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Tödliche Liebesspiele: Ein Renni-und-Monika-Krimi
Tödliche Liebesspiele: Ein Renni-und-Monika-Krimi
Tödliche Liebesspiele: Ein Renni-und-Monika-Krimi
Ebook323 pages4 hours

Tödliche Liebesspiele: Ein Renni-und-Monika-Krimi

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About this ebook

Kommissarin Renni hat wieder einen neuen Fall zu lösen: Wer ist die tote Frau auf dem Parkplatz? Die Ermittlungen erweisen sich als schwieriger als zunächst angenommen, und darüber hinaus geht es auch in ihrem Privatleben drunter und drüber: Obwohl immer noch verliebt in Nora, beginnt sie eine Affäre mit der Pathologin, mit der zusammen sie an der Aufklärung des Mordes arbeitet. Probleme über Probleme für Renni - schafft sie es diesmal, alle zu meistern?
LanguageDeutsch
Publisherédition eles
Release dateApr 29, 2013
ISBN9783956090516
Tödliche Liebesspiele: Ein Renni-und-Monika-Krimi

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    Book preview

    Tödliche Liebesspiele - Ruth Gogoll

    Was bisher geschah

    Kommissarin Renni Schneyder ist schon seit ihrer Kindheit hoffnungslos in ihre ehemalige Mitschülerin Nora verliebt. Nora wusste von diesen Gefühlen nichts, für sie war Renni immer nur die gute Freundin, die ihr bei Problemen mit Rat und Tat zur Seite stand – eine äußerst undankbare Rolle für die Kommissarin. Renni ist daher gar nicht erfreut, als Nora ihr eines Tages ihre neue Freundin Ellen vorstellt. Als Ellen des Mordes an ihrer Ex-Freundin verdächtigt wird, schaltet sich Renni trotzdem auf Noras Bitte hin in die Ermittlungen des Falles ein. Bei ihren Nachforschungen stellt sich letztendlich heraus, dass der Verdacht der Polizei gar nicht so unbegründet war. Ellen kann jedoch fliehen und lässt eine völlig verzweifelte Nora mit einem gebrochenen Herzen zurück. Endlich findet Renni den Mut, Nora ihre Liebe zu gestehen. Diese reagiert ganz anders als erwartet . . .

    Wohin sollte das führen?

    Noras Lippen kamen immer näher, und ich konnte ihr in meiner Erstarrung nicht ausweichen. Jahrelang hatte ich darauf gewartet, seit meiner Kindheit – oder spätestens seit der Pubertät – hatte ich mir gewünscht, dass sie mich endlich als Frau, als mögliche Geliebte wahrnehmen würde.

    Es war immer ein unerfüllbarer Wunsch gewesen. Etwas, wovon man träumt, das aber nie passiert. Und nun auf einmal geschah es. Eben noch hatten wir uns über ihre Ex-Geliebte Ellen unterhalten, und ich war nur die Seelentrösterin gewesen. Vielleicht war ich das immer noch – nur. Aber die Art des Trostes, die Nora von mir verlangte, hatte sich in den letzten Minuten extrem gewandelt und in eine Richtung entwickelt, mit der ich einfach nicht gerechnet hatte, mit der ich nicht rechnen konnte.

    Was sollte ich nur tun? Ich wusste, dass ich mir etwas erträumte, was nie in Erfüllung gehen würde. Ich hatte es über Jahre gelernt. Seit meinem zwölften Lebensjahr hatte ich diese Überzeugung genährt. Bislang hatte Nora sich auch nie bemüht, etwas daran zu ändern. Sie hatte mich kaum wahrgenommen – jedenfalls nicht so, wie ich es mir wünschte. Ich war eine von mehreren Freundinnen, mit denen sie etwas unternahm, sich ab und zu traf oder etwas trinken ging. So war es gewesen, fast mein ganzes Leben lang, und so sollte es auch bleiben, verlangte das Gewohnheitsrecht in mir. Wo kommen wir denn da hin, wenn sich plötzlich alles ändert? Wenn sich das, worunter wir leiden, plötzlich in Freude verwandelt? Nein, so ging das nicht!

    Ich hob meine Hände und hielt Nora auf. »Nicht«, sagte ich leise.

    Nora sah mich fragend an. »Warum nicht? Was ist los? Habe ich mich geirrt?«

    Sie hatte gerade erst geglaubt, in meinen Augen zu entdecken, was ihr jahrzehntelang verborgen geblieben war: meine Liebe zu ihr. Es würde leicht sein, sie jetzt davon zu überzeugen, dass sie sich geirrt hatte. Wollte ich das?

    Ein Teil von mir wollte es sicher. Ein Teil von mir wollte, dass alles so blieb, wie es war. Aber ein anderer Teil hatte sich schon zu sehr darauf gefreut, nun endlich der Erfüllung nah zu sein. Der Erfüllung aller Träume und Sehnsüchte der letzten Jahre. Dieser Teil in mir würde sich nicht so leicht enttäuschen lassen wollen. Er würde kämpfen. Und da ich eine geübte Kämpferin war, würde es ein harter Kampf mit mir selbst werden. Aber vielleicht war das ja auch gar nicht nötig.

    »Nein, du hast dich nicht geirrt. Ich liebe dich – schon ewig. Schon seit wir zusammen zur Schule gegangen sind.« Ich suchte Noras Blick und wartete auf ihre Reaktion.

    »So lange schon?«, fragte sie ungläubig. »Und ich habe es nie bemerkt.«

    »Ja, hast du nicht. Du warst mit anderen Frauen beschäftigt. Wie solltest du es da merken? Ich war ja einfach immer nur so da.« Ich hatte mich ihretwegen sogar in eine andere Stadt versetzen lassen, in die Stadt, in der sie wohnte. Das hatte sie natürlich für Zufall gehalten.

    »Meine Güte!« Nora schüttelte erstaunt den Kopf. »Warum hast du nie etwas gesagt? So viele Jahre –« Sie konnte es sich anscheinend überhaupt nicht vorstellen.

    »Ja.« Ich drehte mich um und ging zum Tisch, um mich zu setzen. »Und ich hätte es dir auch jetzt nicht gesagt, wenn du es nicht selbst bemerkt hättest.«

    Nora kam auf mich zu und blieb vor mir stehen. Ich sah von dem Küchenstuhl hoch, auf dem ich saß. »Nora, ich glaube, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Und glaub mir, es gibt niemand, die das mehr bedauert als ich. Aber du trauerst immer noch um Ellen. Es ist schließlich erst ein paar Tage her, seit sie weg ist. Und der Schock, dass sie eine Mörderin ist, dass sie dir diesen Mord sogar gestanden hat, sitzt immer noch tief in dir drin. Das verläuft sich nicht in ein paar Tagen. Bitte lass dir Zeit, bevor du etwas Neues anfängst. Ich habe so lange gewartet, ich kann auch noch länger warten. Und wenn du dann in ein paar Wochen oder Monaten feststellst, dass es nur deine momentane Verfassung war, die dich dazu gebracht hat, mich küssen zu wollen, dann ist eben wieder alles wie vorher. Es wird sich nichts ändern zwischen uns.« Das war eine lange Rede für meine Verhältnisse. Sie entstand wahrscheinlich aus dem Gefühl heraus, dass ich nicht wusste, wovor ich mehr Angst hatte: dass Nora feststellen würde, dass sie sich geirrt hatte, oder dass sie feststellen würde, dass sie sich nicht geirrt hatte.

    »Es hat sich schon alles geändert zwischen uns, Renni. Es wird nie mehr so sein wie vorher. Das weißt du genauso gut wie ich.« Sie stand vor mir und sah immer noch wie eine verhinderte Boxerin aus: Ihr Gesicht war verschwollen von tagelangem Heulen, seit Ellen sich verflüchtigt hatte. Aber der Ausdruck ihrer Augen war nicht mehr der eines verwundeten Rehs, wie noch vor wenigen Minuten. Sie hatte sich gefangen und konzentrierte sich jetzt mehr auf mich als auf ihre tiefsitzende Enttäuschung und den Schock, den Ellen ihr durch ihr Mordgeständnis verpasst hatte. Gut oder schlecht für mich? Das würde sich weisen.

    »Das weiß ich. Davor hatte ich Angst. Jetzt, wo du Bescheid weißt, wirst du mich vielleicht bald nicht mehr sehen wollen. Wir werden vielleicht nicht mehr unverkrampft zusammen sein können.« Das hoffte und fürchtete ich. Wenn sie meine Zuneigung zurückweisen würde, wäre eine Freundschaft wie bisher sicher nicht mehr möglich. Jede von uns würde wissen, dass die andere es wusste. Wenn aber nicht? Wenn sie meine Zuneigung annahm – was sollte ich dann machen? Das war ja fast noch schlimmer! Dann musste ich zu meinen Gefühlen stehen, die ich so lange versteckt hatte. Ich wusste nicht, ob ich das konnte.

    Nora strich mit ihrer Hand über mein Gesicht. »Ich fühle mich eigentlich gar nicht verkrampft. Du etwa?« Sie grinste ein wenig. Ihre Berührung ließ meinen ganzen Körper erschaudern, obwohl sie nichts weiter als meine Wangen gestreichelt hatte. »Aber wenn du so viele Einwände hast . . .« Sie drehte sich um und setzte sich mir gegenüber an den Küchentisch.

    Einwände? Ja, ich hatte Einwände, aber immerhin war es Nora gewesen, die es fertiggebracht hatte, mehr als ihr halbes Leben lang über die Liebe einer Frau hinwegzusehen, die fast immer in ihrer Nähe war. Sollte das jetzt alles auf einmal nicht mehr wahr sein? War meine Liebe stark genug für uns beide, und Nora brauchte sich um ihre gar keine Gedanken mehr zu machen? Das erschien mir dann doch zu einfach.

    »Nora, ich möchte die Sache einfach nicht so übers Knie brechen. Lass uns noch ein bisschen warten, ja? Du bist jetzt verwirrt, du hast einen Schock erlitten, du bist müde und erschöpft. In einem solchen Zustand kann man die Dinge manchmal nicht richtig beurteilen.«

    »Zu Befehl, Frau Kommissarin«, erwiderte Nora lächelnd. »Du hast ja recht. Aber Renni –« Sie brach ab und sah mich eine Minute lang nachdenklich an. Eine Minute kann schrecklich lang sein! »Ich kenne dich schon fast mein ganzes Leben, und trotzdem kenne ich dich anscheinend überhaupt nicht. Als Ellen –« Sie stockte. Die Erinnerung an Ellen würde ihr noch eine geraume Weile furchtbar wehtun, doch Nora gab sich einen Ruck und sprach weiter. »Als Ellen in Köln des Mordes verdächtigt wurde, fiel mir nur ein Name ein: deiner. Ich war sofort überzeugt, dass du helfen könntest. Nicht nur, weil du Polizistin bist, sondern auch, weil ich wohl tief in meinem Innern gespürt habe, dass du mich nie im Stich lassen würdest, dass ich mich auf dich verlassen kann. Ich habe deine Liebe zwar vielleicht nicht bewusst wahrgenommen, aber unbewusst wusste ich genau: Wenn ich ein Problem habe, kann ich immer Renni fragen.« Sie lachte ein wenig. »Das war übrigens schon in unserer Schulzeit so.« Sie sah mich lächelnd an. »Und da hast du etwas nicht mitbekommen. Ich hatte oft das Bedürfnis, dich etwas zu fragen, dich häufiger zu sehen, aber ich habe mich nicht getraut, dich deshalb anzusprechen. Nachdem du die Jungs verprügelt und mich rausgehauen hattest –«

    »Du hast dich selbst rausgehauen«, widersprach ich. Für einen Moment erinnerte ich mich an die Situation damals. Wir waren beide nicht älter als zwölf gewesen, Nora und ich, gingen in dieselbe Klasse und kannten uns trotzdem kaum. Aber eines Tages war sie von mehreren Jungs auf dem Schulweg überfallen worden, und als ich das sah, hatte ich mich auf die Übeltäter gestürzt, und wir hatten sie gemeinsam vertrieben. Erst danach waren wir in gewisser Weise Freundinnen geworden.

    Nora schüttelte den Kopf. »Ohne dich hätte ich das nie geschafft. Die waren zu dritt, und ich war allein. Obwohl ich sehr wütend war. Ich habe dir nie erzählt, was in dem Schuhkarton war, oder?«

    Die Jungs hatten Nora einen Schuhkarton vor die Nase gehalten, bevor die Keilerei losgegangen war. Ich hatte später dann nie mehr daran gedacht zu fragen. Deshalb schüttelte ich nun den Kopf.

    »In dem Schuhkarton war ein junger Vogel. Und als sie ihn mir gezeigt hatten und ich ihn streicheln wollte, hat ihn der Anführer einfach herausgenommen und ihm den Hals umgedreht. Vor meinen Augen. Da habe ich rot gesehen und zugeschlagen. Aber ich hatte keine Chance gegen die drei. Wenn du nicht gekommen wärst, hätte das übel ausgehen können.« Sie sah mich dankbar an. »Danach jedenfalls habe ich dich sehr bewundert, weil du so stark warst. Ich wäre gern genauso gewesen, aber ich war es nicht. Und gerade weil du so stark warst, habe ich immer gedacht, dir würde nichts an einer näheren Bekanntschaft mit mir liegen. Ich gehörte ja immer zu den schwachen, albernen Mädchen, die du nicht mochtest.«

    »Du warst nicht wie sie – und sie mochten mich nicht«, wiederholte ich. Das hatte ich ihr schon mal gesagt – in unserer Kindheit.

    Nora lachte wieder ein wenig. »Das stimmt nicht ganz. Sie hatten hauptsächlich Angst vor dir, und sie wussten nichts mit dir anzufangen. Du warst die einsame Heldin auf dem Schulhof, die niemand brauchte, um sich zu verteidigen, die alles allein bewältigen konnte. Du hast sie verunsichert. Und mich auch.«

    »Dich auch?« Der Gedanke war mir nie gekommen. Sie hatte immer so zufrieden gewirkt.

    »Ja, mich besonders. Weil du mir geholfen hattest und trotzdem hinterher immer noch distanziert warst. Ich kam nicht an dich heran.«

    Sie kam nicht an mich heran? Wieso hatte ich ihre Versuche nie registriert? Ich war völlig überfordert von Noras Geständnissen. »Hättest du das denn gewollt?« Ich hatte doch nur meine Liebe zu ihr versteckt! Ich hatte befürchtet, dass sie mich auslachen würde, dass sie meine Zuneigung nicht wollte, deshalb hatte ich mich zurückgehalten.

    »Ja, eigentlich schon. Ich hätte dich sehr gern näher kennengelernt. Aber du warst immer so abweisend. Du kamst nie von selbst. Immer musste ich dich einladen. Und dann hast du oft in der Ecke gesessen und deutlich gezeigt, wie sehr dich dieser ›Mädchenkram‹ langweilt.« Sie lächelte ein bisschen unsicher. »Ich bin zu schüchtern, um ständig auf jemand zuzugehen, das solltest du eigentlich wissen, so lange, wie wir uns schon kennen.«

    Ich war schuld? Ich war schuld, dass Nora und ich nie ein Paar oder zumindest enge Freundinnen geworden waren? Das versetzte mir einen ziemlichen Schlag. »Ich dachte, du warst lieber mit den anderen zusammen als mit mir. Ich wollte mich nicht aufdrängen«, murmelte ich leise. »Ulrike zum Beispiel –« Ulrike war ihre ›beste Freundin‹ in der Schule gewesen.

    »Ulrike war ein nettes Mädchen, aber nicht halb so interessant wie du. Sie hat sich nicht vor mir versteckt, deshalb war es für mich wesentlich einfacher, mit ihr befreundet zu sein als mit dir. Du wolltest ja anscheinend nicht.« Sie provozierte mich ein wenig mit ihrem Blick.

    Ich hatte natürlich gewollt! Aber ich hatte angenommen, Nora wollte nicht. »Ich dachte, du willst lieber mit ihr befreundet sein, weil ihr so viele gemeinsame Interessen hattet«, versuchte ich, mich herauszureden.

    »Die Geschichte unserer Freundschaft ist eine Geschichte von Missverständnissen!«, lachte Nora, die bekannte Tampon-Werbung persiflierend, doch mitten im Lachen fasste sie sich mit einer Hand an die Stirn. »Ich glaube, ich sollte nicht lachen. Ich habe wohl doch etwas zu viel getrunken in letzter Zeit.« Sie verzog das Gesicht. »Dafür habe ich seit Montag so gut wie nicht geschlafen, das gleicht es wieder aus, nicht wahr?« Sie sah mich etwas zerknittert an.

    »Das solltest du jetzt aber schleunigst nachholen«, verlangte ich und stand auf. »Reden können wir immer noch.« Wenn sie dann überhaupt noch reden wollte! Ich würde die Entscheidung ihr überlassen.

    Sie konnte die Augen kaum mehr offen halten. Einerseits, weil sie so zugequollen waren vom früheren Weinen und andererseits, weil die Müdigkeit jetzt wirklich das Kommando in ihrem Körper übernommen hatte, nach all dem Alkohol und Schlafentzug seit Montag, immerhin war nun schon Freitag. Langsam erhob sie sich von ihrem Stuhl. »Ich danke dir, Renni. Ich danke dir sehr, dass du gekommen bist.« Sie ging ebenso langsam, wie sie sprach, an mir vorbei und legte mir kurz die Hand auf die Schulter. »Und über das andere reden wir bestimmt noch. Jetzt kommst du mir nicht mehr so leicht davon!« Sie versuchte zu grinsen, aber sie schaffte es nicht mehr. Sie war einer Ohnmacht nahe.

    Ich stützte sie ein wenig. »Ja, sicher. Komm, ich bringe dich noch ins Bett, und dann schläfst du erst mal.«

    Sie nickte nur ganz angedeutet, und ich legte ihren Arm über meine Schulter und brachte sie ins Schlafzimmer. Die Tür stand auf, so musste ich nicht fragen, wo es ist, denn solange wir uns auch kannten, ich hatte es noch nie gesehen. Wir gingen hinein, sie legte sich hin, und ich zog ihr die Schuhe aus. Sie schlief schon, als ich sie wieder ansah. Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen: Ich mit Nora in ihrem Schlafzimmer und dann so was! Tja, wie das Leben so spielt! Ich drehte mich um und verließ ihre Wohnung. Alles andere konnte warten.

    Am nächsten Tag war Samstag, und ich hörte nichts von Nora. Ich nahm an, dass sie den ganzen Tag durchschlief, und ich wollte sie nicht anrufen, um sie nicht eventuell zu wecken, aber ich machte mir schon Gedanken über unser Gespräch. Warum hatte ich nicht den Mund halten können? Sie war doch gar nicht in der Verfassung gewesen, darauf zu beharren. Wenn ich ihr nicht gesagt hätte, dass ich sie liebte, hätte sie es nie erfahren. Ich Dummkopf! Jetzt würde ich sie sogar noch als Freundin verlieren, wenn ich Pech hatte. Und warum sollte ausgerechnet ich einmal Glück haben? Das war in meinem Lebensplan nicht vorgesehen.

    Der Samstag ging mit den üblichen Nicht-Tätigkeiten dahin. Ein Blick in den Kühlschrank, ach was, ich muss nicht einkaufen, ich kann mir ja eine Pizza auftauen, und damit war die Entscheidung, das Haus nicht zu verlassen, auch schon gefällt. Es fiel mir schwer, darüber nachzudenken, warum ich meine Wochenenden häufig so verbrachte. Irgendwie hatte ich keinerlei Antrieb, wenn ich nicht zum Dienst musste, Verbrecher jagen oder Akten wälzen. Oft fiel es mir sogar schwer zuzusagen, wenn ich eingeladen wurde, zu einem Essen, einer Fete oder einem Spaziergang. Manchmal nahm ich nicht einmal das Telefon ab, wenn es klingelte. Eigentlich war es meine Pflicht als Polizistin, das auch in meiner dienstfreien Zeit zu tun, aber ich ignorierte es einfach. Bislang war in diesem ruhigen Eck des Landes noch nie ein so dringender Mordfall vorgekommen, dass es aufgefallen wäre, wenn eine Kommissarin der Mordkommission einmal nicht erreichbar war.

    Vielleicht war das mein Problem: Ich fühlte mich oft unterfordert, und privat war ich allein, jedenfalls, was eine Beziehung anging. Nur die Pseudobeziehung zu Nora, die lediglich in meinem Kopf existierte, schaffte dazu einen Ausgleich.

    Ich hätte kaum sagen können, wie der Tag verlaufen war, als er zu Ende ging, so ereignislos war er gewesen. Wenn nicht die Aktivität meiner Gedanken ein wenig Aufmerksamkeit gefordert hätte, hätte ich genauso gut den ganzen Tag durchschlafen können.

    Am Sonntag wachte ich auf und merkte, dass sich etwas veränderte. Die ganze Schwere des vergangenen Samstags schien wie fortgeblasen. Ich erinnerte mich an den Sonntag, an dem ich Ellen und Nora zum ersten Mal zusammen gesehen hatte, es schien eine Ewigkeit her zu sein, und doch waren es erst gut zwei Monate. Was war in diesen beiden Monaten nur alles passiert . . . Und wie hatte sich in den letzten Tagen alles verwandelt . . .

    Ich erinnerte mich daran, wie grau mir der Tag damals erschienen war, als ich Nora und Ellen beim Sonntagsfrühstück zufällig im Café traf. Die Sonne hatte geschienen, aber ich hätte schwören können, dass mich kein einziger Strahl traf. Ich nahm die Wärme und das Licht noch nicht einmal wahr. Dann ging einen kleinen Moment für mich wirklich die Sonne auf, als ich Nora entdeckte, und gleich darauf schob sich eine schwarze Wolke dazwischen, als Ellen dazukam, die ich damals noch nicht einmal kannte. Es war so deutlich zu erkennen gewesen, dass Nora unsterblich in Ellen verliebt war, dass ich meine Eifersucht kaum bezähmen konnte. Und nun war Ellen fort, eine Mörderin auf der Flucht, und meine Sonntage schienen auf einmal nicht mehr so grau zu sein. Dieser hier zumindest nicht – der erste Sonntag nach dem Tag, an dem ich Nora meine Liebe gestanden hatte . . .

    Fast mein ganzes Leben lang – zumindest mein erwachsenes Leben – war die Erkenntnis, dass ich zwar Nora liebte, sie aber nicht mich, ein Grundstein meines Seins gewesen. Ich hatte es akzeptiert wie meine schwarze Haarfarbe oder den Wechsel der Jahreszeiten, Sommer und Winter, Frühling und Herbst. Ein Naturgesetz. Ebenso hatte ich vorausgesetzt, dass ich ihr nicht sagen dürfte, dass ich sie liebte, weil sie mich dann ganz sicher aus ihrer Umgebung verbannen würde, denn diese Liebe konnte für sie allerhöchstens lächerlich sein – etwas, worüber sie mit einer ihrer Freundinnen lachte, wenn sie morgens zusammen im Bett lagen.

    Und nun? Ich hatte es ihr gesagt, und sie lachte nicht. Sie erzählte mir sogar, dass sie ebenfalls Interesse an mir gehabt hätte, wenn ich nicht so verbohrt gewesen wäre. Sie versuchte, mich zu küssen . . .

    Gut, das war nicht dasselbe wie ›Ich liebe dich‹, aber es war sehr viel mehr, als ich mir all die Jahre erhofft hatte. Dieser Sonntag war der erste in meinem Leben, an dem tatsächlich die Sonne schien. Es war mir auch völlig egal, ob das mit der aktuellen Wetterlage übereinstimmte: Für mich schien definitiv die Sonne, auch wenn es draußen stürmen und schneien sollte – was zugegebenermaßen im Sommer unwahrscheinlich war.

    Ich sprang aus dem Bett und ging in meine kleine Küche, die genau meine Lebensweise widerspiegelte: Ich kochte nicht, ich aß kaum etwas zu Hause, und der Kühlschrank war so winzig, dass er eher einer Minibar in einem Hotel glich. Er erschien immer noch genauso gähnend leer wie gestern, als ich nun hineinsah, bis auf ein paar Fertiggerichte im Gefrierfach. Ich war eben eine typische berufstätige Junggesellin: Zum Einkaufen kam ich nie, und ehrlich gesagt wusste ich auch kaum, was ich hätte einkaufen sollen. Im Büro ernährten wir uns vom Schnellimbiss gegenüber, oder wir gingen in die Kantine. Kein sehr gesundes Leben vermutlich, aber es hatte mich bislang nie gestört.

    Heute überlegte ich, was ich tun sollte. Mit meiner neu erwachten positiven Lebenseinstellung hatte ich keine Lust, allein zu bleiben. Am liebsten hätte ich sie selbstverständlich mit Nora geteilt, denn sie war ja auch der Grund dafür, dass ich mich wohlfühlte, aber da bestand natürlich die Gefahr, dass sie sich – nachdem sie sich erholt und einen Tag lang geschlafen hatte – heute anders verhalten würde als am Freitag. Am Freitag hatte ich sie getröstet, und sie war dankbar gewesen. Heute, in etwas ausgeschlafenerem Zustand, konnte es durchaus sein, dass sie unser Gespräch vom Freitag als einen Ausrutscher betrachtete.

    Aber das Risiko musste ich eingehen. Bei der Polizei, in meinem Beruf, im täglichen Leben, war ich oftmals mit viel größeren Gefahren konfrontiert, aber nun, als ich den Telefonhörer in die Hand nahm, um Nora anzurufen, schlotterten mir beinahe die Knie. Ich hätte fast wieder aufgelegt, aber dann schalt ich mich selbst feige, und das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Also wählte ich Noras Nummer. Der Anrufbeantworter ging dran. Vermutlich wollte sie nicht gestört werden, denn ich nahm an, dass sie zu Hause war. Ich hinterließ eine kurze Nachricht und fiel wieder etwas in meinen üblichen deprimierten Sonntagszustand zurück. Das war erneut die bekannte Situation: ich wollte Nora, aber sie wollte mich nicht.

    Dennoch hatte sich etwas verändert: Die Hoffnung hatte von mir Besitz ergriffen. Die Hoffnung, dass es noch anders werden könnte zwischen Nora und mir. Dass die Signale, die sie am Freitag ausgesandt hatte, nicht einfach verpuffen würden. Dass sie es ernst gemeint hatte mit dem, was sie sagte. Ebenso ernst wie ich.

    Ich setzte den Teekessel auf. Das war das Einzige, was ich mir für die Küche angeschafft hatte. Eine kleine Stärkung am Morgen brauchte ich nun mal, und entgegen der Meinung, die manche Leute von mir hatten, war ein Glas Whisky morgens nicht das Richtige für mich. Das Wasser kochte, und ich goss es in einem dampfenden Schwall in meinen Teebecher hinein. Meine Gedanken ließen nicht los von den Veränderungen, die ein einziger Tag bringen konnte. Mir fiel ein, dass ich Ellen – auf die ich bislang nur eifersüchtig gewesen war – eigentlich noch dankbar sein musste. Ohne sie hätte ein klärendes Gespräch zwischen Nora und mir vielleicht nie stattgefunden. Ich musste in meinen Teebecher hinein lächeln. Mein Gesicht spiegelte sich ein wenig auf der Oberfläche der Flüssigkeit, und ich kam mir ganz fremd vor. Ich hatte das Gefühl, wenn ich jetzt ins Bad ginge und mich vor den Spiegel stellte, würde ich mich nicht erkennen. Eine lächelnde, entspannte Renni – das war nicht das Bild, das ich von mir selbst hatte.

    Montag

    Das Telefon auf meinem Schreibtisch im Büro klingelte kurz nach Dienstbeginn, aber ich ignorierte es für einen Moment. Deshalb griff mein Kollege danach, der genau gegenüber von mir an seinem Schreibtisch saß. Er legte schon kurz darauf wieder auf. »Arbeit, Renni«, sagte er ruhig. So harmlos das klang, diese Bemerkung konnte in unserer Abteilung nur eins bedeuten: Es war ein Mord geschehen.

    Ich griff nach meiner Waffe, um sie umzuschnallen. »Wo?«, fragte ich.

    Er stand schon auf. »Direkt vor dem Zoll, keine fünfzig Meter von der Grenze«, antwortete er knapp.

    Mehr war nicht nötig. Den Rest würden wir am Tatort sehen. Wir verließen das Büro der Mordkommission und begaben uns an die Arbeit.

    Die Leiche war kein schöner Anblick. Jemand hatte ihr den Schädel eingeschlagen, und zwar von vorn. Ihr Gesicht war nur noch Matsch. Es war eine Frau, aber sehr viel mehr war nicht zu erkennen. Der Kleidung nach konnte sie eine der Frauen sein, die in den Appartements über der PussyCat-Bar wohnten; eine irreführende Bezeichnung, denn tatsächlich handelte es sich um ein Bordell. Ebenso erschien der Begriff ›Appartements‹ als ausgesprochen beschönigend für die kleinen Zimmer mit einem großen Bett, die nur einem Zweck dienten: Einen Ort für das Zusammensein zwischen Hure und Freier zu schaffen. An den Klingelschildern standen nur die Vornamen der Frauen, die häufig wechselten. Die Freier kamen hauptsächlich aus der Schweiz über die Grenze. In Deutschland war es billiger.

    Wie immer überließen wir das meiste der Spurensicherung. Ein Kollege kam uns schon entgegen und nannte uns die Daten der Toten. Es war, wie ich vermutet hatte: In ihrem

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