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Zeitzünder
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Zeitzünder

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Zeitzünder oder: Die vergessene Bombe

Jürgen Schmitt ist Mitglied der Hannoverschen Mafia, in der Hierarchie allerdings ganz weit unten. Ansonsten gibt er den braven Arbeitslosen; - und so soll es auch bleiben. Bis eines Tages zweierlei passiert: Eine Frau gerät in sein ansonsten beschauliches Leben und er bekommt einen Mordauftrag! Damit nicht genug! Er erhält Kenntnis vom Standort einer Zeitzünder-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Bevor er seinen ärgsten Feind damit in die Luft sprengen kann, ist noch der Mord zu begehen!

Nur, - es stellt sich heraus, dass schon jemand anders seinen Mord begangen hat! War es seine Freundin, die versucht, ihn in der Hierarchie nach oben zu bringen? War es Freddy the Brain, der nur das schlichte Gemüt spielt und ihm dauernd auf den Geist geht. War es Regine, seine 'Beste Freundin', oder gar Anneliese Angermann, seine Nachbarin, die Langeweile hat, weil ihr Mann dauernd auf Montage ist. Und dann ist da noch die Frage, ob der Zeitzünder überhaupt funktioniert, nach so langer Zeit.
LanguageDeutsch
Publisher110th
Release dateJan 28, 2015
ISBN9783958656567
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    Zeitzünder - Hagen van Beeck

    werden.

    KURZINHALT

    Zeitzünder oder: Die vergessene Bombe

    Jürgen Schmitt ist Mitglied der Hannoverschen Mafia, in der Hierarchie allerdings ganz weit unten. Ansonsten gibt er den braven Arbeitslosen; und so soll es auch bleiben. Bis eines Tages zweierlei passiert: Eine Frau gerät in sein ansonsten beschauliches Leben und er bekommt einen Mordauftrag! Damit nicht genug! Er erhält Kenntnis vom Standort einer Zeitzünder-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Bevor er seinen ärgsten Feind damit in die Luft sprengen kann, ist noch der Mord zu begehen!

    Nur, es stellt sich heraus, dass schon jemand anders seinen Mord begangen hat! War es seine Freundin, die versucht, ihn in der Hierarchie nach oben zu bringen? War es Freddy the Brain, der nur das schlichte Gemüt spielt und ihm dauernd auf den Geist geht. War es Regine, seine 'Beste Freundin', oder gar Anneliese Angermann, seine Nachbarin, die Langeweile hat, weil ihr Mann dauernd auf Montage ist. Und dann ist da noch die Frage, ob der Zeitzünder überhaupt funktioniert, nach so langer Zeit.

    ÜBER DEN AUTOR

    Hagen van Beeck ist 64 Jahre jung und lebt in Bremen. Ein beruflicher Allrounder dessen Lieblingsautoren die der Münster-Tatorte und die der Columbo-Krimis sind, wegen der intelligenten Drehbücher. „Ja, und dann war ich mal mit einem der Jerry Cotton-Schreiber mächtig einen trinken, was mein bemerkenswertestes Literarisches Erlebnis war!"

    Zeitzünder

    oder: die vergessene Bombe

    Tatort: Lehrte bei Hannover und Umgebung

    Mittwoch

    Die könnte ein wenig Öl gebrauchen, dachte ich, als ich die Tür vorsichtig aufdrückte und dabei meinen Elektro-Pick aus dem Schloss zog. Ab jetzt lief die Zeit. Die Alarmanlage hatte ihre Meldung mit Sicherheit bereits an den Wachdienst oder die Polizei weitergegeben. Bis die da waren, musste ich wieder raus sein. Mit dem Bild, einem Bild von Paula Modersohn-Becker, ‘Die Brücke im Teufelsmoor’.

    Wie immer galt mein erster Blick nach dem Eindringen dem Steuergerät der Alarmanlage, manchmal war noch was zu retten, ein paar Minuten vielleicht, oder sie war noch schnell zu deaktivieren. Das erübrigte sich, denn die Anlage war nicht eingeschaltet. Einen Atemzug lang wunderte ich mich, denn wenn einer seine Eingangshalle voller alter Worpsweder Bilder hängen hat, wird er kaum vergessen, des Nachts die Alarmanlage einzuschalten.

    Keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

    Ich ließ den Lichtfinger meiner Stablampe über die Bilder gleiten. Der fand den Modersohn-Becker sofort. Sogar in Augenhöhe neben einem Fritz Mackensen. Ich schaltete die Stablampe aus und hängte sie an meinen Gürtel. Diffuses Mondlicht fiel durch die halb zugezogenen Gardinen in den Raum. Fünf Schritte zum Bild und abhängen. Die perspektivischen Fehler des Bildes sprangen mich an wie eine Speinatter den Eindringling in ihr Revier. Paula hatte schon immer Schwierigkeiten mit der Perspektive. Sie hatte es trotzdem soweit geschafft, dass ihre Bilder einen derartigen Wert darstellten, dass sie sogar geklaut wurden. Egal. Raus aus dem Rahmen, rein in die Tasche. Es passte genau, gute Vorarbeit. Schnell weg. In diesem Moment vernahm ich einen Schrei. Laut und gellend peitschte ein „Nein!" durch die Halle. Eine Frauenstimme in Todesangst. Egal, raus.

    Trotzdem, es könnte mich alles kosten, was ich bislang aufgebaut hatte, und die Freiheit dazu. Zwei Schritte in Richtung Tür. Noch ein Schrei. Ich blieb stehen. Der Schrei war aus einer angrenzenden Tür gekommen. Jetzt drang ein leises Wimmern in die Eingangshalle. Um ein guter Dieb zu sein, muss man auch bereit sein, jemanden zu verletzen, im Notfall sogar zu töten; - aber eine Frau leiden zu lassen, steht auf einem anderen Blatt!

    Bisher war alles sehr schnell gegangen, ich lag gut in der Zeit, noch eine knappe Minute um mit dem Bild draußen zu sein. Der Teppich schlug eine Welle, als ich meinen Hacken hinein rammte um schnell zu stoppen und zu der Tür zu flitzen, aus der das Wimmern erklang. Soviel Zeit musste sein, ein paar Sekunden waren noch drin, obwohl Frauen vielfach grundlos schreien und wimmern; - aber diesmal nicht. Auf einer jungen Frau lag ein Mann und bewegte konvulsivisch seinen Hintern. Der beträchtliche Hintern eines gewichtigen Mannes. Die Frau sah mich, und ihr Blick war ein einziger Hilfeschrei.

    Normalerweise sind Einbrecher maskiert, ich war es diesmal nicht. Ich hieb dem Mann sicherheitshalber meine Stablampe auf den Kopf. Genau auf die Stelle und mit einer Intensität, die nicht den Schädelknochen durchbricht, aber ihm das Licht ausschaltet. Der Mann kippte von der Frau ohne mich gesehen zu haben.

    Ich wandte mich zum Gehen.

    Die Frau sprang auf.

    „Moment mal!"

    Sie warf sich ein Kleid über und ergriff eine Reisetasche. Total kaltblütig, gelassen, doch etwas wackelig auf den Beinen wie nach einer Fahrt mit der Achterbahn. Ich war noch nicht an der Haustür, da hatte sie mich bereits eingeholt.

    „Nehmen Sie mich mit. Bitte!"

    „Wie stellen Sie sich das vor?" Schnell zum Auto, schnell weg, mit dem Bild. So war es geplant, aber jetzt war die Frau da.

    „Ich komme einfach mit Ihnen, sagte sie absolut gelassen, „zur Polizei will ich nicht, in ein Hotel kann ich nicht. Was bleibt, ist mit Ihnen zu gehen. Der korpulente Mann konnte jeden Moment erwachen, eventuell würde er mich dann sehen und womöglich wiedererkennen, möglicherweise hatten die Nachbarn was gemerkt, vielleicht war die Polizei auch schon unterwegs. „Sie haben doch soeben ein Bild geklaut! Ich mache das Bild kaputt, wenn Sie mich nicht mitnehmen!" Sie hatte meine Tasche schon in der Hand und deutete an, mit dem Knie hinein zu stoßen.

    „Na gut." Ich gab nach. Ich hatte schon viel zu oft nachgegeben, zuletzt bei meiner Scheidung. Schnell zum Auto, einsteigen, ihre Tasche, meine Tasche auf die Rückbank und starten. Alles war ruhig. Keinem anderen Auto begegneten wir bis zur Schnellstraße Richtung Hannover.

    Die Frau neben mir bat mich um eine Zigarette.

    „Ich habe nur ohne Filter."

    „Egal."

    Knapp unter der vorgeschriebenen Geschwindigkeit rollten wir durch die Nacht und rauchten. Eigentlich passiert einem Mann so was nur einmal im Leben - wenn überhaupt - dass eine unbekannte, schöne junge Frau einfach ohne Fragen zu stellen und ohne Diskussion einfach mitkommt. Schwarze Haare hatte sie, kurz geschnitten und eine schlanke, jedoch kräftige Figur.

    „Wo fahren wir jetzt hin?, fragte sie und schnipste die Kippe aus dem Fenster, „zu Ihnen?

    Wieso formulierte sie bereits im ‘wir’?

    „Nein, ich muss erst das Bild abliefern. Kunstdiebstahl ist momentan mein Job."

    „Ah, ja. Sie nahm es mit einer Gelassenheit, als hätte ich ihr gesagt, ich sei Beamter im mittleren Dienst, KFZ Zulassungsstelle, total ereignisreich. „Durch diese Scheißvergewaltigung lasse ich mir mein Leben nicht durcheinander bringen, sagte sie gegen die Frontscheibe. „Und ich werde nicht durch diesen verdammten Schlauch von Verhören gehen! Meine Freundin hat das mal mitgemacht, die war anschließend reif für den Psychiater! Das mache ich nicht! Ich fange morgen beim Fitnessstudio ‘Corvus’ an! Und das tue ich auch, und wenn die Welt zusammenbricht! Ich war lange genug arbeitslos!" Blaue Augen hatte sie, und sie war schätzungsweise ein Vierteljahrhundert jünger als ich.

    „Ich werde Sie nicht dran hindern, im Gegenteil!" Wir schwiegen uns an, bis ich mein Ziel erreicht hatte, der Kiosk der ‘Fritten-Frieda’.

    ‘Fritten-Frieda’ betreibt zusammen mit ihrem Mann, dem ‘Macho-Mike’ einen Imbiss mit Kiosk. Wer allerdings glaubt, dass die beiden ihren Lebensunterhalt aus dem Imbiss ziehen, der irrt. Die beiden spielen nicht unwesentlich in der Führungsebene der Familie mit, der ich mittlerweile angehörte; - allerdings ganz unten in der Hierarchie.

    „Was? Hier? Was wollen Sie denn hier?"

    „Das Bild loswerden! - Sie bleiben bitte sitzen und rühren sich nicht, bis ich wieder komme! - Sollten Sie zwischenzeitlich irgendwelche Zicken machen, mache ich ihnen derartige Probleme, dass Sie eine Viertelstunde nachdem Sie bei diesem Corvus angefangen haben, wieder draußen sind! - Ehrlich!" Sie knurrte nur. Seltsam, dass aus solch einem schönen, jungen Körper ein derart hässliches, tiefes Knurren dringen konnte. Egal. Ich packte das Bild und ging rein.

    ‘Fritten-Frieda’ zeigte sich hoch erfreut, als ich entlang kam, erhob sich von dem einzigen Tisch, von dem man die gesamte Gaststube des Imbisses überblicken kann, entschuldigte sich bei den beiden Damen, mit denen sie zusammengesessen hatte, wirbelte ihre Perlenkette um die Finger, zog ihr kleines Schwarzes glatt und stöckelte in ihren Theaterschuhen gekonnt auf mich zu.

    ‘Fritten-Frieda’ ist gelernte Diätköchin und schlank wie eine Gottesanbeterin; - aber nicht auf Grund ihrer Kochkunst, sondern weil sie sich turnusmäßig irgendwo in der Schweiz Fett absaugen lässt. Sie ist dann vierzehn Tage nicht da, sozusagen im ‘Urlaub’. In dieser Zeit lässt ihr Mann die Sau raus, was bei Friedas Heimkehr zu dezenten Komplikationen führt, weil weder Imbiss noch Kiosk während ihrer Abwesenheit nennenswerten Umsatz gemacht haben.

    „Hallo Jürgen. Schön dass du mal wieder da bist!" Wie üblich tat sie so, als wäre ich unversehens reingeschneit, weil ich zufällig in der Gegend war und sich ein dezentes Hungergefühl in mir breit gemacht hatte.

    „Ja, ich hatte mal wieder außerordentlichen Appetit auf deine wundervollen Hamburger und maßlose Sehnsucht nach dir."

    „Charmeur!", hauchte die ‘Fritten-Frieda’ und reckte mir ihre Hand entgegen. Ich verabreichte ihr einen formvollendeten Handkuss, jedoch vermisste ich das leichte Erröten der feinen Dame bei diesen Ehrerbietungen.

    „Mike, mach unserem Jürgen doch mal eben einen Hamburger Spezial, und dass du mir nicht wieder die Gurke vergisst!", rief sie ihrem Mann stattdessen zu.

    ‘Macho-Mike’ nuschelte etwas wie eine Zustimmung und fuhr mit seiner Tätigkeit fort. Diese sah aus wie Salatschneiden, war aber nicht eindeutig festzustellen, weil der ‘Macho-Mike’ ein extrem breites Kreuz hat, etwa so wie Heckpartie eines Omnibusses, und dieses drehte er mir zu. Die Jacke seines Nadelstreifenanzugs, den er stets trägt, auch wenn er Bierkästen aus dem Lager holt, hatte er ausnahmsweise abgelegt und an die Abzugshaube der Friteuse gehängt. Die Bestellung delegierte er an die kleine Nicole.

    Nicole gehört irgendwie zum Inventar, sie heißt ’Baum’ mit Nachnahmen, deshalb wird sie allgemein Bäumchen genannt. Bäumchen hatte sich wie üblich an die Wand gelehnt und ihre Fingernägel betrachtet. Eine hübsche Schürze trug sie, mit der Aufschrift:

    Bei Frieda - Kiosk - Imbiss - Toto Lotto

    Inh.: Friederike Stemme.

    ‘Macho-Mike’ indessen schmiss seine Krawatte über die linke Schulter und murmelte mir über die rechte eine Begrüßung zu. ‘Fritten-Frieda’ nahm mich kurz in den Arm und führte mich in ihr Büro. War sehr exklusiv eingerichtet, ihr Refugium, hochwertiger Bauhausstil, allein der Schreibtisch dürfte um die fünftausend Euro gekostet haben.

    Im Gegensatz zu ihrem Imbiss; - der wirkte so, als hätte ihn jemand kurz nach dem Krieg in jenem Motelstil eingerichtet, den schlichte Gemüter für feudal halten. Die Zeiten mochten damals etwas anderes gewesen sein, böse Zungen behaupten, ‘Fritten-Frieda’ sei eine uneheliche Tochter Heinz Ehrhards, oder Ludwig Ehrhards; - man weiß es nicht, aber irgendetwas in eine dieser Richtungen schien gelaufen zu sein. Abgenutztes Mobiliar wird seither aus weniger abgenutzten Sperrmüllbeständen turnusmäßig ausgetauscht, was die Lokalität mit einer bizarren Mischung interessanter Stilrichtungen ausstattet.

    „Nimm bitte Platz", sagte ‘Fritten-Frieda’ mit mildem Lächeln und fuhr, nachdem ich mich in die Eckgarnitur gesetzt und sie die Tür geschlossen hatte, in geschäftsmäßigem Ton fort:

    „Gab es Komplikationen mit dem Modersohn-Becker?"

    „Nein." Ich reichte ihr die Tasche mit dem Bild. ‘Fritten-Frieda’ nahm es heraus und betrachtete es ausgiebig.

    „Das ist ja grauenhaft, murmelte sie, „bist du sicher, dass das echt ist?

    „Wie der Tod!"

    „Hm. Naja, soll mir egal sein, Hauptsache, es ist Kunst." ‘Fritten-Frieda’ öffnete eine kleine Sektflasche mit routinierter Handbewegung und schenkte sich ein. Bäumchen brachte den Hamburger. In Begleitung einer Cola nahm ich ihn mit Genuss zu mir, während wir über Kunst fachsimpelten. Ich war nicht so recht bei der Sache. Als ich das Besteck zur Seite legte, schob ‘Fritten-Frieda’ mir einen Umschlag rüber.

    „Der Rest nach Prüfung, wie üblich."

    „Is´ klar. - Danke schön."

    „Sag’ mal, Jürgen, würdest du auch mal größere Sachen durchführen? ’Fritten-Frieda’ nahm einen Schluck Sekt. Ich dachte an richtige Kunst, ein richtiges Bild, einen alten Holländer oder so, es musste ja nicht gleich ein Jan van der Heyden sein, oder eines der genialen Werke von Dante Gabriel Rosetti, einem meiner Lieblingsmaler. „Vielleicht hätte ich demnächst was für dich. Bringt auch mehr ein, fuhr sie fort.

    „Natürlich gerne." Ich steckte den Umschlag ein und verabschiedete mich. Die junge Frau saß noch in meinem Auto und wirkte erleichtert, als ich einstieg.

    „Und nun?"

    „Fahren wir zu mir nachhause. Ich hoffe, Sie haben eine Zahnbürste mit."

    „Klar. Ich habe noch gar nicht ausgepackt. Bin gerade erst angekommen und wollte mich ein bisschen hinlegen, schließlich will ich morgen meine neue Arbeit anfangen. War gerade eingeschlafen, da ist dieser Mistkerl über mich hergefallen. Er hat mich auf dem linken Fuß erwischt. Scheiße! Sonst hätte ich den so was von fertig gemacht! Ich fragte nicht weiter, ich wunderte mich nur, dass sie die Vergewaltigung so locker wegsteckte. „Ich kann mich jetzt durch nichts blockieren lassen, fuhr sie fort, als hätte sie meine Gedanken erraten, „ich darf auch nicht gleich am ersten Tag zu spät kommen! Mist, ich habe meinen Wecker stehen lassen."

    „Ich habe einen."

    Wieder schwiegen wir. Ich bot ihr eine Zigarette an, sie lehnte ab.

    „Ich rauche nicht. Das vorhin war nur eine Ausnahme."

    Ich rauchte alleine, bis ich mein Auto auf dem Parkplatz vor dem Haus, in dem ich eine kleine Wohnung bewohnte, abgestellt hatte. Ich lud mir ihre Reisetasche auf die Schulter und wir gingen dergestalt nach oben, dass der unvoreingenommene Beobachter annehmen würde, sie sei meine Cousine, Schwägerin, Schwester oder so was in der Art, die mich mal für ein paar Tage besuchen wollte.

    In meiner Behausung angekommen, wollte sie erst mal duschen, alles abspülen. Das konnte ich verstehen, nur zu gut. Während das Wasser rauschte, bezog ich mein Bett frisch und richtete mir meine Bettstatt auf dem Sofa. Noch schnell ein paar Schnittchen, zwei Bier und eine Kerze auf den Tisch. Ich hatte das Feuerzeug gerade weggesteckt, da kam sie rein, mit einem Handtuch umwickelt.

    „Oh toll! Sogar Honig!"

    Ohne Umschweife setzte sie sich an den Tisch und griff zu.

    „Naja, ist keine sonderlich gelungene Kombination, Honigbrote und Bier, aber ich war nicht auf Damenbesuch eingerichtet..."

    „Macht nix. Ich liebe Honig, ganz besonders den sogenannten Waldhonig aus Brombeerblüten und Nadelbäumen. Wissen Sie, der hat so einen ganz besonderen, malzigen Geschmack. Ach, ich liebe Honig. Honig ist sehr gesund, weil sehr mineralienhaltig."

    „Das ist ja ganz toll, was sie mir über Honig erzählen, aber ich habe nur ganz normalen Honig. Vor einigen Wochen habe ich mal ein Glas Frühstückshonig in den Einkaufswagen gelegt, weil ich mal wieder Bock auf was Süßes hatte. Behalten sie das bitte für sich, weil ’Süßfrühstücker’ Weicheier sind."

    „Oh, sind sie ein Macho?"

    „Ja. Ich bin bekennender Macho! Und dazu stehe ich."

    „Na, ja." Ein herausforderndes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie ein Honigschnittchen auf ihren Teller legte. Wir aßen schweigend, irgendwann würde sie sich wie eine normale Frau verhalten und mir die ganze Geschichte erzählen, meine Meinung hören wollen und mich in Diskussionen verstricken. Wie konnte ich mich nur dazu hinreißen lassen, eine völlig unbekannte Frau von einer Einbruchstour mitzubringen und ihr zudem noch meinen Auftraggeber zu verraten?

    Entweder ich war mit meinem momentanen Job absolut unterfordert und damit zu leichtsinnig geworden, oder das Leben meinte es ausnahmsweise mal gut mit mir. Oder konnte es sein, dass ich im Begriff war, in eine bereits gestellte Falle zu tappen. Fragte sich nur, wer diese gestellt hatte. Die Familie?

    Das konnte ich mir nicht vorstellen, denn dazu hätte ein angesehener Lehrter Bürger mit einer Anzeige wegen Vergewaltigung rechnen müssen, zudem hätte er einen Modersohn-Becker aufwenden müssen; - zu viel Investition.

    Ich würde es herausbringen.

    Langsam begann mein Leben wieder interessant zu werden.

    Donnerstag

    Eine weitere Variante schien sich zu bestätigen, nämlich die der selbständigen Heiratsschwindlerin, als sie mich am nächsten Morgen bat, sie zum Fitnessstudio zu fahren, aber vorher bei der Volksbank einen Boxenstop einzulegen.

    Sie kam mit hängenden Schultern wieder heraus, fluchte fürchterlich über einen gewissen Michael und bat mich, ihr etwas Geld zu leihen, ihr Freund, dieser Scheißkerl, hatte ihr Konto abgeräumt. Verdammtes online-banking, wie, zur Hölle, war er an ihre verfluchte PIN gelangt? Ich zuckte die Achseln und drückte ihr zwei Fünfziger in die Hand. Ihr erleichtertes Ausatmen war ehrlich.

    Als sie mir, nachdem wir das Fitnessstudio erreicht hatten, noch einen flüchtigen Kuss wie der, den man seinem langjährigen Lebensgefährten zum Abschied gibt, gut sichtbar aufdrückte, und mich bat, sie um zehn wieder abzuholen, war ich vollends irritiert. Egal, der Alltag riss mich zu sich. Ich fuhr zu Erich Tönjes. Eine gute Zeit, so gegen Mittag. Herrn Tönjes traf ich hinter seinem Haus an einem Tisch unter einem Baum sitzend ein frisch geschlachtetes Huhn ausnehmend an.

    „Guten Tag, Herr Tönjes." Ich nahm unaufgefordert auf einem der Gartenstühle ihm gegenüber Platz. Es war eigentlich recht idyllisch bei Herrn Tönjes. Er hatte ein altes Bauernhaus geerbt, in das er sechs Wohnungen integriert hatte. Eine bewohnte er selber, von den anderen lebte er, zusammen mit seinen Hühnern.

    „Guten Tag, Herr Schmitt. Möchten Sie ein Wasser? Es ist warm heute."

    „Nein, danke, sehr aufmerksam, aber ich möchte Sie mal eben ganz taktvoll an die dreihundert Euro erinnern, die Sie mir schulden."

    „Wollen Sie ein Bier?"

    „Danke, es ist noch zu früh. Kein Bier vor Vier. - Aber ich möchte auf die dreihundert Euro zurückkommen, die Sie mir schulden."

    „Herr Schmitt, ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich erst einen Mieter finden muss, der auch das Deponat hinterlegt. Dann kann ich Sie natürlich sofort bezahlen." Herr Tönjes griff in das Huhn und holte mit verklärtem Gesichtsausdruck etwas Scheußliches heraus. Schien ihm irgendwie Lustgefühle zu bereiten, aber in meinem Magen bewegte sich etwas, obwohl ich halben Hähnchen, recht schön knusperig, oder Safranhähnchen, gut durchgegart, nicht abgeneigt bin.

    „Davon war aber nicht die Rede, als ich Ihnen eine der Wohnungen in Ihrem Haus neu und absolut VDE-gemäß installiert habe. Einschließlich Kleinmaterial, Kabel und Steckdosen sind Sie mit meiner Arbeit und bei dem Preis mit Schokolade begossen!" Herr Tönjes jammerte noch ein Weilchen rum, von wegen schlechte Zeiten für Vermieter, überhaupt keine Rechte mehr, und da hätten wir Arbeitslose es doch weitaus besser, Stütze und hin und wieder etwas Schwarzarbeit... mein Gott!

    Und dann lamentierte Herr Tönjes noch ein Weilchen herum, dass ihm dieser Blödmann sein Schnittlauchbeet oder was auch immer für eine Gemüseanpflanzung zertrampelt hätte, nur weil er ihm netterweise erlaubt hatte, dieses verdammte Zeugs von seinem Äppelkahn, den er verkaufen wollte, bei ihm unterzustellen; - aber damit hätte ich ja keine Last, den ganzen Tag auf den Sofa sitzen und ansonsten mal ein paar Strippen ziehen und dafür ein Heidengeld verlangen... irgendwie sah ich keinen Zusammenhang. Wenigstens gab er mir zehn Eier mit, von Hühnern aus artgerechter Haltung, die ihr ’angeborenes Scharren’ noch nicht verlernt hatten. War mir aus der Situation heraus absolut egal, die Nummer mit seinen blöden Hühnern.

    Um noch mal routinemäßig beim Jobcenter rein zu schauen, war es etwas zu spät. Statt dessen suchte ich einige Supermärkte auf und hatte anschließend neben der üblichen Besorgung für ein Pärchen sechs verschiedene Sorten Honig erworben, Edelkastanienhonig, argentinischer Pampashonig, Eukalyptushonig, Kleeblütenhonig, Yukatanhonig aus Mexiko und zartcremigen Sonnenblumenhonig, sowie die Zutaten für Safranhähnchen und sogar einen Träger Mineralwasser. Ich lief drei Mal rauf und runter, bevor ich die Einkäufe in der Küche und was in diesen hinein musste, im Kühlschrank hatte. Als ich die Einkaufszettel noch mal kurz überflog, machte sich das Gefühl in mir breit, einen Sportwagen finanziert zu haben; - zumindest einen kleinen. Wegen einer fremden Frau, deren Namen ich noch nicht einmal wusste, war ich dabei, mein Leben umzustellen, wie ein Weichei Mineralwasser und Unmengen an Honig zu kaufen. Jeder brave Arbeitslose hätte in meiner Situation - ich hatte für den Bilderklau gerade etwas Geld bekommen – einen Kasten billiges Bier gekauft. Stattdessen hatte ich fruchtigen, trockenen Rotwein erworben, der zu Safranhähnchen passen sollte. Wahrscheinlich würde ich um zehn vergeblich vor dem Fitnessstudio warten, und die Blöße, rein zu gehen und zu fragen, würde ich mir bestimmt nicht geben. Nach wem hätte ich auch fragen sollen? Ein muskulöser Typ hätte mir sicher breit grinsend die Auskunft erteilt, dass am heutigen Tag niemand neu angefangen hatte. Egal!

    Ich bereitete das Safranhähnchen soweit vor, dass es nur weniger Handgriffe bedurfte, zu servieren, deckte den Tisch mit Kerzen, und öffnete eine Flasche, dass der Wein in ihr atmen konnte. Pünktlich um zehn stand ich vor dem Studio. Einige abgekämpfte Gestalten mit dicken Taschen kamen raus und dann begannen die Lichter aus zu gehen. Es dauerte noch eine Weile, aber kurz bevor das letzte Licht erlosch, kam sie tatsächlich. Sie stieg ein, umarmte mich und drückte mir wieder die Art von Kuss auf, den man einem langjährigen Lebensgefährten gibt. Ich erwiderte den Kuss, drehte den Zündschlüssel und fuhr mit ihr leichten Herzens nach Hause. Einen Atemzug lang stand sie reglos in der Tür, als sie den Tisch mit den Kerzen, den polierten Gläsern, den sorgsam gefalteten Servietten und den blanken Tellern sah.

    „Mensch, Jürgen!" Sie nahm mich in den Arm mit einer ‘Ich mag dich’ Umarmung und verschwand im Bad. Wieder kam sie, als ich aufgetischt und die Kerzen entzündet hatte, auf den Punkt genau, als hätte ein kundiger Dramaturg Regie geführt. Sie trug sogar das ‘Kleine Schwarze mit Perlenkette’. Ich rückte ihr den Stuhl zurecht, und sie nahm es entgegen wie eine Dame. Mit Frauen isst man; - mit Damen speist Mann.

    Wir speisten, obwohl das Hähnchen nicht ganz durch, der Reis eine Spur zu klumpig war, und der Wein hielt nicht das, was das Etikett versprochen hatte. Wir waren beim Espresso, als sie mir verriet, wie sie meinen Namen erfahren hatte: „Ich habe mir Straße und Hausnummer gemerkt, und unter deiner Klingel neben der Haustür stand dein Name. In der Mittagspause habe ich mal kurz ins Telefonbuch geguckt. Sie lächelte und hob ihr Glas. „Prost.

    „Sehr zum Wohle."

    Unsere Gläser klangen wohl, als sie aneinander stießen.

    „Ich heiße Jennifer, sagte sie, „Jennifer Gerlach.

    Der Vorname traf mich wie ein Blitzstrahl, aber ich schaffte es, unbewegten Gesichts einen Schluck Wein zu trinken. Schnell etwas Espresso hinterher um die Schatten der Vergangenheit zu überspringen.

    „Jürgen, sagte ich nur, „Jürgen Schmitt.

    Sie küsste mich mit beherrschtem Zungeneinsatz.

    Freitag

    Ich hatte nicht die blasseste Ahnung, welche Blume ich Jennifer am Morgen auf den Frühstückstisch stellte. Eine Rose war es nicht, aber die Blume war wunderschön rot. Sie machte sich gut neben den Honiggläsern, die ich wie die Säulen des Kolosseums aufgestellt hatte.

    Kaffee, frische Brötchen, Aufschnitt, richtige Butter. Vor Jennifers Erwachen war ich los gesaust, - Bäcker, Schlachter, Blumenladen. Bis vorgestern hatte ich mir nur Margarine gegönnt und ebenso schnell wie lieblos gegen Mittag in der Küche was gegessen. Es war lange her, dass ich richtig gefrühstückt hatte, noch dazu mit einer Dame.

    „Mensch, Jürgen! Eine kleine Träne rollte über ihre linke Wange, als sie die verschiedenen Honigsorten verkostete, wie normale Menschen edle Tropfen während einer Weinprobe. „Kann ich ein Weilchen bei dir bleiben, bis ich mich finanziell etwas erholt habe?, fragte sie schließlich, „ich zahle dir alles zurück, - ehrlich."

    „Natürlich, gerne. Wenn du es mit mir altem Knacker aushältst. Ich bin gerade fünfzig geworden."

    „Dann bist du einundzwanzig Jahre älter als ich. Am übernächsten Sonntag werde ich neunundzwanzig. Egal. Ich habe von Gleichaltrigen sowieso die Nase voll. - Ich mag’s gar nicht fragen, aber können wir am Sonntag meine Sachen aus Altenau holen? Ich hab' schon alles in drei Umzugskartons gepackt. Die Möbel kann der Scheißkerl behalten, meine Bücher habe ich zu meiner Mutter gebracht. - Ich wollte hier ein ganz neues Leben anfangen."

    „Kein Problem."

    „Ich fahre dann mit meinem Motorrad zurück..."

    „Du hast ein Motorrad?"

    „Klar. Eine Suzuki SV 650S. Aber irgendwann werde ich mal eine Harley haben. - Würde übrigens auch gut zu dir passen, eine Harley. Du bist der Typ dafür. Eine ’Cross Bones’ würde gut zu dir passen ... nein, warte mal, das ist eine Softtail. Softtails sind was für Weicheier. Eine ’Night Rod Special’ wäre das Bike für dich! Wir könnten gemeinsam fahren, auf Treffen, da ist richtig was los! Irgendwie wünsche ich mir, mit dir zu fahren, jeder sein Bike! - Eines Tages werde ich eine ‘Screamin’ Eagle’ haben, eine Harley mit Twin Cam-Motor und Dyna Glide - Rahmen ... einen Race Glide eben! - Das Harley Meeting auf Fehman werden wir mitmachen, und in Pullman City die ‘Stampede’. Eine echt coole  Wild-West-Location. - Oder zumindest die ‘Ibiza Bike Week! - Und die Days of Thunder in Kössen. - Und die internationale Harley-Davidson Biker Mania in Saalbach-Hinterglemm! ... Daytona Bike Week ... Myrtle Beach Bike Week ..."

    „Ach, Jennifer ..."

    „Vielleicht schaffen wir ja nächstes Jahr die Black Hills Rally & Races in Sturgis! Mensch Jürgen, da bebt der Asphalt!"

    „Das ist in Amerika!"

    „Klar ist das in Amerika! Das nächste Mal möchte ich gerne bei der Orange Country Choppers reinschauen. Das letzte Mal habe ich Paul Yaffe, Indian Larry und Fred Kodlin kennen gelernt. Leider ist das schon lange her."

    „Wer sind denn diese Herren?"

    „Begnadete Bike-Builder. - So was kannst du auch; - auf deiner Szene! - Leider ist Indian Larry im gleichen Jahr tödlich verunglückt. - Vielleicht kommt ja mal die Chance für dich, in der Hierarchie Deiner Bande, oder was das auch immer ist, aufzusteigen! Ganz oder gar nicht! Nur so kommen wir an richtige Bikes!"

    „Moment mal eben! Was meinst du mit ’Deiner Bande’?"

    „Naja, als ich im Auto auf dich gewartet habe, habe ich ein wenig nachgedacht. Irgendetwas ist da nicht ganz sauber. Es ist offensichtlich, dass du ein krummes Ding gedreht hast! Und du hast das bestimmt nicht zum ersten Mal getan, dazu bist du viel zu professionell vorgegangen. - Aber wiederum nicht so professionell, dass du mich hast hängen lassen! Aber keine Angst, ich werde dich nicht verraten, wenn du mir in der ersten Zeit über die Runden hilfst."

    „Hm!"

    „Jürgen, das ist doch mal etwas anderes, als ein langweiliger ’nine to five  Job’. Ich finde das aufregend." 

    „Ach, Jennifer, du stellst dir das alles zu romantisch vor..." Ich konnte und wollte ihr aus der Situation heraus nicht erklären, dass es nicht mein Ansinnen war, in der Familie aufzusteigen, um ein wunderbares Motorrad zu fahren. Trotzdem konnte ich sie verstehen. Eine lockere Frühstücksunterhaltung. Anschließend ging sie zur Bank, die Sache mit ihrem Konto regeln, und dann brachte ich sie zum Studio. Ich war kaum zuhause, da rief ’Freddy the Brain’ an, von wegen sein freier Tag, und wir wollten doch schon lange mal wieder einen trinken gehen.

    „Du, Freddy, ich kann jetzt nicht. Einem Kumpel von mir ist die Frau weg und hat alle Möbel mit genommen..."

    „Das ist ja furchtbar! Du, da komme ich auch hin! Da sollten wir mal tüchtig einen trinken, damit er seinen Kummer schnell vergisst!"

    „Kummer? Wer spricht denn von Kummer? Der Bursche ist ausgesprochen happy! Weißt du, der hat die Autorennbahn aus seiner Jugend im Wohnzimmer aufgebaut. Leider hat er nicht genügend Schienen oder wie das heißt, da hat er mit der Flex zwei fünf Meter lange Rillen ins Laminat gefräst. Jetzt müssen wir die beiden Stromleiter noch irgendwie daneben kriegen. Ich bin gerade dabei, zwanzig Meter Kupferdraht nullfünfundsiebzig platt zu klopfen. Stell dir mal vor, eine fünf Meter lange Zielgerade für die Slot cars! Das ist doch der Hammer!"

    „Aber man kann doch nicht

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