Gedichte der deutschen Romantik
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Book preview
Gedichte der deutschen Romantik - marixverlag
Mitarbeit.
DIE AUTOREN UND IHRE GEDICHTE
Geordnet nach Geburtsjahr des Autors
JOHANN PETER HEBEL (1760–1826)
Sonntagsfrühe (Hochdeutsch)
JENS PETER BAGGESEN (1764–1826)
An Lilia
An Romantica
DOROTHEA SCHLEGEL (1764–1839)
Draußen so heller Sonnenschein
Mein Lied, was kann es Neues euch verkünden
AUGUST WILHELM SCHLEGEL (1767–1845)
Die Sylbenmaaße
Todten-Opfer
Variationen
ZACHARIAS WERNER (1768–1823)
Zwei Sonette
1. An mein Ideal
2. An die Teutschen
ERNST MORITZ ARNDT (1769–1860)
Abendlied
Klage um den kleinen Jakob
FRIEDRICH HÖLDERLIN (1770–1843)
Abendphantasie
Der Zeitgeist
Menschenbeifall
Heidelberg
Hälfte des Lebens
An die Hofnung
Blödigkeit
Dankgedicht an die Lehrer
Des Morgens
Die Heimath
Die Nacht
Lebensalter
Sonnenuntergang
Stimme des Volks
SOPHIE MEREAU (1770–1806)
Abschied an Dornburg
Durch Wälder und Felder, dem Tale entlang oh weh
In Tränen geh ich nun allein
FRIEDRICH SCHLEGEL (1772–1829)
An die Deutschen
Die Weltseele
Diana, heil’ge, wo sind deine Brüste?
Als die Sonne nun versunken
Das Ideal
Fantasie
Anruf
Bild des Lebens
Das Gedicht der Liebe
Der Dichter [Der schwarze Mantel will sich dichter falten]
Der Dichter [Was wünschen und was streben alle Sinnen?–]
Rückkehr zum Licht
Spruch
FRIEDRICH VON HARDENBERG (NOVALIS, 1772–1801)
Fern in Osten wird es helle
Weinen muss ich, immer weinen
Ich sehe dich in tausend Bildern
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Hymnen an die Nacht
LUDWIG TIECK (1773–1853)
Der Arme und die Liebe
Melankolie
Waldeinsamkeit
Antwort
Mondscheinlied
Die Phantasie
An einen jüngeren Dichter
An Novalis
Einsamkeit
Der Dichter
Wunder der Liebe
Glosse
Auf der Reise
Heimweh
Erster Anblick von Rom
WILHELM HEINRICH WACKENRODER (1773–1798)
Das Meer
Siehe wie ich trostlos weine
Arion
Süße Ahndungsschauer gleiten
Wenn die Ankerstricke brechen
CASIMIR ULRICH BOEHLENDORFF (1775–1825)
Auf dem See
Der Wechsel
Einsamkeit
Elegie
Er sieht die Sonne schwinden
FRIEDRICH WILHELM JOSEPH VON SCHELLING (1775–1854)
Lied
HEINRICH VON KLEIST (1777–1811)
Germania an ihre Kinder
FRIEDRICH BARON DE LA MOTTE FOUQUÉ (1777–1843)
Frühlingsblüthe, Mayenwind
Liebe Geige, bist zertrümmert
Mutter geht durch ihre Kammern
CLEMENS BRENTANO (1778–1842)
Abschied
Sprich aus der Ferne
Abendständchen
Hörst du wie die Brunnen rauschen
Du Herrlicher! Den kaum die Zeit erkannt
Ich träumte hinab in das dunkle Tal
In dir ringelt die Träne
Schwanenlied
An den Engel in der Wüste
Der Spinnerin Nachtlied
Die Gottesmauer
O Stunde, da der Schiffende bang lauert
Ach alles geht vorbei
Wie so leis die Blätter wehn
Was reif in diesen Zeilen steht
Auf dem Rhein
Wie wird mir? Wer wollte wohl weinen
Laß rauschen, Lieb, laß rauschen
Lureley
Wenn ich ein Vöglein wär
Wiegenlied
FRIEDRICH GOTTLOB WETZEL (1779–1819)
Das Sonnett
Philosophische Poesie
KAROLINE VON GÜNDERRODE (1780–1806)
Liebe
Der Adept
Der Kuß im Traume
Die eine Klage
Überall Liebe
Zueignung
ACHIM VON ARNIM (1781–1831)
Wie die Stunden rennen
Mir ist zu licht zum Schlafen
Getrennte Liebe
Ahndungen
Dichterlohn
Lehrgedicht an die Jugend
Liebeszweifel
Ritt im Mondenschein
ADELBERT VON CHAMISSO (1781–1838)
Tragische Geschichte
Das Schloß Boncourt
Der Invalid im Irrenhaus
Die zwei Grenadiere
Geh du nur hin!
Lied
Sehnsucht
Was soll ich sagen?
HELMINA VON CHÉZY (1783–1856)
Ach, wie wär’s möglich dann
Ich bin so reich in deinem Angedenken
MAX VON SCHENKENDORF (1783–1817)
Freiheit
Der Dom zu Köln
Weihnachtslied
BETTINA VON ARNIM (1785–1859)
Seelied
Wer sich der Einsamkeit ergibt
OTTO HEINRICH GRAF VON LOEBEN (1786–1825)
An Novalis
Loreley
Sprache der Poesie
Variazion
Welt und Herz
Wird die Plage nimmer enden
WILHELM FREIHERR VON EICHENDORFF (1786–1849)
Schwermuth und Entschluß
Die zauberische Venus
An meinen Bruder Josef
Ein Zauberwald
Wiedergenesung des Dichters
JUSTINUS KERNER (1786–1862)
Wanderlied
Der Wanderer in der Sägmühle
Der Zopf im Kopfe
Abschied
Alphorn
Icarus
Wo zu finden?
LUDWIG UHLAND (1787–1862)
An den Tod
Das Schloß am Meere
Schäfers Sonntagslied
Der Traum
Des Knaben Berglied
Dem Künstler
Die Sonette
Der gute Kamerad
Der Rezensent
Der Wirtin Töchterlein
Frühlingsglaube
Vorwärts!
Das Schwert
Des Sängers Fluch
Schlußsonett
Schwäbische Kunde
Unstern
Die neue Muse
Kreislauf
JOSEPH FREIHERR VON EICHENDORFF (1788–1857)
Die Zauberin im Walde
An A…
Abendständchen
Min
An Maria
Das zerbrochene Ringlein
Abschied
Frische Fahrt
Zwielicht
Zeichen
Die blaue Blume
Die zwei Gesellen
Der verspätete Wandrer
Der Abend
Der wandernde Musikant
Denkst du des Schloßes noch auf stiller Höh?
Morgenständchen
Die Nacht
Lockung
Schöne Fremde
Sehnsucht
Der wandernde Student
Die Nachtblume
Zauberblick
Auf meines Kindes Tod
Frühlingsnacht
Mondnacht
Neue Liebe
Trennung
Ein Eiland, das die Zeiten nicht versanden
Wünschelruthe
Verloren
Nachtzauber
THEODOR KÖRNER (1791–1813)
Aufruf
Abschied vom Leben
Vor Rauchs Büste der Königin Louise
GUSTAV SCHWAB (1792–1850)
Böse Stunden
Der Feiertag
Der Gefangene
Der Reiter und der Bodensee
Heuernte
Nachruf
Rückblick
WILHELM MÜLLER (1794–1827)
Wanderschaft
Wohin?
Ungeduld
Brüderschaft
Der Liebe Zeit
Nachtwandlerin Liebe
Der Liebe Morgenröthe
Gefrorene Thränen
Erstarrung
Der Lindenbaum
Die Post
Letzte Hoffnung
Freiheit im Wein
Guter Wein, gut Latein
Das Irrlicht
Der Leiermann
Morgenlied
Der Wassermann
HEINRICH HEINE (1797–1856)
Ich wollte meine Lieder
Die Grenadiere
Belsatzar
Die Botschaf
Vergiftet sind meine Lieder
Die Linde blühte, die Nachtigall sang
Ein Jüngling liebt ein Mädchen
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten
An deine schneeweiße Schulter
Der Mond ist aufgegangen
Die Jahre kommen und gehen
Wer zum erstenmale liebt
Wanderlied
Die Ilse
Abenddämmerung
Nachtgedanken
An A. W. v. Schlegel
Das Fräulein stand am Meere
Die Heimführung
Wenn ich in deine Augen seh’
LUISE HENSEL (1798–1876)
Nachtgebet
WILHELM HAUFF (1802–1827)
Amor der Räuber
Stille Liebe
Sehnsucht
Treue Liebe
Reiters Morgenlied
Trost
Schlägerlied
Der Kranke
Hans Huttens Ende
An Emilie
DIE GEDICHTE DER DEUTSCHEN ROMANTIK
JOHANN PETER HEBEL
Sonntagsfrühe
Hochdeutsch
Der Samstag hub zum Sonntag an:
„Jetzt ruhn sie alle, Nachbarsmann!
Sie sind vom Schaffen her und hin
Gar weidlich müd an Seel und Sinn;
Mir selbst will’s bald nicht besser gehn,
Kann kaum noch auf den Beinen stehn."
Er spricht’s, und von der Mitternacht
Wird er nun auch ins Bett gebracht.
Der Sonntag spricht: „Jetzt ist’s an mir!"
Gar heimlich schließt er seine Tür.
Schlaftrunken noch und gar gemach
Schwankt er den Sternlein hintennach.
Doch jetzt reibt er die Augen aus
Und kommt der Sonn an Tür und Haus;
Sie schläft im stillen Kämmerlein.
Er klopft und pocht ans Fensterlein
Und ruft ihr zu: „‘s ist an der Zeit!"
Die Sonne sagt: „Bin auch bereit."
Und leise auf den Zehen geht
Und heiter auf den Bergen steht
Der Sonntag. Und das Tal entlang
Schläft alles noch; mit stillem Gang
Tritt er ins Dorf hinein und spricht
Zum Hahne: „Du, verrat mich nicht!"
Wenn alles endlich ist erwacht,
Geschlafen hat die ganze Nacht,
So steht er da im Sonnenschein,
Guckt zu den Fenstern uns herein
Mit seinen Augen, mild und gut,
Und mit dem Sträußchen auf dem Hut.
Drum meint er’s treu, und was ich sag,
Es freut ihn, wenn man schlafen mag
Und meint, es sei noch dunkle Nacht,
Wann längst die Sonn am Himmel lacht.
Drum kam er auch so leis heran
Und sieht so lieblich jetzt uns an.
Wie glitzert rings auf Gras und Laub
Vom Morgentau der Silberstaub!
Wie weht so frische Maienluft
Voll Kirschenblüt und Schlehenduft!
Und’s Bienlein sammelt ohne Frist;
Es weiß nicht, daß es Sonntag ist.
Wie prangt nicht in dem Gartenland
Der Kirschenbaum im Maigewand!
Und blaue Veilchen, Tulipan’
Und Sternenblümchen nebendran
Und Hyazinthen, daß man traun
Meint, in das Paradies zu schaun!
Und’s ist so still und heimt uns so,
Man ist so ruhig und so froh.
Man hört im Dorf kein Hüst und Hott;
Nur Guten Tag! und Dank Euch Gott!
Und Gott sei Lob! ein schöner Tag!
Ist alles, was man hören mag.
Und’s Vöglein sagt:„Ei freilich ja!
Potztausend, ja, er ist schon da!
Er dringt mit seinem Himmelsstrahl
Durch Blüt und Laub in Berg und Tal!"
Und’s Distelfinkchen vornean
Hat’s Sonntagsröckchen angetan.
Wie? Läuten sie nicht da schon ein?
Der Pfarrer muß heut eilig sein.
Geh, brich ein paar Aurikeln ab;
Doch wisch mir ja den Staub nicht ab;
Und prangst Du, Gundel, in dem Staat,
Halt ich ein Sträußchen dir parat!
JENS PETER BAGGESEN
An Lilia
Was ich Göttliches fand
In hellen begeisterten Stunden –
Was schön ich gedacht, und empfunden,
Mit sorgsamer Hand
Erlas ich; und pflanzt’ es, mit heiligem Streben
Nach himmlischen Blumen, in’s endliche Leben.
Und es hub sich empor,
Wie Blümchen umher auf der Heiden,
Von tönenden Freuden und Leiden
Ein lieblicher Flor.
Da trat aus der Fern’ ein geharnischter Riese
Mit blutigem Fuß auf die singende Wiese.
Und der Rohe zertrat
(Ich fühle mit zuckenden Schmerzen
Der Lieder Ermordung im Herzen)
Die keimende Saat.
Ach! alle die Blumen im holden Entstehen,
Ich sah sie für immer, so wähnt’ ich, vergehen.
Eine Lilie stand
Dicht neben mir, ohne zu beben –
Wie starrte mein innerstes Leben,
Als diese verschwand!
Es welkte der Flor, es verstummten die Lieder –
Ich sank in der Mitte der Sterbenden nieder.
Doch es schwebte herab
Vom Himmel ein goldener Knabe,
Und nahte mit silbernem Stabe
Dem blumigen Grab;
Und blickte mit Seufzen, und blickte mit Weinen
Auf alle die Stengel der sterbenden Kleinen.
Und es rührte sich leis’
In jedem bethräneten Stengel –
Da schlug um sie alle der Engel
Den segnenden Kreis;
Und blickte mit Lächeln voll himmlischer Güte
Auf jede nun wieder sich hebende Blüthe.
Und es regte sich tief
Im Busen der Kleinen so wonnig,
So selig, so süß, und so sonnig,
Die Seele, die schlief;
Und hold in der Kelch’ und der Stengelchen Beben
Erwachte der Duftenden tönendes Leben.
Mit dem Lilienstab
Berührte sie leise der Engel –
Da lösten vom zitternden Stengel
Die Blumen sich ab;
Und flogen hinauf in ätherische Lüfte,
Darbringend dem holden Erlöser die Düfte.
Wer den Riesen gekannt,
Der jegliche Blüthe zerstöret,
Dem jetzo die Heide gehöret,
Dem ist er genannt.
Das goldene Kind mit dem silbernen Stengel,
Du, himmlische Lilia, du warst der Engel!
An Romantica
Sonett
Es flossen Blitz’ aus jedem Edelsteine;
Mondstrahlen träufelten aus allem Golde;
Es weinte Liebesfunken jede Holde;
Rings dampften alle Berge Glut vom Weine;
Die Fluten alle loderten – nicht eine
Der Flammen, die da stehn in Lichtes Solde,
Vom Glanz der Sterne, bis zum Schein der Dolde,
Blieb übrig – jede Blüthe ward die deine.
Geathmet all’ in einem einz’gen Kusse,
Sich selbst in neuer Strahlung zu gebähren,
Verschlang sie dein jungfräulich keusches Dunkel.
So that dein Schoos, durchbohrt vom Himmel, Buße;
Und die Empfängniß selig zu bewähren,
Gebahrst du den schwarzleuchtenden Karfunkel.
DOROTHEA SCHLEGEL
»Draußen so heller Sonnenschein,
Alter Mann, laß mich hinaus!
Ich kann jetzt nicht geduldig sein,
Lernen und bleiben zu Haus.
Mit lustigem Trompetenklang
Ziehet die Reuterschar dort,
Mir ist im Zimmer hier so bang,
Alter Mann, laß mich doch fort!«
Er bleibt ungerührt,
Er hört mich nicht:
»Erlaubt wird, was dir gebührt,
Tust du erst deine Pflicht!«
Pflicht ist des Alten streng Gebot;
Ach, armes Kind! du kennst sie nicht,
Du fühlst nur ungerechte Not,
Und Tränen netzen dein Gesicht.
Wenn es dann längst vorüber ist,
Wonach du trugst Verlangen,
Dann gönnt man dir zu spät die Frist,
Wenn Klang und Schein vergangen!
Was du gewähnt,
Wonach dich gesehnt,
Das findest du nicht:
Doch bleibt betränt
Noch lang dein Gesicht.
[1802]
Mein Lied, was kann es Neues euch verkünden?
Und welche Weisheit, Freunde, fordert ihr?
Der Hohen meine Jugend zu verbünden,
Dies, wie ihr wißt, gelang noch niemals mir.
Noch Neu, noch Alt wußt’ ich je zu ergründen;
Das Schicksal gönn’ im Alter Weisheit mir.
Wir irren alle, denn wir müssen irren,
Gelassen mag die Zeit den Knäul entwirren.
Der Waldstrom braust im tiefen Felsengrund,
Gar schroffe Klippen führen drüber hin,
Die furchtbar hängen über’m finstern Schlund;
Wer strauchelt, dem ist sichrer Tod Gewinn!
Ein Müder wankt an Geist und Gliedern wund
Daher, schaut bang hinab, kalt graust der Sinn:
Am Felsen spielt ein Kind, sorglos bemühet
Ein Blümchen pflückend, das am Abgrund blühet.
Oft mühten sinnreich Dichter sich und Weise,
Das Leben mit dem Leben zu vergleichen.
Am glücklichsten geschah’s im Bild der Reise!
Ein Tor eröffnet Armen sich, wie Reichen;
Früh ausgewandert auf gewohntem Gleise
Sieht er die Dämmrung kaum dem Licht entweichen,
So treibt der Wahn, ihm dürf’s allein gelingen,
Rastlos in nie erreichte Fern’ zu dringen.
Es türmen Felsen sich in seinen Wegen,
Des Mittags Strahlen glühn auf seinem Haupt,
In Wüsten Sands muß sich der Fuß bewegen,
Ein Ungewitter naht, der Sturmwind schnaubt,
Wo kommt ein sichres Dach dem Blick entgegen?
Es seufzt nach Ruh’, wem stolzer Mut geraubt;
In später Nacht, doch tausendfält’ger Not
Kömmt er ans Ziel – und dieses ist – der Tod!
Der Jüngling tritt, von Ahndung fortgezogen,
Zur Schwelle hin, die in das Leben führt.
An seiner Schulter tönt der goldne Bogen
Der Göttin, so die Welt ihm hold verziert,
Der Phantasie, die ihn auf kühnen Wogen
Sanft fortreißt, ihn mit bunten Bildern rührt.
Wenn er dann so nach schönen Träumen hascht,
Wird unbewußt vom Glück er überrascht.
Gebt acht, gebt acht, Gelegenheit ist flüchtig,
Nicht leicht ihr Stirnenhaar im Flug zu fassen.
Obgleich zu nützen sie ein jeder tüchtig,
Dem’s klug gelang, sie nicht entfliehn zu lassen,
So ist dem Würdigen sie nie so wichtig,
Daß er von ihr sich mag bestimmen lassen.
Doch was hilft Mut, was mächtiges Bestreben
Dem Schiff, das tollen Stürmen preisgegeben?
So mancher hat gefunden, was zu suchen
Er gleichwohl nicht verstand, was zu gewinnen
Vergebens er, und mühvoll wird versuchen;
Mißlingen droht dem treulichsten Beginnen.
Wie viele hört man dann ihr Los verfluchen
Und klagen: »Glück! o mußtest du zerrinnen?«
Was traut ihr müßig auf des Glückes Gunst?
Natur sei Vorbild, Leben eine Kunst!
Wer hebt des Künstlers Mut in Kampf und Leiden
Als ferne Ahndung hoher heil’ger Liebe?
Was lehrt ihn schellenlaute Torheit meiden
Als eignes Glück der süßen zarten Liebe?
Wo ist ein Port für Hohn und böses Neiden,
Als in den Armen frommer, treuer Liebe?
Und wird des Helden Stirn in Myrtenkränzen
Der Nachwelt schöner nicht, als Lorbeer glänzen?
[1802]
AUGUST WILHELM SCHLEGEL
Die Sylbenmaaße
1. Der Hexameter
Gleichwie sich dem, der die See durchschifft, auf offener
Meerhöh
Rings Horizont ausdehnt, und der Ausblick nirgend
umschränkt ist,
Daß der umwölbende Himmel die Schaar zahlloser
Gestirne,
Bei still athmender Luft, abspiegelt in blaulicher Tiefe:
So auch trägt das Gemüth der Hexameter; ruhig
umfassend
Nimmt er des Epos Olymp, das gewaltige Bild, in den
Schooß auf
Rhythmischer Fluth, urväterlich so den Geschlechten der
Rhythmen,
Wie vom Okeanos quellend, dem weit hinströmenden
Herrscher,
Alle Gewässer auf Erden entrieseln oder entbrausen.
Wie oft Seefahrt kaum vorrückt, mühvolleres Rudern
Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich der Wog’
Abgründe
Sturm aufwühlt, und den Kiel in den Wallungen schaukelnd
dahinreißt.
So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger wieder enteilen,
Bald, o wie kühn in dem Schwung! der Hexameter, immer
sich selbst gleich,
Ob er zum Kampf des heroischen Lieds unermüdlich sich
gürtet,
Oder, der Weisheit voll, Lehrsprüche den Hörenden
einprägt,
Oder geselliger Hirten Idyllien lieblich umflüstert.
Heil dir, Pfleger Homers! ehrwürdiger Mund der Orakel!
Dein will ferner gedenken ich noch, und andern
Gesanges.
2. Die Elegie
Als der Hexameter einst in unendlichen Räumen des Epos
Ernst hinwandelnd, umsonst innigen Liebesverein
Suchte, da schuf aus eignem Geblüt ihm ein weibliches
Abbild
Pentametrea, und ward selber, Apoll, Paranymph
Ihres unsterblichen Bundes. Ihr sanft anschmiegend
Umarmen
Brachte dem Heldengemahl, spielender Genienschaar
Ähnlich, so manch anmuthiges Kind, elegeische Lieder.
Er sah lächelnd darin sein Maeonidengeschlecht.
So, freiwillig beschränkt, nachläßigen Gangs, in der
Rhythmen
Wellenverschlingungen, voll lieblicher Disharmonie,
Welche, sich halb auflösend, von neuem das Ohr dann
fesselnd,
Sinnigen Zwist ausgleicht, bildeten dich, Elegie,
Viel der Hellenischen Männer und mancher in Latium,
jedes
Liebebewegten Gemüths linde Bewältigerin.
3. Der Jambe
Wie rasche Pfeile sandte mich Archilochos
Vermischt mit fremden Versen, doch im reinsten Maaß,
Im Rhythmenwechsel meldend seines Muthes Sturm.
Hoch trat und fest auf, dein Kothurngang, Aeschylos;
Großart’gen Nachdruck schafften Doppellängen mir,
Samt angeschwellten Wörterpomps Erhöhungen.
Fröhlicheren Festtanz lehrte drauf Aristophanes,
Labyrinthischeren: die verlarvte Schaar anführend ihm,
Hingaukl’ ich zierlich in der beflügelten Füßchen Eil.
4. Der Choliambe oder Skazon
Der Choliambe scheint ein Vers für Kunstrichter,
Die immerfort mit sprechen, ob’s gleich schlecht fort will,
Und eins nur wissen sollten, daß sie nichts wissen:
Wo die Kritik hinkt, muß ja auch der Vers lahm seyn.
Wer sein Gemüth labt am Gesang der Nachteulen,
Und wenn die Nachtigall beginnt, das Ohr zustopft,
Dem sollte man’s mit scharfer Dissonanz abhaun.
Todten-Opfer
I. Sinnesänderung
Was plötzlich abgebrochen,
War dennoch ausgesprochen
Dem ordnenden Gefühl:
Ein Lied war mir die Jugend,
Der Fall der Heldentugend
Ein göttlich Trauerspiel.
Doch bald ist mir zerronnen
Der Muth, so dies begonnen,
Die G’nügsamkeit in Dunst.
Gefesselt vom Verhängniß
Im irdischen Gefängniß:
Was hilft mir weise Kunst?
Die Rose, kaum entfaltet,
Doch süßer mir gestaltet
Als aller Schmuck der Welt,
Die hat ein Wurm gestochen,
Die hat der Tod gebrochen,
Die hat der Sturm gefällt.
Nun schau’ ich zu den Sternen,
Zu jenen ew’gen Fernen,
Wie tief aus öder Kluft;
Und, ihre blauen Augen
Dem Himmel zu entsaugen,
Küss’ ich die leere Luft.
O, werde mein Orakel,
Du, die du ohne Makel
Der falschen Welt entflohst!
Sieh mich in meiner Demuth
Und hauch’ in meine