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Bootsleute erzählen
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Bootsleute erzählen

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Bootsleute sind das Bindeglied zwischen Schiffsleitung und Mannschaft. Nicht ohne Grund sagte ein Personalmanager auf der Offizierskonferenz einer großen Hamburger Reederei im März 2010: »Es ist sehr schwierig, eine Schiff ohne Kapitän zu fahren. Ohne Bootsmann ist es unmöglich.« Nichtsdestotrotz gibt es erste, vermeintlich kostensparende Ansätze, Bootsleute, wie zuvor schon die Zimmerleute, aus der Struktur einer Besatzung zu eliminieren, wie Hans-Hermann Diestel bei seinen Recherchen erfuhr. Höchste Zeit also, Bootsleute über ihre Werdegänge und Aufgaben, ihre Sicht auf Schiffe und Kapitäne, über ihren Alltag und über besondere Erlebnisse erzählen zu lassen.
LanguageDeutsch
Release dateSep 7, 2011
ISBN9783356018851
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    Book preview

    Bootsleute erzählen - Hans-Hermann Diestel

    Aller Anfang ist schwer

    Für mich war es immer wieder erstaunlich zu hören, wie Boots- und Bestleute zur Seefahrt gekommen sind. Oft waren es Bekannte oder Familienmitglieder, die den entsprechenden Impuls gaben, sich um eine Anstellung bei der gewählten Reederei zu bemühen. Nicht nur bei den Bootsleuten, sondern auch bei den Schiffsingenieuren war es der eine oder andere Großvater, der bei der kaiserlichen Marine gedient hatte, oder die Nähe zum Wasser. Der Großvater entsprach sicherlich nicht unbedingt den Wünschen der Partei- und Staatsführung in der DDR, aber Seeleute wurden in erheblichem Umfang bei der sich schnell entwickelnden Deutschen Seereederei Rostock und bei den im gleichen Tempo wachsenden Fischkombinaten Rostock und Saßnitz benötigt. Familientraditionen gewährleisten oft die heute in der internationalen Schifffahrt so schmerzlich vermisste längere Verweildauer der Seeleute in der Flotte.

    Vom Steward zum Bootsmann

    Horst Köpcke

    Auf die Seefahrt aufmerksam wurde ich durch meinen Großvater, der von 1914 bis 1918 bei der Kaiserlichen Kriegsmarine war und der an der Skagerrak-Schlacht teilgenommen hatte. Als Junge habe ich viele maritime Bücher und Berichte verschlungen.

    Meine Fahrenszeit begann 1959. Zuvor hatte man versucht, mich und andere Kollegen in Tessin während der Lehre als Bäcker für die bewaffneten Kräfte der DDR zu werben. Daraus wurde nichts, weil ich in meinen Bewerbungsunterlagen einen Schwager, der in Westberlin der sogenannten Stumm-Polizei angehörte, nicht erwähnt hatte. In einer Art Trotzreaktion bewarb ich mich dann bei der DSR, weil ich unbedingt zur See fahren wollte. Ich bekam sofort die Bewerbungsunterlagen und nach sieben Monaten, im Mai 1959, fing ich auf der THOMAS MÜNTZER an.

    Als ich aufstieg, lag das Schiff, das die DSR als Gebrauchttonnage gekauft hatte, in Ballast an der Pier. Damals wusste ich noch nicht einmal, was Ballast bedeutet. Auch wenn ich eine vage Vorstellung von einem Schiff hatte, die Dimensionen der THOMAS MÜNTZER überraschten mich doch. Ich fing als Steward an, später, als durch den Ankauf weiterer Schiffe mehr Personal in der Kombüse benötigt wurde, musterte man mich zum Kochsmaaten um. Die Reederei wollte mich eigentlich auf einen Kochlehrgang schicken, der aber verzögerte sich, und da ich mich sowieso mehr für den Decksbereich interessierte, wurde ich Umschüler.

    In meiner Freizeit als Steward und Kochsmaat hatte ich mich häufig an den Arbeiten der Decksgang beteiligt. Ich war jung, brauchte nachmittags keinen Schlaf und half deshalb beim Rostklopfen. Einer meiner Kapitäne hatte das beobachtet und brachte mich auf den Gedanken, umzusatteln. Ich antwortete, dass es dafür ja wohl keine Möglichkeit gäbe. Er sagte nur: »Lat mi man moken.« Innerhalb eines Dreivierteljahres legte ich meine praktische Matrosenprüfung ab, gut vorgebildet durch meine »Freizeitbeschäftigung«. Die Theorie beherrschte ich auch, habe aber, warum weiß ich nicht mehr, an keiner theoretischen Prüfung teilgenommen. Sowohl die Qualifizierung zum Matrosen als auch die Beförderung zum Bootsmann, auf dem »Typ-IV«-Schiff BERLIN, erfolgten ziemlich schnell.

    MS BERLIN im Mittelmeer

    Bei irgendeiner Sichtung meiner Kaderakte stellte die Arbeitskräftelenkung viele Jahre später fest, dass Bootsmann Köpcke keine theoretische Matrosenprüfung abgelegt hatte. Diese Prüfung holte ich an Bord nach. Probleme gab es lediglich beim politischen Thema. Der Politoffizier hatte eine derart schwierige Aufgabe ausgewählt, dass ich damit nicht klar kam. Der Kapitän verwarf das Thema und gab mir ein anderes, das ich dann erfolgreich abhandelte.

    Mein Berufsziel war Schiffszimmermann

    Volker Fiedler

    Zur Seefahrt kam ich über meinen Cousin, der erst auf Kümos und später auf den Schiffen der Alttonnage fuhr. Ich wollte ursprünglich als Zimmermann anheuern. Deshalb absolvierte ich in Malchin eine entsprechende dreijährige Lehre. Als ich mich bei der Reederei bewarb, erhielt ich den Rat, zum Verholkommando der Neptunwerft zu gehen, um weitere Grundlagen für die Arbeit auf See zu erwerben. Dem bin ich gefolgt. Ich machte die Probefahrten der Schiffe mit und arbeitete bei den Taklern der Werft.

    Ein Grund für die damals erhaltene Empfehlung war offensichtlich: Die Reederei hatte noch kein Schiff für mich. Man kann sagen, dass mich Frau Teufel von der Arbeitskräftelenkung für etwa ein Dreivierteljahr bei der Werft parkte. Das zog sich bis 1961 hin. Dann stellte mich die DSR ein, obwohl noch immer nicht genügend Schiffe zur Verfügung standen. Ich kam zunächst in die Lagerhalle am Kabutzenhof in Rostock. Im Sommer wurden wir bei Bedarf für Erntearbeiten freigestellt. Dieses Los traf mich allerdings nur einmal. Dann schickte mich die Reederei als Decksmann auf die BERLIN. Jener »Typ IV« lag gerade in der Werft in Warnemünde. Meine erste Reise ging nach China. Das zweite Mal fuhr ich auf der BERLIN dann schon als Matrose. Erst später beorderte mich die Reederei auf die J. G. FICHTE, um die theoretische Ausbildung und die Prüfung für den Matrosenbrief (u. a. auch für den Rettungsboots- und Feuerlöschmann) zu absolvieren.

    Die erfolgreichen Lehrgangsteilnehmer wurden auf die Flotte verteilt. Ich hatte das große Glück, dass mich die Reederei auf die in der Warnowwerft liegende DRESDEN, ein Schwesterschiff der BERLIN, schickte. Also marschierte ich an Bord und machte die folgende Reise als Matrose mit. Anschließend wurde ich zum Kabelgattsmatrosen umgemustert und nach zwei oder drei weiteren Reisen zum Bootsmann befördert. Das war am 27. November 1965.

    MS QUEDLINBURG im Hafen von Moa, Kuba

    Auf der DRESDEN blieb ich sechs oder sieben Jahre. Unter Kapitän Leidig waren wir vor allem im Fernostdienst eingesetzt. Kurz bevor die DRESDEN außer Dienst gestellt wurde, stieg ich ab. Dann fuhr ich auf einer Reihe von Schiffen des »Typs XD«, darunter die QUEDLINBURG, auf der wir uns zur Indienststellung in der Warnowwerft getroffen hatten, die SCHWARZBURG und die BLANKENBURG. Auf der BOIZENBURG kam ich mit Kapitän Ulf Levermann zusammen, der mich und andere Besatzungsmitglieder später mit auf die LEIPZIG nahm. Mit Levermann fuhr ich gemeinsam, bis er auf einer Reise in Indonesien starb. In meinen letzten Berufsjahren wurde ich bis 1994 auf der LEIPZIG und COTTBUS eingesetzt. Zum Schluss konnte ich auf fast 30 Jahre Bootsmann zurückblicken. Das war dann auch genug.

    Geschafft! – Endlich geschafft!!!

    Jürgen Lange

    Im Dezember 1959, kurz vor Weihnachten, befand ich mich auf dem Weg zum Bahnhof, als ich, wie fast jeden Morgen, den Postboten traf.

    Jedes Mal hoffte ich, dass er den ersehnten Brief brächte. An jenem Tag holte er langsam und umständlich einen Umschlag aus seiner großen Tasche hervor. Mit bangem Gefühl öffnete ich denselben noch auf dem Bahnsteig und tatsächlich, ein sehnlicher Wunsch ging in Erfüllung. Meine Bewerbung war angenommen! Die Freude war groß. 1956, nach dem Ende meiner Schulzeit, war mir nämlich nichts anderes übrig geblieben, als in Rostock bei der renommierten Schlachterei Timm zu lernen. Bereits im letzten Lehrjahr hatte ich mich mit meinem Freund Paul Brüshaber bei der DSR beworben. Meine Liebe zur Seefahrt war durch meine beiden Brüder geweckt worden, die seit Mitte der 1950er-Jahre zur See fuhren. Nun hatte ich endlich den Eintritt in mein neues Leben geschafft und der Fleischerberuf an Land war für mich erledigt.

    Einige Tage später suchte ich zum ersten Mal meine neue Firma auf, damals noch in der Langen Straße, im früheren Gebäude des Wasserstraßenamtes. Gleich daneben befand sich das »National«, das früher wohl jeder Rostocker als den Treffpunkt der Seeleute kannte. Ich sprach also vor und wurde eingestellt, wenn auch nicht als Decksmann, wie ich mir wünschte, sondern als Kochsmaat-Fleischer. Nun gut, sagte ich mir, Seefahrt ist Seefahrt und der Einstieg ist erst einmal geschafft.

    Am 4. Januar 1960 konnte ich auf die SCHWERIN aufsteigen, die im Ölhafen von Wismar lag. Nach dem Beladen und der Bebunkerung führte meine erste Reise über Antwerpen nach China. Für einen absoluten Neuling war das natürlich etwas ganz Besonderes!

    Nach ca. vier Monaten Fahrt wurde auf der Heimreise vom Mittelmeer an nur noch mit zwei Maschinen gelaufen: Die SCHWERIN sollte den neugebauten Überseehafen in Rostock offiziell einweihen und erst am 30. April 1960, dem Vorabend des »Internationalen Tages der Arbeit«, eintreffen. Dieses Ereignis war für die DDR von so enormer Bedeutung, dass kein Geringerer als Walter Ulbricht zur Einweihung kam. Wie sich jeder vorstellen kann, erforderte Ulbrichts Besuch an Bord der SCHWERIN einen immensen Sicherheitsaufwand. Etwa die Hälfte der Besatzung musste bereits auf Rostock-Reede absteigen, um Kammern für den Tross des Staatsratsvorsitzenden bereitstellen zu können.

    Vielen ist gewiss noch das Bild der über die Toppen geschmückten SCHWERIN, die in den Überseehafen einläuft, in Erinnerung. Ich bin stolz, bei einem so einmaligen Erlebnis an Bord dabei gewesen zu sein.

    Ich fuhr noch zwei weitere Ostasien-Reisen als Kochsmaat auf der HALLE. Auf diesem »Typ IV« lernte ich Hans-Hermann Diestel kennen, der dort als junger Matrose an Bord war und mir ein guter Freund über all die Jahre bleiben sollte. Nach diesen Reisen folgten zwei auf der HALBERSTADT, die uns nach Kuba und Jamaika führten.

    Nun endlich hatten Frau Teufel und Frau Hagemann von der Arbeitskräftelenkung ein Einsehen: Ich wurde zum Decksmann auf der KARL-MARX-STADT umgemustert. Die Arbeit machte mir von Anfang an Freude, sie war immer mein eigentliches Ziel. Das seemännische Handwerk wurde mir nicht vom Bootsmann, sondern vom Dritten Nautischen Offizier Peters vermittelt. Große Unterstützung erhielten wir Umschüler von Eckard Chinow, Ernst-Dieter Lange und »Meisting« Burmeister, die damals bereits als Vollmatrosen gemustert waren und später als Kapitäne fuhren. Kapitän unseres Schiffes war Hans Albert Wachtel, ein angenehmer Mensch. Er konnte jedoch sehr, sehr laut werden, wenn er morgens beim Betreten der Brücke feststellen musste, dass der Kursschreiber ganz erhebliche Abweichungen vom Normal-Kurs anzeigte. War dies doch ein Indiz dafür, dass der »Herr Rudergänger« kurzzeitig vom Schlaf übermannt worden war.

    Seefahrerfamilie Lange (links Jürgen Lange)

    Nach zwei Fahrten musste ich plötzlich absteigen. Die J. G. FICHTE lag in Warnemünde in der Werft, die DSR nutzte die Gelegenheit und führte auf diesem Schiff für alle Umschüler einen theoretischen Lehrgang zum Erwerb des Matrosenbriefes durch. Anschließend wurden wir wieder auf Schiffe verteilt, um unsere praktische Matrosenprüfung abzulegen. Ich hatte das seltene Glück, zwei Reisen auf dem Dampfschiff THÄLMANN PIONIER mitmachen zu dürfen. Jenes Schiff wird mir nachhaltig in Erinnerung bleiben! Auf der ersten Reise, im Mittelmeer, legte ich die Matrosenprüfung ab.

    Jetzt fühlte ich mich als vollwertiger Seemann.

    Mein erstes Schiff als Vollmatrose war das 500 t große Küstenmotorschiff PEENEMÜNDE. Jeder, der auf einem Großschiff gefahren ist, kann sich vorstellen, welche Umstellung das für mich war. Allen, die keinen Vergleich haben, möchte ich sagen: Der Job auf einem kleinen Schiff ist bedeutend härter und anstrengender.

    Inzwischen schrieben wir das Jahr 1965. Die DSR war eifrig dabei, den Flottenbestand durch Neubauten und durch den Ankauf von Alttonnage-Schiffen, vorrangig aus Norwegen, Schweden und Dänemark, zu erweitern. Dementsprechend große Probleme hatte die Arbeitskräftelenkung, die Schiffe bei ihrer Indienststellung zu besetzen. Im Januar 1965 kam ich als Vollmatrose auf die im Afrikadienst fahrende UNSTRUT.

    Offensichtlich war man mit meiner Arbeit zufrieden, denn auf der zweiten Reise konnte ich die Urlaubsvertretung für den Stammbootsmann übernehmen. Der legendäre Adolf Zinn, unser Kapitän, ließ mich vor Reiseantritt durch den Ersten Nautischen Offizier Willbrand auf die Brücke zitieren. Es war seine Gewohnheit, jeden Offizier bzw. Unteroffizier durch ein persönliches Gespräch besser kennen zu lernen. Auch diese Prüfung scheine ich bestanden zu haben: Nach der Rückkehr schickte mich die Reederei auf die WEISSERITZ – mein erstes Stammschiff als Bootsmann.

    Von der Reusengemeinschaft zur DSR

    Manfred Tesenvitz

    Die Männer meiner Familie ergriffen über vier oder fünf Generationen den Beruf des Fischers in Waase und in Wiek auf Rügen. Darin folgte ich ihnen. Ab 1953 lernte ich drei Jahre in der Reusengemeinschaft von Wiek und fischte dann in diesem Familienunternehmen bis 1959 als Matrose. Danach ging ich zur DSR nach Rostock und fing als Matrose auf dem Küstenmotorschiff GEMMA an. Irgendwelche zusätzlichen Prüfungen oder Qualifikationen wurden von mir nicht gefordert, denn mein Matrosenbrief von der Fischerei wurde ohne Einschränkung anerkannt. Bei der Fischerei hatte ich auch noch ein kleines Patent für die Führung eines Kutters gemacht. Später bei der DSR nahm ich an dem zweiten von der Reederei organisierten Bootsmannslehrgang teil. Von der GEMMA ging ich auf die VÖLKERFREUNDSCHAFT. An Bord dieses Urlauberschiffes wurde ich nach einem halben Jahr schon als Zweiter Bootsmann eingesetzt.

    Von der VÖLKERFREUNDSCHAFT wechselte ich für ein oder zwei Reisen auf den »Bananenjäger« FRITZ REUTER. Danach war ich auf dem Tanker SCHWARZHEIDE im Einsatz, für zwei oder zweieinhalb Jahre. Außerdem arbeitete ich auf dem Tanker LÜTZKENDORF, den Massengutfrachtern ZWICKAU und TRATTENDORF, der HAVEL, der BODE usw.

    Die LÜTZKENDORF verkaufte die DSR an die Eisen & Metall AG in Hamburg zum Abbruch. Bei der Übergabe des Tankers am 28. Januar 1969 in Hamburg war ich dabei. Das Schiff wurde dann aber doch nicht abgewrackt, sondern noch über ein Jahr von der Werft Blohm & Voss als Tankreinigungsschiff HEIN SLOP eingesetzt. Unser Chief mate fuhr nicht mit zurück nach Rostock. Er blieb in Hamburg und soll die HEIN

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