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Taschenbuch Grundschule Band 1: Grundschule als Institution
Taschenbuch Grundschule Band 1: Grundschule als Institution
Taschenbuch Grundschule Band 1: Grundschule als Institution
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Taschenbuch Grundschule Band 1: Grundschule als Institution

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About this ebook

Der vorliegende erste Band des Taschenbuchs Grundschule stellt die Entwicklung und Etablierung der Grundschule in der Gesellschaft auf der Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Diskussionstands dar. In umfassender, systematischer, historischer und vergleichender Weise werden die vielfältigen Arbeitsschwerpunkte der Institution aufgezeigt und zahlreiche Bezüge zur pädagogischen Praxis hergestellt.
Für alle Phasen und Formen der Lehreraus- und -weiterbildung und als Standardwerk in der Lehrerbibliothek ist das Taschenbuch Grundschule nach wie vor unverzichtbar.
Folgende Themenkreise werden in diesem Band bearbeitet:
- Geschichte der Grundschule
- Übergänge
- Eine Schule für alle
- Mehr Zeit im "Haus der Lernens und Lebens"
- Professionalität am Arbeitsplatz Grundschule
- Zusammenarbeit mit außerschulischen Unterstützungssystemen
- Schulaufsicht und Schulverwaltung
- Schule als "lernende Organisation"
LanguageDeutsch
Release dateOct 17, 2012
ISBN9783834030016
Taschenbuch Grundschule Band 1: Grundschule als Institution

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    Book preview

    Taschenbuch Grundschule Band 1 - Schneider Verlag Hohengehren

    Taschenbuch Grundschule

    Band 1

    Grundschule als Institution

    Herausgegeben

    von

    Eiko Jürgens und Jutta Standop

    Umschlag: Regina Herrmann, Esslingen

    Gedruckt auf umweltfreundlichem Papier (chlor- und säurefrei hergestellt).

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ›http://dnb.d-nb.de‹ abrufbar.

    ISBN: 978-3-8340-0350-8

    Schneider Verlag Hohengehren, Wilhelmstr. 13, D-73666 Baltmannsweiler

    Homepage: www.paedagogik.de

    E-Book: 978-3-8340-3001-6 (2012)

    Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Unterrichtszwecke!

    © Schneider Verlag Hohengehren, 73666 Baltmannsweiler 2008 Printed in Germany – Druck: Hofmann, Schorndorf

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort der Herausgeber

    Grundschule als Institution

    Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

    Vorwort der Herausgeber

    Als Hans Rudolf Becher und Jürgen Bennack im Jahr 1993 das Taschenbuch Grundschule aus der Taufe hoben, konnten sie noch nicht ahnen, dass dies der Beginn einer langen Erfolgsgeschichte sein sollte. Im Jahr 1997 kam Eiko Jürgens als weiterer Herausgeber hinzu und es entstanden die dritte und vierte Auflage.

    Nachdem zuerst Hans Rudolf Becher und dann Jürgen Bennack aus Altersgründen ausschieden, stellte sich die Frage, wie es mit demTaschenbuch Grundschule weitergehen sollte. Von vornherein geklärt war allerdings die Entscheidung, das Erreichte zu bewahren und darauf aufbauend offen für neue Wege zu sein, um einerseits auf den tiefgreifenden Wandel der gesellschaftlichen Entwicklungsgeschichte, von dem in nahezu allen Bereichen auch die Grundschule als Lern- und Lebensraum betroffen ist, mit konstruktiven Lösungen zu reagieren. Andererseits um dem kontinuierlich fortgeschrittenen Prozess der Weiterentwicklung der Grundschulpädagogik angemessen Rechnung zu tragen.

    Unter der Herausgeberschaft von Jutta Standop und Eiko Jürgens entstand ein neuartiges Konzept, das sich in vier Schwerpunkte unterteilt: I. Grundschule als Institution; II. Das Grundschulkind; III. Grundlegung von Bildung; IV. Fachliche und überfachliche Gestaltungsbereiche.

    Dieses Vorgehen bedeutete gegenüber den vorigen Ausgaben nicht nur eine erhebliche Ausweitung des gespannten Themenbogens, sondern vor allem eine Neubestimmung des gesamten Gegenstandsbereichs derzeitiger und künftiger Grundschulpädagogik. Um zu wissenschaftlich fundierten Klärungen und praktischen Orientierungen zu gelangen, wird nun in vier Bänden, von denen jeder einzelne einer zentralen Perspektive innerhalb einer umfassenden Systematisierung des Gegenstandsfeldes gewidmet ist, der Entwicklungsstand zu den wichtigsten Grundfragen der Grundschulpädagogik forschungsorientiert, überblicksartig und praxisrelevant dargelegt.

    Das vorliegende Taschenbuch zeichnet sich damit durch den Versuch aus, die traditionellen Facetten der Grundschulpädagogik um neue Fragestellungen erweitert zu haben, auch um zu belegen, dass es bei Veränderungen in der Grundschule nicht einfach um die übliche Anpassung geht, sondern vielmehr Herausforderungen auf diese Institution zukommen, die grundlegende Neuorientierungen erfordern. Der Umgang mit der Kinderarmut zählt fraglos an erster Stelle dazu, ebenso Tendenzen zur Früheinschulung und der Ausbau von Ganztagsschulen, um nur einige Beispiele zu nennen.

    Mit dieser Grundstruktur wendet sich das Taschenbuch an einen breiten Kreis von Leserinnen und Lesern. Besonders an Studierende und Lehrende an den Universitäten und Hochschulen, den Referendarinnen und Referendaren in der 2. Ausbildungsphase wie ihren Ausbilderinnen und Ausbildern. Selbstverständlich auch an die in der Schulpraxis Tätigen, den Lehrenden in der Fortbildung und den in der Bildungspolitik Engagierten. Wir hoffen und sind zugleich davon überzeugt, dass diese neue Ausgabe des Taschenbuchs Grundschule einen wichtigen Beitrag dazu leistet, den Anforderungen, die an den Grundschullehrerberuf gestellt werden, kompetent und verantwortungsbewusst gerecht werden zu können.

    Abschließend gilt es den Personen Dank zu sagen, die das Taschenbuch ermöglicht haben. Zum einen geht unser Dank an die Autorinnen und Autoren für ihre Bereitschaft, mit ihrem Sachverstand das Werk zustande gebracht zu haben. Ebenso ist dem Verlag zu danken, dass er dem Projekt von Anfang an sehr zugetan war. Doch unseren größten Dank verdient die Projektkoordinatorin Frau Anke Wadewitz, der es mit großem Engagement gelungen ist, trotz der großen Zahl von über 80 Autorinnen und Autoren nie den Überblick zu verlieren, und der die Aufgabe zufiel, sämtliche Korrekturarbeit zu leisten. Danken wollen wir auch Frau Martina Blomeier, der Sekretärin unserer Arbeitsgruppe, die in der Schlussphase die Fertigstellung tatkräftig unterstützte.

    1 Geschichte der Grundschule

    1.1 Strukturelle Entwicklung

    von Gert Geißler

    Inhaltsverzeichnis

    1    Kaiserreich

    2    Weimarer Republik

    3    Nationalsozialismus

    4    Nachkriegsentwicklung

    Literatur

    1 Kaiserreich

    Zu Beginn des 20. Jahrhunderts besucht in den Gliedstaaten des Deutschen Kaiserreiches die übergroße Mehrheit der unterrichts- oder schulpflichtigen Kinder wie bisher die Massenschule. Gegenüber der früheren Elementarschule in Niveau und Ausbaustand angehoben, wird diese Schule inzwischen amtlich überall als Volksschule bezeichnet. Ein kleiner Teil ihrer Schüler, nicht ganz zehn Prozent, verlässt sie nach drei, vier oder auch mehr Jahren, um in eine der weiterführenden städtischen Schulen einzutreten. Meist ist das nicht eine der vergleichsweise wenigen Mittelschulen, sondern eine höhere, abiturberechtigte Lehranstalt. Das diesen Kindern elterlich bestimmte Ziel ist es, an einer solchen eine Berechtigung für bestimmte Berufslaufbahnen und einen verkürzten, privilegierten Militärdienst zu erlangen oder, mehr noch, nach dem Besuch der Abschlussklasse die Abiturprüfung abzulegen.

    Zu mehr als einem Drittel haben die Schüler der höheren Lehranstalten zuvor für drei Jahre eine Vorschule besucht. Vorschulen sind überwiegend den eher neusprachlich ausgerichteten Realgymnasien und den lateinlosen Oberrealschulen angegliedert. Diese noch in der Phase der Profilierung und des Ausbaus stehenden Anstalten können durch die Angliederung einer gleichfalls schulgeldpflichtigen, vom Staat aber nicht mitfinanzierten Vorschule ihren Haushalt aufbessern und ihre Stellung gegenüber dem traditionellen humanistischen Gymnasium verbessern. Nur in geringem Maße befinden sind unter den Schülern der höheren Schulen noch solche, die zuvor Privatunterricht im Haus erfahren haben. Charakteristisch sind diese Verhältnisse vor allem für Preußen und einige Nachbarstaaten, während die Vorschule ansonsten kaum Verbreitung gefunden hat. Aber nirgends in Deutschland sind standesbewusste, zur Zahlung des fälligen Schulgeldes und sonstigen schullaufbahnbegleitenden Aufwendungen fähige Elternhäuser gezwungen, ihre Kinder gemeinsam mit denen aus anderen sozialen Verhältnissen unterrichten lassen zu müssen. Eine „Grund"schule existiert nicht.

    Bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts existieren ausgereifte Vorschläge für eine Strukturreform im Schulwesen (Sienknecht 1968; Oppermann 1982; Herrlitz/Weiland/Winkel 2003). Schon der Entwurf eines allgemeinen Gesetzes über die Verfassung des Schulwesens im preußischen Staate (1817–1819) (Michael/Schepp 1993) hatte vorgesehen, alle Schulen und Erziehungsanstalten in einem durchlässigen Stufensystem (Elementarschule, Stadtschule, Gymnasium) zu einem einheitlichen Ganzen, als „eine einzige große Anstalt für die National-Jugendbildung" zusammenzufassen. Von der nachfolgenden ständischen Schulpolitik verworfen, kehrt diese Idee in der Revolution 1848/49 wieder. Sie tritt erstmals in den parlamentarischen Raum, als der Unterrichtskommission der preußischen Nationalversammlung ein Antrag eingereicht wird, der verlangt, alle Eltern zu verpflichten, ihre Kinder bis zum zwölften Jahre in der Volksschule gemeinsam unterrichten zu lassen (Lüttgert 1924, 195f.).

    Obwohl dieser Antrag nicht zur Verhandlung gelangt, machen sich fortan im Namen von Gerechtigkeit und Gleichheit Volksschullehrervereine, später die Sozialdemokraten den Gedanken einer solchen Allgemeinen Volksschule zu eigen. Auch bei einigen Vertretern der universitären Pädagogik findet er schließlich Fürsprecher (Gerlach 1973). Meist geschieht das mit einem Plädoyer für eine sechsjährige Schulzeit. Hinzu kommen erste Überlegungen, die einen gemeinsam Unterbau für alle weiteren Schularten deshalb anraten, um sozialen Ausgleich schaffen und Schulforderungen der Sozialdemokratie politisch den Boden entziehen zu können (Göring 1890).

    Sofern Angaben zur Dauer der gemeinsam zurückzulegenden Schulzeit gemacht werden, gehen die Vorstellungen der Sozialdemokratie am weitesten. Eine achtklassige Schule soll allen Schülern die Berufswahl bzw. weitere Bildungswegentscheidungen bis zum 14. Lebensjahr offen halten. Erwartet werden damit auch bessere Möglichkeiten für die Entfaltung der Leistungspotenziale aller Schüler und mehr Sicherheit bei der Auslese im Übergang zu den weiterführenden Schulen. In dieser oder jener Form ist dieses Modell in den schulpolitischen Auseinandersetzungen fortan stetig präsent.

    Über die Sozialdemokratie hinaus ist der Gedanke einer solchen gemeinsamen Schule, für die sich der Begriff Einheitsschule einbürgert, vor allem bei Volksschullehrern populär. Die Vorschulen, so fordert insbesondere der Deutsche Lehrerverein, sollen aufgehoben und anders als bisher alle Kinder ihren Anfangsunterricht in der Volksschule erhalten. Die Einheitsschule diene der Stärkung der nationalen Gemeinschaft, und, von Kindern aller Stände besucht, könne sie auch mit der Unterstützung durch die gesamte Bevölkerung rechnen.

    Vor allem während des Ersten Weltkrieges gewinnen solche Schulreformideen eine gewisse Resonanz auch in Regierungskreisen. Im September 1916 spricht der Reichskanzler davon, dass „freie Bahn allen Tüchtigen zu geben sei. Es sind die Menschenverluste, vor allem die an Akademikern, die nach „Begabungsreserven suchen lassen. Stärker noch wiegt das staatserzieherische Motiv. So finden sich bald auch auf der äußersten politischen Rechten die Forderung nach der Einheitsschule und nach höherer Schulbildung für alle Begabten ohne Standes- und Besitzunterschiede (Schirmacher 1915, 24ff.).

    Eine Interessenkoalition vor allem von Eltern und Lehrern höherer Schulen setzt sich dem entgegen. Es widerspreche dem Bedürfnis der Schule und der Schüler, „mechanische Gleichförmigkeit des Anfangsunterrichts zu erzwingen". Es sei nicht statthaft, die Freiheit der Bürger zur Wahl zwischen mehreren Schulgattungen einzuschränken. In der Schulfrage wie in der des gesellschaftlichen Aufbaus gehe es nicht um soziale Gerechtigkeit, sondern um die Anerkennung von kulturellen Unterschieden, die in einer schichtenspezifischen Vererbbarkeit geistiger Anlagen gründen würden.

    2 Weimarer Republik

    Schon kurz nach dem Sturz der Monarchie im November 1918 wird von einzelstaatlichen Revolutionsregierungen der Fortfall der Vorschule verfügt oder angekündigt. Eine einheitliche Rechtsgrundlage entsteht mit dem Inkrafttreten der Verfassung für das Reich am 11. August 1919. Ihr Artikel 146 verlangt, das mittlere und höhere Schulwesen „auf einer für alle gemeinsamen Grundschule" aufzubauen. Bevor noch die Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 die parteipolitische Kräftekonstellation zuungunsten der Schulreform verändern, wird am 20. April 1920 das Gesetz, betreffend die Grundschulen und Aufhebung der Vorschulen verabschiedet. Dieses Reichsgesetz ist für alle Einzelstaaten bindend. Es bestimmt, dass die Volksschule in den vier untersten Jahrgängen die für alle gemeinsame Grundschule ist. Auf die Sonderschüler finden die Bestimmungen keine Anwendung. Es sind Krisenbewusstsein auf Seiten der gesellschaftlichen Eliten, revolutionär gesellschaftsumgestaltende Ambitionen auf Seiten ihrer Kontrahenten, die das Gesetz gleichermaßen möglich machen.

    Ausschlaggebend für die Festlegung der Grundschuldauer sind letztlich die Belange der höheren Schulen. Die neunjährige Dauer ihres Lehrgangs bleibt unberührt. Da jedoch an die Stelle vormaliger dreijähriger Vorschule nun mit vier Jahren die Grundschule tritt, sind von der Einschulung bis zum Abitur nun allerdings im besten Falle, ohne Klassenwiederholung, 13 Jahre nötig. Um von dieser Schuldauer wieder abzukommen, fordern die Parteien der Linken eine Kürzung des Lehrgangs der höheren Schule, die der Rechten eine solche der Grundschuldauer. Zu einer Lösung kommt es nicht.

    Als das Reichsgrundschulgesetz im April 1921 rechtskräftig wird, hat sich das parlamentarische Kräfteverhältnis im Reich und in den Ländern verändert. Im Reichstag und in den Landtagen wird nach Differenzierung der Grundschule verlangt. Mit Schlagworten wie „verlorenes Jahr hinsichtlich der Schuldauer, „Erziehung zur Faulheit hinsichtlich des Leistungsanspruchs und „Zuchthausschulzwang hinsichtlich der inzwischen geltenden Schulpflicht werden verschiedentlich Kampagnen gegen die Grundschule geführt. Sie soll zumindest auf drei Jahre verkürzt und mit „Förderklassen für Begabte versehen werden. Da öffentliche Vorschulen bald nicht mehr verfügbar sind, wird auf „Familienschulen, „Schulzirkel und private Vorschulen zurückgegriffen. Vom Grundschulbesuch werden die Kinder in diesen Fällen durch hausärztliches Attest befreit. Den Unterricht übernehmen zumeist ausgebildete, aber stellenlose Lehrerinnen und Lehrer.

    In der organisierten Volksschullehrerschaft wird weiterhin die Ausweitung der allgemeinen Grundschulpflicht vertreten. Die Sozialdemokratie legt sich 1926 programmatisch auf eine Grundschule fest, die „mindestens sechs, möglichst aber acht Jahre umfassen soll". Alles in allem kursieren in den Arbeiterparteien, in den ihnen nahen Lehrerverbänden und in der Volksschullehrerschaft überhaupt Schulorganisationsmodelle, die ihre ideelle Wirkungskraft über die Zeit behalten werden. In den Parlamenten der Weimarer Republik können sie sich nirgends durchsetzen, vielmehr kommt es unter dem 18. April 1925 zum Gesetz, betreffend den Lehrgang der Grundschule. Mit dieser Novelle zum Reichsgrundschulgesetz wird es möglich, „besonders leistungsfähigen Schulkindern" bereits nach drei Schuljahren den Übergang zur höheren Schule zu gestatten. Das gilt nun auch für jene süddeutschen Länder, in denen die Vorschule und eine verkürzte Grundschulzeit vormals unüblich gewesen sind.

    Mit der Einführung der Grundschule haben sozial begünstigte Familien vor allem ihre Statusvererbung beeinträchtigt gesehen. Tatsächlich ist die Grundschule jedoch weit davon entfernt, auf die Chancenverteilung beim Durchlaufen des Schulsystems nachhaltig Einfluss nehmen zu können. Gegen jene sozialen Faktoren, die für die betroffenen Kinder schulerfolgsmindernd wirken, erreicht reformpädagogisch orientierter Grundschulunterricht nur bedingt eine sich in Bildungsverläufen ausdrückende Verwertung der durch veränderten Unterricht entwickelten Kräfte.

    Während international die Schulreform mit jeweils unterschiedlichen Ausgangslagen an Breite gewinnt und sich in Europa, von Frankreich abgesehen, kaum noch ein Land findet, das im Schulaufbau nicht über eine vierjährige Grundschule hinausgeht, wird in Deutschland der Ruf immer lauter, endlich „Ruhe in die Schule zu bringen. Die Abwehrhaltung gegenüber dem Grundschulbesuch jedoch verliert sich allmählich. Zwar halten Klagen über Leistungsverfall der Volks- und Grundschularbeit an, zwar drängen Vertreter der Wirtschaft darauf, die Grundschule mit exakter Förderung von Lesen, Schreiben und Rechnen zur „Leistungsschule zu gestalten, aber es hat sich diese Schule doch anders als erwartet für gewohnte Schulkarrieren als unbedenklich erwiesen. Der Anteil der „Dreijährigen" geht auf unter drei Prozent in den Eingangsklassen der höheren Schule zurück. Zwar ist der Abbau von Vorschulen und Vorschulklassen an höheren Privatschulen mit dem Änderungsgesetz vom 26. Februar 1927 inzwischen aufgeschoben worden, doch die Zahl der Vorschüler liegt nur noch bei knapp 10.000 (Führ 1972, 318 und 346, Tabelle 4). Die Schließung der verbliebenen Vorschulen wird von den Nationalsozialisten im Zuge einer drastischen Beschränkung des Privatschulwesens vollzogen.

    3 Nationalsozialismus

    Nach ihrer Machtergreifung kommt es den Nationalsozialisten darauf an, die Schule uneingeschränkt personell zu beherrschen und die Erziehung grundlegend neu auszurichten. Entscheidungen über eine eventuelle Neufestlegung des Schulaufbaus werden zunächst nicht getroffen. Erst nachdem sich das zuständige Reichsministerium mit den verschiedensten Vorschlägen und Denkschriften zur Gestaltung des Schulwesens zu befassen hatte, wird im Jahre 1937 schließlich entschieden, dass die Grundschuldauer unverändert bleibt. Damit wird eine Verlängerung der Grundschulzeit, wie sie anfangs seitens einzelner Landesschulbehörden und des Nationalsozialistischen Lehrerbundes ins Spiel gekommen ist, ebenso wenig stattgegeben wie einer Verkürzung dieser Zeit auf drei Jahre. Zu den Begründungen gehört, dass der „Dienst am Volk, den die gesamte Schule zu leisten habe, „harte, scharfe Auslese verlange, und zwar „so früh wie möglich, denn solches sei „von jeher nordische Art gewesen (Bohm 1934, 228). Entscheidend ist jedoch machtpolitisches Kalkül, das neben dem 1937 eingeführten Einheitstyp der Oberschule auch das Gymnasium, wenn auch als „Sonderform, bestehen lässt. In den seit 1939 besetzten Gebieten Polens und der Sowjetunion wird mit Ausnahme des „volksdeutschen Schulwesens in der Regel keine Schule zugelassen, die unter Beschränkung auf Minimalunterricht mehr als eine Zeit von vier Jahren umfasst.

    4 Nachkriegsentwicklung

    Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft verfolgt insbesondere die amerikanische Besatzungsmacht und noch mehr und mit anderen Mittel die sowjetische eine Strukturreform der allgemein bildenden Schule. Doch erst spät und nur für einen historischen Moment finden im Juni 1947 die vier Besatzungsmächte dazu, in diesem Sinne mit ihrer Direktive 54 gemeinsame Ziele für ihre Schulpolitik zu formulieren, indem sie sich für die künftige Schulstruktur in Deutschland auf ein einheitliches Stufenmodell einigen. Tatsächlich kommt eine entsprechende Schulpolitik, was die westdeutschen Länder anbelangt, nur episodisch zum Zuge. In Bayern und Nordrhein-Westfalen ist sie nur für einige Monate nach Kriegsende von gewisser Bedeutung. In Hessen und Württemberg-Baden kommt sie über das Projektstadium nicht hinaus. Im zunächst noch selbständigen Land Braunschweig und in der Provinz Hannover, wo gleichfalls eine sechsjährige gemeinsame Grundschule oder zumindest ein längeres Offenhalten von Übergängen zur weiterführenden Schule vorgesehen sind, bleibt sie mit der Bildung des Landes Niedersachsen gleichfalls ohne Perspektive, auch wenn sie in diversen Schulversuchen fortlebt. Gesetzlich kann eine sechsjährige Grundschule nur in Hamburg (1949) und Schleswig-Holstein (1948) und schon 1947 in Bremen verankert werden. Jedoch erweist sie sich auch in diesen Ländern als nicht dauerhaft. Während sie in Schleswig-Holstein im Ergebnis der Landtagswahlen schon 1950 fällt, eröffnet in Hamburg das Ergänzungsgesetz vom März 1954 die Möglichkeit zum weiterführenden Schulbesuch ab Klasse 4, worauf sie „einschläft". Ähnliches geschieht 1957 in Bremen. Nur in der Viermächtestadt Berlin gelingt ist es einer parteienübergreifenden schulreformerischen Interessenkoalition, schließlich im November 1948 ein Schulgesetz zur parlamentarischen Verabschiedung zu bringen, das eine achtjährige gemeinsame Grundschule vorsieht (Geißler 2002). Nach dessen Novellierung in Berlin (West) 1951 bleibt noch immer abweichend von der Struktur in der Bundesrepublik eine sechsjährige Grundschule bestehen, während in Berlin (Ost) Anpassung an die Entwicklung der SBZ/DDR erfolgt. In der Sowjetischen Besatzungszone ist im Mai/Juni 1946 auf dem Erlassweg das Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule in Kraft gesetzt worden. Es sieht eine achtjährige Grundschule vor, die später als Pflichtschule zur zehnklassigen polytechnischen Oberschule ausgebaut wird. Über die Strukturvereinheitlichung hinaus findet dabei eine Gleichrichtung in allen Dimensionen der Schularbeit statt.

    Literatur

    Bohm, R. (Hrsg.) (1934): Höhere Schule – wozu? Denkschrift des Deutschen Philologenverbandes über Sinn und Aufgabe der höheren Schule. Leipzig: Quelle & Meyer.

    Führ, C. (1970): Zur Schulpolitik der Weimarer Republik. Die Zusammenarbeit von Reich und Ländern im Reichsschulausschuß (1919 bis 1923) und im Ausschuß für das Unterrichtswesen (1924 bis 1933). Darstellung und Quellen. Weinheim und Basel: Beltz.

    Geißler, G. (Hrsg.) (2002): Schulreform und Schulverwaltung in Berlin. Die Protokolle der Gesamtkonferenzen der Schulräte von Groß-Berlin Juni 1945 bis November 1948. Frankfurt a.M.: Lang.

    Gerlach, T. (1973): Zur Problemgeschichte des Einheitsschulgedankens in der deutschen Pädagogik seit der Jahrhundertwende. Seine wichtigsten Vertreter: Wilhelm Rein, Johannes Tews, Paul Oestreich, Heinrich Schulz, Peter Petersen (unter besonderer Berücksichtigung ihrer weltanschaulichen Grundposition). Münster (Diss.).

    Michael, B./Schepp, H.-H. (1993): Die Schule in Staat und Gesellschaft. Dokumente zur deutschen Schulgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen und Zürich: Muster-Schmidt.

    Göring, H. (1890): Die neue deutsche Schule. Ein Weg zur Verwirklichung vaterländischer Erziehung. Leipzig: Voigtländer.

    Hennecke, F.J. (Hrsg.) (1991): Schulgesetzgebung in der Weimarer Republik vom 11. August 1919 bis 24. März 1933. Sammlungen von Rechtsvorschriften des Reiches und der Länder Baden, Bayern und Preußen. Köln und Wien: Böhlau.

    Herrlitz, H.-G./Weiland, D./Winkel, K. (Hrsg.) (2003): Die Gesamtschule. Geschichte, internationaler Vergleich, pädagogische Konzepte und politische Perspektiven. Weinheim und München: Juventa.

    Lüttgert, G. (1924): Preußens Unterrichtskämpfe in der Bewegung von 1848. Ein geschichtlicher Rückblick. Berlin: Trowitsch.

    Nave, K.-H. (1961): Die allgemeine deutsche Grundschule. Ideengeschichtliche Grundlegungen und Verwirklichungen in der Weimarer Republik. Weinheim: Beltz.

    Menke, A. (1970): Werden und Wesen der Grundschule. Wiesbaden-Dotzheim: Dt. Fachzeitschriften-Verlag.

    Oppermann, D. (1982): Gesellschaftsreform und Einheitsschulgedanke. Frankfurt a.M.: Lang.

    Oppermann, D. (1982): Quellen zu den historischen und pädagogischen Grundlagen des Einheitsschulgedankens. Frankfurt a.M.: dipa.

    Schirmacher, K. (1915): Deutsche Erziehung und feindliches Ausland. Denkschrift. Seiner Exzellenz dem Herrn Staatsminister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten Dr. von Trott zu Stolz überreicht. Lissa i.Pr.: Schmädike.

    Sienknecht, H. (1968): Der Einheitsschulgedanke. Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige Problematik. Weinheim und Basel: Beltz.

    1.2 Bildungstheoretische Entwicklung

    von Uwe Sandfuchs

    Inhaltsverzeichnis

    1    Erziehender Unterricht als bildungstheoretische Leitlinie

    2    Historische Konzepte grundlegender Bildung

    2.1 Elementarbildung im 19. Jahrhundert: Untertanenerziehung und religiöse Indoktrination

    2.2 Gymnasiale Vorschulen: Zurichtung für höhere Bildung

    2.3 Die Grundschule von Weimar: „Aufstieg der Begabten durch Reformpädagogik und „Kräftebildung

    2.4 Volkstümliche Bildung: Bescheiden und schlicht in Heimat und Muttersprache verankert

    2.5 Grundlegende Bildung im Nationalsozialismus: Ideologisierung, Konzeptlosigkeit und Desinteresse

    2.6 Grundlegende Bildung bis 1965: Ganzheitliche Bildung und Erziehung im Schonraum Schule

    2.7 Reform nach 1965: Wissenschafts- statt Kindorientierung

    2.8 Grundlegende Bildung in der Unterstufe der Polytechnischen Oberschule in der DDR

    3    Aktuelle Problemlage und Perspektiven: Grundschule in der „Anspruchsfalle"?

    Literatur

    1 Erziehender Unterricht als bildungstheoretische Leitlinie

    Wenn im Folgenden die bildungstheoretische Entwicklung der Grundschule skizziert wird, ist damit die Frage gemeint, welches Verständnis von Bildung das Handeln der Institution und ihres Personals im Laufe ihrer Geschichte leitet. Differenzierter gesagt geht es (1) um die gesellschaftlichen Funktionen und pädagogischen Aufgaben, die die Grundschule jeweils erfüllen soll; (2) weiterhin um das „Bild", also die Vorstellung vom lernenden Subjekt bzw. der Lerngruppe und schließlich (3) um die Frage nach der Qualifikation der Lehrenden. Die Reflektionen, Befunde und Erfahrungen zu diesen drei Fragestellungen fließen in Überlegungen zur Theorie und Praxis von Lehr-Lern-Prozessen in der Institution Grundschule zusammen.

    Bereits in den Anfängen der modernen Schulentwicklung wird vornehmlich von J.F. Herbart (1776–1841) das Theorem vom erziehenden Unterricht formuliert, das bis in die Gegenwart – zeitbedingt vielfach abgewandelt – im Vordergrund bildungstheoretischer Diskussionen um die Grundschule steht (vgl. Ramseger 1991; Koch/Schorch 2004). Es besagt, dass in der Schule Unterricht und Erziehung nicht zu trennen sind – was für die Grundschule mehr noch als für andere Schulstufen und -formen beansprucht wird – weil nämlich zur Vermittlung von (elementaren) Kenntnissen und Fertigkeiten und eines systematischen Weltbildes notwendig die Charakterbildung hinzugehöre.

    Ramseger (1991, 221) stellt fest, die Rede vom erziehenden Unterricht sei zur „Leitformel aktueller amtlicher Richtlinien aufgestiegen, was nicht immer kenntnisreich und zutreffend, sondern eher unkritisch und ideologisierend geschehe. Gleichwohl ist die Lehre vom erziehenden Unterricht, wenn sie die Erziehung zum selbständigen Handeln und zur „Vielseitigkeit des Interesses, die Bedeutung „Erfahrung und Umgang" also ein Lernen eng an und in der Wirklichkeit, den Zusammenhang von familialer und öffentlicher Erziehung, von Wissens- und Willensbildung, von Selbst- und Sozialerziehung reflektiert, eine geeignete Folie zur (Grund-)Schulentwicklung. Dabei wäre es zu kurz gegriffen, sich nur auf Herbart zu beziehen. Gedankengänge zum erziehenden Unterricht durchziehen die gesamte Aufklärungspädagogik von Erasmus über Comenius bis zu F.E. von Rochow (vgl. Keck 2004; Schmitt/Tosch 2001) und werden wie gesagt in jeweils zeitgebundener Form bis in die Gegenwart bemüht.

    Die Grundschule als Institution wie auch ihre Bildungstheorie folgt in ihrer historischen Entwicklung weitgehend der allgemeinen politisch-gesellschaftlichen Entwicklung. So spiegelt auch ihre Bildungstheorie bis in das 20. Jahrhundert die ständische Prägung der Gesellschaft und ihre Bildungsbegrenzungen nach sozialer und regionaler Herkunft, nach Geschlechtern und Konfessionen. Als undifferenzierte Elementarschule für alle schulpflichtigen Kinder besteht sie erst seit 1920. Bis 1919 ist die Grundschule teils dem niederen und teils dem höheren Schulwesen zugeordnet: So ist sie zum einen Teil des Elementar- bzw. des Volksschulwesens, zum anderen bereitet sie auf den Besuch höherer Lehranstalten vor. Höheres und niederes Schulwesen dienen unterschiedlichen Zwecken: Das eine vermittelt sowohl zweckfreie Bildung als auch die Berechtigung zu Studium und Karriere; das andere zielt lange Zeit auf herrschaftskonforme Untertanenerziehung (vgl. Herrlitz u.a. 1984). Der enorme Modernisierungsdruck, vor allem der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führt jedoch (vor allem in den Städten) zu einer eindrucksvollen Bildungsvermehrung, die auch einen rasanten Ausbau des Volksschulwesens (und damit auch der Grundschule) mit sich bringt. Die Grundschule ist jedoch nicht ohne Konkurrenz, seit den 1830er Jahren bestehen vor allem in Preußen an höheren und mittleren Lehranstalten so genannte „Vorschulen", die schulgeldpflichtig sind und in einem dreijährigen Durchgang auf den Besuch dieser Lehranstalten vorbereiten. Insgesamt ist die Entwicklung widersprüchlich, ständischer Disziplinierung und restaurativer Schulpolitik einerseits stehen Mobilisierung und Fortschritt andererseits entgegen.

    Dementsprechend wandelt sich das Verständnis von Grundbildung als Aufgabe der Grundschule von einer eng umgrenzten Elementarbildung zu einer anschlussfähigen Grundbildung, die ein Fundament an Kompetenzen für das weitere schulische, außerschulische und nachschulische (lebenslange) Lernen vermitteln soll.

    2 Historische Konzepte grundlegender Bildung

    2.1 Elementarbildung im 19.

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