- und Nikotinkonsum im Jugendalter

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Diese Studie erforscht das Vorkommen depressiver Symptome im Jugendalter, die Lebenssituation und den Alkohol- und Nikotinkonsum von Jugendlichen.
Suizidgedanken werden erfragt und verschiedene subklinische Ängste identifiziert.
Ziel ist es, diese Themen in Zusammenhang zu bringen und zu überprüfen, ob Unterschiede zwischen den Schularten Hauptschule, Realschule und Gymnasium sowie den Jahrgangsstufen 7, 8 und 9 zu finden sind.
Hierzu wird einer quasi-repräsentativen Stichprobe aus 495 Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren ein eigens für die Untersuchung konstruierter Fragebogen vorgelegt.
Bei ca. 20 % der Jugendlichen finden sich depressive Symptome, 40 % rauchen und 75 % trinken Alkohol, wobei vor allem das frühe Einstiegsalter und das Ausmaß des Konsums auffällig sind.
Weiterhin zeigen sich multiple Zusammenhänge aller Bereiche, welche verdeutlichen, dass die Probleme der Jugendlichen sehr komplex sind.
Differenziert nach Klassenstufe und Schulart finden sich je nach Bereich unterschiedliche Ergebnismuster.
LanguageDeutsch
PublisherHirnkost
Release dateFeb 1, 2014
ISBN9783943774849
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    Book preview

    Screening Youth - Tamara Hagmaier

    Jahrhunderts

    1. Zusammenfassung

    Diese Studie erforscht das Vorkommen depressiver Symptome im Jugendalter, die Lebenssituation und den Alkohol- und Nikotinkonsum von Jugendlichen. Suizidgedanken werden erfragt und verschiedene subklinische Ängste identifiziert. Ziel ist es, diese Themen in Zusammenhang zu bringen und zu überprüfen, ob Unterschiede zwischen den Schularten Hauptschule, Realschule und Gymnasium sowie den Jahrgangsstufen 7, 8 und 9 zu finden sind. Hierzu wird einer quasi-repräsentativen Stichprobe aus 495 Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren ein eigens für die Untersuchung konstruierter Fragebogen vorgelegt. Bei ca. 20 % der Jugendlichen finden sich depressive Symptome, 40 % rauchen und 75 % trinken Alkohol, wobei vor allem das frühe Einstiegsalter und das Ausmaß des Konsums auffällig sind. Weiterhin zeigen sich multiple Zusammenhänge aller Bereiche, welche verdeutlichen, dass die Probleme der Jugendlichen sehr komplex sind. Differenziert nach Klassenstufe und Schulart finden sich je nach Bereich unterschiedliche Ergebnismuster. Weitere Studien werden benötigt, um den Fragebogen zu evaluieren und Normen zu erstellen.

    2. Abstract

    The aim of this study is to examine the connection between the occurrence of depressive symptoms among adolescents, their life situation and alcohol and nicotine use. Moreover, the influence of suicidal ideation and sub-clinical fears are explored and differences between the different secondary school types Hauptschule, Realschule and Gymnasium and between three different class levels are examined. Data is provided by a quasi-representative sample of 495 adolescents at the age of 12 to 17 in Bavaria, Germany. A questionnaire, specifically developed to measure these factors, is used for the examination. 20 % of the adolescents show depressive symptoms, 40 % of them smoke and 75 % drink alcohol. The early initiation age and the enormous extend of consumption are particularly striking. Furthermore, multiple correlations between all domains are found, which reveal that the problems among youths are very complex. If you differentiate as to class level and school type there are diverse results. The findings indicate that further studies are needed to evaluate the questionnaire and to develop standards.

    3. Einleitung

    Es gibt Girlies und Tussis, Hooligans und Rapper, Raver, Streetballer und Trainsurfer, frühreife „Top-Models unter den strengen Augen von Heidi Klum und angehende „deutsche Superstars, die nach einem „Welt-Hit" aus dem Repertoire von Dieter Bohlen wieder in der Versenkung verschwinden. Wer blickt da noch durch?

    Die Jugendlichen des 21. Jahrhunderts leben in einer Zeit, in der sich die Trends und begehrenswerten Dinge ständig ändern. Es gibt ein unbegrenztes Angebot an Waren und Inhalten, das per Kreditkarte, Mausklick oder Handy überall und zu jeder Zeit verfügbar erscheint. Was man braucht, um dazu zu gehören, geben die Modemacher und Technikdesigner vor.

    Doch zu diesen verführerisch angepriesenen Waren gehören auch Dinge, die den Jugendlichen schaden, wie z.B. Alkohol. Zu diesem Thema schrieb die World Health Organization (WHO) in einer Erklärung im Jahr 2001:

    „Die Globalisierung der Medien und Märkte prägt die Ansichten, Entscheidungen und Verhaltensweisen der Jugend immer stärker. Viele Jugendliche haben heute zwar mehr Möglichkeiten und verfügen über mehr finanzielle Mittel, sind aber durch die (aggressiver gewordenen) Verkaufsmethoden und Marketingtechniken für Verbrauchsgüter und potenziell schädliche Substanzen wie Alkohol stärker gefährdet. Gleichzeitig hat die vorherrschende freie Marktwirtschaft die existierenden Public-Health-Sicherheitsnetze in vielen Ländern durchlässig gemacht und die sozialen Strukturen für junge Menschen geschwächt. Der rasche soziale und wirtschaftliche Wandel, Bürgerkonflikte, Armut, Obdachlosigkeit und Isolation haben die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Alkohol und Drogen eine größere und destruktive Rolle im Leben vieler junger Menschen spielen. (ein Ausschnitt aus „Verringerung der Alkoholschäden bei Jugendlichen – Erklärung über Jugend und Alkohol¹)

    Doch warum greifen Jugendliche heutzutage so oft zur Flasche? Haben sie tatsächlich jedes Wochenende etwas zu feiern? Ist es nur das Trinken selbst, das gefeiert, ja geradezu zelebriert wird? Trinken die jungen Leute, weil es alle so machen, weil es zum Erwachsenwerden dazu gehört?

    Provokant kann man sagen, dass die Kinder und Jugendlichen in einem Wertevakuum leben: in einer Welt, die geprägt ist durch zerfallende Familien und fehlende Erziehung, ohne konstante Werte und ohne Vorbilder, dafür mit gesellschaftlicher und beruflicher Unsicherheit. Eine Welt in einer Wirtschaftskrise und mit der wachsenden Angst vor terroristischen Anschlägen. Eine Welt, deren Bild stark durch die zunehmend destruktiven und wertenden Medien geprägt wird. Betrachtet man die Jugendlichen einmal aus dieser Perspektive, so stellt sich die Frage, ob der Alkoholkonsum weniger dem puren Genuss, sondern vielmehr der inneren Betäubung dient? Er wäre damit ein Betäubungsmittel, das eine gewisse innere Leere oder Traurigkeit zumindest zeitweise vergessen macht und für kurze Zeit abschirmt gegen Angst und Unsicherheit vor der Zukunft und eine immer gefährlicher und chancenloser scheinende Welt. Wenngleich auch der Zusammenhang zwischen riskantem Suchtmittelkonsum und der starken Zunahme an diagnostizierten psychischen Erkrankungen, wie z.B. Depression und Angsterkrankungen, noch offen ist, könnten diese Faktoren als Konfliktlösestrategie der Jugendlichen angesehen werden, um das schnelle und unberechenbare Leben des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Dies würde allerdings nicht nur bedeuten, dass die Jugendlichen sich einer ungünstigen Coping-Strategie bedienen, sondern auch, dass der Staat und die Gesellschaft ihrer eigentlichen Verantwortung gegenüber der Jugend nur unzureichend nachkommen und ihr keine fördernde Umwelt mehr bieten. So heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 8. Dezember 2008: „Aufgabe des Staates ist es, Kinder und Jugendliche vor Gefahren und vor negativen Einflüssen in der Öffentlichkeit und in den Medien zu schützen und sie fit zu machen für das Leben in einer komplexen Welt."²

    Vielleicht sind es gerade die geschützte Umgebung sowie ausreichend Unterstützung, Anleitung und Liebe, welche den heutigen Jugendlichen fehlen, um sich den Herausforderungen des Lebens angemessen stellen zu können.

    Um etwas mehr Licht in das Dunkel um das Wohlbefinden deutscher Jugendlicher zu bringen, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit dem Vorkommen von Depressionen im Jugendalter, dem Alkohol- und Nikotinkonsum sowie alltäglichen Ängsten der jungen Generation. Zusätzlich sollen die Befunde zu den unterschiedlichen Bereichen mit soziodemographischen Faktoren, belastenden Lebensereignissen und Zukunftsvorstellungen der Jugendlichen in Verbindung gebracht werden.

    Die bisherige Forschung zu diesen Themen ist sehr spezifisch, da jeder einzelne Bereich zwar durch viele, aber methodisch sehr verschiedene Einzelarbeiten abgedeckt ist. Um jedoch Zusammenhänge zwischen den Problembereichen sichtbar zu machen und durch das neu gewonnene Wissen letztlich in Prävention und Therapie investieren zu können, ist der Bedarf an integrierenden Forschungsarbeiten wie der vorliegenden Arbeit sehr vonnöten. Denn gerade die psychologische Forschung kann und sollte mit ihrem Wissen und ihren Ergebnissen dazu beitragen, die gesellschaftliche Verantwortung für junge Mitbürger und deren positive Entwicklung in einer fördernden Umwelt zu übernehmen!

    1 „Verringerung der Alkoholschäden bei Jugendlichen – Erklärung über Jugend und Alkohol, eine Erklärung der WHO; verabschiedet in Stockholm am 21. Februar 2001 von der Europäischen ministeriellen Konferenz der WHO „Jugend und Alkohol. Quelle: http://www.edimuster.ch/alkoholpolitik/jugend.htm; zuletzt aufgerufen am 29.05.2009

    2 Aus der Pressemitteilung zum „Aktionsplan der Bundesregierung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung", Quelle: www.bmfsfj.de; zuletzt aufgerufen am 29.05.2009.

    4. Theoretischer Hintergrund

    4.1 Allgemeine Fragestellung

    Die vorliegende Untersuchung wurde mit dem Ziel durchgeführt, das Vorkommen (Punktprävalenz) und die Ausprägung depressiver Symptome im Jugendalter genauer zu erforschen. Zusätzlich sollten neben der aktuellen Lebenssituation der Jugendlichen der in Fachwelt und Medien häufig zitierte, scheinbar ansteigende Alkoholkonsum der Jugendlichen und ihr Nikotinkonsum genauer betrachtet werden. Des Weiteren wurde methodisch und inhaltlich erprobt, jugendliche Suizidgedanken indirekt zu erfragen. Abschließend sollte überprüft werden, mit welchen Ängsten die Jugendlichen im Alltag konfrontiert sind, um Angstthemen dieser Altersgruppe zu identifizieren und das Vorkommen sowie die Ausprägung dieser Angstthemen zu beleuchten.

    Das integrierende Ziel der vorliegenden Arbeit sollte sein, alle genannten Problembereiche miteinander in Verbindung zu bringen, um vorhandene Zusammenhänge aufzudecken. Darüber hinaus sollte überprüft werden, ob Unterschiede zwischen den untersuchten Schularten (Hauptschule, Realschule und Gymnasium) und den Klassenstufen (siebte, achte und neunte Jahrgangsstufe) zu finden sind.

    Im Folgenden werden zunächst aktuelle Befunde zu den genannten Bereichen dargestellt, um anschließend die Hypothesen der vorliegenden Untersuchung ableiten zu können.

    4.2 Theoretischer Hintergrund der einzelnen Krankheitsbilder

    4.2.1 Befunde zur Depression bei Jugendlichen

    Mit Rang vier auf der Liste der bedeutsamen Erkrankungen hinsichtlich der Ursachen gesundheitlicher Beeinträchtigung und vorzeitiger Mortalität weltweit (WHO World Health Bericht 2001) sowie geschätzten Kosten von 17 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland (vgl. Kompetenznetz Depression 2005³), zählt die unipolare Depression zu den bedeutsamsten Erkrankungen in der heutigen Zeit. Neben dem oftmals chronisch rezidivierenden Verlauf der depressiven Erkrankungen wird als Ursache für diese erschreckende Situation eine fehlende angemessene Behandlung depressiver Kinder und Jugendlicher angegeben (Pössel, 2008). Erst in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Depression als eigenständige psychopathologische Störung des Kindes- und Jugendalters aufgefasst und mit Eingang dieses Syndroms in das DSM-III wurden weiterführende Forschungen hinsichtlich der Diagnostik und Behandlung begonnen. Trotzdem ist die Depression bei Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein unterschätztes Problem.

    4.2.1.1 Definition, Klassifikation und Symptome

    Der Begriff „Depression leitet sich von dem lateinischen Wort „deprimere (hinunterdrücken) ab. Ursprünglich bezeichnete er einen unspezifischen Zustand des allgemeinen Abbaus bzw. der Beeinträchtigung psychischer Funktionen. Heutzutage wird das Wort oftmals als Oberbegriff in ganz unterschiedlichen Kontexten verwendet. Es gilt dabei, drei Ebenen zu unterscheiden: die Symptom-, die Syndrom- und die Störungsebene (vgl. Abb. 1).

    Abb. 1: Überblick über die Verwendung des Begriffs Depression und dessen jeweilige Bedeutung

    In der vorliegenden Arbeit ist der Begriff „Depression" teilweise als Syndrom, teilweise auch als Störung aufzufassen. Es findet zwar keine eindeutige Diagnose statt, da diese unter Verwendung von nur einem Diagnostikum zu kurz gegriffen wäre, dennoch wird nicht nur die Symptomatik (Syndromebene), sondern insbesondere deren Ausprägung (Störungsebene) erfasst (vgl. Abb. 2).

    Abb. 2: Bedeutung des Begriffs „Depression" in der vorliegenden Arbeit

    Aus psychopathologischer Sicht wird die Depression den so genannten internalisierenden Störungen zugerechnet. Kennzeichnend für diese Störungsgruppe ist, dass sich die Erkrankungen auf eine Beeinträchtigung des inneren Erlebens, der Gefühls- und Stimmungslage sowie auf passives, vermeidendes und defensives Verhalten beziehen. Diese Störungen sind aufgrund der sich innerlich auswirkenden Kernsymptome meist nach außen hin schwer zu erkennen, was die Diagnose problematisch macht.

    Zu den Kernsymptomen einer Depression zählen eine deutliche emotionale Niedergeschlagenheit bzw. starke Traurigkeit (a), ein herabgesetztes Interesse bzw. ein Verlust an Freude, Spaß und Lust an alltäglichen Aktivitäten (b) sowie ein verminderter Antrieb (Energieverlust) und eine erhöhte Ermüdbarkeit (c). Weiterhin kann eine Depression mit folgenden Symptomen einhergehen: geringes Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle der Wertlosigkeit sowie Konzentrationsprobleme, Probleme beim Nachdenken und der Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Zudem treten häufig Schlafstörungen auf und die Betroffenen zeigen eine Veränderung ihrer Nahrungsaufnahme (Appetitverlust oder Appetitsteigerung). Ebenfalls typisch ist der soziale Rückzug sowie wiederkehrende Gedanken an den Tod oder Suizid. Außerdem verfügen die meisten Patienten über eine niedrige Frustrationstoleranz, werden schnell wütend, weinen und fühlen sich oft ohne konkreten Anlass traurig.

    Nach DSM-IV müssen bei einer betroffenen Person mindestens fünf der aufgezählten Symptome für einen Mindestzeitraum von zwei Wochen nachweisbar sein, um vom Vorhandensein einer Depression zu sprechen. Zu den vorliegenden Symptomen muss auch die depressive Verstimmung (a) oder der Verlust von Interesse und Freude (b) gehören. Weiterhin dürfen die vorliegenden Symptome nicht durch einen medizinischen Krankheitsfaktor, eine substanzinduzierte Wirkung, einen stimmungskongruenten Wahn oder Halluzinationen ausgelöst worden sein. Zudem dürfen bei der Diagnose einer unipolaren Depression, nach DSM-IV auch als „Major Depression" bezeichnet, keine Kriterien einer gemischten Episode (manisch-depressiv) vorhanden sein und der Schweregrad muss den einer einfachen Trauer übersteigen. Neben diesen Einschränkungen und Kriterien, welche eine differenzierte Diagnose erlauben, muss ebenfalls gewährleistet sein, dass sich die vom Patienten geschilderte Symptomatik nicht nur auf einen spezifischen Bereich (z.B. den Arbeitsplatz) auswirkt, sondern, dass die Beeinträchtigung und das Leiden in mehreren wichtigen Funktionsbereichen auftreten (vgl. Tabelle 1).

    Tab. 1: DSM-IV-Kriterien einer „Major Depression"

    DSM-IV: Major Depression, einzelne Episode (296.2x)

    A) Vorliegen von fünf der folgenden Symptome über mindestens zwei Wochen; dabei muss entweder die depressive Stimmung oder der Verlust an Interesse und Freude zu den Symptomen gehören.

    Hinweis: Auszuschließen sind Symptome, die eindeutig durch einen medizinischen Krankheitsfaktor, stimmungsinkongruenten Wahn oder Halluzinationen bedingt sind.

    1. Depressive Verstimmung an fast allen Tagen, für die meiste Zeit des Tages, vom Betroffenen selbst berichtet (z. B. fühlt sich traurig oder leer) oder von anderen beobachtet (z. B. erscheint den Tränen nahe). (Beachte: kann bei Kindern und Jugendlichen auch reizbare Verstimmung sein).

    2. Deutlich vermindertes Interesse oder Freude an allen oder fast allen Aktivitäten, an fast allen Tagen, für die meiste Zeit des Tages (entweder nach subjektivem Ermessen oder von anderen beobachtet).

    3. Deutlicher Gewichtsverlust ohne Diät oder Gewichtszunahme (mehr als 5 % des Körpergewichtes in einem Monat); oder verminderter oder gesteigerter Appetit an fast allen Tagen. Beachte: Bei Kindern ist das Ausbleiben der zu erwartenden Gewichtszunahme zu berücksichtigen.

    4. Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf an fast allen Tagen.

    5. Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung an fast allen Tagen (durch andere beobachtbar, nicht nur das subjektive Gefühl von Rastlosigkeit oder Verlangsamung).

    6. Müdigkeit oder Energieverlust an fast allen Tagen.

    7. Gefühle von Wertlosigkeit oder übermäßige oder unangemessene Schuldgefühle (die auch wahnhaftes Ausmaß annehmen können) an fast allen Tagen (nicht nur Selbstvorwürfe oder Schuldgefühle wegen des Krankseins).

    8. Verminderte Fähigkeit zu denken oder sich zu konzentrieren oder verringerte Entscheidungsfähigkeit an fast allen Tagen (entweder nach subjektivem Ermessen oder von anderen beobachtet).

    Wiederkehrende Gedanken an den Tod (nicht nur Angst vor dem Sterben), wiederkehrende Suizidvorstellungen ohne genauen Plan, tatsächlicher Suizidversuch oder genaue Planung eines Suizids.

    B) Die Symptome erfüllen nicht die Kriterien einer Gemischten Episode.

    C) Die Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

    D) Die Symptome gehen nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z. B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors (z. B. Hypothyreose) zurück.

    E) Die Symptome können nicht besser durch einfache Trauer erklärt werden, d.h. nach dem Verlust einer geliebten Person dauern die Symptome länger als zwei Monate an oder sie sind durch deutliche Funktionsbeeinträchtigungen, krankhafte Wertlosigkeitsvorstellungen, Suizidgedanken, psychotische Symptome oder psychomotorische Verlangsamung charakterisiert.

    Neben dem hier geschilderten Krankheitsbild der „Major Depression", welche eine mittelgradige bis schwere Episode einer Depression im Erwachsenenalter näher beschreibt und klassifiziert, muss beachtet werden, dass einige Symptome depressiver Erkrankungen altersunabhängig, andere hingegen in Abhängigkeit vom Entwicklungskontext auftreten (Kovacs, 1996; Groen et al. 2003). Diese entwicklungsspezifische depressive Symptomatik ist besonders im Hinblick auf die Praxis sehr relevant (vgl. Tabelle 2).

    Tab. 2: Typische Symptome depressiver Erkrankungen in Abhängigkeit von der Entwicklungsphase

    Anmerkung. Angelehnt an die „Leitlinien der Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und - psychotherapie" (Deutscher Ärzte Verlag 2003, ISBN: 3-7691-0421-8)

    Betrachtet man die altersabhängige Symptomatik genauer, so fällt auf, dass die weitgehende Übereinstimmung innerhalb der Diagnosekriterien für Depressionen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nicht den depressiven Erscheinungsbildern gerecht werden. So neigen Kinder mit einer Depression beispielsweise verstärkt zu körperlichen Beschwerden, Verhaltensauffälligkeiten und Angstsymptomen, während kognitive Symptome bei ihnen weniger offenkundig sind. Eine Verschiebung der Symptome in den Bereich des Denkens und Bewertens in Abhängigkeit des Alters der Betroffenen konnte auch in etlichen Studien nachgewiesen werden (Nevermann & Reicher, 2001). So kommt es nach und nach zu einer Zunahme an negativen Gedanken und tief greifendem Pessimismus, während die somatischen Symptome mit steigendem Alter abnehmen. Bei depressiven Jugendlichen kommt es im Vergleich zu den Kindern auch vermehrt zu Schlaf- und Appetitstörungen sowie Suizidgedanken. Gegenüber der Symptomatik bei Erwachsenen ist bei den Jugendlichen eine verstärkte Gereiztheit auszumachen.

    Unterschiede zwischen Kindern und Jugendlichen zeigen sich auch im Verlauf der Symptomatik. Während bei Kindern depressive Symptome zwar auftreten, aber nur sehr selten in ein vollständiges Bild der Depression übergehen, ist die Depression eine der häufigsten und schwerwiegendsten Erkrankungen im Jugendalter (Groen et al., 2003).

    4.2.1.2 Prävalenz in Deutschland

    Ausgehend von Lebenszeitprävalenzen von ca. fünf Prozent im Kindesalter steigt diese Zahl bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres auf 15 bis 20 % an (Metaanalyse von Groen et al. 2003). Steinhausen et al. (2006) berichtet von Prävalenzraten unter drei Prozent bei Kindern und zwischen 0,40 % und 6,40 % bei Jugendlichen. Die Punktprävalenz kann bei Jugendlichen auf 2 bis 4 % geschätzt werden (Cooper & Goodyer, 1993; Lewinsohn et al., 1998). Insgesamt schwankt der Altersbereich, der angibt, wann es zu einem solchen Anstieg der Prävalenzen vom Kindes- ins Jugendalter kommt, in nationalen und internationalen epidemiologischen Untersuchungen. Die Prävalenz depressiver Erkrankungen steigt laut Burke et al. (1990) bei Jungen ab dem 14. Lebensjahr sprunghaft an. Essau (2007) berichtet in ihrer Übersichtsarbeit einen Altersbereich zwischen 13 und 18 Jahren, in dem sich dieser rapide Anstieg an Neuerkrankungen abspielt. Nach Birmaher et al. (1996, zitiert nach Groen et al., 2003) vollzieht sich der Anstieg der Prävalenzraten und die Annäherung an die Werte der Erwachsenen zwischen dem 12. und 15. Lebensjahr. Neben der Zunahme der Prävalenzraten vom Kindes- ins Jugendalter zeigen sich während dieses Überganges ebenfalls geschlechtsspezifische Einflüsse. Sind bis zum Jugendalter beide Geschlechter etwa gleich häufig betroffen, erkranken ab der Pubertät deutlich mehr Mädchen an einer depressiven Erkrankung (Pössel, 2008; Cohen et al, 1993, beide zitiert nach Groen et al., 2003). Ähnlich wie bei erwachsenen Frauen ist das Risiko, an einer Depression zu erkranken, für Mädchen im Gegensatz zu ihren gleichaltrigen männlichen Kameraden ab der Pubertät etwa doppelt so hoch (Pössel, 2008). Ob es sich dabei um einen stabilen, replizierbaren Effekt handelt, soll in der vorliegenden Arbeit überprüft werden (vgl. Hypothese 2, unter Kap. 5 Hypothesen). Hinsichtlich der Erklärung des erwarteten Geschlechtsunterschieds gibt es bisher zweierlei Ansätze: zum einen könnte die Differenz auf einem Anstieg der Inzidenzrate bei den Mädchen oder zum anderen aber auf einem gleich bleibenden Niveau der Neuerkrankungsrate der männlichen Jugendlichen beruhen (Wade et al., 2002, zitiert nach Pössel, 2008).

    Die Gültigkeit dieser Erklärungsansätze konnte bisher nicht nachgewiesen werden und kann aufgrund der einmaligen Messung auch in der vorliegenden Arbeit nicht geklärt werden.

    Hinsichtlich des Verlaufs von depressiven Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter konnten bisher keine konsistenten Ergebnisse ausgemacht werden. Studien verweisen auf ein Andauern der Erkrankung über wenige Wochen bis mehrere Jahre. Durchschnittlich liegt die Länge der Erkrankung bei einem dreiviertel Jahr, wobei durchaus auch kürzere Episoden häufig vorzufinden sind. Insgesamt liegen die Genesungsraten bei Kindern und Jugendlichen mit einer „Major Depression" bei 90 % innerhalb von ein bis zwei Jahren, wobei das Rückfallrisiko mit 25 % nach einem und 75 % nach fünf Jahren ebenfalls erstaunlich hoch ist. Empirisch gut abgesichert ist die Tatsache, dass für Jugendliche, welche an einer Depression erkrankt sind, auch im weiteren Verlauf ihres Lebens eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, unter einer wiederkehrenden depressiven Episode oder anderen psychischen Krankheiten zu leiden (Groen et al., 2003).

    Neben diesem ungünstigen Verlauf bleibt weiterhin zu beachten, dass reine depressive Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen eher selten auftreten. Mit einem Vorhandensein einer depressiven Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen gehen simultan oder im Verlauf auftretende und lebenslang andauernde komorbide Störungen einher (Steinhausen, 2006). Untersuchungen von Angold et al. (1999, zitiert nach Pössel, 2008) zufolge leiden 40 bis 70 % der depressiven Kinder und Jugendlichen unter mindestens einer weiteren psychischen Erkrankung und haben im Vergleich zu Gleichaltrigen deutlich stärkere psychosoziale Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebens- und Funktionsbereichen. Beispielsweise berichten depressive Jugendliche im Vergleich zu ihrer gesunden Altersgruppe von weniger sozialen Kompetenzen und mehr zwischenmenschlichen Problemen (Groen, 2003). Als bedeutsamste Gruppe der komorbiden Störungen erwiesen sich bei den Kindern und Jugendlichen die Angststörungen, gefolgt von Störungen des Sozialverhaltens, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS) und Störungen durch Substanzmissbrauch (Groen, 2003; Pössel, 2008).

    Allgemein begründet wird das häufige gemeinsame Auftreten zwischen einer depressiven Erkrankung und Angststörungen zum einen durch Symptomüberlappungen. So finden sich etliche Symptome eines depressiven Jugendlichen auch bei einem Jugendlichen mit Angststörungen. Zum anderen wird hinsichtlich des gemeinsamen oder aufeinander folgenden Auftretens von Angst und Depression ein gemeinsamer ätiologischer Hintergrund vermutet. Eine negative Affektivität bzw. eine dysfunktionale Emotionsregulation wird bei beiden Erkrankungen zugrunde gelegt. Eine Person mit dementsprechender emotionaler Fehlanpassung wird beispielsweise bei vergleichsweise harmlosen Situationen aufgrund von verschiedenen sozialen, kognitiven, physiologischen und verhaltensbezogenen Beeinträchtigungen stark emotional reagieren und sich nur sehr langsam wieder beruhigen können (McCauley et al. 2001; Pössel, 2008). Diese dysfunktionale Emotionsregulation kann sich in Abhängigkeit des Entwicklungsstandes nach außen als Angststörung, als depressive Erkrankung oder als Störung gekennzeichnet durch eine Mischsymptomatik bemerkbar machen. Meist äußert sich bei Kindern eine solche Fehlanpassung in Angststörungen, während im Jugendalter verstärkt eine depressive Symptomatik vorzufinden ist. Oftmals geht einer Depression auch eine Angststörung voraus (Petermann et al. 2002a; Pössel, 2008).

    Wie es zu einer solch dysfunktionalen Emotionsregulation kommt, ist bisher noch ungeklärt. Es wird vermutet, dass genetische Anlagen bzw. neurobiologische Fehlanpassungen des Serotoninsystems eine Rolle spielen (Axelson & Birmaher, 2001). Ebenso fand Muris et al. (2001a, zitiert nach Groen, 2003), dass Angst- und depressive Störungen bei Jugendlichen oftmals mit sozial gehemmtem Verhalten der Betroffenen einhergehen. Dieses introvertierte Verhalten, die Schüchternheit und die Ängstlichkeit in sozialen Situationen führen laut Muris et al. (2001a) zu einer Steigerung der Angstsymptome, welche wiederum eine erhöhte Depression bedingen. Führt man dieses Modell weiter und berücksichtigt, dass eine depressive Erkrankung oftmals mit sozialer Isolation des Betroffenen einhergeht, so vervollständigt sich der Circulus vitiosus (vgl. Abb. 3) und die Frage nach Ursache und Wirkung tut sich erneut auf.

    Abb. 3: Erweiterung des Erklärungsansatzes von Muris et al. (2001)

    Groen et al. (2003) führen allerdings an, dass das sozial gehemmte Verhalten, welches Muris et al. (2001) fanden, durchaus als Disposition der Betroffenen betrachtet werden kann. Demnach könnte man die soziale Verhaltenshemmung auch auf genetische Korrelate zurückführen und annehmen, dass sie so als Vulnerabilitätskomponente bei der Entstehung einer Depression mitwirkt. Im Sinne des Diathese-Stress-Modells nach Zubin (1977) würde dies bedeuten, dass Personen mit einer solchen Veranlagung auf belastende Lebensereignisse oder Umweltsituationen inadäquat reagieren und

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