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Zwei Welten
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Ebook320 pages7 hours

Zwei Welten

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About this ebook

Wer sich etwas wünscht, sollte vorsichtig sein bei der Formulierung. Nico jedenfalls war es nicht und landet inmitten einer schrecklich netten Familie im Herzen der Heterosexualität: Häuschen in der Vorstadt, Ehegatte geht morgens brav zur Arbeit, die Kinder quengeln, die Nachbarinnen tratschen ...

Da taucht in dieser Heterohölle ein ganz normales (lesbisches) Paar auf, und Nico verliebt sich. Wie kann sie aber in ihre eigene Welt zurückkehren und gleichzeitig diese Liebe aus der anderen Welt bewahren?
LanguageDeutsch
Publisherédition eles
Release dateApr 29, 2013
ISBN9783956090660
Zwei Welten

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    Zwei Welten - Ruth Gogoll

    Ruth Gogoll

    ZWEI WELTEN

    Roman

    Originalausgabe:

    © 2008

    ePUB-Edition:

    © 2013

    édition el!es

    www.elles.de

    info@elles.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    ISBN 978-3-95609-066-0

    Coverillustration:

    © Vlad Gerasimov

    »Ich habe die Nase voll vom Lesbischsein!« Nico starrte ihr Spiegelbild an. »Nur Nachteile hat man davon. Wo sind eigentlich die Vorteile?«

    Sie wandte sich ab und fuhr sich durch die kurzen Haare. »Man braucht nur einen Kamm und kann auf Langhaarbürsten verzichten, okay, aber da hört’s dann auch schon auf. Die Frauen legen dich ständig aufs Kreuz«, sie lachte bitter auf, »und das nicht nur beim Sex. Nach kurzer Zeit lassen sie dich sitzen. War schön mit dir, aber du verstehst doch . . .«

    Du bist immer für andere da . . . Geld? Aber gern. Liebe? Aber gern. Zuhören? Na, und wie gern. Trösten? Jederzeit. Und was ist, wenn ich mal jemand brauche zum Zuhören, ein bisschen Liebe oder Trost, eine kleine Finanzspritze? Aber nein doch. Wie kannst du so etwas von mir verlangen? Sie sah die Frauen, die das zu ihr gesagt hatten, wie in einem Spiegelkabinett vor sich, von allen Seiten grinsend.

    Wütend schlug sie mit der Faust auf den Tisch. »Ich will nicht mehr! Ich habe es einfach satt. Heterofrauen haben es so leicht. Die schicken ihren Mann arbeiten, legen zu Hause die Füße hoch, bis er wiederkommt und das Geld nach Hause bringt, und einmal im Monat oder was weiß ich machen sie die Beine für ihn breit, damit er nicht abhaut. Das muss echt ein tolles Leben sein.«

    Sie griff nach ihrer Jacke und zog sie an. In dem Trödelladen auf der Hauptstraße fand sie bestimmt ein kleines Geschenk für Nathalie – zu ihrem einwöchigen Jubiläum.

    Ja, man musste sich beeilen, sonst konnte man gar kein Jubiläum feiern.

    Der Trödelladen hielt immer wieder neue Überraschungen bereit, Nico mochte es sehr, darin zu stöbern. Der Besitzer kaufte alte Sachen auf, aus Haushaltsauflösungen oder Geschäftsübernahmen, manchmal brachte er wohl auch selbst etwas aus dem Urlaub mit, das eine oder andere Souvenir.

    Nico seufzte und drehte eine Münze in der Hand, die ihr gut gefiel, eine griechische Münze mit einem Frauenkopf darauf. Sie war gar nicht einmal teuer, aber sie wusste, dass Nathalie für die Schönheit der Münze keinen Sinn haben würde. Nathalie gehörte nicht gerade zur intellektuellen Sorte und machte sich nichts aus Sachen, die keinen materiellen Wert besaßen, sondern höchstens einen ideellen.

    Als sie die Münze noch einmal betrachtete und sie dann seufzend weglegen wollte, wurde sie von hinten von einer alten Frau angesprochen, die ebenfalls in dem Laden herumschaute.

    »Das ist aber eine ganz besonders hübsche Münze«, sagte die alte Frau lächelnd.

    Nico erschrak und drehte sich um. »Ja, sie gefällt mir auch«, sagte sie und blickte noch einmal auf die Münze in ihrer Hand.

    »Manche alte Münzen haben Zauberkraft«, sagte die alte Frau lächelnd. Sie schien immer zu lächeln.

    Nico lachte. »An so etwas glaube ich nicht!«

    Die alte Frau lächelte weiter. »Glauben ist nicht wissen«, sagte sie. »Probieren Sie es doch einfach aus.«

    »Was soll ich ausprobieren?« Nico runzelte die Stirn.

    »Haben Sie nicht einen Wunsch? Etwas, das Sie sich immer schon gewünscht haben, aber nie bekommen konnten?«

    Nico schaute sie entgeistert an. »Das meinen Sie doch nicht im Ernst, oder?« Sie schüttelte lächelnd den Kopf und betrachtete die Münze. »Aber ich werde die Münze kaufen. Sie ist wirklich sehr hübsch. Ich kaufe sie für mich selbst. Ausnahmsweise einmal.« Sie wollte der alten Frau zunicken, aber die war verschwunden.

    Nico kaufte die Münze und nahm sie mit nach Hause. Als sie ihre Wohnung betrat, hörte sie merkwürdige Geräusche. Hatte sie vergessen, den Fernseher auszuschalten? Sie ging durch die Diele. Oh nein, jetzt schon? dachte sie. Die Geräusche kamen eindeutig aus dem Schlafzimmer und . . . na ja, sie passten auch dazu.

    Die Tür stand offen, Nico brauchte nur einen Blick hineinzuwerfen. Gut, dass sie kein Geschenk für Nathalie gefunden hatte. »Hättest du das nicht in deinem eigenen Bett machen können?« fragte Nico.

    »Oh, Nico.« Nathalie schaute unter der Frau, die nackt auf ihr lag, hervor. »Stört es dich? Ich fand es hier bequemer.«

    »Na, das freut mich aber«, sagte Nico sarkastisch. »Würdest du jetzt bitte aufstehen und meine Wohnung verlassen?« Sie drehte sich zum Wohnzimmer um, dann wandte sie sich noch einmal zurück. »Vorher solltest du dich vielleicht noch anziehen«, fügte sie hinzu. »Und sei so gut und nimm deine . . . Freundin mit.«

    »Wer ist die Ekeltante denn?« fragte die andere Frau, nachdem sie sich von Nathalie heruntergerollt hatte, und verzog das Gesicht. »Deine große Schwester oder was?«

    »Die Ekeltante ist die Besitzerin dieser Wohnung und –« Nico seufzte. »Sonst eigentlich nichts. Eine dumme Kuh. Ich gebe euch eine Minute, dann seid ihr weg.« Sie ging ins Wohnzimmer hinüber und legte eine CD ein, drehte den Lautstärkeknopf bis zum Anschlag. It’s only make believe klang es scheppernd aus den überforderten Lautsprechern. Es ist alles nur Betrug. Was hatte sie denn anderes erwartet?

    Sie stellte sich ans Fenster.

    Die Lautstärke wurde plötzlich heruntergedreht. »Ich weiß nicht, wieso du dich aufregst«, hörte sie Nathalies Stimme in ihrem Rücken. »Habe ich dir irgendwas versprochen oder so? Du tust ja, als wären wir verheiratet.«

    »Geh«, sagte Nico ohne sich umzudrehen. »Und leg den Schlüssel auf den Tisch.«

    »Pft.« Nathalie machte das wohl kaum etwas aus. Kurz darauf fiel die Tür ins Schloss.

    Bis jetzt hatte Nico sich beherrscht, hatte die Coole gespielt, aber als sie wieder allein war, war es mit ihrer Beherrschung vorbei. »Ich will das alles nicht mehr!« Sie hob die Hände in die Luft. »Ich habe es satt mit diesen verflixten Frauen! Ich wünschte, ich wäre hetero!«

    Sie wusste nicht, wie ihr geschah, alles verschwamm vor ihren Augen, und statt in ihrer Wohnung stand sie plötzlich in einem Vorgarten und jätete Unkraut.

    Sie richtete sich auf und drehte sich irritiert um die eigene Achse. Etwas kitzelte sie an der Wange, ein Insekt, sie strich schnell über ihre Wange und – erstarrte. Sie hatte lange Haare?

    »Mama, Mama, Nico hat mich gehauen!« Ein Mädchen kam um die Ecke geflitzt wie ein geölter Blitz. Sie war noch ziemlich klein, aber Nico hätte nicht sagen können, wie alt genau sie war. Sie konnte Kinder nicht einordnen, weil sie nie viel damit zu tun gehabt hatte.

    »Ich . . . nein«, sagte Nico. »Ich habe dich nicht gehauen.«

    Das Mädchen, das mit fordernden Augen vor ihr stand, blickte sie verwirrt an. »Du doch nicht, Mama. Nico.«

    Gleich darauf kam ein Junge betont harmlos um die Ecke geschlendert, etwas kleiner als das Mädchen, vielleicht im selben Alter? Nico runzelte die Stirn. Älter, jünger, keine Ahnung.

    »Sie lügt«, sagte er, als er Nico sah. »Ich hab’ sie nicht gehauen.«

    »Du lügst!« Das kleine Mädchen versteckte sich hinter Nico und drehte dem Jungen eine Nase. »Bäh!« Sie riss an Nicos . . . was? Rock? »Mama!« Ihre Stimme klang schrill und unangenehm.

    »Was habe ich damit zu tun?« fragte Nico, immer noch mehr als irritiert. »Geht nach Hause und streitet euch da.«

    Das Mädchen kam hinter Nico hervor und stellte sich neben den Jungen. Plötzlich waren sie ein Herz und eine Seele. »Wir sind doch hier zu Hause«, sagten beide wie aus einem Mund.

    »Hier?« Nico schaute auf das Einfamilienhaus, in dessen Garten sie stand. »Sind eure Eltern denn nicht da? Seid ihr allein?«

    »Mama!« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich hab’ Hunger!« Sie kam zu Nico und zerrte an ihrem Ärmel. »Kochst du Spaghetti?«

    »Ich?« Nico starrte die Kleine an, dann endlich schaute sie an sich hinunter, auf die kleine Gartenhacke in ihrer Hand, auf die dreckigen Schuhe, ihre unbedeckten Knie, den Rock . . . Sie wäre gern in Ohnmacht gefallen, aber das war nicht so ganz ihre Art, mit Problemen umzugehen. »Ich wüsste nicht, warum ich euch etwas kochen sollte«, sagte sie.

    »Bäääh!« Das Mädchen heulte los, der Junge setzte sich ins Gras und begann Ameisen zu zerquetschen. Vielleicht wollte er die essen? »Ich hab’ Hunger, ich hab’ Hunger, Hunger, Hunger, Hunger!« brüllte das Mädchen.

    »Meine Güte, bettelt eure Eltern an und kauft euch was am Kiosk«, sagte Nico genervt.

    »Dürfen wir?« Der Junge sprang sofort interessiert auf. »Gibst du uns Geld?«

    »Warum sollte ich euch Geld geben?« fragte Nico. »Was habe ich damit zu tun?«

    Der Junge legte den Kopf schief. »Hast du wieder deine komische Zeit, Mama?«

    »Komische Zeit?« Nico runzelte die Stirn.

    »Na ja, wie Papa immer sagt. Dass wir dich in Ruhe lassen sollen, weil du deine komische Zeit hast. Er müsste dich dann auch in Ruhe lassen.«

    »Äh . . .« Nico wusste nicht im entferntesten, wovon der Junge sprach.

    »Gibst du uns nun Geld? In der Küche in der Kassette ist noch was, hab’ ich gesehen.«

    Na gut, ist ja nicht meine Kassette, dachte Nico. »Dann nimm’s dir doch«, sagte sie.

    »Oh nein!« Der Junge schüttelte den Kopf und versteckte seine Hände auf dem Rücken. »Dann kriege ich wieder was auf die Finger. Du hast gesagt, das darf ich nicht. Nur du darfst da ran.«

    »Guten Morgen, Frau Müller. Ist schlimm, wenn die Kinder keine Schule haben, nicht? Nerven Ihre Sie auch so? Ich bin froh, wenn die Ferien vorbei sind.«

    Nico erkannte erst nicht, dass sie angesprochen worden war. Doch die Frau blieb am Gartenzaun stehen und schaute sie freundlich fragend an.

    »Ähm, ja, sie nerven«, sagte Nico.

    »Eigentlich sind Ihre zwei ja richtig süß«, erwiderte die andere Frau. »Wenn ich meine Rangen da so ansehe. Sie haben Ihre ganz gut im Griff.«

    »Meine?« Nico wandte ihren Blick auf die beiden kleinen Monster, die sie überfallen hatten. Die Frau wollte doch nicht etwa behaupten, dass diese Bälger ihre Kinder waren? Nicos? Woher denn?

    »Na, Ihr Mann hilft ja auch«, sagte die andere Frau. »Meiner ja gar nicht. Legt nur die Füße hoch, wenn er nach Hause kommt.«

    »Er arbeitet den ganzen Tag«, erwiderte Nico geistesabwesend.

    Die Frau starrte sie mit aufgerissenen Augen an. »Ich etwa nicht? Sie doch auch.«

    Nico bemerkte, dass sie wohl etwas Falsches gesagt hatte, auch wenn sie nicht wusste, was das sein sollte. »Ja, ich gehe jeden Tag ins Büro«, sagte sie.

    »Büro?« Die andere Frau schaute interessiert. »Haben Sie einen Nebenjob angenommen, um etwas dazuzuverdienen? Ist das denn nötig?« Ihre Nase wurde vor Neugierde immer länger. »Verdient Ihr Mann nicht genug? Oder wird er demnächst arbeitslos?«

    Nico wusste überhaupt nicht mehr, um was es ging. »Entschuldigen Sie mich«, sagte sie. Sie drehte sich um und schaute auf den Eingang des fremden Hauses.

    Langsam kam ihr zu Bewusstsein, was passiert sein musste, aber sie konnte es nicht glauben. Die Münze, die alte Frau . . . das konnte doch nicht sein. So etwas war einfach nur Humbug, Kinderkram. Etwas für Leute, die an solche Dinge glaubten. Aber das passierte doch nicht wirklich.

    Sie brauchte eine ruhige Ecke, um nachzudenken. Da ihr hier nichts bekannt vorkam, hatte sie wohl nur die Wahl, im Haus nach einer Ecke zu suchen. Sie ging auf die Tür zu, öffnete sie und schloss sie hinter sich wieder.

    Fast unvermittelt setzte draußen Gebrüll ein. »Mama!« Es folgte heftiges Getrommel an die Tür.

    Ach, die Bälger, die hatte sie vergessen. Das sollten ihre sein? Was sollte sie mit denen machen? Sie hatte keine Ahnung, wie man mit Kindern umging.

    Sie ging zurück und öffnete die Tür wieder. »Geht spielen«, sagte sie. »Ich muss nachdenken.«

    Sie wollte die Tür erneut schließen, da ging das Gebrüll wieder los. »Hunger! Spaghetti!«

    »Du meine Güte!« Langsam war ihre Geduld erschöpft. Konnten die denn keine Sekunde still sein? Warum mussten sie sie immer belästigen? »Macht euch doch selbst was«, sagte sie und ließ die Kinder stehen.

    Sie durchstreifte das Haus wie bei einer Expedition. Hinter der Eingangstür war eine Diele, eine Garderobe mit verschieden hohen Knöpfen zum Aufhängen von Jacken. Sie brauchte ein paar Sekunden, um zu erkennen, dass die unpraktischen niedrigen Knöpfe wohl für die Kinder waren, weil sie an die hohen nicht herankamen.

    Nachdem sie die Diele durchquert hatte, landete sie bei einer Glastür, die ins Wohnzimmer führte. Diesmal fiel sie wirklich fast in Ohnmacht. Dieses Wohnzimmer war die Spießigkeit hoch zehn. Eine dunkelbraune Schrankwand, eine Polstergarnitur, ein niedriger Couchtisch, ein Fernseher, der das halbe Zimmer einnahm. Fehlte nur noch der röhrende Hirsch an der Wand.

    Das Muster der Gardinen war . . . nun ja, gewöhnungsbedürftig. Es schien ziemlich viel Rosa zu enthalten. Nico schloss schaudernd die Tür.

    Klirr, knall, bumm! Das kam irgendwo von links. Sie folgte dem Geräusch und landete in der Küche. Zerbrochenes Geschirr lag auf dem Boden, ein Topf kollerte immer noch herum, die halbe Küche stand unter Wasser.

    »Was ist das denn?« Nico schüttelte den Kopf.

    »Du hast gesagt, wir sollen uns die Spaghetti selbst machen«, rechtfertigte der Junge das Chaos.

    »Ich dachte nicht, dass das so schwierig ist«, sagte Nico. »Das kann ja selbst ich.« Sie dachte an die niedrigen Knöpfe im Flur. Der Herd war wirklich etwas hoch für die Kinder und der Geschirrschrank auch. »Holt ein paar Lappen«, sagte sie, »und wischt das auf. Ich mache die Spaghetti.«

    Die Kinder blieben stehen und sahen sie an.

    »Habt ihr mich nicht verstanden? Ihr sollt das saubermachen. Ich koche ja schon für euch.«

    »Aber das machst du doch immer«, sagte das Mädchen.

    »Wollt ihr Spaghetti?«

    Beide nickten eifrig.

    »Dann wischt das auf, sonst gibt es keine.«

    Die beiden blickten sich stumm an und flitzten eine Sekunde später los.

    Nico hob den Topf vom Boden auf und füllte ihn an der Spüle mit Wasser. Kinder bekochen. Das hätte sie sich nie träumen lassen.

    Sie schaute sich in der Küche um. Eine ganz normale Einbauküche. Zu klein, um richtig darin zu arbeiten oder zu essen, gerade nur groß genug, um alle Geräte unterzubringen. Vor der Küche war so eine Art Essecke, ein Tisch mit vier Stühlen, karierte Sitzkissen. Was war das nur für eine Familie?

    Sie hob den Topf mit dem Wasser auf den Herd und schaltete die Platte ein. Wasser kochen, das konnte sie noch, aber dann war es mit ihren Kochkünsten vorbei.

    Die Kinder kamen mit einem Haufen Handtücher zurück und warfen sie auf den Boden.

    »Okay«, sagte Nico. »Seht zu, dass ihr das trockenbekommt, ich werfe das Geschirr weg.« Sie sammelte die Scherben auf und öffnete die Tür unter der Spüle. Wie erwartet befand sich hier der Mülleimer – mit ordentlicher Mülltrennung in drei verschiedenfarbige Untereimer. Nico benutzte dafür nur Plastiktüten. Wenn sie überhaupt daran dachte.

    Das Wasser begann zu kochen. »Äh . . . wo sind die Spaghetti?« fragte sie die beiden kleinen Putzteufel, die sich johlend auf den Handtüchern rollten und dadurch auch noch etwas Nässe vom Boden beseitigten.

    »Aber Mama . . .« Der Junge stand auf und ging zu einem Schrank. »Hast du doch selbst da reingetan. Du hast wirklich deine komische Zeit.«

    »Nico!«

    Nico fuhr herum, weil sie dachte, der Ruf gelte ihr, und sah, wie das kleine Mädchen ein klatschnasses Handtuch auf den Jungen warf. Die Kleine kreischte und kicherte vor Vergnügen.

    »Du . . .!« Der Junge stürzte sich auf sie, und wieder kugelten sie über die nassen Handtücher. Sie sahen fast schon selbst wie welche aus.

    Nico nahm eine Packung Spaghetti aus dem Schrank, riss sie auf und schüttete den Inhalt in den Topf. Das Wasser schäumte, und sie stellte es herunter.

    »Ich glaube, das meiste ist jetzt weg«, sagte sie zu den Kindern. »Ihr könnt die Handtücher –«, sie zögerte, »na ja, da hintun, wo ihr sie immer hintut.«

    »Ist gut, Mama.« Offenbar verwandelte die Erwartung des kommenden Pastavergnügens die beiden in folgsame Lämmer. Sie sammelten die Handtücher auf und verschwanden damit.

    Nico setzte sich an den Tisch mit den karierten Stühlen und legte ihren Kopf in die Hände. Was sollte das jetzt? Was sollte sie tun? Sie konnte doch hier nicht einfach – gelandet sein? Oder war das alles nur ein Traum?

    Sie strich sich mit den schweißnassen Händen über ihre Schenkel. Sie schwitzte vor Nervosität. Sie kam mit den Händen am Saum des Rockes an. Ach ja, diesen Mist trug sie ja immer noch. Irgendwo musste doch auch etwas anderes sein. Sie stand auf und blickte sich um. Sicherlich gab es doch einen Kleiderschrank. Es konnte ja nicht sein, dass dieser Rock alles war, was . . . diese Frau besaß.

    Diese Frau . . . das war sie selbst, aber sie konnte es immer noch nicht glauben. Sie ging in die Diele zurück und schaute sich um. Wo konnte das Schlafzimmer sein? Sie ging zum Wohnzimmer, aber da war Schluss, auf der anderen Seite war die Küche, so viel mehr war hier nicht, nur noch eine Toilette. Sie ging zurück zum Eingang. Ach ja, da war eine Treppe. Sicherlich waren die Schlafzimmer oben.

    Sie ging die Treppe hinauf. Das erste Zimmer konnte sie schon von der obersten Stufe sehen. Es war voller buntem Spielzeug. Kinderzimmer. Sie ging weiter. Am Ende des Ganges war eine geschlossene Tür. Sie öffnete sie. Der Anblick brachte sie zum dritten Mal heute dazu, fast in Ohnmacht zu fallen. Wie konnte jemand in so einem Kitsch schlafen? Sie hätte Alpträume davon bekommen.

    Ein großes Ehebett mit einem Baldachin, so einer Art Gardine an den Seiten und Röschen überall.

    Aber es nützte ja alles nichts. Sie ging in das Schlafzimmer hinein. Gegenüber vom Bett war eine große Schrankwand, ähnlich der unten im Wohnzimmer, aber mit Spiegeln auf den Türen. Auch das noch. Um den Schrank zu öffnen, musste sie sich von oben bis unten betrachten.

    Sie kniff die Augen zusammen, aber ganz konnte sie es nicht verhindern, ihre äußere Erscheinung wahrzunehmen. Ihre langen braunen Haare fielen ihr weich auf die Schultern, die Bluse hatte Rüschen, und der Rock – den hatte sie ja schon gesehen.

    In diesem Moment fiel ihr auf, dass ihre dreckigen Schuhe überall auf dem Teppich Spuren hinterlassen hatten, vermutlich auch unten im Haus, überall, wo sie gewesen war. Sah nicht besonders schön aus. Hoffentlich hatte die Familie eine Putzfrau.

    Endlich öffnete sie die Tür, aber es war die falsche. Männerhemden, Krawatten, Unterhosen. Wobei, die Hemden, das war ja ganz gut. Sie nahm eins heraus und legte es aufs Bett. Die Hosen waren unsagbar hässlich, alle im Beamtenbüroton, das wollte sie sich nicht antun. Vielleicht hatte die weibliche Hälfte des Schrankes mehr zu bieten. Sie schaute hinein. Tja, wenn man Rosa mochte . . .

    Sie seufzte. Das konnte sie unmöglich tragen. Aber vielleicht hatte die Hausfrau ja auch irgendwo eine Hose.

    Hatte sie. Sogar mehrere. Elegante Damenhosen ohne Schlitz und Hosentaschen. Sehr praktisch.

    Nico nahm die Hosen heraus und zog die am wenigsten hässliche an, nachdem sie den Rock ausgezogen hatte. Die Hose saß hauteng, aber wenigstens hatte sie jetzt nicht mehr das Gefühl, wie ein Clown auszusehen. Sie entsorgte die Rüschenbluse auf dem Boden, warf sich das Männerhemd über und atmete tief durch. Nun fühlte sie sich deutlich besser.

    »Mama!« Gekreische im Flur. Gleich darauf stürzten die Monster herein. »Die Spaghetti!«

    Die hatte sie ja ganz vergessen. Sie lief die Treppe hinunter und fand im Topf nur noch Matsch vor. War sowieso kein Salz drin, fiel ihr ein. Das hatte sie auch vergessen.

    Sie zeigte den Kindern den Topf. »Esst ihr das?«

    »Iiihhh!« Die Kinder wandten sich angewidert ab.

    »Habt recht. Würde ich auch nicht essen«, nickte Nico, stellte den Topf wieder auf den Herd, machte die Platte aus und schaute sich um. »Pizzadienst?« fragte sie. »Gibt’s hier so was?«

    Die Kinder rissen begeistert die Arme hoch. »Ja!«

    »Telefonnummer?« fragte Nico.

    Beide Kinder liefen los und brachten einen kleinen Faltprospekt an, den sie Nico auf den Bauch drückten.

    Nico nahm den Prospekt. »Also, was wollt ihr?«

    »Cola!« kam sofort die Antwort.

    »Okay, und was noch?«

    Die Kinder schauten sie erstaunt an. »Wir dürfen Cola trinken?«

    »Ja klar, warum nicht?« sagte Nico. »Ich nehme auch eine. Aber ihr wollt doch auch was essen. Also Pizza, Nudeln, Fleisch – was wollt ihr?« Sie dachte an die Kassette, die der Junge erwähnt hatte, und hoffte, dass genug Geld für die Bestellung darin enthalten sein würde. Ansonsten konnte sie ja die Kinder als Bezahlung mitgeben, dann war sie sie los.

    »Spaghetti«, sagte das Mädchen. Sie war wohl sehr unflexibel.

    »Döner«, sagte der Junge. »Die haben auch Döner.«

    »Gut, Spaghetti und Döner. Und ich nehme eine Pizza. Wo ist das Telefon?«

    Die Kinder hatten sich mittlerweile daran gewöhnt, dass ihre Mutter heute anscheinend unter Gedächtnisschwund litt, und führten sie sofort in den Flur.

    Nico bestellte das Essen. »Eine gute halbe Stunde, haben sie gesagt«, teilte sie den Kindern mit, nachdem sie aufgelegt hatte. »Sagt mal, Kinder, hat eure Mutter eigentlich auch noch andere Schuhe?« Sie trug immer noch die dreckigen Gartenschuhe.

    Das Mädchen zeigte auf einen schmalen Schrank in der Diele.

    Nico ging hin und nahm ein paar Pumps heraus. Als sie weitersuchte, fand sie tatsächlich auch noch Joggingschuhe. Sie stellte die Pumps wieder zurück. Gottseidank musste sie die nicht tragen.

    »Papa!« Das Mädchen kreischte los und raste zur Tür.

    Nico fühlte sich jedesmal halb einem Herzinfarkt nahe, wenn die Kinder so laut schrien und sich so schnell bewegten. Konnten die denn nicht langsam gehen und leise sprechen?

    Die Kinder rissen die Tür auf. Nico sah, wie ein Auto von der Straße auf das Grundstück abbog. Sie folgte den Kindern zögernd. Was würde sie nun wieder erwarten?

    Ein Mann stieg aus dem Mittelklassewagen. Er sah aus wie die Verkörperung eines Beamten. Kleines Bäuchlein, Halbglatze, unauffällige Kleidung – er trug einen Zwilling der Hosen, die Nico bereits im Schrank gefunden hatte. Er ging um den Wagen herum, öffnete die hintere Klappe und hob etwas heraus.

    »Freddy!« Wieder kreischten die Kinder. Sie liefen auf den Mann und das Auto zu.

    »Ruhig, ruhig, bleibt im Garten«, rief der Mann. »Ich bringe Freddy rein.«

    Die Kinder blieben am Gartenzaun stehen und zappelten ungeduldig herum.

    Als der Mann auf das Haus zukam, sah Nico, dass er einen Hund auf den Armen trug. Auch das noch. Sie konnte mit Hunden nichts anfangen. Sie hatte eine Katze . . . gehabt. Sie schloss kurz die Augen. Das konnte doch alles nicht wahr sein.

    »Hältst du mir die Tür auf, Schatz?« fragte der Mann und schaute Nico an.

    Wie mein Onkel Emil, dachte Nico. Er sieht aus wie mein Onkel Emil. Sie hatte Onkel Emil gemocht, das machte es leichter.

    Obwohl dieser Mann sie Schatz nannte, nahm sie an, dass sie gemeint war, und hielt ihm die Tür so weit auf, dass er mit dem Hund auf den Armen in die Diele treten konnte. Die Kinder hingen an seinen Beinen und brachten ihn fast zum Stolpern.

    »Passt doch auf!« sagte Nico scharf. »Er fällt ja noch hin.«

    »Ach, lass sie doch.« Der Mann lachte. »Sie haben ihn so lange nicht gesehen.« Er ging mit dem Hund ins Wohnzimmer und legte ihn dort auf eine Decke. »Ihr müsst ganz vorsichtig mit ihm sein«, sagte er ernsthaft zu den Kindern. »Er ist noch nicht ganz gesund. Aber jetzt kann er hier bei uns bleiben.« Er erhob sich und schaute Nico an. »Schatz, wie siehst du denn aus?«

    Nico blickte an sich hinunter. »Wie soll ich aussehen?«

    »Du hast ja ein Hemd von mir an«, sagte er.

    »Ja, ist bequemer als die Blusen«, sagte Nico.

    Er zog die Augenbrauen hoch. »So etwas hast du ja noch nie getragen«, sagte er. »Sieht scharf aus.« Er kam auf sie zu. »Willst du mich scharfmachen?« Er nahm sie in die Arme und küßte

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