Der Fluch der 'Madonna': Münster-Thriller 1
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Als der Münsteraner Privatdetektiv Ron Blocksdorf zu einem Fall in eines seiner Lieblingsrestaurants an der Aa gerufen wird, nimmt er den Auftrag des Gaststättenbesitzers nur zu gerne an. Er wittert Abwechslung von dem langweiligen Geschäft tagelanger Ehegattenbeschattungen, mit denen er sich üblicherweise herumschlagen muß.
Berkovic, Besitzer der Gaststätte "Madonna an der Aa", erhält seit einigen Tagen anonyme Drohbriefe, deren Zweck er sich nicht erklären kann, denn offensichtlich handelt es sich hierbei um keinen Erpressungsversuch der Gaststättenmafia, wie Blocksdorf zunächst vermutet. Vielleicht einfach nur Konkurrenz, die Berkovic verunsichern will?
Doch der zunächst relativ harmlos scheinende Fall entwickelt sich sehr schnell zu einer ausgewachsenen Mordserie, in die Blocksdorf beruflich und auch privat durch sein Liebesverhältnis zu der in vieler Hinsicht außergewöhnlichen Halbägypterin Solea immer tiefer hineingezogen wird ...
Dr. Hendrik Davids ist hier ein Roman-Debüt gelungenen, in dem er es versteht, die Kurzweiligkeit eines guten Krimis mit dem Geschehen der Weltpolitik und der Spannung eines Thrillers zu kombinieren.
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Der Fluch der 'Madonna' - Hendrik Davids
Hendrik Davids
Der Fluch der ›Madonna‹
Münster-Thriller
Handlung und Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit wäre rein zufällig. Insbesondere sind auch die unmittelbar von der Romanhandlung betroffenen Betriebe und Unternehmen sowie die Vorgänge um sie reine Erfindung des Autors. Sie haben nichts mit Betrieben und Unternehmen zu tun, die tatsächlich existieren oder existierten.
Hendrik Davids
ImPrint eBook. Münster 2012
© 2004 ImPrint Verlag, Münster
info@imprint-verlag.de
www.imprint-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-936536-89-8
Teil I
Der einsame Baggersee glänzte in der Sonne des milden Frühlingsmorgens. Aus dem Autoradio drangen die Meldungen über neue Anschläge in Bagdad und nahe Kabul. Sonja Meinhold, eine selbstbewußte, attraktive Frau in den Vierzigern und zur Zeit noch mit dem Chef einer renommierten münsterischen Steuer- und Finanzberatersozietät verheiratet, öffnete mit einem Ruck den Verschluß ihres Kleides und ließ es langsam von ihrem durchtrainierten, sonnenstudiogebräunten Körper gleiten, auf dem sie bereits einen spärlichen Bikini trug.
Sie liebte es, an so einem schönen Frühlingsmorgen wie diesem eine Runde zu schwimmen, bevor sie ihr Tagewerk als Leiterin einer Modeagentur begann. Schade, daß ihr neuer Liebhaber sie an diesem Morgen nicht begleiten konnte, Arif, ein aus Saudi-Arabien stammender Geschäftsmann, den sie erst vor kurzem kennengelernt hatte, als er in ihrem Stammrestaurant über ihre Handtasche gestolpert war. Die lebenslustige Frau erinnerte sich gut an das erste Zusammentreffen mit dem weltgewandten Businessman, von dem so eine faszinierende Aura ausging. Ein offenbar wichtiger Termin hatte ihn in das Restaurant geführt. Sie interessierte sich nicht für seine Termine.
Sonja Meinhold holte tief Luft und ließ sich entschlossen ins Wasser gleiten. Nach kurzer Zeit hatte sie sich an die Kälte gewöhnt, und sie schwamm mit gleichmäßigen, kraftvollen Bewegungen weit hinaus. Hoch oben donnerte eine Urlaubermaschine über sie hinweg, die dieser Tage die ersten Sommertouristen vom nahegelegenen Flughafen zu den kanarischen Inseln beförderte oder an die türkische Riviera. Sonja Meinhold sah der Maschine nach, die in der Sonne des Frühlingsmorgens silbrig glänzte und langsam am Horizont entschwand, und schloß die Augen, um zu tauchen. Sie bemerkte nicht den Froschmann, der von hinten heranglitt. Zwei starke Arme, denen die schwarze Hülle aus Neopren ein unheimliches Aussehen verlieh, ergriffen ihre Unterschenkel und zogen sie in die Tiefe …
Eine halbe Stunde später dudelte das Autoradio immer noch. Der Baggersee schimmerte einsam in der mittlerweile schon etwas höher stehenden Sonne, und am Ufer lag das rote Kleid …
Erstes Kapitel
»Man droht uns damit, daß es hier aussehen wird wie nach einem Erdbeben«, eröffnete mir Berkovic, der seinen kroatischen Akzent auch nach all den Jahren nicht ganz losgeworden war. Er war ein Mann Ende Vierzig, von stattlicher Statur, der einen etwas schwermütigen Gesichtsausdruck hatte und auf den ersten Blick leicht verschlossen wirkte.
Der Tag, an dem ich ihn aufgesucht hatte, war ein wolkenloser Junitag. Die Domuhr schlug zwölfmal, ihre Schläge hallten über den Wochenmarkt auf dem Domplatz, wo die Händler aus dem Umland ihre Waren feilboten, während Schwärme von Studenten am Landesmuseum vorbei von Vorlesung zu Vorlesung radelten, und mischten sich am Prinzipalmarkt und am Drubbel mit den Schlägen von St. Lamberti, hallten hinunter über den Roggenmarkt und die Fußgängerpassage hinter dem Kiepenkerl bis zu dem Biergarten etwas abseits entlang der Ufermauer der Aa, an dessen Ende eine aus schwerer Eiche geschnitzte Gaststättentür zum Verweilen einlud, jetzt kaum zu sehen hinter dem Wald von Sonnenschirmen. Eine junge Kellnerin, die mit ihrem schmalem, ebenmäßigen Gesicht, der langen, pechschwarzen Mähne und der schlanken, rassigen Figur eine etwas südländische Ausstrahlung hatte, eilte auf Rollschuhen von Tisch zu Tisch.
Ich hatte das instinktive Gefühl, daß Gefahr in der Luft lag, als ich mein Rad am Rande des Biergartens an einem Laternenpfahl festschloß. Berkovic hatte mich schon erwartet. »Gehen wir hinein«, sagte er, schob eigenhändig ein paar Stühle aus dem Weg und führte mich zwischen den Tischen durch, wobei es mir gelang, ein hinreißendes Lächeln der attraktiven Dunkelhaarigen zu erhaschen. »Bei diesem Wetter sind wir drinnen ungestört.«
Wir gingen durch einen schlauchartigen Gang zwischen düsteren Nischen hindurch, auf die Theke zu und dann rechts herum. Das Innere des Restaurants mit seinen weitläufigen, verschachtelt gebauten Gasträumen war in Halbdunkel getaucht und angenehm kühl. An einem Sommertag wie diesem ein Gefühl, als ob man in eine Höhle käme, dachte ich und mußte mich zusammenreißen, um nicht in Urlaubsträume zu verfallen.
Ich war schon einige Male hier gewesen. Gerade nach Überwachungsjobs im Großstadtgewühl war die gemütliche »Madonna an der Aa« mit ihrem liebevoll gestalteten Interieur aus roh gemauerten Bögen und grottenartigen Nischen, ihrem verwinkelten Klinkermauerwerk mit fensterartig in die Wände eingelassenen Spiegeln und Lämpchen davor, der tavernenartigen Pergola und dem friedlich plätschernden Springbrunnen immer eine Oase der Ruhe, in der ich mich fühlte wie in einer entlegenen Welt. Ein Bild erinnerte daran, daß vor langer Zeit hier einmal ein Armenhaus stand, das auf eine Stiftung einer vornehmen Dame zurückging und in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts einem modernen Büro- und Gewerbekomplex weichen mußte, weil die Grundstückseigentümerin, eine kirchliche Organisation, auf die Idee gekommen war, daß sich das Stück Innenstadt so gewinnbringender nutzen ließ. Und außerdem glaubte man damals nach dem »Wirtschaftswunder«, daß Armenhäuser in Deutschland endgültig ausgedient hätten.
»Das hier nennen wir den ›Spiegelsaal‹, da halten wir für gewöhnlich unsere Konferenzen ab«, erläuterte Berkovic und entfernte ein dickes Hanfseil, das einen bogenförmig gemauerten Durchgang abgesperrt hatte, hinter dem sich der Nebenraum mit den in die Wände eingelassenen Spiegeln befand. Eine raffiniert angelegte, indirekte Beleuchtung erhellte die Decke, unter der eine an mediterrane Tavernen erinnernde Pergola den Raum überdachte. Eine alte Standuhr tickte friedlich in einer Mauerecke. Wir setzten uns an einen Tisch in der Nähe des Durchgangs, von wo aus man die Theke im Auge behalten konnte. Ich warf einen kritischen Blick auf die gewagte Deckenkonstruktion über uns.
»Beim Umbau stand uns ein erfahrener Statiker zur Seite«, versicherte mir Berkovic.
Die dunkelhaarige Rollschuhläuferin erschien, setzte ihr schönstes Lächeln auf und fragte nach unseren Wünschen.
»Danke, Solea, ich mach’ das schon, geht selbstverständlich auf Kosten des Hauses«, sagte Berkovic. Sie entfernte sich mit elegantem Schwung, wobei es mir gelang, noch einmal ein strahlendes Lächeln zu erhaschen.
Wir entschieden uns für ein kühles alkoholfreies Bier, und Berkovic ging hinter die Theke, um zwei Flaschen und zwei eisgekühlte Tulpengläser zu holen. Leise klang aus einer Stereoanlage am Tresen die monotone Stimme des Nachrichtensprechers von ›Antenne Münster‹ zu mir herüber, der meldete, daß die Ermittlungen zum rätselhaften Tod einer 44jährigen Münsteranerin in einem Baggersee noch nicht abgeschlossen seien, aber vieles auf einen Badeunfall hindeute. Ich konzentrierte mich darauf, meine Umgebung noch einmal genauer zu betrachten. Vier gewaltige aus rohen Ziegelsteinen gemauerte Bögen, die aus allen Himmelsrichtungen kamen, überspannten den vorderen Teil des Hauptraums, in dem sich auch der Springbrunnen befand, und liefen zusammen in einer wuchtigen Säule, auf der ein Tonkübel stand, in dem Grüngewächse wucherten. Weiter hinten bildeten gemauerte Bögen die Zugänge zu den unzähligen Nischen. An dem mächtigen Bogen, der über die Theke hinwegging, war ein riesiger Rotor aufgehängt, wie man ihn aus südlichen Ländern kennt. Glücklicherweise kam Berkovic zurück zu unserem Tisch, bevor ich mich ein zweites Mal zusammenreißen mußte, um nicht in Urlaubsträume zu versinken.
»Um es kurz zu machen: Es geht darum, daß ich Drohbriefe erhalte«, begann Berkovic, als wir uns gegenübersaßen.
»Gaststättenmafia?« war meine erste Vermutung.
Der Gaststättenunternehmer schüttelte energisch den Kopf. »Das ist nicht deren Handschrift. Die würden sich hüten, etwas schriftlich von sich zu geben. Außerdem ginge es denen um Geld. Aber gerade darum, um Schutzgeld-Erpressung, handelt es sich hier offenkundig nicht. Es handelt sich nur um Drohungen. Mal droht man, mir die Bude in Brand zu stecken, mal damit, mir die Steuerfahndung auf den Hals zu hetzen. Es ist bis jetzt noch keine Geldforderung gestellt worden.« Er beugte sich vor zu mir. »Nein, nein, wer auch immer die Briefe schickt, er will nicht mein Geld, er will mich einschüchtern, terrorisieren, in Angst und Schrecken versetzen.«
»Kann ich die Briefe einmal sehen?« fragte ich.
Berkovic zog ein paar zusammengefaltete Papiere aus dem Revers seines schwarzen Anzugs. Die Schreiben entsprachen seinen Angaben und waren vermutlich mit Hilfe einer handelsüblichen PC-Anlage produziert worden. Auch das Papier war sicherlich handelsüblich, und nach Fingerabdrücken des Täters würde man natürlich vergeblich suchen. Gemeinsam war allen Briefen außerdem, daß sie höchstens aus ein paar Sätzen bestanden.
»Der ist erst heute gekommen.« Berkovic deutete auf einen der Briefe, und mir war, als ob er – eine sicherlich hartgesottene Unternehmernatur – dabei ein leichtes Zittern seiner Finger zu unterdrücken versuchte. »Haben Sie gestern in den Nachrichten die Bilder von dem Restaurant nach dem Bombenanschlag gesehen?« stand auf dem Papier. »Keine Angst, Berkovic, so was machen wir nicht. Wir haben uns für Leute wie Sie was viel Besseres ausgedacht.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer dahinterstecken könnte?« wollte ich wissen.
Berkovic schüttelte abermals den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Ich habe natürlich Konkurrenten, auch Neider. Aber wirkliche Feinde, denen so etwas zuzutrauen wäre, habe ich nicht. Weder privat noch in Gastronomen-Kreisen.«
Ich hatte plötzlich eine Idee. »Wie ist eigentlich Ihr Pachtverhältnis? Alles in Ordnung damit? Oder ist es gespannt?«
»Sie meinen, es könnte sein, daß man mich hier herausekeln will? Fehlanzeige. Gebäudeeigentümerin ist eine kirchennahe Organisation, da ist bekanntlich in geschäftlichen Dingen nicht gerade christliche Milde zu erwarten, aber unseriöse oder gar kriminelle Praktiken sind ihnen nicht zuzutrauen, auf keinen Fall. Auch die Brauerei ist da über jeden Verdacht erhaben.«
Ich kratzte mit dem Kugelschreiber über meinen Notizblock. »Eine andere Frage: Wie war Ihre Haltung während des Balkankrieges?«
Berkovic wirkte etwas ratlos. »Wie Sie wahrscheinlich schon wissen werden, bin ich gebürtiger Kroate. Natürlich habe ich während dieses unglückseligen Krieges Geld nach Hause geschickt, soweit es im Rahmen meiner Möglichkeiten lag, aber politisch engagiert war ich nie. Es war für mich auch eine Selbstverständlichkeit, daß mein damaliger Oberkellner, obwohl er Serbe war, bei mir bleiben sollte – er war mein bester Mann, vom Chefkoch einmal abgesehen –, aber er ist von sich aus gegangen.«
»Die Sache mit den Drohbriefen könnte auch etwas mit Gästen Ihres Restaurants zu tun haben«, erklärte ich. »Was können Sie mir dazu sagen?«
»Meine Gäste kommen aus allen Altersgruppen und aus allen sozialen Schichten«, antwortete Berkovic nicht ohne Stolz. Dem behäbig wirkenden Mann war anzumerken, daß er wieder ganz in seinem Element war. »Sogar ein früherer Bundespolitiker – Sie wissen, der mit den vielen Skandalen – kam schon mal her. Oft werden auch Tische bestellt für größere Gesellschaften – Kegelclubs oder Leute, die was zu feiern haben, zum Beispiel Betriebsjubiläen, Geburtstage oder Promotionen. Ich habe sogar ein paar Nischen wieder herausgerissen, um Platz zu schaffen für größere Tafeln. Nur