Himmlische Geschichten und teuflische Fabeln
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Himmlische Geschichten und teuflische Fabeln - Claudio Michele Mancini
werden.
Inhalt
Das jüngste Gericht
Ein teuflisches Pokerspiel
Hole in one
Lou Cifer
Himmlisches Management
Der Chef
Die ehrliche Schneiderin
Langeweile kann tödlich sein
Das Jüngste Gericht
Justus saß in der Tinte. Flankiert von zwei Erzengeln wurde er in den himmlischen Gerichtssaal geführt, der vor Überfüllung aus allen Nähten platzte. Dicht an dicht drängten sich die Engel auf den Zuschauerwolken. Keiner wollte einen Prozess verpassen, der nicht nur gute Unterhaltung, sondern auch Sensationen versprach. Gabriel schob Justus zu der Wolke für Angeklagte, auf der sich der Büßerstuhl befand und postierte sich neben ihn. Scham und Schuld standen dem Unglückseligen auf die Stirn geschrieben.
Der Verteidiger, ein hagerer Engel mit scharfen Gesichtszügen und brennenden Augen schwebte herein. Der geflügelte Seraph mit Namen Kurt Tucholsky streifte den schwarzen Talar über sein zerfleddertes Gefieder, entnahm eine Akte aus seiner Ledertasche und ließ sich auf den Stuhl neben dem Delinquenten fallen. »Keine Sorge! Wir haben alles im Griff«, raunte er seinem Mandanten zu. »Tun Sie, was ich gesagt habe und alles wird gut!«
Justus räusperte sich und nickte unsicher.
Posaunen, die vor mehr als zweitausend Jahren die Mauern von Jericho zum Einsturz gebracht hatten, erfüllten das Gewölbe des Himmeltribunals mit einem infernalischen TÄTERETÄÄÄ...
Ein Raunen ging durch die Menge, als die Anklägerin erschien. Johanna von Orleans! Im Vorbeischweben warf sie Justus und dessen Anwalt ein geringschätziges Lächeln zu und senkte sich würdevoll auf der Wolke des Anklägers hernieder. Grelle Blitze zuckten auf, gefolgt von grollendem Donner, als die Staatsanwältin ihren Stuhl zurecht rückte. Die Lightshow, begleitet von Sphärenklängen und sanfter Harfenmusik begann. Hinter dem Richterstuhl stieg Nebel auf, bläuliche Wolken stiegen empor und waberten über dem Gestühl des hohen Gerichtes. Aus dem Dunst materialisierte sich eine bärtige Gestalt. Der Herr und Richter! Schemenhaft zeichneten sich neben ihm die Konturen der Schöffen ab, die wie von Zauberhand Gestalt annahmen. Das Tribunal war komplett. In der Mitte Gott, links Jesus, rechts der Heilige Geist, dessen Namen niemand genau kannte.
Gott hasste Effekthascherei. Auf der anderen Seite wollte er sein Publikum nicht enttäuschen. Die Anwesenden klatschten ekstatisch. Auch frenetische Bravorufe waren zu vernehmen. Der Himmel toste vor Beifall. Die Augen des Herrn machten die Runde, und er schien zufrieden. »RUHE BITTE! RUHE IM SAAL!«, rief er und rückte sein Gewand zurecht.
Die Menge beruhigte sich zögerlich, nur die jüngeren weiblichen Engel hielten brennende Feuerzeuge hoch und schwenkten sie leise summend hin und her. Gott griff nach einem Holzhammer und ließ ihn mit solcher Wucht auf den Richtertisch knallen, dass Kalifornien, - es befand sich zufälligerweise gerade unter ihm -, von schweren Erdbeben heimgesucht wurde und in der Südsee ein Tsunami halb Indonesien überschwemmte. Er warf einen kurzen Blick auf die Erde. Was er sah, tat ihm zwar ein wenig leid, aber er war nun einmal ein Freund großer Gesten.
»Im Namen der himmlischen Gerechtigkeit eröffne ich das Verfahren. Verhandelt wird die Causa Engel Justus Meier, angeklagt wegen fahrlässiger Unachtsamkeit am Arbeitsplatz. Frau Staatsanwältin, ich erteile Ihnen das Wort.«
Johanna von Orleans erhob sich mit affektierter Attitüde, klappte die Flügel hinter ihrem Rücken mit einem eindrucksvollen Schlag zusammen und blickte böse hinüber zur Anklagebank. »Ich verlese die Anklageschrift«, begann sie mit schneidender Stimme. »Der Angeklagte Engel Justus war zum Dienst als Schutzengel eingeteilt. Die Bedeutung einer solchen Aufgabe wurde ihm zuvor eindringlich klar gemacht. Sein Auftrag lautete, den Wissenschaftler, Professor Dr. Robert Oppenheimer zu beschützen, damit er in Pasadena unbeschadet seinen Forschungen nachgehen konnte.«
Sie blätterte in ihrer Akte und fuhr mit eindringlichem Ton fort: »Oppenheimer beschäftigte sich an der Harvard University als wissenschaftlicher Leiter mit der Quantenphysik, um zukünftige Energieprobleme auf der Erde zu lösen. Entgegen seinem Auftrag vernachlässigte Engel Justus Meier seine Aufgabe sträflich. Anstatt sich um Oppenheimer zu kümmern, gab er sich dem süßen Leben hin. Insbesondere stellte er jungen Studentinnen auf dem Universitäts-Campus nach und ließ keine Gelegenheit aus, sich unkeuschen Gedanken hinzugeben. Wäre er seinen Pflichten nachgekommen, konnte ihm nicht verborgen geblieben sein, dass sein Schutzbefohlener