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Jüdisches Leben in Tirol im 16. und 17. Jahrhundert: Jüdisches Leben im historischen Tirol
Jüdisches Leben in Tirol im 16. und 17. Jahrhundert: Jüdisches Leben im historischen Tirol
Jüdisches Leben in Tirol im 16. und 17. Jahrhundert: Jüdisches Leben im historischen Tirol
Ebook267 pages3 hours

Jüdisches Leben in Tirol im 16. und 17. Jahrhundert: Jüdisches Leben im historischen Tirol

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About this ebook

"Jüdisches Leben in Tirol im 16. und 17. Jahrhundert" ist ein Auszug aus dem dreiteiligen Sammelwerk "Jüdisches Leben im historischen Tirol".
Die Geschichte des jüdischen Lebens im historischen Tirol, welches das heutige Trentino, Süd-, Nord- und Osttirol sowie über ein Jahrhundert lang auch Vorarlberg umfasste, ist über 700 Jahre alt.

Dieser Auszug des Sammelwerks befasst sich mit dem regionalen Wandel des politischen Klimas und der rechtlichen Situation, aber auch mit Bedingungen des Lebenserwerbs der Juden. Unter anderem wird die innere Geschichte dieser Minderheit durchleuchtet, die Ab- und Ausgrenzung thematisiert und das Verhältnis zwischen Juden und Christen dargestellt. Hierzu zählt auch der Fall des Andreas von Rinn, der nach 1620 neue Brisanz erhielt.
LanguageDeutsch
PublisherHaymon Verlag
Release dateAug 14, 2014
ISBN9783709973400
Jüdisches Leben in Tirol im 16. und 17. Jahrhundert: Jüdisches Leben im historischen Tirol
Author

Heinz Noflatscher

Heinz Noflatscher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in Forschung und Lehre in den Arbeitsbereichen „Geschichte der Neuzeit“ und „Österreichische Geschichte“ am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck.

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    Jüdisches Leben in Tirol im 16. und 17. Jahrhundert - Heinz Noflatscher

    Heinz Noflatscher

    JÜDISCHES LEBEN IN TIROL IM 16. UND 17. JAHRHUNDERT

    HAYMONverlag

    Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler KULTURinstitut.

    Die Arbeit am Projekt wurde gefördert von der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg.

    © 2013

    HAYMON verlag

    Innsbruck-Wien

    www.haymonverlag.at

    Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

    ISBN 978-3-7099-7340-0

    Covergestaltung: hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol

    Buchgestaltung und Satz: Karin Berner nach Entwürfen von Stefan Rasberger.

    Dieser Text wurde dem dreibändigen Werk Jüdisches Leben im historischen Tirol, erschienen 2013 im Haymon Verlag, entnommen. Das Gesamtwerk Jüdisches Leben im historischen Tirol erhalten Sie in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at.

    Inhalt

    Vorwort - Vom jüdischen Leben im historischen Tirol 1300–1805

    Einführung

    Methodisches und Quellenlage

    Zwischen Duldung und Vertreibung: Siedlungswandel

    Räumliche Orientierung, Vernetzungen und Mobilität

    Politisches Klima und rechtliche Lage

    Lebenserwerb: Einstellungen und berufliche Struktur

    Gemeindebildung und religiöses Leben

    Alltag und Stigmatisierung

    Andreas von Rinn

    Anmerkungen

    Abkürzungsverzeichnis

    Literaturverzeichnis

    Autor

    Vom jüdischen Leben

    im historischen Tirol 1300–1805

    Thomas Albrich

    Seit über 700 Jahren leben Jüdinnen und Juden in Alttirol, das historisch das heutige Trentino, Südtirol, Nord- und Osttirol umfasste und seit den 1780er Jahren bis zum Ende des Ersten Weltkriegs sowie zwischen 1938 und 1945 auch Vorarlberg inkludierte. Die vor 1803 noch unabhängigen Bistümer Brixen und Trient werden im vorliegenden ersten Band natürlich mitbehandelt. Geografisch umfasst der in den drei Bänden be- handelte Raum daher (fast) immer den Raum der heutigen österreichischen Bundesländer Tirol und Vorarlberg sowie die italienische Region Trentino-Südtirol. Der erste Band behandelt die Anfänge einer jüdischen Existenz in Tirol von ca. 1300 bis 1805, als ganz Tirol und Vorarlberg zum Königreich Bayern kamen.

    Die Geschichte der Jüdinnen und Juden in Tirol und Vorarlberg war von den Anfängen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts gekennzeichnet durch Ansiedlungsbeschränkungen, Verbote und Vertreibungen. Jüdische Gemeinden konnten sich bis ins 17. Jahrhundert nicht etablieren, es gab nur Ansiedlungen einzelner tolerierter jüdischer Familien in Bozen, Trient und Innsbruck. Während sich in Tirol an dieser Grundsituation bis zum Abschluss der staatsbürgerlichen Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung durch die Staatsgrundgesetze von 1867 nichts änderte, gewährte Graf Kaspar von Hohenems im Jahre 1617 die Ansiedlung einer jüdischen Gemeinde in Hohenems, die mit einer kurzen Unterbrechung – der Vertreibung ins benachbarte Sulz im 18. Jahrhundert – bis zur Zerstörung 1940 dort existierte.

    Während die Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts mittlerweile aufgrund unserer Forschungen und Publikationen der vergangenen Jahre zumindest biografisch gut aufgearbeitet wurde1, fehlt für die Jahrhunderte zwischen 1300 und 1800 noch eine ausführliche Darstellung für Tirol.2 Diese Lücke wird im vorliegenden Band weitgehend geschlossen.

    Wer waren die Jüdinnen und Juden, die vor 1805 in Alttirol lebten? Im Mittelalter treten Juden erstmals um 1300 in den Tiroler Quellen auf: Isaak von Lienz ist zu dieser Zeit der wichtigste Geldgeber im Ostalpenraum. Zusammen mit den anderen damals im Tiroler Raum ansässigen Juden dürfte er aus der Friauler Gegend zugezogen sein. Die Nachrichten über diese erste Phase jüdischen Lebens in Alttirol enden jedoch schon um 1330. In der Folge ließen sich bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts einige aus dem Norden zugewanderte Juden in Tirol nieder, darunter der in Innsbruck wohnhafte Salomon, der bis 1347 belegt ist. Ob es auch in Tirol anlässlich der großen Pestepidemie des Jahres 1348 zu Verfolgungen kam, wie dies für viele Städte des römisch-deutschen Reiches belegt ist, lässt sich den spärlichen regionalen Quellen nicht entnehmen. Eine dritte, im ausgehenden 14. Jahrhundert einsetzende Phase jüdischer Präsenz in Tirol ist durch eine markante Vermehrung der Siedlungsorte gekennzeichnet. Jüdische Bewohner finden sich nunmehr in Lienz, Innsbruck, Hall, Mils, Brixen, Glurns, Meran, Bozen, Kaltern sowie in Trient und in einigen anderen Gemeinden des Trienter Hochstifts. Noch in diesem Jahrhundert fand aber die jüdische Ansiedlung an den meisten dieser Orte schon wieder ein Ende. Ritualmordprozesse führten zur Vernichtung der Judengemeinden in Lienz und in Trient, und der Trienter Prozess des Jahres 1475 dürfte den Tiroler Landesfürsten zur Ausweisung aller Tiroler Juden veranlasst haben. Auch nach der Rückkehr bzw. dem Zuzug neuer jüdischer Familien nach Tirol lebten bis 1867 keine Jüdinnen und Juden mehr in Trient.

    Kurz nach 1500 tauchen vereinzelt wieder jüdische Familien in Bozen und wenig später auch in Innsbruck auf. Wichtig sind im Laufe des Jahrhunderts vor allem die Bassevi im südlichen Landesteil oder die May, die bis nach 1700 Hofjuden und Hoffaktoren in Innsbruck waren. Im 16. und 17. Jahrhundert lebten immer einige wenige jüdische Familien in Tirol, die aber keine Gemeinde bilden konnten. Einschneidend für die antijüdische und später antisemitische Zukunft vor allem in Nordtirol waren die Aktivitäten und Veröffentlichungen von Hippolyt Guarinoni, der seit etwa 1620 den bislang sehr lokalen Kult um Andreas von Rinn im Inntal und auch landesweit bewarb. Hundert Jahre später wurde auch die Legende um Ursula Pöck in Lienz neu belebt und 1744 der Tod des Franz Thomas Locherer in Montiggel bei Eppan zu einer neuen Ritualmordlegende gemacht.

    Anders die Lage in Vorarlberg, wo die jüdische Gemeinde in Hohen-ems immer größer wurde. Um 1750 lebten die Uffenheimer in Innsbruck und Hohenems als Hoffaktoren und Großhändler und waren auch auf den Märkten in Bozen anzutreffen. Ab den 1780er Jahren treffen wir neben den Uffenheimern auf die Familien Weil, Dannhauser und Bernheimer in Innsbruck sowie die Familien Hendle und Gerson in Bozen.

    In der bayerischen Zeit zwischen 1806 und 1814 begegnen wir einer relativ geschlossenen jüdischen Gemeinde in Innsbruck, die durch die Ereignisse des Jahres 1809 schwer geschädigt wurde. Wir wissen, wer danach in Innsbruck lebte und blieb, wer wegzog und wer zuzog. Im restlichen Land gab es nur noch die Nachkommen des Markus Gerson in Bozen, aber noch immer keine Juden in Meran oder im Trentino.

    Mit der Rückkehr Tirols und Vorarlbergs zu Österreich im Sommer 1814 begann eine neue Zeit. Im Vormärz bestimmten neue Männer wie Martin Steiner und David Friedmann das jüdische Leben in Nordtirol, und die Familie Schwarz und die Brüder Biedermann etablierten sich in Südtirol. Mit der rechtlichen Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung durch die Staatsgrundgesetze 1867 bot sich nun auch die Möglichkeit der freien Zuwanderung und Niederlassung in Tirol und Vorarlberg. Während die jüdische Bevölkerung Vorarlbergs zwischen 1857 und 1910, hauptsächlich durch Abwanderung in die Schweiz, aber auch in weiter entfernte Länder, von 515 auf 126 abnahm, erfolgte im gleichen Zeitraum in der ganzen Region Tirol durch Zuwanderung vor allem aus den östlichen Teilen der Monarchie, meist über einen Zwischenstopp in Wien, eine Zunahme von 33 auf 1750! Handelte es sich in Hohenems um eine in drei Jahrhunderten gewachsene Gemeinde, so war Tirol eine neue, junge Gemeinde. Diese Konstellation hatte zur Folge, dass die gesamte zugewanderte jüdische Bevölkerung Tirols nördlich und südlich des Brenners im Jahre 1938 theoretisch noch am Leben war und Opfer der NS-Verfolgung wurde. Immerhin starb Bertha Dannhauser, das älteste Mitglied der Innsbrucker jüdischen Gemeinde, erst im Alter von knapp 100 Jahren im Februar 1940. Sie gehörte noch zur „Urgemeinde" der 33 im Jahre 1857 gezählten Jüdinnen und Juden Tirols. Die Zeit nach der Shoa war für die wenigen Überlebenden der NS-Lager und die Rückkehrer aus der Emigration viele Jahre lang schwer. Erst in den letzten zehn Jahren kann von einer Normalisierung die Rede sein.

    Zum Abschluss möchte ich meinen beiden Mitautoren Klaus Brand-stätter und Heinz Noflatscher danken, die äußerst kompetent gearbeitet haben, auch wenn das ganze Unternehmen etwas länger gedauert hat, als ursprünglich geplant war. Ein besonderer Dank gilt Niko Hofinger, der die Bebilderung der drei Bände souverän durchführte. Weiters möchte ich Roland Sila und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum danken, die uns wie immer vor allem die umfangreichen Bildrecherchen sehr erleichtert haben. Zum Abschluss ein Dank an Verlagsleiter Markus Hatzer vom Haymon Verlag für die Geduld mit dem Projekt, Georg Hasibeder und Anna Stock für die kompetente Betreuung. Nicht zuletzt sei Esther Fritsch, der Präsidentin der IKG Innsbruck für Tirol und Vorarlberg, für ihre jahrelange Unterstützung gedankt, ebenso dem Österreichischen Nationalfonds sowie den zahlreichen teils großzügigen Geldgebern der öffentlichen Hand in Tirol, Südtirol, dem Trentino und in Vorarlberg, die das vorliegende dreibändige Buchprojekt erst möglich gemacht haben.

    Innsbruck, im Oktober 2012

    Einführung

    Die Gesellschaften Europas waren im 16. und 17. Jahrhundert zunächst von religiösen Kräften wie der Reformation und später von Konfessionalisierung geprägt. Doch gab es bekanntlich auch säkulare Bewegungen und Prozesse, wie Humanismus und Renaissance, erste Globalisierung, den Wandel der Wahrnehmung. Sie förderten ein neues Verständnis von Wissenschaft und eröffneten ihr zahlreiche neue Fragestellungen. Ebenso verdichtete sich die politische und sonstige Kommunikation beträchtlich, wenngleich die Staatenbildung mit ihrem protonationalen Nährboden mehr Grenzen als Gemeinsames schuf; Umwelten begannen sich bis in kleine gesellschaftliche Verästelungen zu verändern. Immerhin öffnete sich allmählich auch das Rechtsverständnis hin zu mehr Pluralität, ließen die Rezeption antiken Rechts sowie Tendenzen zur öffentlichen Differenzierung auch Konflikte verrechtlichen. Im günstigen Fall wurden Untertanen patriarchalisch regiert, wobei auch frühe merkantilistische Initiativen in diese Richtung gehen konnten. Es lag daher nahe, die genannten Veränderungen in die Darstellung mit einzubeziehen, den vorgegebenen Untersuchungsraum Tirol daraufhin gleichsam umzubrechen; zu fragen, inwieweit eine dort lebende Minorität und Randgruppe davon mehr bevorzugt oder benachteiligt war. Somit werden sich größere Kapitel mit dem regionalen Wandel des politischen Klimas und der rechtlichen Situation, aber auch mit Bedingungen des Lebenserwerbs der Juden befassen. Gerade in einer räumlich stark begrenzten Geschichte ist es wichtig und aufschlussreich, etwas mehr über die örtlichen Niederlassungen und deren Qualität zu erfahren. Zugleich wird ein Versuch unternommen, die innere Geschichte der Minderheit zu durchleuchten: Wegen der schwierigen Quellen- und Literaturlage kann es sich vorerst leider nur um Aspekte handeln. Am regionalen Beispiel sind nicht zuletzt in dieser Epoche Formen der Ab- und Ausgrenzung sowie, damit verbunden, der alltäglichen Kontakte zwischen Juden und Christen darzustellen. Hierzu zählt auch der Fall des Andreas von Rinn, der nach 1620 neue Brisanz erhielt.

    Methodisches und Quellenlage

    Für die Definition des Untersuchungsraums Tirol sollen zunächst zeitgenössische Kriterien, also vor allem territoriale Landeshoheiten und Grenzen gelten. Sie werden freilich offener verstanden, da sie wechselten, im vorliegenden Fall zwar nur mehr geringfügig, und da sich (auch) viele historische Phänomene nicht in politische Strukturen eingliedern lassen. Zudem waren vorwiegend Juden zu geographischer Mobilität gezwungen. Insofern erscheint „Region im weiteren Sinn, sozusagen als gesellschaftlich verdichtete „Gegend, hier als ein angemessener Leitbegriff.

    Im Mittelpunkt steht die Herrschaft der Grafen von Tirol. Sie vermochte sich im Mittelalter südlich und nördlich des Alpenhauptkammes an der Etsch und am Inn teils gegen jene der Bischöfe von Trient und Brixen auszubilden. Zwischen ihnen und der Grafschaft bestanden seit dem 15. Jahrhundert besondere staatsrechtliche Beziehungen, und seit dem Landlibell von 1511 waren sie verstärkt und langfristig eingebunden, jedoch nur im Defensionswesen. Freilich vermochten sich die beiden Hochstifte in der Frühen Neuzeit, wie auf den Reichstagen, ihre nun reichsunmittelbar genannte Stellung zu erhalten. Die enge Nachbarschaft führte zu vielen rechtlichen Disputen und Konflikten, obwohl ein assoziatives Verhältnis letztlich anerkannt war oder werden musste.

    Somit bildeten, aus der Sicht urbaner Zentren, vorwiegend die Städte Innsbruck, Brixen, Bozen, Trient und Rovereto die teils neuen politischen und ökonomischen Kristallisationspunkte der Region. In ihnen oder an ihren Peripherien vermochten sich Juden im weitesten Sinn zu etablieren. Der Schwerpunkt auf der Tiroler Grafschaft bedeutet aber, dass wir auf die Niederlassungen von Juden im Hochstift Trient, vorwiegend in Riva1, nicht in gleichem Maße eingehen können. Dennoch bestanden zwischen den jüdischen Familien im Gebiet Bozen, Trient, Borgo Valsugana und Rovereto engere Kontakte, sodass die jüdischen Haushalte im Trienter Gebiet auf diesem Wege mit einbezogen sind. Im Hochstift Brixen wohnten in der Frühen Neuzeit keine Juden mehr, sie hatten dort aber teils beschränkte Handelsrechte inne. Im Wesentlichen handelt es sich auch und gerade im 16. und 17. Jahrhundert um die Gebiete des heutigen Bundeslandes Tirol und der Provinzen Südtirol und Trentino, sodass sich das Konzept des Beitrages von Klaus Brandstätter zum Mittelalter gut fortführen lässt.

    Da in den Jahrzehnten zwischen 1476 und 1509 in Tirol keine Juden mehr lebten, bildet dieser Einschnitt eine sinnvolle untere Grenze. Als obere Zäsur bot sich das Ende des 17. Jahrhunderts am Beginn der Aufklärung an.2 Gegen 1700 ist ein Wandel in der Region festzustellen. So begegnen gehäuft Dekrete der Regierung, dass durchreisenden Juden nur maximal drei Tage Aufenthalt zu gewähren sei. Hatte dies mit einer vermehrten Migration (wie etwas später wegen des Spanischen Erbfolgekrieges) und/oder mit einem politischen Wandel zu tun: insofern, als mit dem Jahr 1690 beziehungsweise endgültig mit 1717 in Innsbruck die Residenz eines fürstlichen Statthalters endete? Offenbar nahm die Bürgerschaft die angeblich unter dem Schutz des Hofes eingedrungenen Juden, die ihre „berüemte christliche Stadt Ihnsbrugg successive in eine Judenstatt verändern würden, überdeutlich wahr. Sie diskreditierte die jüdische Minderheit, indem sie gefühlsbetont eine „ja umb gottswillen anflehentliche pitte an den Statthalter Karl Philipp von der Pfalz richtete, alle Juden bis auf die Familie May auszuweisen.3

    Als Dekrete gegen Vagierende (die nicht nur Juden betrafen) kaum nützten, änderte die Regierung die Vorgangsweise durch eine gewisse, freilich kostenpflichtige Liberalisierung: Seit 1701 waren durchreisenden Juden oder jenen, die sich etwa in Rechtsangelegenheiten in Innsbruck befanden, längere Aufenthalte möglich; sie hatten allerdings ab drei Tagen je Tag und Pferd jeweils einen halben Gulden, das so genannte Leibgeld (später Taggeld genannt), zu bezahlen. In diesem Fall erwies sich die verbliebene mittlere Ebene, die Regierung und Kammer, – es residierte damals kein Hof in der Stadt – einerseits als restriktiver, andererseits als sachbezogen: zumal auch bislang, wie es hieß, längere Aufenthalte, aufgrund von Sondergenehmigungen4 mitunter geduldet worden seien.5

    Zugleich erfolgte von päpstlicher Seite mit Clemens XI. (1700–1721) eine Missionsoffensive, die Heiden, Türken und eben auch Juden er- fasste. Konvertiten war größtmöglicher Schutz, „Special Praerogativen und befreyung", anzubieten. Insofern hatte man sich (wie vormals die frühe Reformation) um die Juden zu bemühen; der Perspektivenwechsel6 war im Trienter Riva anscheinend erfolgreich.7 So übermittelte der Augsburger Generalvikar 1704 der Regierung eine entsprechende Bulle zur Kenntnis, verbunden mit der Bitte, diese ebenfalls in Tirol zu „reflectieren und die beabsichtigte „apertur ins Werk zu leiten. Die Anregung, so die Antwort, würden die hiesigen Stellen im geistlichen Bereich gerne unterstützen, während man im weltlichen Bereich nach Wien an den Kaiser als Landesherrn verwies.8

    Insofern bezieht sich der gewählte Zeitraum des 16. und 17. Jahrhunderts zunächst auf den Wandel in der Mehrheitsgesellschaft und greift somit keine gängige Periodisierung der jüdischen Geschichte und Kultur auf, die das „tränenreiche" und/oder traditionsverhaftete jüdische Mittelalter gewöhnlich erst um 16009 oder 165010 enden lässt. Hingegen war in der Region ein um 1600 in mehrfacher Hinsicht (demographisch, kulturell, ökonomisch) vorhandener Aufschwung der jüdischen Minderheit hundert Jahre später wiederum vorbei.

    Zu den Quellen: Die beträchtlich verschiedene Quellendichte zu Juden und Christen wird etwa bei der biografischen Erforschung deutlich. Der Überlieferungsgrad hing unter anderem von den bekannten Faktoren wie der Besitzstruktur und Religion, letztlich der Absonderung und Ausgrenzung der jüdischen Personengemeinschaft ab. Stehen für die Mehrheitsgesellschaft etwa Notariatsakten, Geschäftsurkunden, Urbare, Steuerverzeichnisse und Musterungslisten, seit dem frühen 16. Jahrhundert außerdem Verfachbücher (Grundbücher) und seit der zweiten Jahrhunderthälfte zudem Matrikenbücher, Kommunikantenlisten, Kataster oder eine Getreidebeschreibung zur Verfügung, aus denen wir personale, familiale und sonstige Netzstrukturen und Details ableiten können, so fehlen für die jüdischen Familien derartige oder vergleichbare Quellengattungen großenteils oder gänzlich.11 Auch Schutzgeldlisten oder Nachtgeldverzeichnisse für durchreisende Juden12 (wie im 17. Jahrhundert erstmals üblich) haben sich anscheinend nicht erhalten. Dasselbe trifft genauso auf innerjüdische Quellen zu. Es „verbleiben" in erster Linie die nicht personenorientierten, in der Tat bereits umfangreichen Überlieferungen der Obrigkeiten, vor allem die Registraturen der Zentralverwaltungen und der Kommunen, in denen sich leider aufwändig, aber immerhin, Spuren jüdischer Vergangenheit finden lassen.

    Daher erweist sich die Erforschung der jüdischen Minderheit, wie deren Prosopographie, im vorgegebenen Zeitraum um einiges schwieriger als für solche der christlichen Majorität. So begegnen in der entsprechenden Wissenschaftssprache der Region auffallend viele Vermutungen. Diese Beobachtung veranlasste deshalb zu einer besonders vorsichtigen Quelleninterpretation. Die aufwändige Recherche hängt zudem mit der besonderen Überlieferungsstruktur der Zentralverwaltung zusammen. So hat sich ein historischer Vorgang nicht wie später in einer Akte niedergeschlagen, vielmehr verteilte ihn die Kanzlei nach dem Provenienzprinzip auf mehrere kopiale Reihen, was bei der Auswertung zu systematischen Fehlern führen kann.13 Insgesamt umfassen nur Tirol betreffend, zusammen mit den Raitbüchern die einschlägigen Serien der Regierung, Kammer und des Hofrates beziehungsweise Geheimen Rates für das 16. und 17. Jahrhundert die beeindruckende Anzahl von mindestens 2.000 Bänden.14

    Die Forschungslage hat sich für die Frühe Neuzeit erst in den letzten 30 Jahren verbessert.15

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