Traum und Märchen: Handlungsorientierte Psychotherapie
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Das Märchen kann einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis innerer Rollen, unbewusster Konflikte und anstehender Lebensaufgaben darstellen. Besonders der Einsatz im gruppentherapeutischen Setting bietet hier eine Fülle an Möglichkeiten, wie sich Patienten handlungsorientiert und spielerisch dem eigenen und gemeinsamen Unbewussten nähern können. Der Autor beschreibt ausführlich konkrete Vorgehensweisen und erläutert an zahlreichen Fallbeispielen die Umsetzung für die eigene Praxis.
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Traum und Märchen - Christian Stadler
1. Vorlesung Szene und Handlung in der Einzel- und Gruppentherapie
Psychodrama verbindet Szene und Handlung
Traum und Märchen in der handlungsorientierten Psychotherapie erfordert zunächst ein paar Worte zur Handlungsorientierung in der Psychotherapie. Lange Zeit galt Handeln vor allem in den psychodynamischen Verfahren als therapeutisch nicht hilfreich, im ungünstigen Fall als schädliches »Agieren« statt dem hilfreichen Durcharbeiten. In einigen humanistischen Psychotherapieformen wie dem Psychodrama, der Gestalttherapie und Verfahren der Körpertherapie wurde die konkrete Handlung dagegen auch im therapeutischen Kontext als sinnvoll oder sogar notwendig erachtet. So konstatierte Moreno¹ (2008, 77), der Gründervater des Psychodramas – oder in der ursprünglichen Langform der triadischen Methode Psychodrama, Soziometrie, Gruppenpsychotherapie: »Psychodrama kann als diejenige Methode bezeichnet werden, welche die Wahrheit der Seele durch Handeln ergründet«. Psychodrama, wörtlich übersetzt die handelnde Darstellung seelischen Erlebens, sieht also vor, dass neben dem Sprechen gehandelt wird, um die Psychodynamik einer Person einerseits besser zu verstehen, andererseits nachhaltiger zu verändern.
Moreno wurde in eine Zeit hineingeboren, in der Psychologie und Psychotherapie in den Kinderschuhen steckten, und konnte so mit seinen Ideen maßgeblich an der Entwicklung letzterer mitwirken. Als Arzt
Abb. 1: Jakob Levy Moreno (1889–1974)²
verstand er sich als Sozialmediziner, Psychiater, Einzel- und Gruppenpsychotherapeut sowie als Forscher. Er war ein Mann vieler Ideen, der aufgrund seiner Persönlichkeit auch andere mit diesen anstecken konnte. Obwohl er sich unzweifelhaft viele Verdienste bei der Professionalisierung psychotherapeutischen Handelns erworben hat (z. B. Gründer der Gruppenpsychotherapie und Gründer soziometrischer Forschungsansätze), gelang es ihm nicht, seine Ideen so stringent vorzutragen wie z. B. Freud, von dem er sich gern in rivalisierender Form abgrenzte.
Tab. 1: Jakob Levy Morenos Lebenslauf
Humanistische Psychotherapie zeichnet sich nach Kriz³ dadurch aus, dass es »um die Förderung von Selbstregulations- und Organisations-prozessen auf körperlichen, psychischen und sozialen Prozessebenen« gehe, […] die auf diese Weise wieder an die jeweiligen Entwicklungsaufgaben der biopsychosozialen Umwelt re-adaptierbar werden; wobei aber der zentrale Fokus die Sinnorientierung, Selbstdefinition und Intentionalität des Subjekts ist.«
Die von Moreno entwickelte Psychodrama-Therapie ist in diesem Sinn ein humanistisches Psychotherapieverfahren, welches durch eine handelnde und szenische, dabei subjektiv organisierte Darstellung innerpsychischen Erlebens einer oder mehrerer Personen deren Selbststeuerungs- und Selbstheilungskräfte aktiviert. Dabei werden soziale wie ökologische Bedingungen einbezogen. Das Ziel ist, in einer dargestellten oder gespielten Hier-und-Jetzt-Situation (Surplus-Realität), die eigenen innerpsychischen wie interaktionellen Prozesse erlebend zu verstehen (Mentalisierung) sowie gegebenenfalls zu verändern⁴.
Wollte man die Kernpunkte des Psychodramas auf einige knappe Punkte reduzieren, könnte es in Ergänzung zu obiger Definition so beschrieben werden:
• Im Psychodrama werden seelische Sachverhalte handelnd gezeigt und es wird über sie gesprochen; Psychodrama ist Mentalisieren.
• Psychodrama fokussiert durch Spiel und Handlung die Kreativität der Person und fördert damit deren Selbstheilungskräfte.
• Im Psychodrama werden Innenwelten auf einer »Bühne « in Szene gesetzt, bearbeitet und verändert.
• Im Psychodrama wird der Mensch in seinen verschiedenen Rollen und in seinem sozialen Umfeld gesehen.
• In authentischen, psychodramatischen Hier-und-Jetzt-Begegnungen mit anderen Menschen (Mitspieler, Therapeut, Gruppe) entsteht ein »wahres zweites Mal« bzw. ein »neues erstes Mal« einer Situation.
• Die psychodramatische, szenische Handlung hilft dem Patienten dabei, sein Leben authentisch, symptomfrei und situationsadäquat zu gestalten.
Krüger sieht das Psychodrama als erlebnisorientiertes Verfahren, welches neben Handlung und Szene die Förderung der Kreativität oder Selbstheilungskräfte als Markenzeichen aufweist: »Das Psychodrama geht aus von einem positiven Menschenbild, dem Bild des kreativen Menschen. Kreativsein ist eine zentrale Fähigkeit lebendiger Systeme. Der kreative Prozess verbindet die funktionellen, körperlichen, energetischen und interaktionellen Aktivitäten miteinander untrennbar und integriert sie. Kreativität ist Ausdruck des Lebens, mehr oder weniger in jeder Lebenssituation vorhanden und wird in Konflikten oder inneren Konfliktspannungen als Bedürfnis spürbar und als Fähigkeit aktiviert. Kreativität ist die Grundlage angemessenen Selbstausdrucks und angemessener Anpassung in der Welt. Sie ist jedem Menschen eigen, kann aber beim Einzelnen verschiedenen ausgeprägt sein. Sie kann in ihrer Arbeit blockiert und dadurch gebunden sein oder aber auch frei sein.«⁵
Das Psychodrama unterscheidet sich hierin am stärksten von anderen Verfahren und Methoden, die hauptsächlich auf die sprachliche Bearbeitung psychischer Fragestellungen zurückgreifen.
Abb. 2: Moreno (links) arbeitet mit einem Paar. Die kreisrunde Psychodramabühne Beacons ist erkennbar⁶
In der schlagwortartigen Zusammenfassung oben wurden bereits einige Gesichtspunkte benannt, auf die anhand eines konkreten Beispiels an dieser Stelle noch einmal eingegangen werden soll.