Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Liebst Du mich auch?: Die Gefühlswelt bei Hund und Mensch
Liebst Du mich auch?: Die Gefühlswelt bei Hund und Mensch
Liebst Du mich auch?: Die Gefühlswelt bei Hund und Mensch
Ebook605 pages10 hours

Liebst Du mich auch?: Die Gefühlswelt bei Hund und Mensch

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Hunde und Menschen gehören zwar verschiedenen Arten an, aber die aktuelle Wissenschaft liefert faszinierende und unwiderlegbare Beweise dafür, dass unsere Gemeinsamkeiten größer sind als unsere Unterschiede. Das gilt auch für die Fähigkeit zum Empfinden von Gefühlen, die Hunden wie allen anderen Tieren auch von der Wissenschaft lange Zeit abgesprochen wurde.

Die Autorin beleuchtet, wie Gefühle entstehen, wozu sie dienen und warum sie für Menschen und Tiere gleichermaßen wichtig sind. Dabei weiß sie wissenschaftliche Tatsachen so mit Herz und Humor zu vereinbaren, dass das Lesen zu einem gleichermaßen lehrreichen wie unterhaltsamen Vergnügen wird. Lesen Sie, wie Angst, Zorn, Glück, Liebe, Mitleid, Trauer oder Eifersucht unsere Hunde und uns miteinander verbinden und wie wir lernen können, die subtilen Signale der Gesichtsmimik und Körpersprache unserer Hunde als Gradmesser für ihren Gefühlszustand besser zu erkennen: Ab sofort werden Sie Ihren Hund mit anderen Augen sehen.

Vorsicht, wenn Sie anfangen, dieses Buch zu lesen: Es könnte sein, dass Sie bis tief in die Nacht hinein wach bleiben. "Ein Muss für alle Hundebesitzer." (Stanley Coren)
LanguageDeutsch
PublisherKynos Verlag
Release dateApr 23, 2012
ISBN9783942335713
Liebst Du mich auch?: Die Gefühlswelt bei Hund und Mensch

Read more from Patricia B. Mc Connell

Related to Liebst Du mich auch?

Related ebooks

Dogs For You

View More

Related articles

Reviews for Liebst Du mich auch?

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Liebst Du mich auch? - Patricia B. McConnell

    AUCH?

    1

    GEFÜHLE

    Eine Erklärung der Gefühle und warum sie bei Tieren so widersprüchlich sind

    Am Anfang war alles, was ich aus dem Augenwinkel heraus wahrnahm, etwas verschwommen Weißes. Es war weit weg, so um die fünfhundert Meter, und ich war zuerst nicht sicher, was es war. Meine Konzentration galt meinem Border Collie Luke, der in etwa zweihundert Meter Entfernung mit Höchstgeschwindigkeit rannte. Ich hatte ihn zu einer weit entfernt grasenden Schafherde geschickt. Wir waren auf einem dieser »Spaßtreffen« von Hütehund-Enthusiasten, an dem alle in der Atmosphäre von Hunden, Schafen und den schlabbrigen Liebesbezeugungen kleiner Welpen baden.

    Viele Menschen, die an diesem Tag da waren, nahmen sonst ernsthaft an Hütehundwettbewerben teil und waren dankbar für die Gelegenheit, irgendwo auswärts einmal ihre Fertigkeiten verfeinern zu können. Luke und ich hingegen waren einfach nur zum Spielen da. Luke war zu alt für die Teilnahme an Wettkämpfen und wir waren aus reinem Vergnügen hergekommen. Wir arbeiteten gerne zusammen, Luke und ich, wenn wir ruhig, vorsichtig und mit aller Raffinesse Schafe übers Land trieben. Als klassischer Workaholic liebte Luke die Arbeit an den Schafen so sehr, dass er weder an Futter noch an Tennisbällen oder sogar an läufigen Hündinnen interessiert war, wenn es einen Job zu erledigen gab. Meinem verlässlichen schwarzweißen Hund dabei zuzusehen, wie er vor dem smaragdgrünen Hügel einen perfekten Outrun hinlegte, weitete mein Herz und füllte meine Seele. So fühlte ich auch an diesem Morgen, als ich zuschaute, wie mein guter alter Hund perfekt und zuverlässig auf die Wollknäuel da hinten auf dem Hügel zulief.

    Aber all meine Gefühle änderten sich schlagartig, als mir bewusst wurde, dass das verschwommen Weiße, das da auf Luke zurannte, ein fünfzig Kilo schwerer Pyrenäenberghund war, ein Herdenschutzhund, der sich aus seiner vorübergehenden Gefangenschaft befreit hatte und nun auf Luke zuwalzte, um seine Herde zu schützen. Wir waren auf einer riesigen, allein gelegenen Farm, auf der mehrere Schafherden verteilt lebten – ein gedeckter Tisch für die häufig hier übers Land streunenden Kojoten und verwilderten Hunde. Viele Schafhcüter im Süden Wisconsins brauchen Schutzhunde, um ihre Herden zu sichern, und diese Farm hatte zwei davon. Im Gegensatz zu meiner Herdenschutzhündin Tulip, die die Farm nun von der Wohnzimmercouch aus bewacht, lebten diese Hunde ausschließlich in der Herde und nahmen ihren Job todernst, alles und jeden umzubringen, der ihre Schafe bedrohte.²

    Als ich den Herdenschutzhund auf Luke zurennen sah, verwandelte sich mein Gefühl der freudigen Erfüllung in blankes Entsetzen. Der Gedanke, dass ich vielleicht gleich zusehen müsste, wie mein Hund angegriffen und möglicherweise getötet werden würde, überwältigte mich. Ich liebe Luke so sehr, dass es schon beinahe schmerzt.³ In Der Hund ist mein Copilot, einem Aufsatz darüber, warum wir Hunde so sehr lieben, hatte ich über Luke geschrieben: »Ich liebe ihn so tief und vollkommen, dass ich mir seinen Tod so vorstelle, als ob aller Sauerstoff aus der Luft genommen würde und ich ohne ihn zu überleben versuchen müsste.«

    Voller Horror bei dem Gedanken an das, was meiner Meinung nach gleich geschehen würde, schrie ich: »Der Schutzhund ist raus, der Schutzhund ist raus!« Das, was alle sehen konnten, auszusprechen, trug zwar nicht zur Problemlösung bei, aber mir schien es alles zu sein, was ich tun konnte. Eine Sekunde lang, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, war mein Verstand ein schwarzes Loch, so, als ob meine Gefühle den rationellen Teil meines Gehirns aufgesogen und nur eine leere Schädelhöhle mit nichts als Angst darin zurückgelassen hätten. Ich kann mich jetzt noch an die Panik erinnern und mir die Szene vor meinem inneren Auge wie auf einem Foto vorstellen: Die smaragdgrüne Weide, der schwarzweiße Luke in vollem Lauf genau da, wo er sein sollte und eine weiße Kugel voller Unheil, die über das Gras auf ihn zuschoss.

    Aber was war mit Luke? Was ging durch seinen Kopf, als er im Gras kauerte und dieser Killer in Hundegestellt auf ihn zurannte? Hatte er genauso viel Angst wie ich? Und wenn ja, wie sehr ähnelte seine Version von Angst der meinen?

    Luke und ich waren beste Freunde, so wie viele Hunde und Menschen auf der ganzen Welt beste Freunde sind. Wie Freunde das so tun, teilten wir lange Spaziergänge in schattigen Wäldern miteinander, leckere Abendessen mit Brathühnchen oder Lamm und lange, schläfrige Schmusestunden auf der Couch im tiefen Winter. Wir teilten harte Zeiten miteinander, wenn wir mit wilden Augen dreinschauende Marktlämmer auf den Laster verluden, uns spät in der Nacht auf fremden, einsamen Straßen verfahren hatten oder bei der Hütearbeit Fehler machten, die uns wertvolle Zeit und Energie und bei einer Gelegenheit auch eine blaue Schleife auf einem Hütehundwettbewerb gekostet hatten. Wir spielten zusammen, arbeiteten zusammen, trösteten einander und zankten gelegentlich ein bisschen. Unsere beiden Leben waren in vielerlei Hinsicht so eng miteinander verbunden wie die von zwei menschlichen besten Freunden.

    All diese Erfahrungen sagen aber nicht viel darüber aus, wie wir die Welt im Inneren unseres Kopfes erlebten. Wir haben zwar äußerliche Erfahrungen wie die Spaziergänge im Wald und Schlummerstündchen auf der Couch geteilt, aber was ist mit den inneren Erfahrungen? Wie viel hatten wir da gemeinsam? Ich sagte bereits, dass Luke manchmal die Geduld mit mir verlor – aber woher wollte ich das wissen? Wie kann irgendjemand von uns ohne Sprache als Brücke wissen, was in den Köpfen unserer Hunde vorgeht?

    In gewisser Hinsicht können wir es auch nicht. Wir werden nie erfahren, wie es ist, ein Hund zu sein; manche sind der Meinung, dass wir es auch gar nicht erst versuchen sollten. Aber viele von uns versuchen jeden Tag, das Geistesleben unserer Hunde zu verstehen und wir werden bestimmt nicht aufgeben, nur, weil das schwierig ist. Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen ist, dass ich auf dem Wohnzimmerboden lag und mich fragte, was wohl im Kopf unserer Hündin Fudge vorginge. Ich wollte wissen, was sie dachte und fühlte. Schon im Alter von fünf oder sechs hatte ich mich gefragt: Wie sieht das Leben in ihrem weichen, pelzigen, kleinen Kopf aus? Ist sie glücklich? Ist sie traurig?

    Dies sind vernünftige Fragen für jeden Hundebesitzer. Unsere emotionale Verbindung zu unseren Hunden ist der Leim, der uns an sie bindet, und es ist nur allzu natürlich, dass wir mehr über ihre emotionale Bindung an uns erfahren möchten. Mit unseren Hunden können wir nicht wie mit unseren menschlichen Freunden stundenlange intellektuelle Diskussionen führen – vielleicht macht auch das einen Teil der Anziehungskraft aus. Unsere Intelligenz und unsere Fähigkeit zum Sprachgebrauch können unsere zwischenmenschlichen Beziehungen manchmal ganz schön kompliziert machen, wie jeder Ehe- oder Familienberater Ihnen bestätigen kann. Unsere Beziehungen zu Hunden sind in vielerlei Hinsicht einfacher als die zu Menschen, aber dass es etwas einfacher ist, heißt noch nicht, dass es weniger wichtig ist. E = mc² ist eine einfache Gleichung, die einen sehr hohen Wert hat. Vielleicht ist unsere emotionale Bindung zu Hunden so ähnlich: rein, ursprünglich und so grundlegend wichtig wie Sauerstoff und Wasser.

    Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich in dieser endlosen Sekunde, in der Luke in Gefahr war, losrannte oder vor Schreck erstarrt stehen blieb, aber es dauerte nur einen Moment oder zwei, bis eine ruhige Frauenstimme hinter mir sagte: »Legen Sie Ihren Hund ins Down.« Ich werde ihr ewig dankbar sein, denn das war die perfekte Anweisung. Ein Herdenschutzhund im Dienst wird vermutlich nicht aggressiv auf einen Hund reagieren, der sich flach hinlegt und ruhig bleibt, anstatt wie ein hungriger Wolf auf die Schafe zuzurennen. »Lie down!« schrie ich, und zweihundert Meter entfernt ließ sich Luke in den Dreck fallen wie ein Marinesoldat im Manöver. Wäre Luke noch ein jüngerer Hund gewesen, wäre er vielleicht weitergerannt. Von einem Hund zu verlangen, mitten in einem Outrun zu stoppen, geht gegen seine Natur, und auch wenn ein erfahrener, wettkampffertiger Hütehund das beherrschen sollte, ist es doch eine schwierige Übung, die viel ernsthafte gemeinsame Arbeit voraussetzt.

    Vielleicht haben sein Alter und seine gute Ausbildung Luke das Leben gerettet, weil er sich auf meine erste Aufforderung hin ins Gras fallen ließ. Gerade noch rechtzeitig: Der Herdenschutzhund war in wenigen Sekunden bei ihm angekommen. »Bleib da,« sagte ich mit langsamer, gleichmäßiger Stimme, und kam allmählich endlich wieder so zur Besinnung, dass ich funktionieren konnte. Luke blieb bewegungslos wie gegen den Hügel geklebt liegen, während der Pyrenäenberghund ihn vom Kopf bis zu den Zehen abschnüffelte. (Na ja, genaugenommen schnüffelte er vom Hinterteil angefangen bis zum Fang, aber Sie wissen, was ich meine.)

    Auch wenn ich immer noch schreckliche Angst hatte, dass Luke etwas passieren könnte, arbeitete mein Gehirn doch wieder und ich konnte mich daran erinnern, dass auch mein eigener Herdenschutzhund darauf bestand, jeden Hund, der zu Besuch kam, vom Kragen an abwärts zu inspizieren. Nur ein einziges Mal hatte Tulip aggressiv auf einen zu Besuch gekommenen Hund reagiert – als dieser vor ihr wegrannte, anstatt zur Leibesvisitation stillzustehen. Das erinnert mich an die Sicherheitskontrolleure auf dem Flughafen, die uns wohlgesonnen sind, wenn wir ihren Anweisungen folgen, aber sofort auf jeden reagieren, der irgendwie Widerstand leistet. Tulip verhält sich ganz ähnlich, und sobald sie festgestellt hat, dass die hündischen Touristen kein Äquivalent zu scharfen oder spitzen Gegenständen in der Tasche haben, ignoriert sie sie oder fordert sie zum Spielen auf. Genau das geschah auch an jenem Morgen auf dem Hütehundtreffen. Nach einer Runde intensiven Beschnüffelns trottete der Hund fort, um nach seiner Herde zu sehen. Schon bald kam sein Besitzer und brachte ihn weg, Luke konnte seinen Outrun fortsetzen und die Schafe den Hügel hinab zu mir bringen.

    Nach dem Zwischenspiel mit dem Herdenschutzhund hatten wir noch viel Spaß bei der Arbeit mit der Herde und fuhren müde von dem Tag an der frischen Luft nach Hause. Später erzählte ich einer Kundin, was passiert war, und sie befürchtete, dass Luke eine Traumatisierung davongetragen haben könnte. »Sehen Sie meinen armen alten Brandy hier an (der Hund, der zu ihren Füßen lag und wegen eines schwerwiegenden Aggressionsproblems zu mir ins Büro gekommen war). Er hat nie vergessen, wie er einmal von diesem schwarzen Labrador auf der Hundewiese angegriffen wurde. Sie können es ja jetzt noch in seinen Augen sehen.«

    Es war schwierig, in Brandys Augen zu sehen, weil diese von champagnerfarbenen Ponyfransen verdeckt waren, aber was ich erkennen konnte, sah ziemlich nach einem Hund aus, der glücklich an dem von mir geschenkten Kauknochen herumnagte. (Wir werden später noch darüber sprechen, wie traumatische Ereignisse das Verhalten von Hunden noch Jahre nach dem Geschehen beeinflussen können, genau wie das bei Menschen vorkommt.) Wenn ich meine eigene Vermutung darüber hätte anstellen sollen, welchen inneren Zustand Brandys Augen in meinem Büro ausdrückten, dann hätte ich Zufriedenheit gesagt, nicht Trauma.

    WAS SIND ÜBERHAUPT GEFÜHLE?

    Es überrascht nicht, dass Menschen mitunter verschiedener Meinung darüber sind, welche Gefühle ihre Hunde haben. Gefühle sind komplizierte Dinge. Es lohnt sich, sie noch einmal genauer anzuschauen, bevor wir versuchen, unser Wissen über das Gefühlsleben von Hunden zu erweitern.

    Gefühle können primitiv und ursprünglich sein, aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie deshalb leicht zu verstehen sind. Jetzt, wo wir endlich begonnen haben, sie wissenschaftlich zu untersuchen, stellt sich heraus, dass es sich um unerhört interessante und komplizierte biologische Vorgänge handelt. Die meisten Wissenschaftler stimmen darin überein, dass Säugetiere wie zum Beispiel Hunde zu grundlegenden Gefühlen wie Angst, Wut und Glück fähig sind, aber sie sind sich nicht in der Frage einig, wie Hunde diese Gefühle denn eigentlich erleben. Sicherlich ist dies einerseits eine einfache Frage – warum sollte Luke nicht auf eine sehr ähnliche Art Angst empfinden wie ich, wenn er einen aggressiven Hund auf sich zurennen sieht?

    Ach, aber andererseits ist Angst zu haben eine vom Gehirn gesteuerte Gefühlserfahrung, und das einzig Einfache am Gehirn ist die Tatsache, dass wir noch nicht einmal damit begonnen haben, es wirklich zu verstehen. Kein Wunder: Es gibt ungefähr hundert Milliarden Neuronen im menschlichen Gehirn, die alle über zehn Billionen Verbindungswege miteinander verknüpft sind. An diesem Niveau von Komplexität liegt es, dass unser Verständnis von der Biologie der Gefühle bestenfalls ein grobes Grundlagenwissen ist. Das macht es zu einer besonders großen Herausforderung, die Gefühle von Menschen und Hunden miteinander zu vergleichen. Allerdings haben wir in den letzten zehn Jahren der wissenschaftlichen Forschung so viel über die Biologie von Gefühlen gelernt, dass es mehr als vernünftig ist, diese Herausforderung anzunehmen. Ein guter Ausgangspunkt dafür ist eine Untersuchung dessen, was wir über unsere eigenen Gefühle wissen.

    Sicher wissen wir alle, wovon die Rede ist, wenn wir über Gefühle sprechen. Aber was würden Sie sagen, wenn jemand Sie bitten würde, Gefühle zu definieren? Was genau sind Gefühle über die Bezeichnungen (Angst, Wut, Freude …) hinaus, die wir ihnen geben, und wie entstehen sie in unserem Inneren? Falls Ihnen eine präzise Definition schwer fällt, grämen Sie sich nicht: Sie sind nicht allein.⁴ Nach Antonio Damasio, einem international anerkannten Experten für Gehirnforschung und Gefühle, sind unsere Gefühle das am wenigsten verstandene mentale Phänomen überhaupt. Sie sind aber auch das am stärksten gegenwärtige und vermutlich auch das älteste – umso überraschender ist es, dass wir erst seit Kurzem versuchen, sie wissenschaftlich auseinanderzunehmen. Es musste erst ein Wissenschaftler wie Damasio kommen, um die Argumente der frühen Behavioristen zu widerlegen. Nach deren Ansicht sollten wir gar nicht erst versuchen, Gefühle verstehen zu wollen, denn als subjektive innere Vorgänge waren sie angeblich »jenseits wissenschaftlicher Grenzen«. Wie sich herausstellte, stimmt dies nicht einmal annähernd; Damasio und andere haben bewiesen, dass die Biologie der Gefühle genauso zugänglich ist wie die Biologie des Hörens, Sehens oder des Gedächtnisses.

    Das heißt allerdings nicht, dass Forschung zum Thema Gefühle einfach wäre. Gefühle sind gewissermaßen glitschig und schwer fassbar und so ähnlich schwer von unserem Körper und unserem Verstand zu trennen wie Eigelb von Eiweiß, wenn man beides erst einmal miteinander verrührt hat. Wie der Neurologe John Ratey sagt: »Gefühl ist unordentlich, kompliziert, ursprünglich und undefinierbar, weil es überall ist.« Man kann sich nicht hinsetzen und seine eigenen Gefühle untersuchen wie in einer Petrischale, weil sie eben mit einem selbst verbunden sind. Wir wissen, dass jedes Gefühl – Freude, Angst, Wut – Körper und Verstand auf vorhersehbare Weise beeinflusst. Ein Gefühl wie Angst beinhaltet physiologische Veränderungen in Ihrem Körper (Ihr Herz beginnt zu schlagen, wenn Sie Ihren Hund auf die Straße zurennen sehen), sichtbare Veränderungen im Ausdruck (Sie bleiben wie angefroren stehen, Ihre Pupillen weiten sich, Sie reißen die Augen auf), bewusste Gedanken (»Oh nein! Da kommt ein Auto!«) und Gefühle (Ihr bewusstes Erleben von Angst und Panik). Jedes Gefühl beinhaltet also (1) körperliche Veränderungen; (2) Veränderungen im Ausdruck; und (3) die damit einhergehenden Gedanken und Gefühle.

    Was wir nicht genau wissen, ist, was zuerst kommt. Sind Sie sich der Angst bewusst, weil Ihr Herz rast und Ihre Augen aufgerissen werden, oder klopft Ihr Herz, nachdem Ihr Verstand ihm mitgeteilt hat, dass Ihr Hund vielleicht gleich überfahren wird? Für die meisten von uns erscheint es logisch, dass unser Körper auf unseren Verstand reagieren muss – wir sehen ein Auto auf unseren Hund zufahren, unsere Physikkenntnisse sind gut genug, um uns klarzumachen, dass dieser Kampf nicht fair sein wird und also reagiert unser Körper mit dem Gefühl der Angst. Die Wissenschaft hat aber nachgewiesen, dass viel von dem, was wir erleben, in die andere Richtung fließt. Oft sind es die Veränderungen in Ihrem Körper, die die Gedanken in Ihrem Verstand entstehen lassen.

    Wir wissen seit langem, dass man verschiedene Gehirnbereiche mit schwachen Stromreizen stimulieren kann, um Gefühle von Angst, Traurigkeit oder Fröhlichsein hervorzurufen. Das absolut Bemerkenswerte an diesen Fällen ist, dass die Versuchspersonen, die bei vollem Bewusstsein sind und keinerlei Schmerzen verspüren, immer eine verstandesmäßige Erklärung für ihre Gefühle vorbringen, nachdem das Gefühl erzeugt wurde. In meinem Lieblingsbeispiel brach eine Frau immer wieder zuverlässig in Lachanfälle aus, nachdem man den entsprechenden Bereich ihres Gehirns stimuliert hatte. Als die anwesenden Neurologen sie dann fragten, was denn so lustig sei, sagte sie: »Ihr Typen seid einfach zu lustig … wie ihr da so rumsteht!« Weil ihr Gehirn offensichtlich irgendwie erklären musste, warum sie sich amüsierte, verwandelte es einen Kreis von seriösen Wissenschaftlern in eine Comedynummer.

    Sie können sogar Gefühle hervorrufen, indem Sie Teile Ihres Körpers in bestimmte Positionen bringen. Zweifellos haben Sie schon von den Versuchen gehört, in denen man die Teilnehmer gebeten hatte, ihre Mundwinkel einmal zu heben und einmal nach unten zu senken und sie später gefragt hatte, wie sie sich dabei fühlten. Genauso wie unsere Mütter uns früher gesagt haben, wir sollten lächeln und uns so aufmuntern, so sagten auch die Menschen, die ihren Mund zu einem Lächeln geformt hatten, dass sie sich besser gefühlt hätten, während diejenigen, die ihre Mundwinkel nach unten verzogen hatten, sich schlechter fühlten als vorher. Sie können es jetzt sofort einmal ausprobieren: Nehmen Sie einen Bleistift für ein paar Sekunden quer zwischen die Backenzähne und achten Sie darauf, wie Sie sich fühlen (außer albern). Die meisten Menschen berichten von einer leichten Steigerung der Laune, weil sich der Mund, um den Bleistift zu halten, zu einem breiten Lächeln verziehen muss. Jetzt nehmen Sie den Bleistift aus dem Mund, lassen Sie Kopf und Schultern hängen und sacken Sie in sich zusammen, als hätte man die Luft aus Ihnen herausgelassen. Fühlen Sie sich in lustiger Laune? Vermutlich nicht.

    Es gibt eine lange Liste von überraschenden Möglichkeiten, wie Sie Ihre Gefühle beeinflussen können, indem Sie etwas mit Ihrem Körper tun. Eine Wissenschaftlerin hatte beobachtet, dass Verliebte dazu neigen, einander länger in die Augen zu sehen, als Nichtverliebte das tun. Sie fragte sich, ob dieser Prozess auch umgekehrt funktionieren könnte und bat deshalb Fremde, sich gegenseitig zwei Minuten lang in die Augen zu schauen. Nach Ablauf dieser vereinbarten Zeit des Blickkontaktes berichteten die Versuchsteilnehmer von Gefühlen der Zuneigung und des Hingezogenseins zum jeweils anderen. (Natürlich beruhte dieser lange Blickkontakt im Versuch auf gegenseitigem Einverständnis und ist überhaupt nicht vergleichbar damit, wenn ein Fremder unangekündigt auf Sie zukommt und Ihnen geradewegs in die Augen starrt. Das würde vermutlich das Gegenteil von Hingezogensein bei Ihnen auslösen. Wenn der Fremde ein Hund wäre, würden Sie außerdem wahrscheinlich gebissen. Bitte ziehen Sie also nicht los und experimentieren Sie nicht mit einem Partner, der Ihnen vorher nicht sein Einverständnis erklärt hat. Egal, welcher Spezies er angehört.)

    Sie wissen nie, wo und wann diese Änderungen in der Körperhaltung Ihre Stimmung beeinflussen können. Ich erinnere mich, wie ich einmal die berühmte Jazzsängerin Ella Fitzgerald in einer Talkshow gesehen hatte. Sie erzählte, dass sie in einem Jahr einmal so müde geworden war, dass sie es morgens nicht mehr aus dem Bett schaffte. Sie ging zu verschiedenen Ärzten, bis sie endlich an einen geriet, der sie fragte, wie sie denn ihren Tag verbringen würde. Als sie über ihren Tagesablauf nachdachte, fiel ihr ein, dass sie ihren Hit »I’m So Tired« (Ich bin so müde) immer wieder sang und dabei ihre Körperhaltung dem Gefühl anpasste, das sie im Song ausdrückte. Der Doktor verschrieb ihr, diesen Song ab sofort aus ihrem Repertoire zu streichen und sie erholte sich innerhalb weniger Tage.

    Wie wir alle wissen, können unsere Gefühle auch von unserer inneren Physiologie beeinflusst werden. Für Frauen mit prämenstruellem Syndrom sind dies keine nobelpreisverdächtig neuen Erkenntnisse, aber das Wissen darüber, wie Physiologie Gefühle beeinflusst, ist noch relativ neu. Vor Jahrzehnten – als PMS noch nicht offiziell existierte – fragten meine beste Freundin und ich uns immer, warum wir an einem Tag so unbeschwert fröhlich und am nächsten traurig und reizbar sein konnten, obwohl es dafür überhaupt keinen erkennbaren äußeren Anlass gab. Irgendwann stellten wir fest, dass es für diese Stimmungsschwankungen ein regelmäßiges Muster gab und kamen von selbst darauf, dass es mit unserem Menstruationszyklus zu tun hatte. Genau zur gleichen Zeit begann ein englischer Arzt zu argumentieren, dass hormonelle Veränderungen die Stimmungslage drastisch beeinflussen könnten und in extremen Fällen sogar zu Selbstmord oder zur Einweisung in die geschlossene Anstalt führen könnten.

    Mit unserem heutigen besseren Wissensstand in Sachen Neurochemie ist es allgemein anerkannt, dass die Chemie unseres Körpers unsere Gefühle beeinflusst. Während ich diese Zeilen schreibe, nehmen Millionen von Menschen SSRIs (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer), um das Verhältnis der Neuro-Hormone in ihrem Gehirn zu beeinflussen und damit ihre Stimmung zu verbessern. Ein nachgewiesener Nebeneffekt der Versorgung von Patienten mit einer Herz-Lungen-Maschine ist, dass viele von ihnen Depressionen bekommen, obwohl sie zuvor noch nie welche gehabt hatten. Niemand weiß, warum das so ist, aber vermutlich hat es etwas mit den physiologischen Veränderungen im Körperinneren zu tun, die von der Herz-Lungen-Maschine selbst verursacht werden. Drei Jahrzehnte nach meinen Gesprächen mit einer Freundin werden Frauen mit PMS heute von den gleichen Doktoren ernst genommen, die damals wenig mehr taten, als ihnen den Kopf zu tätscheln.

    Natürlich wissen wir, dass neben den Auswirkungen unserer Körperchemie auch äußere Ereignisse jeden Tag unsere Gefühle bestimmen. Eine perfekt gute Laune kann durch Stehen im Stau ganz und gar verdorben werden. Der drohende Tod eines geliebten Hundes bricht uns fast das Herz, weil wir intellektuell verstehen, was dieser Tod für uns bedeuten wird. Sobald diese Gedanken auftauchen (manchmal sogar, bevor wir uns ihrer bewusst werden), reagiert unser Körper mit der Kaskade von Veränderungen, die unsere verschiedenen Gefühle bestimmt. Es scheint logisch, anzunehmen, dass so etwas ähnliches auch in unseren Hunden geschieht. Nehmen Sie die Leine vom Haken, und Ihr Hund sprüht nur so vor Freude; sagen Sie ihm, dass er dieses Mal nicht mit Ihnen kommen kann und Sie sehen, wie sein Körper zusammensackt und er ein langes Gesicht macht, genau wie Sie das machen würden, wenn man Sie enttäuscht.

    GEFÜHLE ALS PRIMITIVE VERBINDUNGEN ZWISCHEN GEHIRN UND KÖRPER

    Trotz der Kontroverse »Was war zuerst – die Henne oder das Ei?« stimmen Neurobiologen darin überein, dass die primäre Funktion von Gefühlen darin besteht, das Gehirn mit dem Rest des Körpers in Verbindung zu halten. Gefühle sind eine Art Brücke zwischen dem »denkenden« Teil des Gehirns und dem Rest des Körpers und arbeiten darauf hin, dass der Organismus sich seinem Idealzustand nähert. Sie ermöglichen jedem von uns, vom preisgekrönten Neurobiologen bis hin zum hungrigen Bluthund, auf die Welt um uns herum zu reagieren – und zwar auf eine Art und Weise, die uns eben das ermöglicht.

    Vor der Erfindung von Dingen wie Schokoladenpudding oder Keksen war dasjenige für uns gut, was uns ein gutes Gefühl verschaffte. Für Tiere, die in einer Umwelt mit beschränkten Ressourcen leben und in denen sie nicht wie wir die Gelegenheit haben, sich an guten Dingen allzu gütlich zu tun, trifft dies immer noch zu. Diese Grundregel funktioniert genauso gut anders herum: In der Wildnis ist das, was sich schlecht anfühlt, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht gut für sie, also vermeiden sie es.

    Eines der ersten Dinge, die man im Studium von Tierverhalten lernt, ist, dass Tiere zu Wohlbefinden und Komfort hin und von Schmerzen und Unwohlsein weg streben. Gefühle sind die Mechanismen, die Tieren diese Handlung ermöglichen. Sie sind ein Geigerzähler des Körpers, der das Gehirn informiert, was es als Nächstes tun soll. Haben Ihre Augen ein Raubtier hinter dem Busch da entdeckt? Dann ist es gut, wenn Ihr Herz zu rasen beginnt, mehr Blut zu Ihren Muskeln pumpt und Ihr Gehirn Ihnen sagt, dass Sie wegrennen sollten. Fühlen Sie sich zufrieden, behaglich und warm? Dann sind Sie vermutlich gerade in einer Umgebung, die gut und gesund für Sie ist.

    Gefühle sind sehr grundlegende Dinge, die wir bei zahllosen Spezies in deren physiologischen Reaktionen, Ausdrucksverhalten, Gehirn und Neurochemie sehen können. Dies ist einer der vielen Gründe dafür, warum die Behauptung, Hunde hätten keine Gefühle, unlogisch ist – auch, wenn viele Menschen noch immer darauf beharren. Wenn genau jetzt etwas geschehen würde, was sowohl Sie als auch Ihren Hund in Angst und Schrecken versetzt, wären Körperhaltung und Ausdruck des Hundes ein ziemlich genaues Ebenbild dessen, was bei Ihnen zu sehen wäre. Diese Erkenntnis ist nicht neu – als Charles Darwin 1872 Der Ausdruck der Gefühle bei Mensch und Tier veröffentlichte, zögerte er nicht, darin die Haltung einer »verängstigten« Katze oder eines »bescheidenen« und anhänglichen Hundes zu beschreiben. In diesem Buch sagt Darwin, dass grundlegende Gefühle wie Angst und Ekel bei vielen Spezies nach außen hin gleich ausgedrückt werden. Obwohl es schon gut über hundert Jahre alt ist, wird dieses Buch noch immer in allen Kursen zu Evolution oder Verhaltenslehre verwendet, die diesen Namen verdienen.

    Wo wir heute in der Lage sind, über die Beobachtung bloßer Verhaltensänderungen hinaus- und tief ins Gehirn hineinzusehen, haben wir herausgefunden, dass wir mit anderen Tieren sehr viel mehr als nur äußeres Ausdrucksverhalten teilen. In seinem Buch Affective Neuroscience argumentiert Jaak Panksepp, dass Säugetiere die gleichen grundlegenden gefühlsbezogenen Strukturen und die gleiche gefühlsbezogene Physiologie besitzen wie wir. Der für die Übermittlung von Gefühlen zuständige Gehirnbereich heißt limbisches System und ist von so grundlegender Bedeutung für sowohl Ihr Gehirn als auch das Ihres Hundes, dass es oft auch das »Säugetiergehirn« genannt wird.

    Das limbische System ist tief in der Mitte Ihres Gehirns eingekuschelt, zwischen den wirklich primitiven Bereichen, die dafür sorgen, dass Ihr Kopf oben bleibt und Ihre Lungen arbeiten und den gewundenen, neueren Bereichen der Gehirnrinde, die Informationen verarbeiten und Entscheidungen treffen. Sowohl bei Ihnen als auch bei Ihrem Hund enthält es drei lebenswichtige kleine Strukturen, die Amygdala (oder Mandelkern), Hypothalamus und Hippocampus heißen. Die Amygdala fügt den ins Gehirn kommenden Informationen gefühlsmäßige Bedeutung hinzu und wurde früher als Kommandozentrale für die Gefühle Überraschung, Wut und Angst bezeichnet. Als wir mehr über die Komplexität des Gehirns erfuhren, stellten wir jedoch fest, dass dies bei weitem zu stark vereinfacht war. Aber andererseits passt fast alles, was wir über das Gehirn gelernt haben, in diese Kategorie. (Das Gehirn ist dermaßen kompliziert, dass es eigentlich unmöglich ist, ohne grobe Vereinfachungen darüber zu sprechen, also haben Sie Nachsicht mit mir.) Lassen wir es bei der Erklärung bewenden, dass die Amygdala eine wesentliche Rolle für Ihr Gefühlsleben spielt und die Amygdala Ihres Hundes eine wesentliche Rolle für das seine. Die Amygdala ist nicht nur wichtig zur Schaffung Ihrer eigenen Gefühle, sondern auch für das Erkennen von Gefühlen bei anderen. Menschen mit beschädigter Amygdala können nicht unterscheiden, ob der Gesichtsausdruck von jemand anderem Freude oder Wut zeigt.⁵ Wie wir später noch sehen werden, ist die Amygdala ein sehr geschäftiger Ort, wenn etwas geschieht, das Sie oder Ihren Hund erschreckt oder aufregt.

    Die Amygdala reicht ihre emotionalen Beurteilungen an andere Strukturen weiter, die Erinnerungen vergleichen, Informationen an den Kortex (die Gehirnrinde) weitergeben oder je nach geschaffenem Gefühl die passenden Hormone ausschütten. Das System als Ganzes, das sowohl auf angeborenen Reaktionen als auf gespeicherten Erinnerungen basiert, war ein Hauptbeteiligter an meinen Gefühlen des Entsetzens, als ich realisierte, dass Luke in Gefahr war. Wir können nicht wissen, wie sehr Lukes innere Erfahrung der meinen ähnelte, aber er und ich hatten die gleichen Strukturen im Gehirn, die Angst übermitteln. Und eben diese Ähnlichkeit der Strukturen ist für viele die Argumentationsgrundlage, dass die Gefühle nichtmenschlicher Säugetiere denen von Menschen ähneln müssen.

    Sicherlich ist Angst eines der grundlegendsten Gefühle überhaupt. Es ist schlecht vorstellbar, dass man ohne ein Gehirn, das einen bei Gefahr zur Vorsicht bewegt, in einer Welt voller Raubtiere und Giftpflanzen überleben könnte. Selbst Skeptiker in Sachen Gefühle bei Tieren stimmen zu, dass Angst eines der grundlegendsten Gefühle ist, eine Anpassungsreaktion für jedes Tier, das Entscheidungen treffen kann, um in der freien Natur zu überleben. Die meisten Biologen stimmen darin überein, dass die anderen »Grundgefühle« Zorn, Ekel und Freude sind. Diese primären Gefühle sind klar bei allen Individuen unserer eigenen Spezies zu sehen und werden immer auf ähnliche Weise ausgedrückt, egal, wo die Person ist oder zu welcher Kultur sie gehört.⁶ Drei dieser Grundgefühle – Angst, Wut und Glück – sind so wichtig für uns (und, wie ich argumentieren werde, auch für unsere Hunde), dass wir jedem von ihnen ein eigenes Kapitel widmen werden. Die Liebe als Cousine des Glücks verdient ebenfalls ihr eigenes Kapitel, was ja für ein Buch über Gefühle und unsere Beziehungen zu Hunden auch nur angemessen erscheint.

    Neben diesen vier Grundgefühlen gibt es auch noch andere wie Schuldbewusstsein oder Stolz, die komplizierter zu sein scheinen. Vielleicht sind sie Kombinationen von Grundgefühlen, so wie Grün eine Kombination der Primärfarben Gelb und Blau ist. Manchmal wird auch argumentiert, dass zwar alle Säugetiere Angst, Wut und Freude erleben könnten, Gefühle wie Schuldbewusstsein oder Stolz aber höhere kognitive Fähigkeiten verlangen würden und nur von Menschen gefühlt werden könnten.

    Wir werden über diese komplexeren Gefühle noch weiter hinten im Buch sprechen. Für den Moment ist vor allem wichtig, dass unsere Grundgefühle uns nicht vom Rest der Natur trennen, sondern uns mit ihr verbinden. Wie Diane Ackerman es in ihrem Buch An Alchemy of Mind formulierte, mögen wir zwar vielleicht sehr komplizierte Gehirne haben, aber die Gefühle, die darin gedeihen, sind roh und primitiv. Auf ihrer grundlegenden Ebene teilen wir ihr Erleben ganz gewiss mit unseren Hunden.

    MIT IHREN AUGEN BETRACHTET

    Im November 2003 wurde Tammy Ogles Kopf von dem Auto überrollt, mit dem sie unterwegs war. Sie fuhr eine Landstraße entlang, als ihre drei Labradors hinten herumzuspringen begannen und den Geländewagen so zum Schlingern und Drehen brachten, dass sie aus dem Fenster und unter die Räder ihres eigenen Wagens geschleudert wurde. Als sich der Staub verzogen hatte, lag sie bewusstlos mit zehn gebrochenen Rippen und schweren Kopfverletzungen da. Tammys drei Labradore, Double, Lily und Golly, blieben von ernsthaften Verletzungen verschont und krabbelten aus dem Auto. (Tammy sagte mir, dass sie die Hunde normalerweise nur in der Box im Auto mitnahm und selbst keine Ahnung hatte, warum sie sich an diesem Morgen entschieden hatte, sie frei im Auto mitfahren zu lassen.) Double, ein hübscher dreijähriger Rüde, blieb bei Tammy, während Lily und Golly eine halbe Meile weit bis zum nächsten Haus liefen, wo sie so lange an der Tür bellten und kratzten, bis jemand herauskam. Golly packte den Hausbesitzer am Ärmel und zog ihn bis zur Straße, von wo aus er Tammys umgekipptes Auto sehen konnte.

    Wenn Sie gerne in eine Debatte geraten möchten, dann fragen Sie verschiedene Menschen, ob sie glauben, dass Tammys Hunde ihrer Besitzerin bewusst das Leben gerettet hätten. Einige werden sagen: »Na klar haben sie das. Es ist absolut vernünftig, anzunehmen, dass (1) die Hunde erkannten, dass Tammy schwer verletzt war und dringend Hilfe brauchte; (2) dass die Hunde Tammy liebten und ihr helfen wollten; (3) dass sie wussten, dass sie selbst ihr nicht helfen konnten und sich deshalb entschieden, die Straße entlangzulaufen und Hilfe bei jemandem zu suchen; (4) dass sie, als sie am Haus ankamen, an der Tür bellten und kratzten, um den Bewohner aufmerksam zu machen; und (5) dass Golly, als sie merkte, dass der Hausbewohner den Unfall nicht gesehen hatte, ihn in die richtige Richtung am Ärmel zog.«

    Andere werden diese Geschichte als Paradebeispiel dafür betrachten, wie dumm vermenschlichend Hundenarren doch denken, wenn sie ihren Hunden Denkvorgänge unterstellen, zu denen nur Menschen fähig sind. Menschen mit dieser Sicht der Dinge werden vielleicht sagen, dass die Hunde deshalb die Straße entlangrannten, weil sie völlig verschreckt waren und von der Unfallstelle fliehen wollten. Ihr Bellen vor dem Haus geschah nicht aus strategischer Absicht, sondern deshalb, weil sie unbewusst gelernt hatten, dass Bellen in der Anwesenheit von Menschen ihnen deren Aufmerksamkeit einbringt – oder deshalb, weil sie einfach nur sehr aufgeregt waren, ohne genau zu wissen, warum. Vielleicht begrüßt Golly Menschen öfter, indem sie sie am Ärmel packt – wir wissen ja nur zu gut, wie gerne Labradore alles Mögliche zwischen die Zähne nehmen und wie viele Hunde dieser Rasse es gibt, die einem freundlichen »Händeschütteln« mit dem Fang nicht widerstehen können.

    Wie Sie sehen, ist es sehr leicht, eine Geschichte darüber zu erzählen, warum ein Tier etwas tut. Beide Geschichten sind nämlich genau das – nur Geschichten. Keiner von uns kann weder beweisen, dass die jeweils eigene Version die richtige ist noch das Gegenteil davon. Wenn uns keine weiteren Informationen zur Verfügung stehen, ist es sehr verführerisch, die eigene Version zu glauben und die andere zu verwerfen. Dies ist einer der Gründe dafür, warum Wissenschaftler in der Vergangenheit immer wieder betont haben, dass Vermenschlichungen um jeden Preis zu vermeiden seien. Es ist sehr einfach, eine Geschichte darüber zu erfinden, was wohl im Kopf eines Tieres vorgeht, wenn man sich vorstellt, selbst in dessen Lage zu sein. Genauso einfach ist es, damit sehr, sehr falsch zu liegen.

    Es gibt zahllose Beispiele für die Schwierigkeiten, in die wir geraten, wenn wir uns Tiere als bepelzte Menschen vorstellen – und das gilt nicht nur für Hunde. Ich hätte damals fast meine erste eigene Schafherde umgebracht, weil ich sie in der fälschlichen Absicht, sie nicht frieren zu lassen, im Winter im Stall einsperrte. Ich konnte mir nicht vorstellen, die Schafe ohne meine Hilfe bei minus zwanzig Grad draußen zu lassen – aus dem einzigen Grund, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie ich es nachts da draußen aushalten sollte, ohne zu erfrieren. Aber Schafe sind nun mal keine wolligen Menschen. Solange sie genug Heizöl in Form guten Futters haben, ist es für sie viel gesünder, draußen an der frischen Luft zu sein anstatt eingesperrt im Stall. Wenn man sie in einen geschlossenen Raum sperrt, erkranken sie sehr leicht durch die von ihrem eigenen Atem angefeuchtete Luft an Lungenentzündung (und genau das passierte meinen Schafen). Heute bin ich schlauer und lasse ihnen die Wahl. In den meisten Nächten entscheiden sie sich dafür, draußen zu liegen und dösen oft von einer Schneedecke bedeckt zufrieden vor sich hin, und das bei einem Wetter, in dem ich bis ins Mark hinein frieren würde.

    Dies war in dem gleichen Jahr, als ich auch wie besessen frisches Stroh in die Hundehütten draußen stopfte, zu Tode besorgt, dass die im Zwinger schlafenden Hunde nachts frieren könnten.⁷ Morgens stellte ich dann fest, dass Bess, eine wunderbare und willensstarke Border Collie Hündin, alles bis auf den letzten Halm herausgescharrt hatte. Nach ein oder zwei Wochen, in denen ich das Verhalten meines Hundes unerbittlich ignorierte und mit dem Versuch fortfuhr, die Hundehütten weicher und wärmer zu machen, begann Bess schon mit dem Herausscharren des Strohs, bevor ich es fertig hineingelegt hatte. Endlich dämmerte es mir – ich glaube, es war an dem Morgen, als es minus fünf Grad kalt war und Bess zufrieden draußen vor der Hundehütte schlief, auf einem Flecken Schnee und Eis zusammengerollt und offensichtlich so warm wie eine Scheibe Toast.

    Nicht nur Hundehalter machen sich unangebrachte vermenschlichende Sorgen um ihre Tiere. In einem klassischen Fall war ein britisches Komitee damit beauftragt, die Haltung von Käfighühnern zu verbessern. Es war gerade dabei, eine Regelung zu verabschieden, nach der die Hühner auf aus dickerem Draht bestehenden Böden als bisher gehalten werden sollten. Der üblicherweise verwendete Draht sah so dünn aus, dass man dachte, es müsse schmerzhaft sein, barfuß darauf zu stehen. Also dachte das Komitee zwar nicht daran, den Hühnern Turnschuhe auszuteilen, aber daran, den Käfigherstellern dickeren Draht vorzuschreiben. Bevor Millionen von Pfund für neue Käfige ausgegeben wurden, setzte sich Gottseidank gutes wissenschaftliches Denken durch und man machte einige objektive Versuche, um zu sehen, welchen Draht die Hühner tatsächlich bevorzugten. Entgegen allen Erwartungen wählten die Hühner den Draht, der den Menschen intuitiv am unbequemsten vorgekommen war. Folgetests zeigten, dass der dünnere Draht den Druck tatsächlich besser verteilte und viel angenehmer für die Hühnerfüße war als man annehmen würde.

    Hundefreunde machen oft den Fehler, zu vergessen, dass andere Säugetiere keine bepelzten Menschen mit Pfoten sind. In meinem vorigen Buch Das andere Ende der Leine habe ich erzählt, wie sich Menschen gern als Zeichen gegenseitiger Zuneigung umarmen, während Umarmen bei Hunden eine Demonstration des sozialen Status ist. Hunde lieben es zwar, gestreichelt und massiert zu werden, aber um Schulter und Brust herum umarmt zu werden, ist etwas, das die meisten Hunde höchstens im Austausch gegen ein bequemes Sofa und ein garantiertes Abendessen hinnehmen. Ich habe gelernt, vorsichtig zu sein, wenn ich über das Umarmen von Hunden spreche, weil manche Menschen sich über mich ärgern, wenn ich ihnen sage, dass ihr Hund es gar nicht genießt, um die Schultern herum gedrückt zu werden. Umarmen ist innerhalb unserer Spezies ein so wichtiger Teil des Ausdruckes von Zuneigung, dass manche Menschen sich unmöglich vorstellen können, ihr Hund könnte das vielleicht anders sehen. Dazu kommt noch die Tatsache, dass wir den Gesichtsausdruck unserer Hunde nicht sehen können, wenn wir sie umarmen. Wenn Sie einmal die Perspektive wechseln und einem Hund ins Gesicht schauen, der gerade von jemand anderem umarmt wird, bekommen Sie ein völlig anderes Bild. Ich habe ungefähr fünfzig Fotos von Menschen, die Hunde umarmen, auf denen die Menschen strahlen und die Hunde elend aussehen.

    Meistens führt diese unterschiedliche Interpretation der Dinge nicht zu größeren Problemen, aber traurigerweise tolerieren viele Hunde unser seltsames Bedürfnis nicht, sie um die Schultern herum zu drücken. Sie fassen unsere Umarmung als ernsthafte Verletzung hündischer Anstandsregeln auf und brechen in Protest aus. Das hat schon zu zahllosen gebissenen Hundefreunden geführt und dazu, dass viele Hunde eingeschläfert wurden, weil sie ein Kind ins Gesicht gebissen hatten. Natürlich steht es außer Frage, dass wir uns in Zucht und Aufzucht um Hunde bemühen sollten, die typisch menschliches Verhalten tolerieren, aber wenn wir schon die Klügeren sind, sollten wir doch den Hunden etwas weiter als bis zur Hälfte des Weges entgegenkommen. Tatsache ist, dass Hunde sich nicht immer das wünschen, was wir uns wünschen. Das zu vergessen, kann viel Schmerzen und Leid verursachen.

    Die meisten Beispiele dafür sind nicht ganz so dramatisch, können aber trotzdem großen Schaden anrichten. Ich bin regelmäßig baff, wie viele Menschen immer noch glauben, ihr Hund würde sich deshalb im Haus lösen oder die Stuhlbeine zerbeißen, weil er es ihnen »heimzahlen« wolle. Sie stellen sich vor, dass der Hund sauer darüber ist, dass sie ihn alleine zurückgelassen haben und dass der im Wohnzimmer zurückgelassene Kringel brauner Wurst als eine Demonstration der empfundenen Verachtung dort hingesetzt wurde. Aber mit diesem Szenario gibt es einige Probleme – von denen nicht das kleinste ist, dass Hunde an Exkrementen nichts Verachtenswürdiges finden. Sie lieben das Zeugs. Es zu fressen, egal ob es sich um die Ausscheidungen anderer Hunde oder die von Schafen oder Pferden handelt, scheint für viele Hunde ein Glanzpunkt des Tages zu sein. Wenn Leute zu mir auf die Farm kommen, stellen sie sich meistens vor, wie ihr Hund, endlich von der Leine befreit, auf vielen Hektar sicher umzäunten Landes wie Lassie im Fernsehen umherrennen, mit vor Freude glänzenden Augen über umgestürzte Bäume springen kann und sich seines Lebens freut. Während sie noch diese herzerwärmende Szene vor ihrem inneren Auge sehen, schlingt ihr Hund vermutlich schon so schnell er kann Schafsköttel in sich hinein. Hunde sind keine Menschen, und wenn sie eine eigene Vorstellung vom Himmel haben, dann kommen darin mit ziemlicher Sicherheit braune Häufchen vor.

    Warum um alles in der Welt sollte also ein Hund ins Haus machen, um sich an Ihnen zu rächen? Wenn er versuchen würde, mit seinen Besitzern zu kommunizieren, indem er sich löst (was ich bezweifle), dann würde die Botschaft eher lauten »Schau mal, was ich dir dagelassen habe! Ein richtig schön großes Häufchen!« Genauso wenig Sinn macht es, dass ein Hund das Sofabein (oder die Fernbedienung – übrigens das Lieblingskauspielzeug aller Hunde) zerbeißen sollte, um Sie zu bestrafen. Viel wahrscheinlicher ist, dass der Hund entweder frustriert, ängstlich oder gelangweilt ist. Wenn er schon nicht ins Internet gehen und keine Seifenopern im Fernsehen anschauen kann, was soll er denn dann machen, außer an etwas her- umzukauen?

    Und wie oft denken Menschen, ihr Hund wisse genau, dass er nicht ins Haus machen dürfe, weil er sie doch mit einem »schuldbewussten« Gesichtsausdruck an der Tür begrüße, wenn sie heimkämen – mit hängendem Kopf und Schwanz und ganz und gar unterwürfigem Blick. Diese Haltung drückt allerdings Beschwichtigung aus, nicht Schuldbewusstsein. Der arme Hund hat gelernt, dass sein Besitzer ihn anschreien wird, wenn er beim Nachhausekommen eine Pfütze auf dem Teppich vorfindet. Das ganze Kriechen und Ducken ist das Schwenken einer weißen Flagge, um dem Zorn des Besitzers zu entgehen und nicht etwa ein Zeichen dafür, dass er sich bewusst ist, irgendeinen Moralkodex der Mensch-Hund-Beziehung gebrochen zu haben. Der Hund, der arme Kerl, duckt sich vor dem heimkommenden Besitzer an der Tür, weil er nicht angeschrieen werden möchte – und es ist bestimmt das Letzte, woran er denkt, wenn er nächste Woche wieder einmal dringend muss und er allein im Haus ist. Aber Menschen schreien nach wie vor ihre Hunde an und drücken deren Nasen in die Urinpfützen, in dem Glauben, der Hund habe ein schlechtes Gewissen gezeigt und damit bewiesen, dass er genau »wisse«, was falsch und was richtig sei.

    »VERMENSCHLICHUNG« IST NICHT IMMER EIN SCHLIMMES WORT

    Die obigen Beispiele illustrieren, warum viele Vermenschlichungen, im Fachbegriff Anthropomorphismen, für gefährlich halten. Anthropomorph bedeutete im griechischen ursprünglich, den Göttern menschliche Eigenschaften zuzuschreiben. Heute wird »Anthropomorphismus« häufig für die vermenschlichende Darstellung von Tieren verwendet. In manchen Kreisen wird diese Vermenschlichung als so große Sünde betrachtet, dass »Anthropomorphismus« schon beinahe ein Schimpfwort ist. Zum Glück ist es ein bisschen zu lang, um als guter Fluch dienen zu können. »Du anthropomorpher Idiot« hat zwar einen gewissen Klang, wird aber sicher niemals eins der beliebten kurzen, knackigen Fluchworte ersetzen.

    Mir wurde in den Zoologie- und Psychologiekursen genau wie allen anderen eingeschärft, Anthropomorphismen zu meiden wie die Pest. Aber wie es bei unserer Spezies so oft der Fall ist, wurde etwas eigentlich Vernünftiges ins Extreme übertrieben und viele begannen so zu sprechen, als ob Vergleiche zwischen Menschen und Tieren immer unkorrekt seien. Jede Eigenschaft, die Teil unseres Ich ist, wie zum Beispiel Denken, Planen oder sogar Fühlen, wurde in ihren Augen zu etwas für Tiere Unzulässigem. Obwohl Rationalität und Verstand am häufigsten als einzigartig für unsere Spezies betrachtet werden, ist ein überraschender Mangel an Rationalität feststellbar, wenn man sich die menschlichen Attribute anschaut, die diese Skeptiker anderen Tieren zugeschrieben haben.

    Viele von denen, die immer wieder vor den Gefahren der Vermenschlichung warnen, zögern nicht, von »egoistischen« oder »konkurrierenden« Tieren zu sprechen. Es scheint fast so, als würde die Zuschreibung negativer menschlicher Eigenschaften an Tieren selten Kritik auslösen. Tiere können »manipulativ« oder »eigennutzig« sein, aber Gott behüte, Sie sprechen von Tieren als »versöhnlich« oder »liebevoll«. Der Primatologe Frans de Waal wurde rundweg kritisiert, als er erstmals »Versöhnungsverhalten« bei Schimpansen beschrieb – obwohl die Beweise dafür überwältigend waren. Selbst scheinbar neutrale Begriffe lösen bei manchen Wissenschaftlern Unbehagen aus. Die beiden hervorragenden Wissenschaftler Donald Owings und Eugene Morton, deren Arbeit ich insgesamt respektiere, argumentierten kürzlich, es sei falsch, Kommunikation unter Tieren wie zum Beispiel den Gesang der Wale oder das Winseln eines Welpen als »Informationsübermittlung« zu betrachten. Dies sei ein vermenschlichendes Konzept, so ihre Begründung. Stattdessen sollten wir ihrer Meinung nach Kommunikation unter Tieren als Beispiele für »Einschätzung, Manipulation oder Beeinflussung« betrachten. Ich stimme größtenteils mit dem Gedanken überein, dass es in der Kommunikation häufig um den Versuch geht, jemand anderen dazu zu bewegen, zu tun, was man möchte. Aber ich sehe nicht, warum die Begriffe »Manipulation« oder »Beeinflussung« weniger vermenschlichend sein sollten als »Informationsübermittlung«.

    Ein weiteres Beispiel für das Zögern, Tieren positive Eigenschaften zuzuschreiben, ereignete sich 1996, als ein drei Jahre alter Junge im Brookfield Zoo von Chicago in das Gorillagehege fiel. Binti Jua, ein acht Jahre altes Gorillamädchen, hob das Kind auf, wiegte es in seinen Armen und reichte es dann vorsichtig einem seiner Pfleger. Die Geschichte schlug landesweit wie eine Bombe in den Medien ein und schon Stunden später interviewte man Experten zu diesem »unglaublichen« Ereignis. Einige der Befragten sagten, es sei dumme Vermenschlichung, Binti Freundlichkeit oder Mitleid zuzuschreiben. Sie habe nur das getan, was ihre Pfleger ihr beigebracht hätten.⁸ In seinem Buch Der Affe und der Sushi-Meister stellt Frans de Waal heraus, dass wir ähnliche Handlungen eines Menschenkindes niemals als bedeutungslos bezeichnen würden, selbst wenn es ebenfalls von seinen Eltern angewiesen worden sei, freundlich und sorgsam zu sein. Was Binti tat, ist typisch für Gorillas und in keiner Hinsicht ungewöhnlich. Gorillas sind im Allgemeinen ruhige, freundliche Vegetarier, die den größten Teil des Tages damit verbringen, auf wildem Sellerie herumzukauen und die wilde Spielattacken der Jungtiere gutmütig tolerieren. Ganz anders hätte die Sache ausgesehen, wenn der Junge in eine Löwengrube gefallen wäre, eine junge Löwin ihn vorsichtig aufgehoben, ins Maul genommen und zu einem Pfleger gebracht hätte. Kleine Jungs sehen für Löwen wie Abendessen aus, aber für Gorillas sehen sie aus wie … eben kleine Jungs. Das Überraschendste für viele von uns war nicht Bintis Verhalten, sondern der empörte Aufschrei mancher, dass es hoffnungslos romantisch und unwissenschaftlich sei, einem Gorilla so etwas ähnliches wie menschliche Gefühle zuzusprechen.

    Aber nicht nur Wissenschaftler scheinen sich wohler damit zu fühlen, Tiere lieber mit negativen als mit positiven Begriffen zu beschreiben. Selbst Hundebesitzer, die ihre Hunde lieben, tun das. Millionen unglücklicher Hunde wurden

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1