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Die drei historischen Regionen Europas
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Die drei historischen Regionen Europas

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Jeder kennt die Linie, die Europa in den letzten Jahrzehnten in markante Hälften trennte. Doch wenige wissen, dass diese Grenze entlang Elbe und Leitha bereits seit dem Frühmittelalter eine strukturelle Trennlinie zwischen »Europa occidentalis« und »Europa orientalis« war. Beidseits dieser Linie bildete sich eine Zwischenregion, ein drittes Europa, Mitteleuropa.

Diesem - nicht nur geographischen - Raum gilt das Interesse des ungarischen Historikers Jenö Szücs (1928-1988). Frei von Habsburgmythos oder fragwürdiger Nostalgie versucht er, die politischen Strukturen dieser Region verständlich zu machen. Sein faszinierend zu lesender, historisch bis ins Frühmittelalter reichender Rückgriff ist methodisch in Anlehnung an die Vertreter der französischen »Annales«-Schule (Jaques le Goff, Fernand Braudel und Georges Duby) geschrieben.

Die vorliegende Studie von Jenö Szücs, deren Übersetzung in Frankreich und England große Resonanz fand, trägt mit der Darstellung und Erklärung dieser langfristig in Ostmitteleuropa wirkenden Strukturen zugleich zum Verständnis der aktuellen politischen Zusammenhänge bei, ohne dabei von der historischen Darstellung abzuweichen.
LanguageDeutsch
Release dateMay 5, 2014
ISBN9783801505400
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    Book preview

    Die drei historischen Regionen Europas - Jenö Scücs

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort von Fernand Braudel

    Text

    Anmerkungen

    Jenö Szücs (1928-1988)

    Jenö Szücs

    Die drei historischen

    Regionen Europas

    Mit einem Vorwort

    von Fernand Braudel

    Aus dem Ungarischen

    von Béla Rásky

    Verlag Neue Kritik

    Die ungarische Originalausgabe erschien 1983 unter dem Titel »Vázlat Európa három történeti régiójáról« im Verlag Magvetö Könyvkiadó, Budapest.

    © 1983 by Jenö Szücs Rechtsnachfolger

    © für das Vorwort von Fernand Braudel L‘Harmattan 1985

    Alle deutschen Rechte Verlag Neue Kritik Frankfurt 1990

    Die E-Book-Ausgabe folgt der 2. Auflage der Printausgabe (1994)

    © für die E-Book-Ausgaben Verlag Neue Kritik 2014

    ISBN 978-3-8015-0540-0 (epub)

    ISBN 978-3-8015-0541-7 (mobi)

    ISBN 978-3-8015-0542-4 (pdf)

    www.neuekritik.de

    Vorwort von Fernand Braudel

    Es freut mich, dass hiesigen Lesern ungarische Bücher in Übersetzungen zugänglich werden. Es freut mich umso mehr, als das ungarische Denken auf sämtlichen Gebieten nach wie vor lebendig, fruchtbar und von allgemeinem Interesse und Nutzen ist. Erweisen sich doch Ungarns Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen und Historiker – um nur diese zu nennen – bei den großen internationalen Kongressen als Gesprächspartner ersten Ranges.

    Daher begrüße ich das Erscheinen des brillanten Buches »Die drei Regionen Europas« von Jenö Szücs, in dem ein Grundmodell, ein ursprüngliches Paradigma der komplizierten Geschichte unseres Kontinents dargestellt wird: die Unterscheidung zwischen Westeuropa, Ostmitteleuropa und Osteuropa.

    Die Grenzen dieser drei europäischen Regionen verschieben sich zwar im Laufe ihrer langen Geschichte, doch ob nun mehr nach Osten oder nach Westen verlagert, immer bleiben diese drei Welten bestehen, behaupten sich, kommen sich näher, entfernen sich voneinander und definieren sich in jedem Augenblick ihrer Geschichte gegenseitig. Ein Spiel, bei dem die vergleichende Geschichtswissenschaft auf der ganzen Linie triumphiert.

    Im Mittelpunkt der Ausführungen steht Ostmitteleuropa – Polen, Ungarn, Böhmen … – als fester Rahmen, von dem aus der Autor sich den beiden anderen Europas nähert. Im Zusammentreffen mit diesen Nachbarn wendet sich Ostmitteleuropa einmal mehr dem einen, einmal mehr dem anderen zu, verrät den einen, entscheidet sich für den anderen, wechselt aber auch, ohne es recht zu wollen, die Seiten. Unter diesem Hin und Her, das seine »Strukturen« strapaziert bzw. umstürzt, leidet dieses mittlere Europa die meiste Zeit, es gelingt ihm nicht, zu sich selbst zu finden, sich zu vollenden. Liegt das nur an seiner geographischen Lage, an der Mittellage, der es nicht entkommen kann? Die Nachbarn sind einfach zu sehr im Vorteil: der Westen öffnet sich der Unermesslichkeit des Atlantik, ihm gehört Amerika. Der Osten dehnt sich auf Kosten der dichten Landmasse Asiens aus. Die Besetzung Kasans (1551), Astrachans (1556) – und damit die Herrschaft über die Wolga –, dazu die Annektierung der polnischen Ukraine (1667-1686), die seit dem 16. Jahrhundert sich anbahnende Eroberung Sibiriens: Russland verwandelt sich über einen langen Zeitraum in eine autonome »Weltwirtschaft«. Das mittlere Europa wird nie diese unerhörte Möglichkeit haben, sich räumlich auszudehnen, so gewaltig über sich selbst hinauszuwachsen. Es wird von seinen Nachbarn eingeschlossen, gefangen gehalten.

    Doch gerade dieses gegensätzliche Schicksal ist für Jenö Szücs ein hervorragender Prüfstein, um die Geschichte der beiden privilegierten Nachbarn genauer zu bestimmen und zu verstehen.

    Ich bin sicher, dass die Historiker es zu schätzen wissen, was der Autor immer wieder über den Westen, der ja ihr bevorzugtes Jagdgebiet ist, erklärt – was er ihnen so nachdrücklich sagt, wird sie zwingen, mehr als einmal ihre gewohnten Deutungsmuster zu überdenken. Ich gebe zu, dass es mir großes Vergnügen bereitet hat und dass ich manche Passagen zwei- bis dreimal gelesen habe, Passagen, die mich verblüffen, wenn auch nicht immer überzeugen, die aber unsere Fachdisziplin zu neuen Fragestellungen zwingen. Es ist ein Verdienst des Autors, ebenso zur Diskussion wie zur Reflexion herauszufordern, und es wäre gut und notwendig gewesen, mit ihm darüber zu diskutieren.

    Ohne Vorbehalt gefällt mir, wie Jenö Szücs darauf beharrt, zumindest seit dem 13. Jahrhundert zwischen einer sich gegen den Staat abgrenzenden zivilen Gesellschaft und einer politischen Gesellschaft, die der Staat ist und die jener gegenübersteht, zu unterscheiden. Zwischen den beiden Gesellschaften tut sich eine Front auf, die unstreitig eine spezifische Eigenart der westlichen Geschichte und Zivilisation ist.

    Ist diese Unterscheidung nun ein Erbe des Feudalismus, der den ersten mittelalterlichen Staat fast gänzlich zum Erliegen brachte, und zwar für mehrere hundert Jahre? Der Autor, der zu markanten Formulierungen neigt, schreibt: »Aus dem Feudalismus und nicht aus der Antike hat Europa den Begriff der menschlichen Würde als konstituierendes Element seiner politischen Beziehungen entlehnt.« Er greift auch nebenbei die brisante Behauptung Perry Andersons auf: »Der absolutistische Staat war im Westen ›eine Kompensation für das Verschwinden der Leibeigenschaft‹.« Ebenso brisant, diesmal vom Autor selbst, der lapidare Satz: »Im Westen war die Aufklärung bereits Sache der Gesellschaft und nicht des Staates.« Wie man sieht, springen wir wie bei dem Kinderspiel, bald von der einen, bald von der anderen Seite über die lebendige Bruchstelle zwischen der zivilen Gesellschaft – d.h. allen Menschen – und den privilegierten, repressiven oder sogar vom Geist des Guten beseelten Minderheiten, die die politische Gesellschaft ausmachen. Mit anderen Worten, in diesem weit ausholenden Essay gibt es nicht nur territoriale Grenzen. Es gibt auch soziale Grenzen… Man halte das Buch daher nicht für allzu einfach.

    Alles in allem zeigt sich uns die ungarische Geschichtsschreibung einmal mehr von ihrer besten Seite. Der Autor ist das ganze Buch hindurch zutiefst darum bemüht, seinem Lehrer, dem originellen, leidenschaftlichen historischen Denker István Bibó (1911-1979), seine Referenz zu erweisen. Was er über diesen sagt, ist bewegend, wichtig. War es doch István Bibó, der erklärte, und mit diesem verkürzten Zitat beende ich dieses Vorwort: »Hinter den historischen Ereignissen liegen die Strukturen der Gesellschaft, die über einen langen Zeitraum das Wesentliche sind …« Auch Jenö Szücs spricht in Bezug auf das erste moderne Russland von »Weltwirtschaft«. István Bibó wiederum spricht von langer Dauer. Ich befinde mich auf vertrautem Terrain.

    (Aus dem Französischen von Ulrike Schubert)

    Vorwort

    Die vorliegende Skizze ist dem Andenken von István Bibó (1911-1977) gewidmet.

    Bibó war zwar kein Historiker, sondern ein politischer Denker – doch die Geschichtswissenschaft war ein organischer Bestandteil seines Lebenswerkes. Hier geht es gar nicht darum, dass ein Politologe in seine Folgerungen seine außergewöhnliche historische Bildung und Sensibilität einfließen ließ; ja nicht einmal darum, dass er mit der Schaffung eines außergewöhnlichen Zeitbildes des letzten Jahrhunderts eine souveräne historiographische Leistung geboten hat. Es geht um mehr. Als gelehrter politischer Denker war er sich darüber im Klaren – und war damit ein Beispiel für die Historiker –, dass das Wesentliche hinter dem »Ereignis« langfristige, über Jahrhunderte wirkende »Strukturen« sind, die für die Gegenwart gleichzeitig die Grenzen des Handelns festsetzen und Möglichkeiten politischer Aktion anbieten. Die Essenz des schmerzlicherweise unvollendeten Lebenswerkes István Bibós steht genau zwischen den schonungslos vermessenen Grenzen und den optimalen Möglichkeiten der gegebenen Realität: Was könnte und müsste mit einer Gesellschaft geschehen, die – wegen ihrer historisch-strukturellen Grenzen – einer Revolution oder demokratischen Umwandlung bedarf, um ihre optimalen Möglichkeiten zu entfalten, auch wenn sich die Möglichkeit einer revolutionären Veränderung oder der Demokratie nicht in einer revolutionären Situation ergeben hatte?

    Vor dem Hintergrund der langfristigen Entwicklung dieser Grenzen und Möglichkeiten betrachtete István Bibó die ungarische Geschichte als eine Abfolge von drei Phasen. Extrem vereinfacht, war Ungarn in den ersten fünfhundert Jahren nach der Jahrtausendwende »strukturell«, d.h. mit seinem Gesellschaftsgefüge, Teil des Westens oder näherte sich ihm zumindest an (obgleich »mit einfacherem Gewebe, provinziellem Charakter« und »mit graduellen Unterschieden«). Historische Katastrophen führten dann aber dazu, dass das Land für die nächsten vierhundert Jahre in eine Struktur osteuropäischen Typs gedrängt wurde, die von »der Unbeweglichkeit der gesellschaftlichen Kräfte«, »toten Punkten« und hoffnungslosen Ausbruchsversuchen gekennzeichnet war, bis dieser Prozess in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in eine eigenartige »Sackgasse« mündete. Erst das Jahr 1945 eröffnete – so glaubte und bekannte Bibó – einen Ausweg (und den »neuerlichen Anschluss an die westliche Gesellschaftsentwicklung«). Die Absteckung der Grenzen und Möglichkeiten, sich aus dieser »Geschichte in der Sackgasse« herauszuarbeiten, bildet denn auch das Rückgrat seines Œuvres.

    Wie ernst István Bibó die Geschichte nahm, dafür gibt es einen tragisch suggestiven Beleg. Noch einige Tage vor seinem Tod, schon im Spital, als er nur noch stockend sprach und seine Stimme bereits versagte, befasste er sich mit der Frage des dritten Standes. Während die Krankenschwestern ein und aus gingen, mit ihren Instrumenten klapperten, sowie Kranke und Besucher um ihn herumschlurften, vertiefte sich der Todgeweihte mit trotziger Anstrengung in die Erörterung, dass die automatische Gleichsetzung des Begriffs Tiers-état mit dem Bürgertum falsch sei: eigentlich setze sich der dritte Stand ursprünglich aus jedem – aus »jedem«, der nicht an den adeligen Privilegien teilhatte – zusammen. Und wenn sich diesen Rahmen auch das Bürgertum angeeignet hat (womit sich in der Folge sehr rasch der vierte, und dann der selbst aus diesem verdrängte fünfte Stand bilden sollte), beziehen sich bestimmte, mit ihm zusammenhängende ursprüngliche Modelle noch immer auf »jeden«. Die Erörterung (obgleich die Müdigkeit und dann der Tod diese für ewig unterbrachen) fand

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