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Duett zu dritt: Komponisten im Beziehungsdreieck
Duett zu dritt: Komponisten im Beziehungsdreieck
Duett zu dritt: Komponisten im Beziehungsdreieck
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Duett zu dritt: Komponisten im Beziehungsdreieck

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Nichts ist schöner, als wenn zwei Stimmen verschmelzen. Im gelebten Leben sieht der Stimmensatz allerdings oft anders aus. "Duett zu dritt" erzählt davon und zeigt Komponisten im Beziehungsdreieck.
- Ludwig van Beethovens "Brief an die unsterbliche Geliebte", neu gelesen und interpretiert, zeigt, wie erzwungene Distanz explosive Triebenergie schafft und sich in revolutionärem Musikschaffen entlädt.
- Joseph Haydn lebt seine Dreiecksbeziehung offen und mit sexuellem Lustfaktor. Erst im Alter wird er zur Galionsfigur einer neuen Bürgermoral.
- Leoš Janáček komponiert Sehnsuchtswerke wie die "Intimen Briefe", die in seinem komplizierten Verhältnis zu seiner Geliebten und seiner Ehefrau wurzeln.
- Gustav Mahler stürzt durch die Affäre seiner Frau mit dem jungen Walter Gropius in eine existenzielle Krise. Die Bewältigung in der Kunst bleibt Stückwerk.
- Felix Mendelssohn Bartholdys Geschichte birgt eine Sensation: Erstmals in der deutschsprachigen Musikliteratur werden Dokumente ausgewertet, die den scheinbar unangefochten Wohlanständigen in einer geheimen Dreiecksbeziehung zeigen: mit Jenny Lind, der berühmtesten Sängerin ihrer Zeit.
- Clara Schumann steht zwischen zwei Männern: Robert Schumann, dem kranken, abwesenden Dritten, und Johannes Brahms - in der Freundschaft zu ihm steckt eine nie ganz mögliche Liebe.
- Richard Wagner sucht und braucht das Dreieck als Konstante seines Lebens und Werks - ohne sie wäre das Hohelied der Liebe, "Tristan und Isolde", nie geschaffen worden.
LanguageDeutsch
Release dateSep 22, 2014
ISBN9783218009553
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    Duett zu dritt - Joachim Reiber

    Dionysische Musik und die

    Geometrie der Demütigung

    LEOŠ JANÁČEK

    Im Dreieck lauert der Tod. Ein Mann bringt seine Frau um, aus Eifersucht. Solche Dinge geschehen. Sie stehen, fast täglich, in der Zeitung. Trotzdem: Leoš Janáček traf es wie ein Schock, als er davon lesen musste. Anfang 1928 erhielt er anonyme Post. Inhalt: Pressemeldungen zu solch einem Fall. Ein Mann hatte aus Eifersucht seine Frau umgebracht. Eine Dreiecksgeschichte, tödlich finalisiert. Janáček, entrüstet über die Zumutung, schöpfte sofort Verdacht. „Liebe Zdenka!, schrieb der 73-Jährige an die Frau, mit der er seit mehr als 46 Jahren verheiratet war. „Bist Du diejenige, die mir die Zeitungsausschnitte aus dem niedrigsten gesellschaftlichen Morast schickt?¹ Sie war es. Das Inkognito wurde gelüftet, worauf auch Janáček sich Luft machte: „Liebe Zdenka! (…) Du hast keine Ahnung, wie die Ausschnitte auf mich gewirkt haben, auf mich Gejagten."²

    Aufatmend konnte der Gejagte nun auch an die Andere schreiben. Seine Frau, so Janáček an die 37 Jahre jüngere Kamila Stösslová, wolle nicht länger den Frieden stören. „Sie sagt, dass sie mit diesen Ausschnitten nicht verletzen wollte. Sei es, wie es sei (…) Es ist genug, dass wir einander lieben!"³

    Der Tod im Dreieck. Janáček starb ihn, nur wenige Monate später. Gewaltfrei, wohl auch friedlich. Gevatter Tod gönnte dem Sterbenden Zeit genug, um ihm die Wahl zu lassen: weit weg zu sein von seiner Frau und nah bei der Geliebten. Kamila war an seiner Seite, als er am 12. August 1928 in Ostrava verstarb. Man hatte sie, wie eine Anverwandte, in einem Nebenzimmer der Klinik untergebracht. Viel zu spät sei der Fiebernde dort eingeliefert worden, ereifert sich Zdenka, die Ferngehaltene, in ihren Erinnerungen. Nur Kamila sei schuld an der Lungenentzündung, die dem alten Mann den Tod gebracht hatte. „Niemand, so Zdenka in ihren Memoiren, „dachte natürlich an das, was immer meine allererste Sorge war: einen Mantel für ihn mitzunehmen.

    Verzweifelte Gedanken einer Frau, die den letzten nagenden Zweifel nicht bemänteln konnten. Warum hatte Janáček Anweisung gegeben, sie, seine Ehefrau, nicht an sein Krankenbett zu rufen? „Ich werde die eigentliche Wahrheit nie erfahren, so Zdenka in ihren Memoiren. 250 Seiten Erinnerungen, veröffentlicht unter dem Titel „Mein Leben mit Janáček. Und dann dieser eine letzte Satz: „Es war grausam, sehr grausam von ihm, mich auf diese Weise zu verlassen."

    Die letzte gemeinsame Szene spielte sich auf der Veranda des ehelichen Hauses ab. Man hatte ein Taxi gerufen, das Leoš zum Brünner Bahnhof bringen sollte. Dort wartete die Stösslová schon auf ihn – nicht allein. Auch ihr Mann, David Stössel, war mitgekommen, und ihr zwölfjähriger Sohn. Nach Hukvaldy sollte die Reise gehen, in Janáčeks Geburtsort im Nordosten Mährens. Dort besaß der Komponist ein Domizil, das er gerade erst hatte umgestalten lassen – mit einem Anbau, extra für sie: für Kamila. Den sollte sie nun erstmals in Augenschein nehmen und bewohnen. So also stand man da, auf der Veranda zwischen Koffern, und sah Leoš’ Abreise entgegen. Ein Ehepaar in eisiger Unbeholfenheit. „Endlich, erinnerte sich Zdenka, „ratterte das Auto daher (…) Wir waren allein. Er gab mir wieder die Hand und wollte mich küssen – während die andere Frau am Bahnhof auf ihn wartete. Ich drehte meinen Kopf weg: ,Muss es sein?‘ ,Es kann sein, und es muss sein.‘ Er küsste mich ungestüm und ging.

    Musste es sein? Konnte es sein? Ja, durfte es sein? Die Stösslová bestand vor allem darauf: dass es sein durfte – auch nach allen Regeln des Anstands, der Sitte, der Konvention: nichts Verwerfliches. Das war ihre Verteidigungslinie, als ihr Zdenka in Ostrava gegenübertrat. Schließlich war sie ja doch gekommen, Janáčeks Ehefrau. Ein Telegramm der Stösslová hatte sie zu einem „schwer Erkrankten" gerufen, der in Wahrheit schon gestorben war. Nun prallten sie im Hotel aufeinander: zwei Frauen im Kampf um einen Mann. Der lag inzwischen in der Aufbahrungshalle des Friedhofs – bestimmt dazu, von seiner Gattin ein letztes Mal überführt zu werden.

    Rücksichtslos habe sie ihr den Mann weggenommen, hielt die Janáčková der Stösslová vor, gnadenlos das Einzige geraubt, das ihr nach dem Tod ihrer Kinder auf Erden noch geblieben sei. Kamila wehrte sich. „Sie schwor mir bei der Liebe zu ihrem Ehemann und dem Glück ihrer Kinder, dass sie nie ein Verhältnis mit meinem Mann gehabt und er nicht einmal ihre Hand geküsst habe."

    Mit dieser Behauptung, in Janáčkovás Erinnerungen festgehalten, war sie etwas hinter der Wahrheit zurückgeblieben. Möglich (wenn auch kaum denkbar), dass Janáček den Handkuss übersprang. Den Kuss aber bekam er: an einem Freitag im August 1927. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beziehung schon ganze zehn Jahre gedauert. So lang hatte man Abstand gehalten, so lang hielt Kamila ihn auf Distanz. Blieb noch knapp ein Jahr nach dem Tag des ersten Kusses, dem von Janáček geheiligten „Freitag-Fest-Tag". Ein Jahr – wofür? Der Abstand der Körper, dessen darf man sicher sein, blieb auch in dieser Zeit noch groß genug, um die nun 37-Jährige – irgendwie – von Anstand sprechen zu lassen.

    „Seien Sie froh, soll Kamila zu Zdenka gesagt haben, „dass er nun tot ist, so werden Sie wenigstens Ihren Frieden haben. Und auch ich bin froh, dass das alles nun ein Ende hat.⁸ Das alles. Was war es? Kein Verhältnis jedenfalls im landläufigen Sinn. Keine Bettgeschichte. Keine Beziehung jenseits der Kussgrenze. In dieser Hinsicht also: keine Blößen. Aber bloße Freundschaft war es nicht. Auch nichts, bei dem das gern bemühte Unbedenklichkeitsattest „platonisch am Platz gewesen wäre. Es war Liebe – für ihn ganz entschieden: eine Liebe, nicht im Zeichen Platons, sondern in dem des Dionysos: „Was ist diese unsere Liebe? Sie kocht und brodelt wie starker Wein. Pass auf, dass sie nicht überkocht. Und ich schüre das Feuer, dass sie überkocht! Nein, sie ist ein Vulkan! Du weißt nicht, woher sein Feuer kommt. Aus der Tiefe der Augen, aus jeder Rundung deines Körpers. Gut, Gottes Feuer wird nie erlöschen.

    So schrieb er ihr schließlich fast täglich, ja manchmal mehrfach am Tag, in einem Accelerando der Leidenschaft. Mehr als siebenhundert Briefe waren es, die im Lauf der Jahre an sie gingen. Zum Schluss mit einem Staccato von Bekenntnissen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen: „Ich weiß, was es heißt, dass wir zusammengehören. Das heißt: dass ich niemand anderem angehören kann bis zum Tod. Ich bin wie Wasser – ich weiß, wie man Dinge befeuchtet; wie Feuer – ich weiß nur, wie man brennt. Ich weiß nicht, wie man zwei Dinge zugleich tun kann. Wenn ich dich liebe, kann ich niemand anderen lieben."¹⁰

    Er schrieb und schrieb. Auch als er sie wieder an seiner Seite hatte, in diesen paar Tagen vor seinem Tod, zum ersten Mal in „ihrem Raum, dem für sie umgebauten Haus in Hukvaldy – da schrieb er ihr noch immer. Letzte Worte für Kamila, festgehalten in einem Album: „Und ich küsste dich. Und du sitzt neben mir und ich bin glücklich und im Frieden. So vergehen die Tage für die Engel.¹¹

    Zdenka ließ er nicht mit solch einem Adieu zurück. Das Letzte, das er ihr schrieb, waren, vier Wochen vor seinem Tod, Anweisungen Richtung Küche. „Wenn ich komme, bereite zum Essen vielleicht ein Hühnchen zu, um mir den Übergang von der Schonkost zu erleichtern. Mit einem Gruß Dein Leoš".¹²

    Allerdings: Da gab es auch noch diese Passage in einem Brief, nur wenige Monate zuvor, Anfang des Jahres 1928. Sollte sich Zdenka nicht daran halten? „Stösslová, so Janáček an seine Frau, „hat mir einen Teppich und Fotos ihrer Kinder mit mir und mit ihr geschickt. Ich glaube, wenn ich Dir das sage, dann weißt Du, dass ich Dein bin. Ich weiß, dass ein Komponist manchmal in der Nähe des Feuers sein muss. Foerster, Novák – man sieht, dass sie an kalten Öfen sitzen.¹³

    Es war und ist eine Frage der Perspektive. Dreiecksgeschichten folgen darin den Gesetzen der Geometrie. Zwei Punkte, geradlinig verbunden, bleiben ohne Dimension. Die entsteht erst durch ein Drittes: einen dritten Punkt, eine dritte Figur.

    Die Dimension der Janáček’schen Dreiecksgeschichte ließ jedenfalls Deutungsraum und Deutungsnot, noch über seinen Tod hinaus. Die beiden Frauen kämpften weiter, balgten über den Sarg des Mannes hinweg, der sie an sich gezogen und nun verlassen hatte. Man traf einander vor Gericht – Kamila vertreten durch ihren Ehemann – und stritt um des Komponisten letzten Willen. Im besagten Album hatte Janáček nicht nur poetische Glücksnotate und ein Lied für Kamila niedergeschrieben; er hatte auch sein Testament zu ihren Gunsten geändert. Es ging dabei nicht bloß ums Geld, sondern auch um einen Akt von tiefer Symbolik. „Die Tantiemen von ,Katja Kabanowa‘, ,Tagebuch eines Verschollenen‘, ,Aus einem Totenhaus‘ und von unserem Quartett (Nr. 2) gehören Dir."¹⁴ Mit dieser Bestimmung setzte er ein Zeichen. Ihre Musik sei es, ließ er die Nachwelt samt Frau Zdenka wissen, Musik, die er allein Kamila verdanke. Er hatte es ihr auch schon zu Lebzeiten gesagt. „Du weißt, dass das Dein Werk ist, schrieb er Kamila zu „Katja Kabanowa, „Du warst die warme Atmosphäre für mich, in ihr warst Du (…) ständig gegenwärtig für mich – überall dort, wo in der Oper die Liebe spricht.¹⁵ Schon 1917, da hatten sie einander kaum gekannt, verwandelte sich Kamila in Musik für ihn. Das „Tagebuch eines Verschollenen wurde zur Hommage an sie. „Das ist’s, warum so viel emotionale Hitze in diesen Werken steckt. So viel Hitze, dass, würde sie uns beide erfassen, nur noch Asche übrig bliebe.¹⁶ Und auf dieser Bahn ging es weiter: Kamila verschmolz mit Emilia Marty in der „Sache Makropulos, sie fand sich in Janáčeks letzter Oper „Aus einem Totenhaus" wieder, als Vorbild des warmherzigen Tatarenjungen Aljeja. Allerorten in Janáčeks Spätwerk: durch ein Weib ermöglichtes Schöpferglück. Wer sollte ihm das neiden?

    Im Rausch der Inspiration und Insemination gab er sich gar der Illusion hin, dafür auch Verständnis bei seiner Frau zu finden. „Ich sagte ihr, rapportierte er Kamila nach einem Streit mit Zdenka, „wie Du elf Jahre lang, ohne es zu wissen, mein Schutzengel auf allen Seiten warst (…) Ich sagte ihr, dass wo immer in meinen Kompositionen Wärme ausgestrahlt wird – durch reines Gefühl, Aufrichtigkeit, Wahrheit und brennende Liebe –, Du diejenige bist, durch die mir diese berührenden Melodien kommen.¹⁷ Selbst die „Intimen Briefe, das Streichquartett Nr. 2, wollte er im Ehezwist als Dokument der künstlerischen Seelenreinheit verstanden wissen, fast als Zeugnis jungfräulicher Empfängnis. „Ich sagte zu Zd.: Wenn dieses Werk als außerordentlich schön erkannt wird, dann solltest du überzeugt sein von ihrem Einfluss auf meine Seele, auf mein Werk!¹⁸ Und in der Tat: Der Einfluss hätte evidenter nicht sein können. Dieses Quartett sog alles auf, was ihn bestürmte in seiner späten jungen Liebe. Es war Leidenschaft pur, Passion und Obsession. „Es ist meine erste Komposition, deren Noten von all dem Lieben glühen, das wir gemeinsam erlebt haben. Hinter jedem Ton stehst Du, Du, lebhaft, kraftvoll, liebend. Der Duft Deines Körpers, die Glut Deiner Küsse – nein, eigentlich meiner. Aber die Zartheit Deiner Lippen. Meine Töne küssen alles von Dir. Sie rufen leidenschaftlich nach Dir."¹⁹

    Und dieses Werk sollte Zdenka überzeugen, sollte für ihn werben als schönes Dokument schöpferischen Seelenflusses? War Janáček so naiv? War er so infam? Das Werk jedenfalls hatte ihn weit, weit hinauskatapultiert aus dem Gravitationsfeld der Moral. Das ist die Signatur des Dionysischen. Nietzsche hätte es gewusst, schrieb er davon doch in seiner „Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik: „Gegen die Moral (…) erfand sich eine grundsätzliche Gegenlehre und Gegenwertung des Lebens, eine rein artistische, eine anti-christliche. Wie sie nennen? Als Philologe und Mensch der Worte taufte ich sie (…) auf den Namen eines griechischen Gottes: ich hieß sie die dionysische.²⁰

    In den „Intimen Briefen waltet Dionysos mit ungebremster Wucht. Für Zdenka Janáčková blieb nur noch die Wut. Mit dem ganzen Groll der Gedemütigten kämpfte sie darum, wenigstens den Titel „Intime Briefe zu unterdrücken. Sie scheiterte. „Lange Zeit, schreibt sie in ihren Memoiren, „konnte ich nicht in Konzerte gehen, wo ich dieses leidenschaftliche Aufbäumen von Leoš’ Sehnsucht nach einer anderen Frau hören musste – einer Sehnsucht, die ihn zerstört hat.²¹ Für Zdenka war es die Geburt der Ehetragödie aus dem Geist der Musik.

    Im Zeichen der Musik hatte einst auch diese Beziehung begonnen. Man musste Klavier spielen können – und auch Zdenka erlernte das Instrument, wie es sich für eine höhere Tochter gehörte. Sie erwies sich freilich als so begabt, dass man im Haus des Brünner Schuldirektors Emilian Schulz darauf sann, den bestmöglichen Lehrer für sie zu finden. Die Wahl fiel nicht schwer. Leoš Janáček, der umtriebige junge Dirigent der Chorvereinigung „Beseda", war der Mann der Stunde im Musikleben der 70.000-Einwohner-Stadt. Man kannte ihn, auch persönlich: Vater Schulz war Direktor der Slawischen Lehrerbildungsanstalt, als Janáček dort seinen Abschluss machte. Nun war er sein junger Kollege geworden. Janáček unterrichtete als Musiklehrer an dem von Schulz geleiteten Institut. Man bat ihn ins Haus, als neuen Klavierlehrer der talentierten Tochter. So begegneten sie einander zum ersten Mal, über die Tasten hinweg: Zdenka (12) und Leoš (23). Vier Jahre später war Hochzeit. Der Bund fürs Leben: Wäre es nach Janáček gegangen, hätte er ihn noch früher geschlossen. Aber Zdenkas Eltern wollten dann doch lieber bis kurz vor Zdenkas 16. Geburtstag warten.

    Eine frühe Entscheidung. Und rückblickend betrachtet: viel zu früh. So sah es auch Zdenka, als sie ihr Leben Revue passieren ließ. Aber etwas Unwiderstehliches ging von diesem Mann aus, der sie mit dunkler Glut umwarb, kaum dass sie im Begriff war, das Kindsein hinter sich zu lassen. Ja, durch ihn begriff sie, dass sie kein Kind mehr war. Fast schien es, als wäre ihre Verwandlung zur Frau sein Werk. Sie vollzog sich unter seinen Augen, gespiegelt durch seine Blicke. Er gab ihr, geheimnisvoll, eine neue Richtung vor. Wohin? Sie hatte, jung wie sie war, keine Idee davon. Sie spürte nur, dass einer da war für sie – einer, der so entschieden anders war als die „anderen. „Die ,anderen‘, erinnert sich Zdenka, „waren meist älter, recht seriöse Kollegen meines Vaters, die mich als kleines Mädchen sahen. Es waren Leute, die mir gleichgültig waren, die mir nichts sagten und nichts gaben. Doch Janáček brachte so viel neue Dinge in meine frühere Art zu leben (…), er brachte etwas Erhebendes, Künstlerisches, und so wurde er der Dreh- und Angelpunkt meiner Gedanken."²²

    Es war ein Wachküssen, ohne dass die Geküsste ganz wach geworden wäre. Höchst bezeichnend die Szene, in der Janáček, klassisch-bürgerlich, um ihre Hand anhielt und sich vor Zdenkas Mutter offenbarte. Die 14-Jährige, auf einem Kanapee mit Mama und dem Brautwerber, schlief ein. „Ich weiß nicht, wie das passieren konnte (…) Es war schon sehr dunkel geworden, als ich aufwachte und anfing, Mamas Stimme zu vernehmen: ,Aber sie ist noch ein Kind, sie ist noch nicht bereit für die Ehe. Sie muss noch lernen. Und sie weiß auch nicht, wie man ein Haus führt.‘ Und ich hörte sie sagen, dass ich nicht reich sein würde, obwohl ich eine Mitgift bekäme und meine Eltern mir mit allem nach der Hochzeit helfen würden (…) Dann antwortete Janáček. Leidenschaftlich warf er ein, dass er nichts wolle: nur mich."²³

    Seine Entschlossenheit überzeugte, sein Charme warb für ihn. Frau Mama war auf seiner Seite, dazu auch noch die Großmama. Nur der Vater zögerte. Emilian Schulz, gütig, warmherzig, ausgleichend, wollte nichts überstürzen. Gern, sehr gern genehmigte er denn auch die Beurlaubung, um die sein junger Kollege angesucht hatte. Janáček wollte weiterstudieren, sich als Musiker im Ausland vervollkommnen. Die Karenz, die ihm Direktor Schulz gewährte, kam dem Familienvater zupass: eine Auszeit, die zeigen würde, was wirklich dran war an der Heiratswilligkeit. Janáček aber ließ keine Zweifel aufkommen. Als er Brünn in Richtung Leipzig verließ, war er de facto schon der Verlobte Zdenkas, die damals noch keine 15 war.

    Aus Leipzig schickte er ihr Briefe, wie wenig später dann aus Wien. 174 in nur kurzer Zeit. Er schrieb mehrfach täglich, in der Regel viermal, einmal waren es gar sieben Briefe an einem Tag. Ein Hunger nach Ausdruck brach sich Bahn, wie er sich später wieder gegenüber Kamila zeigen sollte. Janáček war ein großer Liebesbriefschreiber. Bei Zdenka, in seinen jungen Jahren, las sich das so: „Meine allerliebste Zdenci! (…) Wie bin ich glücklich, daß ich Sie liebe – in meinem Kopf ist niemals Ruhe. So öde und leer kam ich mir vor. Es war dies eine der Stunden, die ich früher so oft hatte, die jedoch vor Ihrem Bild gewichen sind, wie böse Geister vor dem Engel. In meinem Innern spielt sich von dem Augenblick an, seit ich Sie liebe, ein Umsturz ab (…) Es ist das ständige Ringen und der Kampf meines alten ,Ich‘ mit dem, was ich jetzt werden will, und ich fühle, daß ich mit Ihrer Hilfe siegen werde. Wenn ich Sie nicht kennen gelernt hätte, wäre aus mir wohl ein etwas besserer Musiker geworden, dem aber jede moralische Stütze fehlen würde (…) Niemals hätte ich um Sie geworben, wenn ich zu mir nicht das Vertrauen hätte, daß ich zu meinem Glück mich ganz ändern werde, und jetzt fühle ich mich so glücklich, denn ich richte mich in allem nach der Entschlossenheit, ein wahrer Mensch zu werden und immer so zu handeln, um Ihrer würdig zu sein. Dabei hoffe ich, daß aus mir ein größerer Künstler werden wird als im ersten Falle, denn das Gewissen würde mir in den späteren Jahren mein Schaffen verderben. Nun haben Sie mich, liebste Zdenci, recht sehr lieb, denn Ihre Liebe hält mich aufrecht, nur an Sie glaube ich (…) Ich will, daß Sie mich regieren, und mein einziges Glück finde ich in dem Gedanken, daß wir zusammen unser Leben führen und daß ich Ihnen werde nur Gutes tun können."²⁴

    Ist es nicht einfach ein anrührender Brautbrief, den der 25-Jährige da – auf Deutsch – an seine Auserwählte schreibt? Eines jener Zeugnisse, wie man sie gern in erbaulichen Anthologien sammelt, Rubrik: „Die schönsten Liebesbriefe aus der Welt der Musik"? So mag es an der Oberfläche daherkommen. Aber zwischen den Zeilen – nein, eigentlich schon mittendrin – zeigen sich die Risse, die in dieser Ehe schmerzhaft aufbrechen sollten. Risse, die zu Einfallstoren wurden, um die dritte Figur einzulassen: die andere Frau, die Anti-Zdenka, das Gegenbild zu ihr. Ihr Bild hatte er fixiert und damit auch die Beziehung festgenagelt – schon in diesem Brief an die nicht einmal 15-Jährige. Zdenka als moralische Instanz; Zdenka als Engel, der böse Geister bannt; Zdenka als regierende Macht; Zdenka als höheres Wesen, dessen man sich würdig zu erweisen hat durch beständige Veredlung. Hier ist es, das Bild einer Frau, mit der Janáček ein Leben lang lebte, um sich an diesem Bild zu messen, mit ihm zu ringen, es zu bekämpfen und zu demontieren. Der Bildersturm galt einer Ikone, die er selbst aufgestellt hatte.

    Risse, von Beginn an. Ein feiner, aber folgenschwerer zeigt sich auch dort, wo Janáček von Musik und Moral schwadroniert. „Wenn ich Sie nicht kennen gelernt hätte, wäre aus mir wohl ein etwas besserer Musiker geworden, dem aber jede moralische Stütze fehlen würde … Was für ein Satz, adressiert an das Kind Zdenka! Zu Ende gedacht konnte er nur heißen, dass Janáček irgendwann einmal diese „moralische Stütze würde wegstoßen müssen, um der „bessere, der bestmögliche Musiker zu werden. Genau zu diesem Schluss kam er dann auch, ganz am Ende seiner Laufbahn. Mit den „Intimen Briefen trat er die „moralische Stütze in den Staub, um der „bessere Musiker zu sein. Weggeworfen war da auch die Hilfskrücke, die er im Brief an seine „einzige Zdenci herbeifantasiert hatte, nämlich jene, ein „größerer Künstler zu werden durch die Macht der Veredlung, personifiziert in Zdenka. Das wäre, aus der Sicht des jungen Idealisten, die Quadratur des Kreises gewesen: den Musiker zu bändigen durch Moral, auf dass ein „größerer Künstler" aus ihm werde …

    Derlei Subtilitäten, im Brautbrief noch ängstlich umkreist, interessierten den alten Herrn nicht mehr. Die „Intimen Briefe stürmten rauschhaft über die Moral hinweg: hemmungslos, radikal und – Zdenka gegenüber – auch brutal. Was tat es? Es war, als dürfte die Feder des Musikers endlich dionysisch-phallisch aufbegehren. „Ich bin so glücklich, dass die Feder glühend heiß war, als sie geschrieben hat! Wie schnell, mit überschlagendem Atem! Wie ungern, so Leoš an Kamila, „hat sie aufgehört!"²⁵

    Die Demontage begann in dieser Ehe schon mit der Installation. Sichtbares Zeichen: Janáček nahm seiner Braut, noch vor dem Traualtar, die Sprache. Zdenkas Muttersprache war das Deutsche. Im Haus der Schulzens sprach man deutsch, schon der Mutter wegen, die eine Deutsche war – nichts Ungewöhnliches in jener Zeit. Im zweisprachigen Böhmen und Mähren gab das Deutsche in Bildungsbürgerkreisen oft den Ton an. Auch Vater Schulz hielt sich daheim daran, obwohl er eigentlich Tscheche war und tschechische Lehrer ausbildete, das freilich ebenfalls auf Deutsch. Janáček sprach tschechisch mit ihm, die Lizenz wurde ihm gerne gewährt. Den Damen gegenüber aber pflegte er das Deutsche. Auf Deutsch machte er Zdenka den Hof, auf Deutsch hielt er um ihre Hand an, auf Deutsch schrieb er ihr Liebesbriefe. Das war Zdenkas Sprache und für das junge Paar die Sprache der Herzen.

    Allerdings: Als er von seinem Studienaufenthalt aus Wien zurückkehrte, wollte er nur noch tschechisch mit Zdenka reden. Der verkorkste Studienversuch am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde hatte wohl – ebenso wie die durchwachsene Leipziger Zeit – dazu beigetragen, seine Aversion, ja Aggression gegen das Deutsche und Deutschösterreichische zu schüren.

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