Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Gaywolf
Gaywolf
Gaywolf
Ebook235 pages3 hours

Gaywolf

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Ein Gruselthriller aus der Welt schwuler Werwölfe.
Eine laue Sommernacht im Stadtpark. Vollmond. Cruisende Männer streifen im Gebüsch umher. Flüstern. Plötzlich hallt ein blutrünstiges Heulen durch die Nacht. Jemand ruft um Hilfe. Panik, Flucht, Angst. Ein Schatten macht sich über das Opfer her. Ein Wimmern. Dann Stille. Seit einigen Wochen lauert das Grauen in der Stadt. Fünf Opfer, alle schwul, alle an einschlägigen Orten ermordet. Nicht nur die Polizei ist dem Biest auf der Spur. Nach einer unheimlichen Begegnung mit der Kreatur macht auch das Freundespaar Leon und Tibor eigene Erkundungen in der Szene. Zum Schluß reisen auch Leons Mutter und Tante an, um vereint dem Bösen auf die Schliche zu kommen, denn Leons Mutter ahnt, daß ihr Sohn mehr weiß, als er zugibt. G.-Roger Forster debütiert mit einem packenden Thriller in der Tradition der besten Gruselerzähler. Spannend, erotisch und ganz bestimmt nicht für schwache Gemüter.
LanguageDeutsch
Publisher110th
Release dateJan 13, 2015
ISBN9783958655287
Gaywolf

Related to Gaywolf

Related ebooks

Fantasy For You

View More

Related articles

Reviews for Gaywolf

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Gaywolf - G. Roger Forster

    nicht.

    Prolog

    Dies ist die Geschichte eines Sommers, der unsere Stadt veränderte. Eine Geschichte von Mord, stummer Angst und Ignoranz. Wobei Ignoranz noch das Schlimmste war. Ich würde nicht behaupten, daß aus Dummheit geschwiegen wurde. Eher aus Furcht. Furcht davor, selbst verdächtigt zu werden, denn viele fühlten sich schuldig. Nicht schuldig der Morde. Aber schuldig, zu einer Gruppe zu zählen, der sowohl der Täter angehörte als auch die Mehrheit seiner Opfer. Sie fürchteten sich davor, etwas zu sagen, denn indem sie den Mörder anklagten, denunzierten sie sich auch selbst. Wenngleich sie vorgaben, frei und in einer toleranteren Gesellschaft zu leben, als es ihre Vorfahren taten, so bestand doch das Erbgut vergangener Generationen in ihnen fort, genau wie auch das Erbgut seiner Ahnen im Blut des Mörders floß.

    In einer hellbeschienenen Junivollmondnacht schlich sich das Grauen in unsere Stadt. Bis in den September hinein sollte es kein Ende nehmen. Dann war es vorbei. Doch die Furcht ließ sich nicht austreiben. Sie währt heute noch wie damals. Genau wie die unauslöschbare Ignoranz und die fehlende Courage.

    Leon

    Even the man who is pure at heart

    And who says his prayers at night

    May become a wolf when the wolfsbane blooms

    And the autumn moon is bright.

    (Die Warnung der wahrsagenden Zigeunerin

    Maleva aus dem Film The Wolf Man, 1941)

    Der Mond im Stadtpark

    Begonnen hatte alles mal wieder mit Sex.

    Als alleinstehender Schwuler hat man heute eine Unzahl von Möglichkeiten, den schnellen, anonymen Fick zu bekommen. Eine der zuverlässigsten ist der Park.

    In dieser Stadt geht man meistens in den Wald am Zoo. Auch wenn man in jüngster Zeit wiederholt von den grausamen Morden in der Eilenriede in der Bild liest, schreckt es doch kaum einen ab, hier am Rande des bekannten Stadtwaldes seinen Gelüsten nachzugehen.

    Auch mich zog in dieser entscheidenden Juninacht die unstill- bare, ewige Geilheit in den Teil des Forstes, den einige scherzhaft den Zauberwald nennen.

    Damals suchte ich in den Büschen nach leidenschaftlicher Erotik mit unbekannten Leibern, nach Abenteuern, die mich aus dem grauen Alltag entführen sollten, nach jemandem, dem ich etwas von meiner unendlichen Liebe geben konnte und der mir gab, wonach ich verlangte.

    Ich suchte, doch was ich fand, war etwas ganz anderes. Denn an jenem Abend traten zwei folgenschwere Dinge in mein Leben, die alles Bisherige auf den Kopf stellen sollten.

    Zum einen fand ich ihn. Den Partner, der mich künftig durchs Leben begleiten sollte.

    Zum anderen fand ich das Grauen, das mir von da an keinen Schlaf mehr ließ.

    Seit jenem Abend wälze ich mich Nacht für Nacht in meinen feuchten Laken, von bösen Träumen gequält. Besonders in den Nächten, in denen der Vollmond auf mich herabsieht, finde ich keine Ruhe mehr. Stundenlang stehe ich und starre in die magisch weiße Scheibe am nächtlichen Firmament.

    Immer wieder frage ich mich: Wie konnte ich es zulassen, und wann wird es enden? Und vor allem: Wie wird es enden?

    Wir hatten Vollmond in jener Nacht. Doch durch das dichte Laubwerk drang nur wenig Licht zu den cruisenden Männern in den Büschen. Man mußte schon eine ganze Weile warten, bis man in der Finsternis jemanden ausfindig machen konnte.

    Ich war nicht zum ersten Mal hier. Daher wußte ich, wie unangenehm es war, durchs Dunkel zu stolpern - von dutzenden Augen beobachtet, die sich längst an die Düsterkeit gewöhnt hatten, ohne selbst etwas zu erkennen. Deshalb blieb ich vorerst im Wagen sitzen.

    In der Reihe geparkter Autos, die alle mit der Schnauze zum Waldrand standen, saßen andere Männer. Gelegentlich, wenn ein besonders gut aussehender Junge vor ihnen flanierte, spielten einige mit der Lichthupe. Nicht selten stieg dann der Angestrahlte ins Auto, und sie fuhren gemeinsam davon. Einige trieben es auch gleich auf dem Rücksitz, dort auf dem Parkplatz.

    Nach einer angemessenen Wartezeit stieg ich aus. Ich schloß den Wagen ab, stellte den Kragen meiner schwarzen Lederjacke auf und zündete mir eine Zigarette an.

    Ich hatte wohl noch nicht lange genug gewartet, denn noch immer hatten sich meine Augen nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Halb blind stolperte ich den unbefestigten Weg entlang. Einige Schritte weiter gelangte ich an eine Brücke, die über ein Bächlein führte. Geheimnisvoll flüsternd suchte sich das Gewässer seinen Weg durch den Wald. Ich lehnte mich lässig an das morsche Holzgeländer und rauchte zu Ende.

    Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht. Durch ein Loch im Laubdach der hohen Bäume fiel silbernes Mondlicht und spiegelte sich im klaren Wasser des Baches. In seinem Schein erkannte ich auch mehrere seltsame Pflanzen. Einige der gerade nach oben sprießenden Gewächse mit ihren gegeneinander gekreuzten, schmalen Blättern erreichten eine Höhe von eineinhalb Meter und trugen haselnußgroße Kapselfrüchte. Als ich mich beugte und sie berührte, sprangen die Hülsen knackend auf. Ähnliche Kräuter hatte mein Vater früher in unserem Garten angepflanzt. Er meinte immer, daß sie die Wühlmäuse vertreiben sollten. Ihr Name war, glaube ich, Wolfsmilch.

    Allmählich nahm ich in der Düsternis auch andere Gestalten wahr. Das Ritual konnte beginnen: Es war das übliche Spiel mit schüchternen, manchmal fordernden Blicken. Männer gingen an mir vorüber, blieben ein Stück weiter stehen, drehten sich um, setzten ihren Weg fort. Man schaute jemanden kurz, aber interessiert an; dieser erwiderte den Blick mit einem kaum erkennbaren Nicken oder Schütteln des Kopfes. Aus langjähriger Praxis war mir jede Geste bekannt. Schon an einem Augenaufschlag konnte ich erkennen, ob sich das Fortsetzen des Balzrituals rentieren würde.

    Ich brauchte nicht lange, um den dunkelhaarigen Jungen zu entdecken. Provokativ lehnte er an einem Baum; sein herausfordernder Blick haftete auf mir. Ich schätzte sein Alter auf Mitte Zwanzig, vielleicht etwas älter. Das kurze Haar lief in wohlgestutzte Koteletten aus. Glitzernd fing sich das Mondlicht in zwei silbernen Ohranhängern. Keine einfachen Ringe. Sie stellten ein bestimmtes Motiv dar, welches ich aus der Entfernung allerdings nicht zu deuten vermochte.

    Bis zum heutigen Tag kann ich nicht erklären, was mich so sehr zu ihm hinzog. Immer wieder versuche ich mir einzureden, daß es nur der Trieb war, der mich schließlich auch in diesen Park gelockt hatte. Doch eigentlich, so glaube ich, war es mehr die Neugierde, zu erfahren, welches Symbol seine Ohrringe zierte. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Ich spürte so etwas wie die Macht des unabwendbaren Schicksals in mir. Ein Fatum, das mich an diese glänzenden Schmuckteile band.

    Langsam löste ich mich vom Geländer und schlenderte auf ihn zu. Beim Näherkommen fixierten mich seine Augen. Wie ein Magnet zog er mich an. Geradezu hypnotisch. Schritt für Schritt näherte ich mich. Dabei heftete sich mein Blick beharrlich auf seine dunklen Augen. Dicht zusammengewachsene Brauen verliehen ihm eine diabolisch triebhafte Ausstrahlung.

    Vom nahen Zoo wehte ein kaum merklicher Windhauch Tierschweiß in den Wald, und der Geruch schien die Geilheit der Männer, deren sanft-heftiges Stöhnen aus den umstehenden Büschen drang, zu steigern.

    Immer mehr näherte ich mich dem Fremden, der ein unwiderstehliches, animalisches Begehren in mir erregte.

    Schwer atmend standen wir uns gegenüber. Auge in Auge. Wir wechselten kein Wort, wußten beide, was wir wollten. Ich streckte meine Hände aus, ihn zu berühren. Forschend erfaßte ich seine schlanken Hüften und ließ ruhelos die Hände über seinen Körper wandern. Sie streichelten seinen Bauch, die Taille, die Brust. Er besaß muskulöse Schultern und einen sehnig schlanken Hals. An seinem sanften Gesicht ließ ich meine Hände schließlich ruhen.

    Auch er begann meinen Körper zu erforschen. Zärtlich streichelte er meine Brust. Mit nur einem Finger zog er in einer langsamen Linie hinunter bis zum Bauchnabel und tiefer zum Ansatz meiner Schamhaare. Mit der anderen Hand löste er mir schon den Gürtel.

    Noch immer umschlossen meine Hände sein jugendliches Gesicht.

    Er schob eine Hand in meinen geöffneten Hosenbund und begann mich rhythmisch zu bearbeiten.

    Meine liebkosenden Finger stießen an seine Ohrringe. Neugierig spielten sie mit dem glitzernden Schmuck, den ich nun in aller Ruhe betrachten konnte. Jetzt erkannte ich auch das fein gearbeitete Symbol, das sie zierte: In einem Kreis war ein fünfwinkliger Stern gefaßt. Ein Pentagramm.

    Bis heute weiß ich nicht, wieso ich es tat. Warum ich wie selbstverständlich die Ösen der Anhänger löste. Behutsam zog ich sie ihm aus den Ohrläppchen, und während ich ihn dann liebevoll umarmte, nahm ich das Silber, von ihm unbemerkt, in die rechte Hand und ließ es ebenso heimlich in meiner Hosentasche verschwinden.

    Weder trug ich selbst Schmuck, noch glaubte ich, daß die Klunker irgendeinen Wert hatten. Wahrscheinlich stammten sie von einem der vielen Ramschstände in der Passarelle unterm Bahnhof. Auch war ich kein Dieb. Nie zuvor hatte ich gestohlen oder sonst irgendwie gegen das Gesetz verstoßen. Es mußte eine höhere Macht im Spiel gewesen sein, die mich verleitete, die Pentagramm-Ohrringe an mich zu nehmen. Welches verhängnisvolle Schicksal sich damit verband, wurde mir erst später klar. Viel später.

    Kurz vor dem Höhepunkt der Ekstase, in die mich der Junge führte, ließ er von mir ab und begann, mir die Brustwarzen zu streicheln. Wegen der Schwüle trug ich die Lederjacke auf nackter Haut.

    „Und du? Er hatte eine weiche, beruhigende Stimme. Herausfordernd senkte er sein Gesicht, wobei mich seine Augen von unten herauf begehrend anflehten. „Möchtest du nicht auch etwas für mich tun?

    Ich schwieg und dachte nach. Sicher befürchtete er, ich ließe ihn in seiner Erregung allein, sobald ich befriedigt war. Vielleicht hatte er zu oft schlechte Erfahrungen gesammelt.

    „Du hast schöne Hände", bemerkte er und nahm sie in die seinen. Behutsam führte er sie zum Mund und lutschte an meinen Fingern. Er drehte die Handflächen seinem Gesicht zu, wollte sie küssen. Dann, ganz unerwartet, änderte sich sein Gesichtsausdruck. Seine Augen glänzten schreckensstarr, als spiegelten sich in ihnen Faszination und Entsetzen zugleich. Seine Fingernägel gruben sich tief in das Fleisch meiner Handrücken. Gebannt starrte er auf meine Handflächen, dann in mein Gesicht. Schließlich stieß er mich schlagartig von sich und stürzte wie in Panik geraten davon.

    Was war geschehen? Wieso hatten ihn meine Hände so erschreckt? Fragend betrachtete ich sie. Was hatte ihn so sehr entsetzt?

    Stille breitete sich plötzlich im Unterholz aus. Mir war, als verstummten alle Geräusche der Nacht. Selbst das leise Stöhnen in den Büschen war nicht mehr zu hören. Nur vom Zoo drang schwach das klagende Heulen eines einzelnen Wolfes herüber.

    Ich holte die beiden Ohrringe aus meiner Tasche. Nachdenklich betrachtete ich die Schmuckstücke mit den fünfzackigen Sternen. Das Licht des Vollmondes fing sich im Silber des Schmucks.

    Was hatte ich falschgemacht?

    Plötzlich zerschnitt ein furchtbares Jaulen die Stille. Der nächtliche Wald schien unter dem Laut zu erbeben. Fast erinnerte der Schrei an den Ruf des Wolfes aus dem Zoo. Nur schien er zu nah, um aus dem Tierpark stammen zu können.

    Ich ballte meine Hand, in der sich noch immer die gestohlenen Schmuckstücke befanden, zu einer Faust.

    Deutlich vernahm ich das Tuscheln der Männer, die sich überall in den Büschen verbargen. Sie unterbrachen ihren Akt, und flüsternde Hysterie kroch durchs Unterholz. Man roch förmlich den Angstschweiß, der durch überschüssiges Adrenalin freigesetzt wurde. Das stumme Cruising endete abrupt. Wo zuvor noch unterdrücktes, lustvolles Stöhnen zu vernehmen war, wurde nun leise geflucht. Mit bebenden Stimmen raunten sich die Schatten zu: „Was war das? „Hast du's auch gehört? „Unheimlich!"

    Zweige knackten.

    Die Stimmen der Dunkelheit verstummten. Niemand wagte sich zu rühren.

    Stille.

    Der Geruch von Tierschweiß.

    Niemand mochte so recht glauben, daß die schnüffelnden Laute und der scharfe Urindunst vom Zoo herüberdrangen.

    Irgend etwas war unter uns. Das lag in der Luft. Ein lang anhaltendes Knurren wand sich durchs Geäst.

    Panik.

    Ein Schatten löste sich aus der Finsternis. Jemand begann zu laufen, schlug sich blind durchs Unterholz.

    Ich sah in Richtung des stürmisch Davonhastenden, während eine dunkle, riesenhafte Silhouette gebückt die Verfolgung aufnahm. Sie sprang.

    Ein markerschütternder Schrei zerriß die gespannte Stille. In die Büsche rundherum kam Bewegung. Die Menge flüchtete.

    Triumphierend drang das unheimlichste Wolfsheulen, das man sich vorstellen kann, durch die Nacht. Gebannt vor Entsetzen war es mir nicht möglich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ein Schatten flog mir entgegen, prallte auf mich.

    „Mein Gott, lauf weg!" herrschte mich die Gestalt an. Ich glaubte, blutige Striemen auf seinem Gesicht zu erkennen, doch ehe ich sicher sein konnte, hatte er bereits seine Flucht fortgesetzt. Ich sah ihm nach, wie er im Dickicht verschwand.

    Schemenhaft huschte ein hechelndes Geschöpf an mir vorüber. Es folgte dem Mann ins dichte Unterholz.

    Ich war wie gelähmt, unfähig mich zu rühren. Unentwegt starrte ich auf die Stelle, an der ich das riesige Ungetüm für einen Moment gesehen hatte.

    Ich versuchte mir alles Mögliche einzureden. Doch eine Hälfte meines Hirns, die ich bisher stets für die rationale, logisch denkende hielt, schrie immer wieder dazwischen:

    Ein Wolf!

    Verdammt, das konnte doch nicht möglich sein! Ich hatte ja schon einige haarsträubende Überfälle auf meinen nächtlichen Expeditionen erlebt. Ich wußte von den Gefahren - kalkulierbaren Gefahren. Der Reiz dieser Unsicherheit war mir stets bewußt. Und für den Ernstfall trug ich ja schließlich auch mein Messer an der Wade. Doch dieser Bursche da eben ... Dieses gräßliche Wesen mit seinem zotteligen, im Mondschein schimmemden Fell hatte nichts mit homophoben Schlägertrupps gemein. Ein in Panik geratener Killer. Durch die Wut, wodurch auch immer verursacht, so unberechenbar gefährlich.

    Das mächtige Tier muß aus seinem Gehege ausgebrochen sein. Aber warum verhielt es sich so aggressiv?

    Im Gebüsch wurde gekämpft. Das wilde Knurren und Fauchen der Kreatur vermischte sich mit den panischen Hilfeschreien des Angefallenen. Ich griff nach der Lederscheide an meiner Wade und zog das Messer hervor. Mit einem mächtigen Satz sprang ich in den Busch, in dem der Kampf ausgetragen wurde.

    Verzweifelt lag der Junge unter dem Tier. Der Wolf hielt ihn mit seinen mächtigen Pranken gefangen. Mit seinen scharfen Reißzähnen zerrte er ihm das Hemd vom Leib.

    Mein Messer in der einen Faust, die Ohrringe noch immer in der anderen, sprang ich auf das wilde Tier und riß es von dem Jungen herunter.

    Der Wolf lag unter mir, seine großen, finsteren Augen starrten mich abschätzend an.

    Es fällt mir schwer, die Gefühle zu beschreiben, die ich in diesem Augenblick hatte. Ich war erregt. Zum Teil aus Furcht. Aber da war noch etwas anderes.

    Diese Augen.

    Diese herrlich dunklen, funkelnden Augen unter den buschigen Brauen, die sich deutlich vom grauen Fell abhoben.

    Ohne daß das Tier sich wehrte, setzte ich ihm die Klinge an die Kehle, bereit, ihm ein rasches Ende zu bescheren. Doch irgend etwas hielt mich zurück.

    Ich konnte ihn nicht töten. Keinem Geschöpf mit derart sinnlichen Augen durfte so jäh das Leben genommen werden.

    Mir war ähnlich einem déjd-vu-Erlebnis zumute. Diese Augen. Konnten diese wunderschönen, dunklen Augen wirklich einem so wilden Tier gehören? Mir war, als sähe ich sie nicht zum ersten Mal.

    Mit einem unerwarteten Ruck befreite sich der Wolf aus meiner Umklammerung. Einer glühenden Peitsche gleich hieb mir die mächtige Klaue durchs Gesicht, und plötzlich spürte ich Blut über meine Wangen rinnen. Der gleich darauf einsetzende Schmerz war entsetzlich. Ich kniff die Augen zu und wischte mir mit dem Ärmel meiner Lederjacke übers Gesicht.

    Ich erwartete mit geschlossenen Lidern, daß der Schmerz nachließe. Doch er blieb. Notgedrungen öffnete ich die Augen, um einer erneuten Überraschungsattacke zu entgehen.

    Der Junge lehnte wimmernd an einem Baum.

    Auf allen vieren vor mir aufgebaut, kostete der Wolf seinen Triumph aus. Die Oberlippe zurückgezogen, so daß die Nase in Falten lag, bleckte er die Zähne und knurrte mich an. Die Bestie senkte die Schultern, und ich konnte das Spiel seiner Muskeln beobachten, als der Wolf zum Sprung ansetzte.

    Entschlossen hielt ich mein Messer in der Hand. In der anderen steckte noch immer der Schmuck des dunkelhaarigen Jungen, der so überstürzt geflohen war.

    Der Wolf sprang.

    Im selben Augenblick riß ich das Messer hoch, und das wütende Tier hechtete direkt in die Klinge. Durch die Wucht des Aufpralls glitt mir die Waffe aus der Hand, blieb aber in der Brust des verwundeten Viehs stecken. Unter Schmerzgeheul rollte der Wolf auf die Seite, richtete sich aber sofort wieder auf und präsentierte mir erneut seine scharfen Fänge im weit aufgerissenen Maul.

    Gänzlich entwaffnet lag ich nun vor dem Raubtier

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1