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Gefährliche Sehnsucht
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Gefährliche Sehnsucht

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About this ebook

Aufstiegschance Katze! In einer Welt, die von der Furcht vor Seuchen beherrscht wird, ist Anais Munroe froh, einen gutbezahlten Job als Katze in einem reichen Haushalt erhalten zu haben. Sumati Divari, eine einflussreiche Managerin eines Pharmakonzerns, bringt ihr jedoch zunächst nur wenig Sympathie entgegen. Erst, als Anais schwer verletzt wird, entspinnt sich zwischen ihnen ein Liebesverhältnis. Bald jedoch müssen beide feststellen, dass nicht nur ihre Beziehung, sondern auch das Leben vieler Menschen bedroht ist. Nur gemeinsam kann es ihnen gelingen, eine Katastrophe zu verhindern.
LanguageDeutsch
Publisherédition eles
Release dateApr 29, 2013
ISBN9783941598935
Gefährliche Sehnsucht

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    Gefährliche Sehnsucht - Toni Lucas

    Toni Lucas

    GEFÄHRLICHE SEHNSUCHT

    Roman

    Originalausgabe:

    © 2012

    ePUB-Edition:

    © 2013

    édition el!es

    www.elles.de

    info@elles.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    ISBN 978-3-941598-93-5

    Coverillustration:

    © fuxart – Fotolia.com

    Rumpelnd rollte der Lkw über einen offenbar holprigen Teil der Straße. Die Luft lag stickig und heiß wie eine schwere Decke über uns. Kaum ein Laut war zu hören. Nur das knirschende Geräusch sich aneinander reibenden Metalls sowie unterdrücktes Seufzen unterbrachen hin und wieder die Stille.

    Wie lange fuhren wir nun schon so? Drei, vier Stunden? Den ganzen Vormittag? Ich wusste es nicht. In dieser beklemmenden Dunkelheit hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren.

    Unversehens bremste der Wagen so stark, dass ich heftig gegen die Gitter meines Käfigs geschleudert wurde. Ein Klagelaut entfuhr mir und ich leckte mir automatisch die schmerzende Stelle am Vorderlauf. Auch um mich herum wurde es nun lebhafter. Klägliches Miauen und ängstliches Schnurren wohin ich auch lauschte. Doch mir blieb keine Zeit, um darüber nachzudenken.

    Der Wagen hatte angehalten, und das leise Summen des Motors war verstummt. Stimmengemurmel drang ins Innere des LKW. Schwere Schritte näherten sich aus Richtung der Fahrerkabine.

    Ich lauschte angestrengt und konnte drei Menschen ausmachen. Männer in schweren Straßenschuhen. Ich war ihnen schon begegnet. Sie waren mir nett und liebevoll erschienen, so vorsichtig wie sie beim Einladen mit uns umgegangen waren. Offensichtlich wirkliche Tierliebhaber, die wussten, was sie taten. So etwas findet man nicht oft.

    Ehe ich jedoch länger darüber nachdenken konnte, peinigte gleißendes Sonnenlicht meine Augen. Zwei der Männer hatten unversehens die Plane zurückgeschlagen und waren nun damit beschäftigt, die schwere Ladewand herunterzuklappen. Nur mühsam gewöhnten sich meine Augen an das Licht und ich begann meine Umgebung wahrzunehmen.

    Auf der Ladefläche befanden sich neun Käfige, drei davon, darunter meiner, in der ersten Reihe. Jeder Käfig einen Meter breit, einen Meter fünfzig hoch, einen Meter fünfzig tief. In jedem dieser Gefängnisse befand sich lethargisch zusammengerollt oder nunmehr ängstlich fauchend eine Katze. Alle frisch ausgebildet. Ein Jahr lang gut trainiert, bestmöglich vorbereitet auf ihr neues Leben als Haustier.

    Links neben mir döste ein schlankes Angorakätzchen mit flauschig weißem Fell scheinbar unberührt von dem Geschehen. Rechts von mir befand sich ein kräftiger, graugetigerter Kater, der mir fauchend die Eckzähne zeigte und der, seit es hell geworden war, fortwährend versuchte, seine Pfote zu mir durch das Gitter zu stecken.

    Ich fauchte wütend und verpasste ihm einen kräftigen Hieb mit den Krallen, doch das schien ihn nicht wesentlich zu beeindrucken.

    Nervös reckte ich meine steifgewordenen Läufe, um mich in die von ihm abgelegendste Käfigecke zurückzuziehen. Ich erschrak. Hatte ich wirklich Läufe gedacht? So weit war es schon gekommen. So stark hatte ich mich bereits mit meiner neuen Rolle identifiziert.

    Ich spürte, dass ich ein wenig zitterte. Zur Beruhigung begann ich, die Grundregeln zu wiederholen:

    Regel Nummer 1: Du bist eine Katze.

    Regel Nummer 2: Was immer auch passiert. Verhalte dich wie Katze.

    Regel Nummer 3: Eine Katze ist ein charakterstarkes, eigenwilliges Haustier.

    Regel Nummer 4: Du bist vollständiges Eigentum deines Besitzers.

    Regel Nummer 5 . . .

    Weiter kam ich jedoch nicht. Der Gedanke an Regel Nummer 4 ließ mich wie immer frösteln. Noch nie hatte ich mich so ausgeliefert gefühlt.

    Noch einmal schaute ich mich um, und für einen Moment sah ich hinter die Gitterstäbe, hinter all das Fell. Ich sah die Wahrheit.

    In diesen überdimensionierten Käfigen hockten ängstliche, verzagte Menschen. Sie alle stammten aus ärmlichsten Verhältnissen. Jeder von ihnen musste mehr als verzweifelt sein. Was sonst hätte ihn dazu getrieben, ein Jahr lang hart zu trainieren, um sich dann für drei Jahre in einen Catsuit stecken zu lassen und den privilegierten Bewohnern der Alphastädte sklavisch als Katze zu dienen?

    Als Katze! Und dabei hatte keiner von ihnen je ein solches Tier gesehen. Wie auch, waren sie doch seit sehr langer Zeit schon ausgestorben, auf ihre Haltung stand sogar die Todesstrafe.

    Alles, was von ihnen geblieben war, war die Erinnerung an weiche, anschmiegsame Wesen, die einsame Menschen trösteten.

    Was also lag näher, als sich Ersatz zu suchen. Menschlichen Ersatz. Für Geld konnte man schließlich alles kaufen.

    Ich fröstelte. Wie war ich nur hierher geraten? Wie hatte ich diesen Job nur annehmen können? Ängstlich und aufgeregt warf ich mich gegen das Gitter, dass es nur so schepperte.

    »Schhh Mieze. Ganz ruhig. Es passiert dir doch nichts. Schhh.«

    Die dunkle Stimme des Mannes, der nun direkt vor meinem Käfig stand, ließ mich innehalten. Aus verengten Pupillen blickte ich ihn zweifelnd an.

    Lächelnd fügte er hinzu: »Nun schau mich nicht so an, du hast dir das selbst ausgesucht.«

    Ja, das hatte ich getan. Ich hatte einfach ein besseres menschliches Leben für mich gewollt. Nun aber hatte ich Angst vor meiner eigenen Courage. Wie gern wäre ich jetzt aus diesem Käfig gesprungen, hätte mir den Catsuit vom Leib gerissen und hätte ihm Auge in Auge gegenüber gestanden, um ihm zu sagen: »Welche Wahl hatte ich denn? Ich bin eine Omega! Ich bin ein Nichts in dieser Gesellschaft!«

    Statt dessen maunzte ich kläglich, doch er hatte sich bereits seinem Kollegen zugedreht und rief ihm zu: »Tom, welche ist es denn? Die schwarze oder die weiße?«

    Der so angesprochene wühlte in den Unterlagen, die er in der Hand hielt.

    »Die schwarze. Ich komm gleich mit dem Stapler. Muss nur erst schau’n, ob auch jemand zu Hause ist.«

    Jetzt erst bemerkte ich, dass wir in der breiten Einfahrt einer leuchtend weißen Villa gehalten hatten. Diese wurde alleenartig von großen Orangen- und Zitronenbäumen gesäumt. Auch ein paar Zypressen und Olivenbäume konnte ich auf dem weiten Grün des Rasens ausmachen. Eine riesige Buchsbaumhecke umzäunte das Anwesen.

    Hier also wohnte meine neue Besitzerin. Ich war angemessen beeindruckt. Willkommen im Paradies. Zufrieden leckte ich mir die rechte Vorderpfote.

    »Na Mieze, nicht schlecht, was?«

    Der Mann im karierten Arbeitshemd und den blauen Latzhosen zwinkerte mir schelmisch zu.

    »So gut müsste es mir auch mal gehen.«

    In diesem Moment kam Tom mit dem Stapler angefahren. Vorsichtig hob er meinen Käfig an, drehte elegant in der Einfahrt, rollte beinahe geräuschlos über den sauber geharkten roten Kies und setzte mich dann mit sanftem Schwung direkt vor der Haustür ab.

    Noch immer ein wenig geblendet, betrachtete ich blinzelnd die Frau unbestimmbaren Alters, die nun vor meinem Käfig stand: mittelgroß, aschblondes, halblanges Haar, leicht untersetzt. Ihr Kopf ruckte hin und her wie bei einem Huhn auf Körnersuche. Sie rang nervös ihre rauen, roten Hände und wischte sie immer wieder an ihrem dünnen Kittelkleid ab.

    Ich war enttäuscht. Das sollte meine Besitzerin sein? Ich konnte es kaum glauben. Da vernahm ich die angenehme Stimme des Latzhosenmannes, die begütigend auf die Frau im Türrahmen einredete.

    »Derya, es tut mir wirklich leid. Ich darf sie dir nicht übergeben. Mrs Sumati Divari muss dies schon selbst tun. So sind die Vorschriften.«

    Ich spitzte angestrengt meine Ohren. Er hatte sie mit dem Vornamen angesprochen. Erleichtert atmete ich auf. Sie war also eine Angestellte. Nur sie durfte man so zwanglos anreden.

    Deryas Nervosität steigerte sich sichtlich.

    »Aber sie will nicht herunterkommen. Sie hat mir ausdrücklich verboten, sie zu stören. Könnt ihr nicht später wiederkommen?«

    Nun mischte sich auch Tom in das Gespräch ein: »Derya, wir müssen noch acht weitere Tiere in drei Townships ausliefern. Was glaubst du, was passiert, wenn wir das heute nicht schaffen? Was, wenn einem der kostbaren Vierbeiner bei der Hitze etwas geschieht? Die neuen Besitzer würden uns vermutlich vierteilen. Hast du eine Vorstellung, wie lange man auf eine Katze warten muss und was so ein Tier kostet? Dein Jahresgehalt geht da locker drauf. Mrs Divari sollte sich eigentlich freuen!«

    Genau das war der Punkt, der auch mich beunruhigte. Weshalb nahm mich meine Besitzerin nicht freudestrahlend in Empfang? Es gab endlose Wartelisten für Haustiere und es wurden Unsummen an Bestechungsgeldern gezahlt, um nach oben zu rücken. Nur jemand der vermögend genug war und Tiere liebte, kam überhaupt als Besitzer in Betracht.

    Ich verharrte reglos in meinem Käfig, jeden Muskel meines Körpers angespannt und lauschte weiter angestrengt.

    Offensichtlich hatte sich Derya von Tom und dem Latzhosenmann überreden lassen, Mrs Divari nun doch zu holen, denn sie verschwand, wenn auch zögernd, im Dunkel des Eingangs.

    Die Minuten vergingen. Die Sonne sengte auf meinen Käfig. Mir war heiß, ich hatte Durst. Auch gegen etwas Futter hätte ich nichts einzuwenden gehabt. Ich maunzte kläglich.

    Hallo, ihr zwei! Geht das nicht schneller? Mir ist heiß! Und Durst hab ich auch!

    Wieder war es der Latzhosenmann, der mich zu verstehen schien. Er hockte sich vor meinen Käfig und steckte die Finger durchs Gitter. Ich schlich vorsichtig heran, schnupperte und leckte ihm die Hand. Leider war nichts drin. Freundlich lächelnd kraulte er mich und meinte: »Du bist enttäuscht, was? Aber ich darf dir nichts geben. Du weißt schon – die Vorschriften. Halt noch ein bisschen durch. Sie kommt bestimmt gleich. Drinnen ist es schön kühl. Du wirst sehen.«

    Da spitzte ich die Ohren und sprang auf alle Viere. Auch er stand auf, denn aus der Halle ertönte der feste Schritt hölzerner Absätze. Offenbar war es Derya gelungen, Mrs Divari zum Herunterkommen zu bewegen. Noch ehe ich sie sah, hörte ich ihre kühle, klare Stimme, die gereizt fragte: »Und, ist alles bereit für das Tier?«, worauf Deryas leises »Ja, Ma’am.« erklang.

    »Na gut, dann sehen wir uns das Geschöpf mal an.«

    Sie klang spröde-distanziert, von Vorfreude keine Spur.

    Nun endlich erschien sie vor mir im Türrahmen. Bei ihrem Anblick durchrieselte es mich wohlig und mir begannen, die Glieder schwach zu werden, so dass ich mich erst einmal flach auf den Bauch legte. Wenigstens diesen Vorteil hatte das Katzendasein.

    Mrs Divari sah buchstäblich umwerfend aus. Sie war großgewachsen und schlank. Ihre Haut schimmerte in einem leichten Bronzeton. Das Auffallendste an ihr erschien mir jedoch ihr Haar. Es war halblang und so lackschwarz, dass es in der Sonne glänzte. Auf verblüffende Weise ähnelte es meinem dichten dunklen Fell, nur mit dem Unterschied, dass dieses, wenn es länger wurde, sich zu sanften Locken wellte. Es war, als hätte man mich extra für sie ausgesucht. Konnte das möglich sein?

    Ich spürte, wie mich diese Frau aus ihren großen, dunkelbraunen Augen kritisch musterte. Trotz der Sommerhitze wirkte ihr Gesicht mit den scharfgeschnittenen Zügen merkwürdig fahl. Ihr weißes Gewand mit dem blutroten Saum machte deutlich, dass sie um jemanden trauerte. Zudem verlieh es ihr eine seltsam geheimnisvolle Aura. Dazu kam diese fast greifbare Erotik, die mich nur noch mehr verwirrte.

    Wäre ich ihr früher auf einer Party begegnet, sie hätte mich magisch angezogen und ich hätte zweifelsohne versucht, mit ihr zu flirten. Doch was hätte eine Frau wie sie auf einer der seltenen Partys in Omega-City zu suchen gehabt? Und überhaupt - was wollte diese Frau mit einer Katze?

    Ich erschauerte nur noch mehr und hätte mich am liebsten in einem Mauseloch verkrochen, wenn es so etwas noch gegeben hätte.

    Doch ich riss mich zusammen. Wie ich es gelernt hatte, begann ich, Augenkontakt zu meiner neuen Besitzerin aufzunehmen und maunzte sie freundlich an. Es war wichtig, von Anfang an zu zeigen, dass man sich zugehörig fühlte, sich freute, aufgenommen zu werden. So jedenfalls hatte ich es immer und immer wieder eingetrichtert bekommen.

    Als ich jedoch meine Lider hob, entschlüpfte ihr ein klagender Laut, sie schien zu schwanken, bei Derya nach Halt zu suchen. Sie rief: »Um Gottes Willen, sie hat ihre Augen!« und wandte sich entsetzt ab.

    Ihre Augen? Meine Augen waren blau, azurblau wie das Meer an wolkenfreien Sommertagen. So stand es jedenfalls im Katalog. Ich selbst hatte das Meer noch nie gesehen. Zusammen mit dem schwarzen Fell meines Catsuits bildeten meine Augen eine echte Rarität. Ich wusste, dass man deshalb für mich einen gehörigen Preisaufschlag verlangt hatte. Verwirrt und erschreckt zog ich mich in eine Käfigecke zurück.

    Da mischte sich Tom in das Geschehen ein.

    »Mrs Divari, Sie werden verzeihen, doch wir müssen weiter. Könnten Sie sich bitte ausweisen und im Anschluss diese Papiere unterschreiben, damit wir die restlichen Tiere ausliefern können?«

    Mrs Divari, die sich inzwischen gefangen hatte und nun noch einen Hauch blasser aussah, hielt Tom wortlos ihren linken Oberarm hin. Dieser fuhr mit einem kleinen Scanner darüber und las halblaut vor, was auf dessen Display erschienen war, damit es der Latzhosenmann mit den elektronischen Unterlagen in seinem Lesegerät vergleichen konnte.

    »Mrs Sumati Divari, geboren am 14. Juli 2217.«

    Sumati Divari – ein exotischer Name, indisch, soweit ich wusste. Er glitt mir wie Nektar die Kehle hinab, so dass ich unwillkürlich schlucken musste.

    Sie jedoch stand noch immer bleich und ein wenig verloren vor mir. Wie gern hätte ich sie getröstet, ihren schön geschwungenen Hals mit meinen Lippen berührt, sie zart mit meiner Zunge liebkost, bis kleine wonnige Schauer sie überrieselt hätten.

    Ich schüttelte mich. Was hegte ich bloß für Gedanken?! Die stammten eindeutig aus meinem anderen Leben und waren hier mehr als fehl am Platz.

    Während ich mir noch überlegte, wie ich mich weiter verhalten sollte, wehte mir der Sommerwind eine flüchtige Brise ihres frischen Parfums in die Nüstern. Schnuppernd hob ich den Kopf.

    Hmmm, lecker.

    Leichte Gänsehaut überschauerte mich erneut und ich schnurrte fast ein wenig. Herrje, wenn das so weiter ging, wusste ich nicht, wie ich die nächsten drei Jahre überstehen sollte. Dabei sollten sie doch meine Eintrittskarte in ein würdiges menschliches Leben sein.

    Der Mann im karierten Hemd deutete lächelnd auf mich.

    »Schauen Sie, Mrs Divari, sie kann sie gut riechen.«

    Doch sie schaute mich nicht an und murmelte lediglich abweisend: »Na immerhin etwas.«

    Und jetzt? Erwartungsvoll blickte ich von einem zum anderen. Da übergab Tom ihr ein Päckchen, öffnete die Käfigtür und deutete auffordernd auf mich: »Hier ist das Halsband. Über die Funktion wissen Sie Bescheid?«

    Als Mrs Divari ein zustimmendes Nicken andeutete, fuhr Tom fort: »Sie müssen nur noch unterschreiben. Dann gehört Sie Ihnen. Sie haben doch alles vorbereitet?«

    Meine neue Besitzerin nickte wieder nur stumm, während sie auf dem Lesegerät unterschrieb.

    Erneut standen alle etwas zögernd herum. Da sprang der Latzhosenmann helfend ein: »Wir müssen den Käfig wieder mitnehmen. Wenn Sie Ihre Katze jetzt vielleicht zu sich bringen könnten?«

    Mit großer Überwindung und sich sichtlich zusammennehmend kam Mrs Divari nun auf mich zu und verlangte: »Na komm Katze, komm raus!«, während sie auffordernd auf den Käfig klopfte.

    Die Stimme klang gebieterisch. Das, verbunden mit dem scheppernden Geräusch des Gitters, ließ mich zusammenfahren.

    »Mau!«

    Erschrocken stellte ich die Schnurrhaare auf und wich in die äußerste Käfigecke zurück. Ich zitterte leicht. Schon wollte diese Frau schnellen Schrittes um den Käfig herum eilen, um mich aus meiner Zufluchtsecke zu vertreiben, da stellte sich ihr Tom in den Weg und fragte sie mit seltsam eindringlicher Stimme: »Haben Sie schon jemals eine Katze besessen?«

    Dabei blickte er ihr für einen einfachen Arbeiter der Delta-Klasse fast schon ungehörig fest in die Augen, so dass sie es offensichtlich nicht wagte, ihm auszuweichen. Das an sich war schon ungewöhnlich, hielt es doch normalerweise kein Alpha für nötig, Bewohner der unteren Klassen wirklich wahrzunehmen oder gar anzuschauen. Jeder, der nicht ihrer Klasse entstammte, schien für sie nicht zu existieren.

    Sumati Divari schlug die Augen nieder und biss sich auf die sorgfältig geschminkte Unterlippe.

    »Nein.« Es klang zögernd, ja ein wenig ängstlich.

    »Haben Sie die Gebrauchsanweisung gelesen?«

    Noch immer hielt sein Blick sie seltsam hypnotisch fest.

    Fast schien es, als wollte sie aufbegehren, so heftig erhob sie die Stimme.

    »Selbstverständlich, das ist ja wohl das mindeste.«

    Er brauchte jedoch nur beschwichtigend die Hand zu heben, da wurde sie schon ruhiger. Sie lächelte unsicher.

    »Tut mir leid. Ich hatte heute einen schweren Tag, weißt Du. Und jetzt auch noch eine Katze. Vielleicht könntest Du . . .?«

    Plötzlich sahen ihre Züge ganz weich aus, gar nicht mehr streng und diktatorisch. Der Mann nickte nur und hockte sich auch schon vor meine Käfigtür.

    »Miez, Miez!«

    Seine lockend gutturale Stimme umschmeichelte mich wohlig, als könnte ich darin baden. Die Laute glitten sanft über meinen Körper, der sich spürbar entspannte. Vorsichtig streckte ich erst den einen und dann den anderen Vorderlauf weit nach vorn, um mich zu recken.

    Noch immer lockte mich die Stimme.

    »Komm Mieze, komm. Du wirst es gut bei ihr haben, glaub mir. Sie ist noch ein bisschen unerfahren, aber gib ihr etwas Zeit.«

    Ein freundlich-warmes Lächeln lag über seinem stoppligen Gesicht, während er auf mich einredete und mir die Hand entgegenreckte.

    Konnte er mich nicht mit sich nehmen? Bei ihm würde ich es bestimmt gut haben. Sicher, er war ein Mann, aber seine Körpersprache verriet mir, dass er aufrichtig war. Zögernd setzte ich eine Pfote vor die andere, bis mein Gesicht seine Hand erreicht hatte. Wie schon zuvor, begann ich, diese zu beschnuppern. Sie roch warm und gut, ein bisschen nach Katze und ein bisschen nach ihm. Stupsend rieb ich meine Nase daran, bis er mich schließlich im Nacken zu kraulen anfing. Das konnte er so gut, dass mir zu meiner eigenen Überraschung ein dunkles, wohliges Schnurren aus der Kehle emporstieg. Strahlend blickte er meine neue Besitzerin an.

    »Sehen Sie, sie ist ganz zutraulich. Man muss nur wissen, wie man mit Katzen umgeht. Sie sind eigenwillige Tiere, aber hat man einmal ihr Vertrauen gewonnen, dann sind sie unersetzbar.«

    Mich noch immer kraulend, flüsterte er mir dann raunend ins Ohr: »Nun geh schon. Viel Glück!«

    Ein freundlicher Klaps vervollständigte die Aufforderung. Derart moralisch gestärkt, fasste ich endlich Mut. Mit einem eleganten Satz verließ ich meinen Käfig und lief erhobenen Hauptes und Schweifes leichtfüßig an meiner neuen Besitzerin vorbei, hinein in mein neues Zuhause. Dabei konnte ich nicht umhin zu bemerken, dass diese erschrocken einen Schritt zurücktrat, als ich den Saum ihres kostbaren synthetischen Gewandes wie unabsichtlich mit meinen langen Schnurrhaaren streifte.

    ~*~*~*~

    Sobald ich das Haus betreten hatte, umfloss mich angenehme Kühle. Vor mir lag eine weite, von einem Glasdach überwölbte Eingangshalle mit großen Pflanzenkübeln und einer Vielzahl abgehender Türen. Kaum war ich in der Mitte angekommen, verließ mich wieder jeglicher Mut. Wo sollte ich hin? Alle Türen waren geschlossen und die breite Treppe, die auf der linken Seite in sanftem Bogen in die zweite Etage führte, wurde durch ein großes Gitter versperrt. Man wollte offensichtlich vermeiden, dass ich nach oben gelangte.

    Na prima. Ich saß in der Falle.

    Eilig verkroch ich mich unter einer der großen Fächerpalmen und wartete nervös schnurrend ab.

    Von draußen drang neben dem Gemurmel der Menschen, die anscheinend die letzten bürokratischen Hürden meines Besitzerwechsels nahmen, ein schmaler Sonnenstrahl durch den Spalt der nur angelehnten Haustür. Staubpartikel trieben schwerelos darin herum. Es würde Spaß machen, ihnen nachzujagen, um dann ganz fürchterlich zu niesen, wenn sie mir in die Nase fuhren. Doch die Situation schien nicht dazu angetan, meinem Spieltrieb Folge zu leisten.

    Plopp! Mit einem dumpfen Ton fiel die Tür ins Schloss, der Sonnenstrahl verschwand. Ich machte mich für menschliche Verhältnisse ganz klein und wartete gespannt, was nun folgen würde.

    »Katze?«

    Blinzelnd bemühte sich die Neue, ihre lichtgeblendeten Augen an das Dämmerlicht der Eingangshalle zu gewöhnen. Als sie mich endlich ausmachen konnte, seufzte sie resigniert.

    »Natürlich, unter einer Palme. Das hätte ich mir ja denken können.«

    Dann machte sie drei große Schritte auf mich zu und sah von oben auf mich herab. Ich krümmte meinen Rücken, zog eine wenig die Mundwinkel hoch, damit meine Eckzähne besser zur Geltung kamen und fauchte leise warnend. Sie sollte mir bloß nicht zu nahe kommen. Wusste sie denn gar nichts über Katzen?

    Offensichtlich angemessen beeindruckt, wich sie einen Schritt zurück und seufzte wieder leise, diesmal fast traurig. Plötzlich schien ihr etwas durch den Kopf zu fahren.

    Regel Nummer 1 für Katzenbesitzer: Wenn Sie eine neue Katze erworben haben, versuchen Sie, ihr Vertrauen zu gewinnen. Denken Sie daran, Sie sind viel größer als das Tier. Das kann angsteinflößend auf das Tier wirken. Begeben Sie sich auf gleiche Höhe mit ihm.

    Die Frau ging nun vor mir in die Knie. Nun saßen wir einander Auge in Auge gegenüber. Eigentlich hätte ich kichern mögen, aber das ist einem als Katze leider verboten.

    Regel Nummer 5 für Katzen: Unterlasse jede Regung, die deinem menschlichen Teil entspringt.

    Zudem hätten die in meinen Reißzähnen eingebauten Modulatoren das Kichern ohnehin in merkwürdige Katzenlaute umgewandelt. Also verhielt ich mich ruhig und sah Mrs Divari gespannt an. Was jetzt? Sie schien es selbst nicht so recht zu wissen. Nach einigen zögernden Sekunden schien sie die Hand nach mir ausstrecken zu wollen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne und erhob sich wieder. Kühl von oben herab und mit befehlsgewohnter Stimme ließ sie verlauten: »Hör zu, Katze. Es war nicht meine Idee, dich ins Haus zu holen. Deshalb komm mir nicht in die Quere und vor allem, sieh mich nicht an. Das Haus ist groß genug, wir müssen uns also nicht begegnen. Derya wird sich um dich kümmern.«

    Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand festen Schrittes hinter einer der Türen. Von Ferne konnte ich sie noch nach Derya rufen hören.

    Ich blieb verstört unter meiner Palme zurück. War das der liebevolle und begeisterte Empfang, den man jedem einzelnen von uns prophezeit hatte? Behandelte man so neue Familienmitglieder?

    Ehe ich mir jedoch darüber tiefschürfendere Gedanken machen konnte, öffnete sich erneut eine der Türen und Derya kam beinahe unhörbaren Schrittes auf mich zu. Ohne jegliche Scheu hockte sie sich vor mich hin und fing an, mich vorsichtig zu streicheln.

    »Arme Miez. Das hast du dir sicher auch anders vorgestellt. Aber keine Bange, ich kümmere mich schon um dich. Magst du nicht mit mir in die Küche kommen? Du hast doch sicher Durst nach all der Aufregung.«

    Auffordernd zog sie mich an meinem Halsband.

    Jetzt, da Mrs Divari nicht in der Nähe war, schien Derya viel selbstsicherer zu sein. Das Lächeln, das nun auf ihrem Gesicht lag, verschönte ihr bis dahin unscheinbares Gesicht auf angenehme Weise. Ich rieb meinen Kopf leise schnurrend an ihrer Hand und schlich ihr unsicher nach.

    Die Küche selbst erschien mir riesig. Sie war mit jeglicher nur denkbaren technischen Raffinesse ausgestattet. Überall blitzte Chrom und Stahl, während die Schränke selbst in einem matten Hellgelb gehalten waren. Ich liebte diese Küche sofort. Trotz ihrer Größe wirkte sie warm und gemütlich und vor allem roch es ausnehmend verführerisch. Ehe ich mich jedoch genauer umsehen konnte, lockte mich Derya in eine Ecke. Dort fanden sich ein großer, gemütlicher Korb mit Kissen und Decke sowie ein Silbergestell mit mehreren auf Hochglanz polierten Schüsseln.

    Derya schien ganz in ihrem Element zu sein.

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