Du machst mich stark: Wie unser Glaube widerstandsfähig wird - Aus der Weisheit eines reichen Lebens
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Gordon MacDonald
Gordon MacDonald ist seit fünfzig Jahren Pastor und Autor. Er ist Kanzler des Denver Seminary, schreibt für das Leadership Journal und spricht weltweit auf Konferenzen.
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Reviews for Du machst mich stark
12 ratings1 review
- Rating: 5 out of 5 stars5/5There are certain books that break into my life at just the right time. This was one of those books for me. The sections on repairing the past and finding your 'happy few' were challenging and illuminating. The whole of the book reminded me of things I need to take with me if I'm going to live a resilient life and serve as a resilient pastor.
Book preview
Du machst mich stark - Gordon MacDonald
Der SCM-Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
Die Edition Edition AUFATMEN
erscheint in Zusammenarbeit
zwischen dem R.Brockhaus Verlag Wuppertal
und dem Bundes-Verlag Witten
Herausgeber: Ulrich Eggers
Dieses E-Book darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, E-Reader) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das E-Book selbst, im von uns autorisierten E-Book Shop, gekauft hat.
Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.
ISBN 978-3-417-22772-7 (E-Book)
ISBN 978-3-417-26626-9 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: le-tex
5. Gesamtauflage 2015
© der deutschen Ausgabe 2005 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG
Bodenborn 43 • 58452 Witten
Internet: www.scmedien.de | E-Mail: info@scm-brockhaus.de
Umschlaggestaltung: Yellow Tree – Agentur für Design und Kommunikation
www.yellowtree.de
Satz: Punkt für Punkt GmbH, Düsseldorf
INHALT
EINLEITUNG
Ein Jammerlappen
Fast fünfzig Jahre später
Im Rückblick
I
Menschen mit Ausdauer wollen einen starken Endspurt hinlegen
Kapitel 1
Aufgeben kommt nicht in Frage
Kapitel 2
»Gehen« ist undenkbar
Kapitel 3
Ausdauertraining ist eine tägliche Übung
Kapitel 4
Das Gesicht der Ziellosigkeit
Kapitel 5
Das Gesicht eines Siegers
II
Menschen mit Ausdauer haben das große Bild vor Augen
Das große Bild
Kapitel 6
Menschen mit Ausdauer wissen, in welche Richtung ihr Leben verläuft
Kapitel 7
Menschen mit Ausdauer sehen die großen Fragen des Lebens voraus
Kapitel 8
Menschen mit Ausdauer bereiten sich darauf vor, die großen Fragen des Lebens zu beantworten
Kapitel 9
Menschen mit Ausdauer entwickeln einen christlichen Charakter
Kapitel 10
Menschen mit Ausdauer sind für eine Berufung von Gott bereit
Kapitel 11
Menschen mit Ausdauer vertrauen darauf, begabt zu sein
Kapitel 12
Menschen mit Ausdauer wollen ein großzügiges Leben führen
II
Menschen mit Ausdauer sind frei von Lasten der Vergangenheit
Aus Niederlagen lernen
Kapitel 13
Die Vergangenheit in Ordnung bringen
Kapitel 14
Menschen mit Ausdauer erkennen die Macht der Erinnerung an
Kapitel 15
Die Macht der Erinnerung
Kapitel 16
Menschen mit Ausdauer praktizieren Buße
Kapitel 17
Menschen mit Ausdauer sind schnell zur Vergebung bereit
Kapitel 18
Menschen mit Ausdauer fließen vor Dankbarkeit über
Kapitel 19
Menschen mit Ausdauer nutzen die Weisheit der Vergangenheit
IV
Menschen mit Ausdauer trainieren für die lange Strecke
Sprinten oder die lange Strecke laufen
Kapitel 20
Menschen mit Ausdauer bereiten sich auf »Notfälle« vor
Kapitel 21
Menschen mit Ausdauer wissen genau, was geschafft werden muss
Kapitel 22
Menschen mit Ausdauer halten sich körperlich fit
Kapitel 23
Menschen mit Ausdauer halten sich geistig fit
Kapitel 24
Menschen mit Ausdauer zügeln ihre Gefühle
Kapitel 25
Menschen mit Ausdauer bändigen ihr Ego
Kapitel 26
Menschen mit Ausdauer öffnen ihr Herz für die Gegenwart Gottes
V
Menschen mit Ausdauer laufen im Kreis von »glücklichen Wenigen«
Die »glücklichen Wenigen«
Kapitel 27
Der Wert des Verweilens
Kapitel 28
Die Gefahr eines Lebens ohne Gemeinschaft
Kapitel 29
Wie Freundschaft funktioniert
Kapitel 30
Es gibt bestimmte Menschen ...
EPILOG
Ein Brief, den ich gern geschrieben hätte
Über den Verfasser
Eine Vorbemerkung von Gordon MacDonald
Im großen Wettlauf des Lebens gibt es einige Christen, die aus der Masse herausragen. Ich nenne sie Menschen mit Ausdauer. Je länger sie laufen, desto stärker werden sie. Sie scheinen folgende geistliche Qualitäten zu besitzen:
Menschen mit Ausdauer wollen einen starken Endspurt hinlegen.
Menschen mit Ausdauer haben das große Bild vor Augen.
Menschen mit Ausdauer sind frei von den Lasten der Vergangenheit.
Menschen mit Ausdauer trainieren für die lange Strecke.
Menschen mit Ausdauer laufen im Kreis von »glücklichen Wenigen«.
Die Christen, deren Bedrängnis so groß war, dass sie in Gefahr standen, ihr Gottvertrauen zu verlieren, erinnert der Verfasser des Hebräerbriefes an die Abenteuer der großen biblischen Helden. Sie waren Männer und Frauen mit einem unerschütterlichen Glauben, die ersten Christen mit Ausdauer. Dann stellt er diese Sieger als Zuschauer bei einem sportlichen Wettkampf dar und ruft seine Leser zu einem großen Rennen an den Start.
Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Ausdauer in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst. (Hebräer 12,1–3)
EINLEITUNG
Simon Petrus sprach zu Jesus: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. (...) Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. (Lukas 5, 8+10)
Ein Jammerlappen
Tief verankert in meinem Gedächtnis ist das Bild von einer weißen Anschlagtafel. Sie besteht, oder vielmehr bestand, aus einem einfachen Holzbrett (ungefähr 60 Zentimeter mal ein Meter fünfzig), das auf zwei senkrechte, zehn mal zehn Zentimeter dicke Pfosten genagelt war. In diesem Brett waren mindestens tausend alte Reißzwecke versenkt, die an die vielen Blätter erinnerten, die irgendwann einmal auf dieser Anschlagtafel angebracht gewesen waren. Diese Anschlagtafel stand in der Nähe der oberen Kurve einer Aschenbahn an der Stony Brook School, an der Nordküste von Long Island, New York.
Die Zettel, die jeden Wochentag gegen Mittag auf die Anschlagtafel geheftet wurden, spielten in den drei Jahren, die ich als Schüler in Stony Brook verbrachte, eine wichtige Rolle in meinem Leben.
Einige betrachteten dieses weiße Anschlagbrett als das persönliche Eigentum von Marvin W. Goldberg (MWG war sein bestens bekanntes Kürzel). Er war in Stony Brook der Trainer der Laufmannschaft. Ich kann ihn jetzt noch vor mir sehen (fast fünfzig Jahre später), wie er sein Büro verlässt – kurz vor dem Klingeln der Mittagsglocke – und zur Aschenbahn geht. In der einen Hand hat er mehrere Blätter Papier, und in der anderen Reißnägel, mit denen er die Blätter an das Brett heftet.
Auf den Blättern stand mit blauer Tinte aus der breiten Spitze von Goldbergs Füller das individuelle Trainingsprogramm für jedes Mitglied seiner Mannschaft: Aufwärmen, Konditionstraining und Technikübungen.
Läufer, deren Name, wie meiner, mit einem M begann, standen normalerweise auf dem dritten oder vierten der sieben Blätter, die Goldberg an das weiße Brett heftete. Neugierig trabte ich oft zur Aschenbahn hinunter, sobald der Trainer wieder fort war, um zu erfahren, was er an diesem Tag für mich plante.
Wenn ich es nicht schaffte, selbst zur Anschlagtafel zu laufen, taten dies andere Mannschaftskameraden. Beim Mittagessen konnte man dann die Läufer zueinander sagen hören: »Du wirst nicht glauben, was Goldberg heute für dich vorhat!« oder »Dich beneide ich heute Nachmittag wirklich nicht!« Nie sagte jemand: »Heute wartet ein gemütlicher Nachmittag auf der Aschenbahn auf uns! Goldberg lässt uns bis zum Umfallen laufen. Ich kann es kaum erwarten.«
Um fünfzehn Uhr dreißig begann für das Laufteam das Training. Zuerst kam das unerbittliche Aufwärmen, dann das Konditionstraining mit dem Ziel, Ausdauer und Geschwindigkeit zu erhöhen, und zum Schluss die Technikübungen: Verbesserung der Schrittlänge, Übung der Stabübergabe, Gespräch über die Wettkampfstrategie und so weiter.
Das Konditionstraining, von dem jede Einheit ungefähr zwei Stunden dauerte, war von Trainer Goldberg sorgfältig ausgearbeitet worden. Die Übungen waren nicht aus einer Laune des Trainers heraus entstanden. Alles stand in Übereinstimmung mit einem persönlichen Plan, der für jeden einzelnen Läufer Monate (wenn nicht sogar ein ganzes Jahr) vorher aufgestellt worden war. Wenn man ihn fragte, warum man an einem verschneiten Donnerstagnachmittag im Januar bestimmte anstrengende Übungen machen musste, konnte man zur Antwort bekommen: »Wenn du das jetzt schaffst, ermöglicht dir das, beim Penn-Staffelwettbewerb Ende April 400 Meter in (hier nannte er eine bestimmte Zeit) zu schaffen. Dann fügte er noch hinzu: »Alles was wir heute tun, zahlt sich Ende Mai aus. Du wirst schon sehen.«
Die Stabübergabe in der Staffelmannschaft ist ein gutes Beispiel für das Techniktraining: Fünfundzwanzig Minuten Stabübergabe bei voller Geschwindigkeit üben. Ermüdend! Der Trainer erinnerte die Staffelmannschaft wiederholt daran, dass knappe Rennen bei der Stabübergabe gewonnen oder verloren werden. Das rechtfertigte sein Bemühen um das perfekte Timing bei der Übergabe. Einen Stab bei der Übergabe fallen lassen? Undenkbar! Das hätte Marvin Goldberg unglücklich gemacht.
MWG war sich dessen bewusst, dass einige von uns hinter seinem Rücken über das endlose Einüben der Stabübergabe klagten. »Du bist dein ganzes Leben lang Teil von Staffelmannschaften«, sagte er eines Tages zu mir. »Wenn du eine Familie hast oder wenn du mit Leuten im Beruf zusammenarbeitest, wird es Augenblicke geben, in denen du eine wichtige Botschaft oder Aufgabe an jemanden weitergeben musst. Bei diesen Stabübergaben im Leben passieren die meisten Fehler und beginnen oft die Probleme. Übe also jetzt diese Art der Stabübergabe ein, und du wirst später für wichtigere Übergaben bereit sein.«
Ich brauchte Jahre, bis ich die größere Perspektive des Trainers schätzen lernte. Als Jugendlicher sah ich darin nicht viel mehr als die Übergabe eines Stockes von einer Hand in die andere. Aber Goldberg sah alles unter dem Gesichtspunkt, Menschen für die Zukunft aufzubauen. Ich konnte damals noch nicht so weit vorausschauen.
Ich habe schon oft über Marvin Goldberg und den unauslöschlichen Eindruck, den er in meinem jungen Leben hinterlassen hat, geschrieben und gesprochen. Er war ein ernster Mann, der von jedem das Beste erwartete. Menschen, die ihn kannten, würden wahrscheinlich nicht behaupten, dass er einen großen Sinn für Humor hatte, aber sie erinnern sich bestimmt an seine Leidenschaft für Perfektion und totale Hingabe. Zweifellos erinnern sie sich auch an seinen Ehrgeiz, jungen Männern (und später, als an Stony Brook weibliche Schüler zugelassen wurden, auch jungen Frauen) zu helfen, ihr menschliches Potenzial zu entwickeln, und sie werden nie vergessen, dass es sein Wunsch war, den lebenslangen Gehorsam gegenüber Gott zu ihrem höchsten Ziel zu machen.
Ich kam in meinem zweiten Highschooljahr nach Stony Brook. Ich kam mit der Absicht, Football zu spielen. Ich träumte von dem Tag, an dem der Footballtrainer mir beim Sportlerempfang ein großes »S« überreichen würde. Dass er sagen würde: »Und jetzt eine Auszeichnung für Stony Brooks größten Running Back und den besten Spieler dieses Jahres ...« Der Buchstabe würde auf einen weißen Strickpullover genäht werden, und in meiner Fantasie bat irgendein hübsches Mädchen mit Pferdeschwanz, ob sie den Pullover für einen Nachmittag anziehen dürfe.
Die größte Hürde zwischen mir und diesem »S« bestand leider darin, dass ich dürr war wie eine Bohnenstange. Und das stellte mich in den ersten Tagen des Herbstfootballtrainings vor ernste Probleme. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, dass von mir erwartet würde, gegen Spieler anzurennen, die erheblich (und das ist eine Untertreibung!) stämmiger gebaut waren als ich. Niemand hatte mir erzählt, dass diese Riesen einem mit Vergnügen wehtaten. Da ich nicht besonders viel von blauen Flecken und Schrammen hielt, waren meine Tage als Footballspieler gezählt.
Ich stelle mir ein Telefongespräch zwischen den Footballleuten und Trainer Goldberg vor. »Marvin, wir haben hier einen Jungen. Er ist, ehrlich gesagt, ein kleiner Jammerlappen. Er tut sich nicht gern weh. Aber dieser Jammerlappen kann gut laufen. Vielleicht möchtest du ihn dir anschauen. Es wäre nicht schlecht, wenn du das bald tun könntest. Wir brauchen seinen Spind und seine Schoner.«
Ich weiß natürlich nicht, ob ein solches Gespräch stattgefunden hat oder nicht. Tatsache ist, dass ich vom Footballtrainer an den Lauftrainer weitergereicht wurde. Am nächsten Tag meldete ich mich in einer Badehose und mit hohen Trainingsschuhen auf der Aschenbahn. Mehrere zähe, schnelle, konditionsstarke Läufer, die bereits auf der Aschenbahn ihre Runden drehten, grinsten.
In den ersten Tagen lief ich viel, und Trainer Goldberg stoppte meine Zeiten. Er schaute mir zu, machte dann ein paar Vorschläge zu meinen Armbewegungen, meiner Kopfhaltung oder meiner Schrittlänge. Er verteilte nur selten Komplimente und kritisierte viel. Mein Selbstvertrauen – das auf dem Footballfeld bereits sehr angeschlagen worden war – sank noch tiefer, da dieser Mann kein einziges Wort darüber verlor, welchen Eindruck er von meinen Laufqualitäten hatte. Nichts! Ich begann daran zu zweifeln, dass ich jemals das große »S« von Stony Brook bekäme, weder als Footballspieler, noch als Läufer. Alles, was Goldberg am Ende einer Übungseinheit sagte, war: »Bis morgen.« Also trat ich am nächsten Tag wieder an.
Doch eines Tages rief mich Goldberg zu sich, als ich gerade eine Reihe Sprints hinter mir hatte: »Gordie, komm bitte her.« Gordie. Der Trainer hatte mir einen neuen Namen gegeben. Die Footballtrainer hatten mich einfach MacDonald oder Mac genannt. Aber für Marvin Goldberg war ich ab dem ersten Tag »Gordie«. Mir gefiel dieser Name, und – so seltsam es klingen mag – er veränderte das Bild, das ich von mir selbst hatte. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, »Gordon« sei der Name eines alten Mannes. Er hatte mir nie gefallen. Hatte MWG das geahnt? Heute bin ich ein älterer Mann, und ich bin wieder für alle Gordon. Nur meine Frau nennt mich immer noch »Gordie«, besonders wenn sie mit mir zufrieden ist. Ein »Gordon!« aus ihrem Mund ist eine Sturmwarnung.
Als ich meinen neuen Namen hörte, lief ich in Goldbergs Richtung. Er stand neben der weißen Anschlagtafel. Als ich bei ihm ankam, legte mir Goldberg die Hand auf die Schulter und begann zu sprechen. Ich versuche, mich nach den vielen Jahren so gut wie möglich an seine Worte zu erinnern: »Gordie, ich habe dich genau beobachtet. Ich glaube, du hast das Zeug zu einem ausgezeichneten Läufer. Du hast den Körper eines Läufers und ein natürliches Talent. Und du bist schnell. Aber du musst noch viel lernen. Wenn du für Stony Brook in einem Wettkampf laufen willst, musst du schwer arbeiten. Du musst Selbstdisziplin üben, und das heißt, dass du mir vertrauen und meine Anweisungen befolgen musst. Jeden Tag musst du auf diese Aschenbahn kommen und das Training absolvieren, das auf dieser Anschlagtafel steht. Also, Gordie (der Trainer wiederholte oft den Namen seiner Läufer), lass dich nicht darauf ein, wenn du nicht bereit bist, alles was du hast, dafür zu geben.« Dann stellte er mir die folgenschwere Frage: »Gordie, bist du bereit, den Preis zu zahlen, den es kostet, ein Stony-Brook-Läufer zu werden?«
Wenn ich jetzt mit etwas größerer Weitsicht zurückblicke, begreife ich, wie wenig Ahnung ich davon hatte, was dieser Mann da sagte. Ich hörte die Worte, verstand aber ihre Bedeutung kaum. Ihm vertrauen? Seine Anweisungen befolgen? Den Preis zahlen? Noch nie hatte jemand so mit mir gesprochen! »Klar, warum nicht?«, dachte ich. »Vielleicht bekomme ich dann doch noch ein ›S‹.«
Ich glaube, dass ich an jenem Tag, an dem Marvin Goldberg mich zur weißen Anschlagtafel rief, meine ersten ernsten Schritte unternahm, um ein Mann zu werden. Ich glaube sogar, die Aschenbahn verhalf mir zu meinem heutigen Verständnis davon, was Leben heißt, und insbesondere, was christliches Leben heißt. Goldberg lud mich ein zu entdecken, was Ausdauer ist. Ein sehr wichtiger Begriff auf meinem geistlichen Weg. Heute weiß ich, dass ich zuerst als Sportler lernte, was Ausdauer heißt. Erst später und ganz langsam lernte ich das auch als Nachfolger Jesu.
Aus diesem Grund zieht sich die Geschichte von Marvin Goldberg wie ein roter Faden durch dieses Buch. Das, was er mich lehrte, als ich sechzehn war, bestimmt in großem Maß, wie ich heute, mit fünfundsechzig Jahren, lebe.
An jenem unvergesslichen Tag verlangte der Trainer von mir keine sofortige Antwort. Vielmehr sagte er: »Geh jetzt von der Aschenbahn nach Hause und denk über das nach, was ich dir gesagt habe. Wenn du entschieden hast, was du willst, komm wieder und lass es mich wissen.«
Einen Tag später sagte ich Marvin Goldberg, dass ich ihm vertrauen wollte, und dass ich bereit sei, den Preis zu zahlen. Am nächsten Tag tauchte mein Name zum ersten Mal auf dem dritten der sieben Blätter, die auf das weiße Anschlagbrett geheftet waren, auf.
Vier Monate später trug ich meinen ersten weißen Pullover mit einem großen »S«.
Fast fünfzig Jahre später
Vor ein paar Jahren lud mich der Rektor der Stony Brook School ein, die Rede bei den bevorstehenden Abschlussfeiern zu halten. Ich sagte sofort begeistert zu. Obwohl es bis zu dieser Veranstaltung noch mehrere Monate dauerte, malte ich mir aus, wie es wäre, auf dieses schöne Schulgelände zurückzukehren, das in den 50er Jahren drei Jahre lang mein Zuhause gewesen war.
Ich habe Stony Brook geliebt, und ich war immer dankbar für das Opfer, das meine Eltern auf sich genommen hatten, um mich dorthin schicken zu können. Die Männer und Frauen, bei denen ich in die Schule ging, waren solide, reife, noble Menschen gewesen. Durch sie habe ich ein wunderbares Gesamtbild davon bekommen, was es heißt, ein Mann oder eine Frau zu sein. Ich begegnete Beispielen von guten Ehen, überdurchschnittlichen Charakteren und klugen Köpfen. Und niemand hat das für mich stärker repräsentiert als Marvin Goldberg.
Jetzt, Jahrzehnte später, sollte ich als Redner bei einer Abschlussfeier zurückkehren. Ich wollte, dass meine Frau Gail mitkäme. Außerdem wollte ich unsere zwei ältesten Enkelkinder Erin und Lucas auch an diesem Erlebnis teilhaben lassen. Ich konnte mich sehen, wie ich sie über den Campus führte und ihnen die Orte zeigte, mit denen ich besondere Erinnerungen verband.
Als Erstes würde ich sie zur Bibliothek führen, überlegte ich, wo ich unzählige Stunden über Büchern verbracht hatte. Dann würde ich ihnen meinen alten Schlafsaal im dritten Stockwerk zeigen, wo ich ein unvergessliches Abschlussjahr verbracht hatte.
Ich hatte vor, die Kapelle zu besuchen, ein schönes, traditionelles Anbetungshaus mit einem kleinen Turm. Ich hatte mich oft nach dem Lauftraining in diesen kleinen Raum der Stille zurückgezogen und Klavier gespielt, während die Dunkelheit sich über den Campus legte.
Aber der beste Augenblick bei dem Besuch in Stony Brook würde es sein, wenn ich Gail, Erin und Lucas mit zur Aschenbahn nehmen würde, auf der ich so viele Nachmittage verbracht hatte. Ich stellte mir vor, wie ich ihnen die weiße Anschlagtafel zeigen und ihnen meine Spannung beschreiben würde, während ich auf diesem dritten Blatt meinen Namen suchte um zu erfahren, welches Training Trainer Goldberg für mich ausgearbeitet hatte.
Schließlich kam das Wochenende. Genau wie ich es geplant hatte, besuchten wir die Bibliothek, besichtigten meinen alten Schlafsaal und warfen einen Blick in die Kapelle. Dann ging es weiter zur Aschenbahn.
Aber die Aschenbahn – meine Aschenbahn – war nicht mehr da! Alles war anders. Die Laufbahn war verlegt worden, und die neue hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem, was ich gekannt hatte. Diese Bahn hier hatte eine moderne, witterungsbeständige Laufoberfläche. Auf dieser neuen Bahn hätte ich Weltrekorde laufen können!
Die weiße Anschlagtafel? Auch fort! Was war aus ihr geworden? Und warum war ich so enttäuscht, als ich sie nicht fand?
Meine starken nostalgischen Gefühle zeigten, wie sehr mein Leben während jener Jahre in Stony Brook verändert worden war. Ich war als Junge dorthin gekommen. Als ich wegging, war ich ein Mann. Ich kam hin und fragte mich, was im Leben von mir erwartet würde. Als ich wegging, hatte ich einige Antworten. Ich kam dorthin und war auf der Suche nach Vorbildern für christliche Reife. Als ich wegging, hatte ich sie gefunden. Einen großen Teil dieser Entdeckungen machte ich auf Marvin Goldbergs Aschenbahn. Vielleicht war ich deshalb so erschüttert, als ich feststellte, dass sie nicht mehr da war.
Drei Jahre lang war ich fast jeden Nachmittag mit Laufschuhen in den Händen zu der weißen Anschlagtafel gegangen und hatte den Trainingsplan für den Tag betrachtet. Keine dieser Trainingseinheiten war je leicht gewesen. Bis ich endlich kapierte, dass der Trainer nie nachgeben würde, versuchte ich manchmal, wegen der einen oder der anderen Übung mit ihm zu verhandeln.
»Sir, haben Sie wirklich gemeint, dass ich heute zehnmal 400 laufen soll? Ich weiß nicht, ob ich ...«
»Sir, ich wollte nur fragen, ob Ihr Füller vielleicht ausgerutscht ist, als er fünf Meilen Konditionstraining schrieb.« Es war leichter, Goldbergs Füller in Frage zu stellen als Goldberg selbst.
»Sir, wir haben gestern zwölfmal 200 gesprintet; wollten Sie wirklich, dass ich heute fünfzehnmal 200 sprinten soll?«
»Sir, ich bin erkältet. Ich habe rasende Kopfschmerzen. Ich habe mir das Schienbein angeschlagen ... Sir, ich glaube, ich sterbe!«
»Was ist, Gordie?«, sagte er dann zu mir. »Warum fängst du nicht an, dich aufzuwärmen? Du wirst dich viel besser fühlen, wenn du dich gelockert hast.« MWG ließ nicht mit sich handeln. Er hatte Pläne für seine Läufer, und er hatte die Absicht, sich daran zu halten. Er wusste, dass ich (und andere) zu guten Leistungen fähig waren. Das heißt, dass er mehr an uns glaubte, als wir selbst an uns glaubten.
Aber ich möchte es noch einmal betonen: Was ich damals nicht verstand (was ich aber jetzt verstehe), war, dass Goldberg in die Zukunft sah: Er sah unser Leben mit fünfunddreißig, siebenundvierzig oder achtundfünfzig – wenn wir eine viel größere Verantwortung tragen und nicht auf die Verführungsrufe von Schnupfen und Kopfschmerzen und andere Ablenkungen würden hören dürfen, sondern das würden tun müssen, was getan werden musste. Er half uns, mit fünfzehn und sechzehn zum ersten Mal zu erfahren, dass derjenige Befriedigung im Leben erfährt, der Selbstbeherrschung praktiziert, und der bereit ist, seinen Körper und seinen Geist zu fordern und natürliche Widerstände zu überwinden. Wir dachten an Bequemlichkeit. Er dachte an ... Ausdauer.
Heute – fünfundvierzig Jahre später – lebt Trainer Goldberg im Himmel. Aber er lebt auch in meinem Herzen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht an seinen Einfluss auf mein Leben erinnert werde.
Ich bin in meinem 65. Lebensjahr und laufe in unserer Kleinstadt in New Hampshire über die Shaker Road. Es nieselt leicht; meine Beine sind schwer. Und eine Stimme in mir schlägt vor, dass ich umkehre.
Aber dann ertönt irgendwo in meinen Erinnerungen die Stimme des Trainers: »Wenn du jetzt aufgibst, Gordie, kann es leicht passieren, dass du später bei etwas Wichtigerem auch aufgibst.« Also laufe ich weiter, weil der Trainer nicht locker lässt.
Der Abgabetermin für etwas, das ich zu schreiben versprochen habe, rückt immer näher. Ein Teil von mir will dem Lektor eine E-Mail schicken und ihm sagen, dass ich zu viel zu tun habe und meine Verpflichtung nicht einhalten kann. Wieder meldet sich Goldberg zu Wort: »Gordie, du hast eine Verpflichtung einzuhalten. Du hast dein Wort gegeben.«
Ein Enkelkind ruft an, um zu fragen, ob wir uns treffen können. Für einen kurzen Moment bin ich versucht, es auf ein anderes Mal zu vertrösten, weil ich dringende Dinge zu erledigen habe, die mir so wichtig erscheinen. Und ich höre den Trainer sagen: »Gordie, Männer und Frauen wie ich waren für dich da. Denk darüber nach ...«
In meiner Geschäftigkeit bin ich versucht zu verdrängen, dass ich mir Zeit nehmen muss, um meine Seele ruhig werden zu lassen und auf Gott zu hören. Sehr häufig meldet sich in solchen Momenten der Trainer zu Wort: »Gordie, wie oft haben wir darüber gesprochen, wie wichtig dein Training ist und dass es dich auf das Rennen vorbereitet? Deine Kondition wird Tag für Tag durch das Training aufgebaut. Aber du musst auch deine Seele trainieren.«
Ich sage Ihnen, der Trainer »lebt«. Und was höre ich immer wieder von ihm? Dass das Rennen des Lebens ein Langstreckenlauf ist, kein Sprint. Ich muss ein geistliches Leben entwickeln, das diese Entfernung zurücklegt und nie den Blick auf den Führungsläufer verliert, auf Jesus. Das ist