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Satan und Ischariot: Reiseerzählung, Satan und Ischariot III, Band 22 der Gesammelten Werke
Satan und Ischariot: Reiseerzählung, Satan und Ischariot III, Band 22 der Gesammelten Werke
Satan und Ischariot: Reiseerzählung, Satan und Ischariot III, Band 22 der Gesammelten Werke
Ebook510 pages7 hours

Satan und Ischariot: Reiseerzählung, Satan und Ischariot III, Band 22 der Gesammelten Werke

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About this ebook

Die Melton-Brüder haben durch Betrug ein Millionenerbe ergaunert. Old Shatterhand und Winnetou folgen der Spur von Harry (dem "Satan") und dem Verräter Thomas (dem "Ischariot") von New Orleans aus durch den Llano Estacado zum geheimnisvollen Yuma-Schloß und hinauf ins Felsengebirge.

Die vorliegende Erzählung spielt Anfang der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts.

"Satan und Ischariot" ist der letzte Teil der gleichnamigen Trilogie. Weitere Teile:
1.) "Die Felsenburg" (Band 20)
2.) "Krüger Bei" (Band 21)
LanguageDeutsch
Release dateAug 1, 2011
ISBN9783780215222
Satan und Ischariot: Reiseerzählung, Satan und Ischariot III, Band 22 der Gesammelten Werke
Author

Karl May

Karl Friedrich May (* 25. Februar 1842 in Ernstthal; † 30. März 1912 in Radebeul; eigentlich Carl Friedrich May)[1] war ein deutscher Schriftsteller. Karl May war einer der produktivsten Autoren von Abenteuerromanen. Er ist einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache und laut UNESCO einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland. (Wikipedia)

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    Satan und Ischariot - Karl May

    KARL MAY’s

    GESAMMELTE WERKE

    BAND 22

    SATAN UND ISCHARIOT

    Satan und Ischariot

    Dritter Band

    REISEERZÄHLUNG

    VON

    KARL MAY

    Herausgegeben von Dr. Euchar Albrecht Schmid

    © 1950 Karl-May-Verlag

    ISBN 978-3-7802-1522-2

    KARL-MAY-VERLAG

    BAMBERG • RADEBEUL

    Inhalt

    1. In New Orleans

    2. Die Witwe des Yumahäuptlings

    3. Im Llano estacado

    4. Das Komantschengrab

    5. Ein Konzert im Wilden Westen

    6. Kain

    7. Ein verräterischer Wirt

    8. Vor dem Fuchsbau

    9. Im Yumaschloss

    10. Der geheime Weg

    11. ,Schneller Pfeil‘

    12. John Dunker

    13. Am ,Weißen Felsen‘

    14. Im Bund mit den Nijoras

    15. Belauscht

    16. Zur Strecke gebracht

    17. Der Entscheidung entgegen

    18. Auf der Platte des Cañons

    19. Das Ende des Judas

    1. In New Orleans

    Seit dem bisher Erzählten waren vier Monate vergangen. In den ersten zwölf Wochen hatte ein mir unendlich teures Leben mit dem Tod gerungen. Winnetou war am Sterben gewesen.

    Seine sonst so widerstandsfähige Natur hatte doch unter dem Aufenthalt in Afrika, so kurz er auch war, gelitten. Wir bekamen in Marseille schnelle Gelegenheit nur nach Southampton. Kaum hatte sich das Schiff in Bewegung gesetzt, so musste er sich legen. Wir hielten die Übelkeit, die ihn befiel, zunächst für eine Folge der Seekrankheit; als sich sein Zustand aber nicht besserte, zogen wir den Schiffsarzt zu Rate und dieser stellte ein schweres Gallen- und Leberleiden fest, das eine gefährliche Wendung zu nehmen drohte. In Southampton war er so schwach, dass er von Bord getragen werden musste; an eine Weiterreise war nicht zu denken. Emery, der hier bekannt war, mietete in der Umgegend der Seestadt, die der ,Garten Englands‘ genannt wird, ein Landhaus, das wir mit dem Kranken bezogen. Zwei der tüchtigsten Ärzte teilten sich in seine Behandlung.

    Er, der dem Tod hundertmal offen ins Auge geschaut hatte, musste nun hier mit einem heimtückischen Feind kämpfen, den er nicht packen konnte. Bald schien er zu unterliegen, bald trat wieder eine Besserung ein, die uns Hoffnung gab, aber nicht lange anhielt. Das verdrängte jede andere Sorge und wir dachten nur an die Pflege des teuren Freundes. Wir saßen Tag und Nacht an seinem Bett und taten alles, den tückischen Feind in die Flucht zu schlagen. Aber erst in der dreizehnten Woche erklärten uns die Ärzte, das Schlimmste sei vorüber und der Kranke bedürfe nur noch der Schonung und der Erholung.

    Schonung und Erholung! Der Apatsche lächelte, als er die beiden Worte hörte, obgleich er zum Skelett abgemagert war, sodass dieses Lächeln weit eher wie unterdrücktes Weinen aussah.

    „Schonung?, fragte er. „Ich habe keine Zeit dazu. Und Erholung? Kann sich Winnetou auf diesem Lager und in diesem Land erholen? Gebt ihm seine Prärie wieder, dann wird er seine Kräfte schnell zurückgewinnen. Wir müssen fort. Meine Brüder wissen, welch eilige Angelegenheit uns hinüberruft.

    Wohl wussten wir das, unser Vorhaben war auch wirklich eilig; aber einer, der soeben einer lebensgefährlichen Krankheit entronnen ist, muss sich vor jeder Eile hüten.

    Trotz Winnetous Krankheit hatten wir nichts versäumt, um den Plan der beiden Meltons, sich in den Besitz eines Vermögens von Millionen zu setzen, zu Schanden zu machen. Die beiden Schufte hatten in Afrika den jungen Hunter ermordet und waren nun nach Amerika abgesegelt, um sich mit Hilfe der gestohlenen Papiere und der Ähnlichkeit, die der junge Melton mit dem Ermordeten besaß, in den Besitz des Erbes zu setzen. Ich hatte sofort nach unserer Ankunft in Southampton dem Rechtsanwalt Fred Murphy in New Orleans telegrafiert. Da die Meldung nicht als unbestellbar zurückkam, nahm ich an, dass er sie erhalten hatte. Gleich danach schrieb ich ihm einen langen Brief, in dem ich ihm unsere Erlebnisse mitteilte und ihn ersuchte, die Meltons, sobald sie sich in New Orleans zeigen würden, festnehmen zu lassen und bis zu unserer Ankunft in sicherem Gewahrsam zu halten.

    Ungefähr drei Wochen später antwortete er mir. Er dankte mir für meine Mitteilungen und verständigte mich über den weiteren Verlauf der Angelegenheit. Als Freund von Small Hunter hatte er sich so sehr um die ganze Sache bemüht, dass er vom Gericht als Erbschaftsverweser eingesetzt worden war. Er hatte die Behörde sofort über mein Telegramm und dann auch über meinen Brief verständigt und beide waren zu den Akten genommen worden. Kurze Zeit später hatte sich der falsche Hunter vorgestellt und war mit seinem Vater verhaftet worden. Er hatte dem echten Hunter sehr ähnlich gesehen und war selbst in dessen persönlichste Angelegenheiten so eingeweiht gewesen, dass man ihn ohne mein Schreiben gewiss für den wirklichen Erben gehalten und ihm die reiche Erbschaft unbedenklich zugesprochen hätte. Die Untersuchung aber hatte ergeben, dass er regelmäßig ausgebildete Füße besaß, während die Bekannten Hunters wussten, dass dieser zwölf Zehen gehabt hatte.

    Das schrieb mir der Anwalt. Zugleich bat er mich um Zusendung der Schriftstücke, die sich in meiner Hand befanden und zur völligen Überführung der beiden Betrüger nötig waren. Er meinte, wir drei Zeugen könnten noch lange verhindert sein, hinüberzukommen, und es liege im Vorteil der eigentlichen Erben, die Sache so bald wie möglich auszutragen.

    Ich musste zugeben, dass er da Recht hatte, und doch gab es eine Stimme in mir, die mich warnte, auf dieses Begehren einzugehen. In einer Seestadt wie Southampton werden alle hervorragenden ausländischen Blätter gelesen. Es standen mir drei der bedeutendsten Zeitungen aus New Orleans zur Verfügung und keine erwähnte unsere Angelegenheit auch nur mit einem Wort. Das fiel mir auf.

    „Die Behörde wird die Sache geheim halten", meinte Emery, um das Schweigen der Zeitungen zu erklären.

    „Warum?", fragte ich.

    „Hm! Weiß auch keinen Grund."

    „Ich kann mir noch weniger einen denken, zumal man sich drüben sogar in anderen Angelegenheiten nicht scheut, vor die Öffentlichkeit zu treten. Der Yankee ist selbst in Rechtssachen kein Geheimniskrämer und in unserem Fall würde die Veröffentlichung mehr als geraten sein, weil dadurch gewiss niederschmetternde Beweise gegen die Meltons zusammenkämen. Davon bin ich überzeugt."

    „Well, ich auch."

    „Also verstehe ich die Heimlichkeit nicht, ja, sie kommt mir bedenklich vor."

    „So willst du die Urkunden nicht hinüberschicken?"

    „Nein. Ich werde das dem Anwalt schreiben. Ich werde ihm sagen, dass die Papiere denn doch zu wichtig wären, als dass ich sie den Unfällen des Seeverkehrs anvertrauen möchte; und wenn er ein ebenso vorsichtiger wie tüchtiger Jurist ist, kann er das nur loben."

    Ich schrieb also und bekam nach abermals drei Wochen wieder einen Brief, in dem Fred Murphy meine Zurückhaltung zwar vollkommen anerkannte, mich aber bat, ihm die Urkunden durch einen sicheren Mann zu schicken. Auch das unterließ ich, da die Blätter von New Orleans noch immer nichts über den Fall gebracht hatten. Ich antwortete nicht und er schwieg auch. Darum nahm ich an, dass er mir meine Vorsicht übel genommen und nun auf meine Ankunft warten wolle.

    Dann hatte ich noch einen zweiten Brief geschrieben, nämlich an Frau Werner und ihren Bruder Franz, den Geiger. Auch ihnen erzählte ich ausführlich das Ergebnis unserer Nachforschung nach Small Hunter und gab ihnen die Versicherung, dass sie gewiss in den Besitz der Erbschaft kommen würden, die die beiden Meltons für sich ergaunern wollten. Ich freute mich darüber, ihnen eine so frohe Nachricht senden zu können, erhielt jedoch keine Antwort, was mich wunderte, aber nicht störte. Bis San Francisco war es weiter als bis New Orleans und die Empfänger konnten inzwischen die Wohnung gewechselt haben. Sie empfingen mein Schreiben sicher, da mir Franz die richtige Anschrift gegeben und auch jedenfalls dafür gesorgt hatte, dass ihnen alle Post nachgeschickt wurde.

    Als Winnetous Genesung so weit vorgeschritten war, dass er sich im Freien ergehen durfte, machte ich ihm den Vorschlag, bis zu seiner völligen Wiederherstellung noch hier zu bleiben, ich aber wollte einstweilen allein nach New Orleans fahren. Er sah mich mit verwunderten Augen an und fragte:

    „Hat mein Bruder im Ernst gesprochen? Hat mein Bruder vergessen, dass Old Shatterhand und Winnetou zusammengehören?"

    „Hier ist eine Ausnahme notwendig. Die Sache eilt und du bist noch nicht gesund."

    „Winnetou wird auf dem großen Wasser schneller gesund werden als hier im Haus. Er wird mit dir reisen. Wann fährst du ab?"

    „Nun, höchstwahrscheinlich noch nicht. Du lässt mich ohne dich nicht fort und ich will dich keinem Rückfall aussetzen, der gefährlicher wäre als die Krankheit selbst."

    „Und doch werden wir fahren, ich will es so! Mein Bruder mag sich erkundigen, wann das nächste Schiff nach New Orleans geht, das werden wir besteigen. Howgh!"

    Wenn er dieses Wort aussprach, war jede Widerrede nutzlos, ich musste mich also fügen.

    Vier Tage später gingen wir an Bord. Um Winnetou zu schonen, trafen wir vorher alle Vorkehrungen, die Seereise für den kaum Genesenen so erträglich wie möglich zu gestalten.

    Unsere Sorge war unnötig gewesen, seine Vorhersage erfüllte sich: Er erholte sich so schnell, dass wir uns darüber wunderten, und als wir in New Orleans eintrafen, fühlte er sich so wohl wie je.

    Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, dass Emery die Reise auch mitmachte. Seine Anwesenheit als Zeuge war nicht unbedingt nötig, doch war er neugierig auf das Kommende und die Reisekosten spielten bei ihm keine Rolle.

    Nachdem wir in einem Gasthaus abgestiegen waren, suchte ich den Anwalt auf, ich allein, denn es war nicht notwendig, ihn zu dreien zu belästigen. Seine Wohnung und seine Kanzlei waren bald gefunden. Ich sah sofort, dass ich es mit einem viel beschäftigten Mann zu tun hatte. Im vollbesetzten Sprechzimmer gab ich dem Diener meine Karte und wies ihn an, sie seinem Herrn sofort zu überbringen. Darauf erwartete ich, augenblicklich vorgelassen zu werden. Aber es kam anders. Als der Diener aus dem Zimmer des Herrn zurückkehrte, ließ er mich zu meiner Verwunderung nicht eintreten, sondern deutete stumm auf einen leeren Stuhl.

    „Hat Mr. Murphy meine Karte gesehen?", fragte ich.

    „Yes", nickte er.

    „Was sagte er?"

    „Nothing."

    „Nichts? Aber er kennt mich doch!"

    „Well!", meinte er in gleichgültigem Ton.

    „Meine Angelegenheit ist nicht nur wichtig, sondern auch eilig. Geht hinein und sagt, dass ich bitte, sogleich vorgelassen zu werden!"

    „Well!"

    Er drehte sich steif um und verschwand abermals hinter der Tür seines Herrn. Als er zurückkehrte, würdigte er mich keines Blickes, trat ans Fenster und beobachtete die draußen vorübergehenden Menschen.

    „Nun, was hat Mr. Murphy gesagt?", fragte ich.

    „Nothing."

    „Wieder nichts? Unbegreiflich! Habt Ihr denn meinen Auftrag wirklich ausgerichtet?"

    Da drehte er sich rasch zu mir herum und fuhr mich an:

    „Schwatzt nicht so in den Tag hinein, Sir! Ich habe mehr zu tun, als Eure überflüssige Neugier wie eine alte Katze zu streicheln. Mr. Murphy hat Eure Karte zweimal angesehen und nichts dazu gesagt; das will heißen, dass Ihr wie jeder andere zu warten habt, bis die Reihe an Euch kommt. Setzt Euch also nieder und lasst mich in Ruh!"

    Was war denn das? Nicht etwa, dass mich die Grobheit des Menschen ärgerte; ich war nur erstaunt, setzte mich aber ruhig nieder, um zu warten. Dass der Anwalt mich warten ließ, obgleich er meine Karte zweimal gelesen hatte, war mir unverständlich. Mein Name ist nicht alltäglich, zumal drüben in den Vereinigten Staaten, und mit welcher hochwichtigen Angelegenheit er in Beziehung stand, das musste ihm doch sofort einfallen, sobald er die Karte erblickte. Nun, die Erklärung würde ja nicht ausbleiben!

    So war ich der letzte von fast zwanzig Kunden. Es verging eine Stunde und noch eine; auch die dritte war schon über die Hälfte verflossen, als endlich die Reihe an mich kam, bei dem Anwalt einzutreten. Er war ein noch junger Mann, nicht viel über dreißig Jahre, mit einem feinen, geistreichen Gesicht und scharfen Augen, die er fragend auf mich richtete.

    „Mr. Murphy?", erkundigte ich mich, indem ich mich verbeugte.

    „Yes, antwortete er. „Euer Wunsch?

    „Ihr kennt ihn. Ich komme geradewegs aus Southampton."

    „Southampton?, meinte er kopfschüttelnd. „Ich erinnere mich keiner Verbindung, in der ich mit diesem Platz stände.

    „Auch dann nicht, wenn Ihr meine Karte lest."

    „Auch dann nicht."

    „Sonderbar. Bitte, Euch zu besinnen! Ich konnte wegen der Erkrankung Winnetous nicht eher eintreffen."

    „Winnetou? Jedenfalls meint Ihr den berühmten Apatschenhäuptling?"

    „Allerdings."

    „Nun, der reitet jedenfalls mit seinem unvermeidlichen Old Shatterhand irgendwo in der Prärie oder im Gebirge umher. Wie konntet Ihr drüben in Southampton annehmen, dass er erkrankt ist?"

    „Er lag eben drüben in Southampton todkrank danieder; ich bin Old Shatterhand, habe ihn gepflegt, und nun sind wir herbeigeeilt, Euch persönlich die Urkunden auszuhändigen, die ich Euch nach Eurem Begehr eigentlich schicken sollte."

    Er war von seinem Stuhl aufgefahren und sah mir erstaunt ins Gesicht.

    „Old Shatterhand? So wird mir ein großer Wunsch erfüllt! Wie viel und oft habe ich von Euch gehört, von Winnetou, Old Firehand, dem langen Davy, dem dicken Jemmy und vielen anderen, die mit Euch im Westen waren! Willkommen, Sir, herzlich willkommen! Ich habe wirklich gewünscht, Euch einmal zu begegnen, und nun sehe ich Euch so unerwartet. Setzt Euch! Ich kann über meine Zeit verfügen."

    „Das schien vorher nicht so."

    „Warum?"

    „Weil Ihr mich nicht vorließt, ich habe zweieinhalb Stunden warten müssen."

    „Das tut mir unendlich leid, Sir. Ich kenne wohl Euren Kriegsnamen, aber nicht Euren richtigen."

    „Ihr müsst Euch irren. Ich habe Euch zweimal geschrieben und Ihr antwortetet mir auch zweimal."

    „Ist mir nicht erinnerlich, habe noch nie nach Southampton geschrieben. Welches war denn die Angelegenheit, in der Ihr Euch an mich gewendet habt?"

    „Small Hunters Erbschaft."

    „Small Hunters? Ah, feine Erbschaft! Einige Millionen! Ich war Verweser. War eine sehr einträgliche Arbeit. Habe sie leider aufgeben müssen. Wollte, die Angelegenheit wäre nicht so schnell zu Ende gegangen."

    „Zu Ende? Ihr wollt doch nicht etwa damit sagen, dass die Sache erledigt ist?"

    „Was sonst?"

    „Erledigt?, fragte ich erschrocken. „Da müsste sich doch der richtige Erbe gefunden haben?

    „Das hat er auch!"

    „Und die Erbschaft erhalten?"

    „Ja, erhalten bis auf den letzten Penny."

    „Und die Familie Vogel aus San Francisco?"

    „Vogel? Habe mit keiner Art von Vogel aus San Francisco zu tun gehabt?"

    „Nicht? Wer ist denn da der Mann, der die Erbschaft ausgezahlt bekam?"

    „Small Hunter."

    „Alle Wetter! So komme ich doch schon zu spät! Aber ich habe Euch doch vor Small Hunter gewarnt."

    „Wie? Ihr wollt mich vor Small Hunter gewarnt haben? Ich muss Euch sagen, dass der junge Gentleman mein Freund ist."

    „Das weiß ich, nämlich dass er es gewesen ist. Kann ein Toter noch heute Euer Freund sein?"

    „Ein Toter? Was sprecht Ihr da? Small Hunter ist frisch und gesund."

    „Darf ich fragen, wo?"

    „Auf Reisen im Orient. Ich habe ihn selbst auf das Schiff gebracht, mit dem er hinüber nach England gefahren ist."

    „Nach England! Hm! Reiste er allein?"

    „Ganz allein, ohne Diener, wie es sich für einen tüchtigen Weltenbummler schickt. Er hat die Barbestände eingezogen, alles andere schnell verkauft und ist dann wieder fort, nach Indien, wie ich glaube."

    „Und sein Vermögen hat er mitgenommen?"

    „Ja."

    „Ist Euch das nicht aufgefallen? Pflegt ein Reisender sein ganzes Vermögen, wenn es mehrere Millionen beträgt, mit sich herumzuschleppen?"

    „Nein, aber Small Hunter ist kein Reisender im gewöhnlichen Sinn. Er hat die Absicht, sich in Ägypten, Indien oder sonst wo anzukaufen. Nur das ist der Grund, dass er sein Eigentum flüssig gemacht hat."

    „Ich werde Euch beweisen, dass der Grund ein anderer ist. Bitte, sagt mir vorher, ob sein Körper eine auffällige Eigenschaft besitzt!"

    „Wieso? Wozu wollt Ihr das wissen?"

    „Das werdet Ihr erfahren. Antwortet zunächst!"

    „Es gibt da allerdings eine Eigenart, die aber äußerlich nicht zu bemerken war. Er hatte nämlich an jedem Fuß sechs Zehen."

    „Hatte der Mann, dem Ihr die Millionen verabfolgt habt, auch zwölf Zehen?"

    „Wie kommt Ihr zu dieser sonderbaren Frage? Schreibt das Gesetz vor, dass man bei der Auszahlung einer Erbschaft die Zehen des Erben zu zählen hat?"

    „Nein. Aber der Mann, dem Ihr dieses große Vermögen ausgeantwortet habt, hat nur zehn Zehen in seinen Stiefeln. Der wirkliche Small Hunter mit seinen zwölf Zehen liegt im Gebiet der tunesischen Beduinen vom Stamm der Uled Ayar begraben."

    „Begra..."

    Er sprach das Wort nicht aus, trat zwei Schritte zurück und starrte mich mit großen Augen an.

    „Ja, begraben, fuhr ich fort. „Small Hunter ist ermordet worden und Ihr habt sein Erbe einem Betrüger ausgehändigt.

    „Ihr irrt. Ich bin mit Small Hunter so befreundet, dass ein Betrüger selbst bei der größten Ähnlichkeit schon in der ersten Stunde unseres Verkehrs Gefahr laufen würde, von mir durchschaut zu werden."

    „Gefahr laufen? Ja, das gebe ich zu, aber die Gefahr ist für ihn sehr glücklich vorübergegangen."

    „Bedenkt, was Ihr sagt! Ihr seid Old Shatterhand. Ich muss annehmen, dass Ihr nicht nur gekommen seid, mir eine so unbegreifliche Mitteilung zu machen, sondern auch danach zu handeln."

    „Das ist allerdings meine Absicht. Übrigens habe ich bereits gehandelt, auch in Bezug auf Euch, indem ich Euch von Southampton aus die beiden Briefe schrieb."

    „Ich weiß von keinem Brief."

    „Dann gestattet mir, Euch Eure beiden Antworten vorzulegen!"

    Ich nahm die Schreiben aus meiner Tasche und legte sie auf den Tisch. Er las das eine und dann das andere. Ich beobachtete ihn dabei. Welch eine Veränderung ging da in seinen Zügen vor! Als er das zweite gelesen hatte, langte er wieder nach dem ersten, dann abermals nach dem zweiten. Er las jedes dreimal, viermal, ohne ein Wort zu sagen. Die Röte wich aus seinem Gesicht, er wurde leichenblass und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, auf der sich große Tropfen bildeten.

    „Nun?, fragte ich, als er noch immer lautlos in die Papiere starrte. „Kennt Ihr die Briefe nicht?

    „Nein", antwortete er mit einem tiefen Atemzug, indem er sich mir wieder zuwandte.

    Seine vorher bleichen Wangen röteten sich. Das war der Schreck, die Aufregung.

    „Aber seht die Umschläge! Die Briefe sind aus Eurer Kanzlei, wie Euer Stempel beweist."

    „Ja."

    „Und von Euch unterschrieben!"

    „Nein!"

    „Nicht? Wir haben da zweierlei Handschrift. Der Brief ist von einem Eurer Leute geschrieben und dann von Euch unterzeichnet worden."

    „Das eine ist richtig, das andere aber nicht."

    „Also ein Schreiber von Euch hat ihn verfasst?"

    „Ja, es ist Hudsons Hand. Es ist mehr als gewiss, dass er ihn geschrieben hat."

    „Und Eure Unterschrift...?"

    „...ist so genau nachgeahmt, dass nur ich selber im Stande bin, festzustellen, dass es Fälschung ist. Mein Gott! Ich habe Eure Fragen und Reden für inhaltlos gehalten, hier aber sehe ich eine Fälschung meiner Unterschrift vor Augen; es muss also etwas vorliegen, was Euch die Berechtigung gibt, so unbegreifliche Dinge vorzubringen."

    „Es ist allerdings so. Der kurze Inhalt dessen, was ich Euch zu sagen habe, ist in den Worten ausgedrückt, die Ihr schon vorhin gehört habt: Der echte Small Hunter ist ermordet worden und Ihr habt sein Vermögen nicht nur einem Betrüger, sondern sogar seinem Mörder übergeben."

    „Seinem – Mörder?", wiederholte er wie abwesend.

    „Ja, wenn dieses Wort auch nicht wörtlich zu nehmen ist. Er selbst hat ihn nicht ermordet, ist aber mit im Bund gewesen und trägt die gleiche Schuld, als wenn er die tödliche Waffe geführt hätte."

    „Sir! Ich bin wie im Traum! In einem bösen, schrecklichen Traum! Was ist hier geschehen?"

    „Habt Ihr Zeit, eine lange Geschichte anzuhören?"

    „Zeit – Zeit! Was fragt Ihr da erst! Hier habe ich die Fälschung in den Händen; sie sagt mir, dass meine Kanzlei zu einem Betrug benutzt worden ist. Da muss ich Zeit haben, selbst wenn Eure Erzählung Tage in Anspruch nehmen sollte. Setzt Euch und gestattet mir, meinen Leuten zu sagen, dass ich jetzt für niemand mehr zu sprechen bin!"

    Er hatte, getrieben von jähem Schreck, seinen Platz verlassen, nun setzte er sich wieder. Auch ich war erregt. Ich hatte die Überzeugung gehegt, dass meine Briefe an die richtige Person gekommen waren, und musste nun das Gegenteil hören. Die Halunken hatten ihren Plan ausgeführt. Vielleicht war alle unsere Mühe, waren all unsere Wagnisse vergeblich gewesen.

    Als der Anwalt die entsprechende Weisung gegeben hatte, setzte er sich mir gegenüber und winkte mir, zu beginnen. Sein Gesicht war noch immer blass wie vorher. Ich sah, dass seine Lippen zitterten. Es gelang ihm nur schwer, äußerlich ruhig zu erscheinen. Der Mann, dessen Ehre auf dem Spiel stand, tat mir leid. In seiner Kanzlei war eine Fälschung vorgefallen, er hatte sich von einem abgefeimten Schwindler betrügen lassen, es handelte sich dabei um ein großes Vermögen – wenn die Tatsachen an die Öffentlichkeit kamen, war er vernichtet.

    Ich war überzeugt, dass Thomas und Jonathan Melton nicht allein gehandelt, sondern auch Harry Meltons Hilfe in Anspruch genommen hatten. Darum musste sich mein Bericht auch auf ihn erstrecken. Ich erzählte also alles, was ich von den drei Personen wusste und was ich mit ihnen erlebt hatte. Als ich zu Ende war, saß der Anwalt noch eine Zeit lang schweigend da, den Blick starr in die Ecke gerichtet. Dann stand er vom Stuhl auf und fragte:

    „Sir, alles, was ich jetzt gehört habe, ist wahr, ist die reine Wahrheit?"

    „Ja."

    „Verzeiht die Frage! Ich sehe ein, ja ich muss einsehen, dass sie überflüssig ist; aber das alles klingt so unmöglich, und für mich handelt es sich dabei um mehr, als Ihr denkt."

    „Um was es sich für Euch handelt, kann ich mir wohl vorstellen – um Euren Ruf, vielleicht auch Euer Vermögen."

    „Natürlich! Wenn es sich herausstellt, dass Ihr Euch nicht irrt, werde ich freiwillig mit all meinem Besitz für den Verlust eintreten, den die richtigen Erben dadurch erleiden, dass ich mich habe täuschen lassen. Und leider bin ich der Überzeugung, dass alles, was ich dem Betrüger übergeben habe, verloren ist."

    „Ich möchte das jetzt noch nicht als Tatsache hinstellen. Man kann ihn noch erwischen."

    „Schwerlich! Er ist über die See und wird sich gewiss an einem sicheren Ort verstecken."

    „Hatte sich nicht auch sein Vater versteckt? Und haben wir ihn nicht in Tunis gefunden? Aufs Spurensuchen verstehen wir uns. Die Schwierigkeit liegt nur darin, dass die drei die Beute teilen werden. Selbst wenn wir den einen erwischen, gehen die beiden anderen Teile verloren."

    „So meint Ihr also, dass Harry Melton auch jetzt die Hand im Spiel gehabt hat?"

    „Ich bin überzeugt davon."

    „In welcher Weise sollte er geholfen haben?"

    „Hm! Wie hieß der Schreiber, der mir die beiden Antworten geschrieben und Eure Unterschriften gefälscht hat?"

    „Hudson."

    „Wie lange ist er schon bei Euch?"

    „Ein und ein halbes Jahr."

    „Ich vermute, dass er sich nicht mehr in Eurer Kanzlei befindet."

    „Ich erwarte seine Heimkehr übermorgen. Er wurde vom Tod seines Bruders benachrichtigt und erbat sich zwei Wochen Urlaub, um bei seinem Begräbnis zugegen zu sein und dann die Kinder des Verstorbenen unterbringen zu können."

    „Wo soll der Bruder gestorben sein?"

    „In St. Louis."

    „So können wir bis auf weiteres getrost annehmen, dass er diese Richtung nicht eingeschlagen hat. Wie seid Ihr mit ihm bekannt geworden?"

    „Durch die schriftlichen Empfehlungen, die er besaß. Ich stellte ihn zunächst als gewöhnlichen Schreiber an, obgleich er bedeutend älter war als Leute, denen man sonst einen solchen Posten anweist; doch schon nach kurzer Zeit erwies er sich so brauchbar, dass ich ihm immer mehr und mehr anvertraute. Er lebte zurückgezogen, war sehr pünktlich und schien in seinen Mußestunden zu arbeiten, denn ich bemerkte gar wohl, dass sich seine Kenntnisse vermehrten. Es gab Fächer, in denen ich meine Klienten getrost an ihn weisen konnte; ich war überzeugt, dass sie von ihm ebenso gut bedient wurden wie von mir selber."

    „Wie stand er sich mit Euren anderen Angestellten?"

    „Er lebte mit keinem auf vertrautem Fuß. Er hatte in seinem Verhalten gegen sie etwas, was ihn unnahbar machte, obgleich ich ihn keineswegs als abstoßend bezeichnen kann. Dann, als sich seine Stellung immer mehr besserte, bis er es endlich zum Vorstand der Kanzlei brachte, sonderte er sich noch mehr ab."

    „Wer hatte die Briefe und übrigen Eingänge zu empfangen?"

    „Er. Was ohne mich erledigt werden konnte, erledigte er, das Übrige hatte er mir vorzulegen."

    „So hat er meine beiden Briefe gelesen und beantwortet, ohne Euch ein Wort davon zu sagen. Wie alt war er ungefähr?"

    „Er schien am Ende der fünfziger Jahre zu stehen."

    „Welche Gestalt?"

    „Lang, starkknochig, schwarz von Haar."

    „Zähne?"

    „Vollständiges Gebiss."

    „Sein Gesicht?"

    „Das war nicht alltäglich. Hudson war ein sehr schöner Mann, ich habe noch nie bei einem Mann ein so schönes Gesicht gesehen. Aber wenn man es länger betrachtete, bekam man das Gefühl, als hätte die Schönheit auch ihre Mängel. Ich bin kein Maler, kein Kunstsachverständiger und verstehe nicht, mich richtig auszudrücken. Sein Gesicht gefiel mir, aber nur solange ich es vorübergehend betrachtete."

    „Gut, Sir, ich weiß jetzt, woran ich bin. Harry Melton ist der Vorstand Eurer Kanzlei gewesen."

    „Alle Wetter! Meint Ihr das wirklich?"

    „Unbedingt. Er durfte sich nicht sehen lassen, er musste zurückgezogen und verborgen leben. Sucht die Polizei einen Verbrecher in der Kanzlei eines berühmten Anwalts?"

    „Das ist wahr. Sollte er schon vor seinem Eintritt bei mir von dem Plan unterrichtet gewesen sein, der jetzt ausgeführt worden ist?"

    „Möglich."

    „Aber kein Mensch konnte damals wissen, dass der alte Hunter sterben und dass man mich zum Erbschaftsverweser ernennen würde."

    „War auch nicht nötig. Der Vater Hunter war so alt, dass man seinen Tod bald erwarten konnte. Der junge Melton war dem Erben ähnlich. Ihr wart mit dem jungen Hunter innig befreundet. Daraus folgte, dass sich Hunter beim Tod seines Vaters in Rechtsfragen an Euch wenden würde – da habt Ihr alles."

    „Und dennoch wird es mir schwer, zu glauben, dass ich das Opfer eines schon so lang vorbereiteten Planes geworden sein soll. Aber ich nehme an, dass Ihr Recht habt."

    „Und ich bin sogar überzeugt, dass dieser prächtige Vorstand Eurer Kanzlei nicht nur mit seinem Bruder in Tunis brieflich verkehrte, sondern auch von seinem Neffen von Zeit zu Zeit Nachrichten bekommen hat, um auf dem Laufenden zu bleiben."

    „Welch ein Abgrund von Bosheit und Schlechtigkeit, in den man da blickt! Und welch ein Glück, dass Ihr mir die verlangten Urkunden nicht geschickt habt! Sie wären vernichtet worden, sodass man später keinen Beweis gegen diese Menschen hätte erbringen können."

    „Was das betrifft, so wären, allerdings nur unter großem Zeitverlust, recht wohl neue Beweisschriften aus Tunis zu beschaffen gewesen; besser aber ist es allerdings, dass ich sie mir nicht habe ablocken lassen. Was gedenkt Ihr nun in der Angelegenheit zu tun, Sir?"

    „Ich werde der Behörde unverzüglich Meldung machen. Dazu bedarf es Eurer Schriftstücke. Werdet Ihr sie mir anvertrauen?"

    „Natürlich! Ich habe sie ja nur dazu mitgebracht. Auch die anderen Papiere, die ich damals Harry Melton und seinem Neffen abgenommen habe, sollt Ihr erhalten. Hier ist das Paket, es ist alles beisammen."

    „Ich danke! Man wird Euch einige Mal belästigen, indem man Euch und Eure beiden Begleiter zur Vernehmung lädt. Ich bitte Euch, besonders die Ähnlichkeit zu betonen, durch die ich getäuscht worden bin!"

    „Ihr dürft überzeugt sein, dass ich nichts unterlassen werde, was Euch nützen kann. Höchstwahrscheinlich wird man die sofortige Verfolgung der drei Verbrecher einleiten?"

    „Natürlich! Man wird keine Minute damit säumen. Glücklicherweise haben wir hier sehr scharfsinnige Geheimpolizisten. Sie sind in allen unseren Staaten berühmt und werden das Mögliche tun, die Flüchtlinge zu ergreifen."

    „Das ist ihre Pflicht. Übrigens werde auch ich sofort nach der Fährte der drei Meltons suchen und ihr folgen."

    „Möchtet Ihr das nicht lieber der Geheimpolizei überlassen? Ihr könntet leicht Fehler begehen, die den Polizisten zum Schaden gereichen."

    „Meint Ihr?"

    „Ja. Ihr seid ein vorzüglicher Präriejäger, aber ein Wild aufsuchen oder drei so gewiegte Verbrecher verfolgen, das ist zweierlei."

    „Hm! Eure Belehrung wirkt so erdrückend, dass ich mir allerdings vornehme, den Herrn Geheimpolizisten keine Störung zu bereiten. Wann ist der vermeintliche Small Hunter eigentlich abgereist?"

    „Vor fast zwei Wochen."

    „Also ungefähr an demselben Tage, an dem Euer Kanzleivorstand seinen Urlaub angetreten hat. In welchem Gasthaus hat er gewohnt?"

    „In keinem. Er hatte eine sehr hübsche Privatwohnung bei einer Witwe hier in meiner Nähe. Er ging fast gar nicht aus und besuchte auch mich nur, wenn es notwendig war."

    „Womit begründete er diese Zurückgezogenheit?"

    „Mit dem Erlernen der indischen Sprache, das ihn ganz in Anspruch nahm."

    „So hat er mit niemand sonst Verkehr gepflogen?"

    „Mit keinem Menschen. Die Witwe, Mrs. Elias, bewohnt ein Erdgeschoss fünf Häuser aufwärts von hier. Ich bin einige Male dort gewesen, fand ihn aber so in seine fremden Bücher vertieft, dass ich nur das Notwendigste mit ihm besprechen konnte."

    „Und da behauptet Ihr vorhin, dass ein Betrüger Gefahr liefe, von Euch schon in der ersten Stunde durchschaut zu werden?"

    „Ihr habt Recht. Jetzt, da Ihr mir die Augen geöffnet habt, mache ich mir sein Verhalten erst klar und komme da allerdings zu der Überzeugung, dass er sich außerordentlich in Acht genommen hat, in ein vertrautes Gespräch mit mir zu geraten."

    „Und wo hat Euer wackerer Kanzleivorstand gewohnt?"

    „Im Erdgeschoss des Hauses rechts nebenan."

    „Wer ist sein Wirt?"

    „Ein Händler. Hudson wohnte in Untermiete. Wollt Ihr noch mehr über ihn wissen? Vielleicht den Polizisten doch ins Handwerk pfuschen? Tut das doch ja nicht, Ihr könntet wirklich alles verderben."

    Ich will aufrichtig gestehen, dass mich diese wiederholte Warnung ärgerte. Ich war früher auch als Detektiv tätig gewesen und hatte meine Aufgaben stets zur Zufriedenheit gelöst. Vorhin hatte er meine Erzählung gehört, und wenn ich mich dabei auch nur so wenig wie möglich in Erwähnung gebracht hatte, so musste er doch aus dem Bericht ersehen, dass wir wenigstens keine Hohlköpfe waren. Dass er dennoch meinte, ich könne leicht alles in Frage stellen, verdarb mir vollends die Laune, die schon vorher nicht gut gewesen war. Ich machte also kurzen Prozess, nannte ihm das Gasthaus, in dem wir zu finden waren, und entfernte mich.

    Wie staunten meine zwei Begleiter, als ich ihnen erzählte, was ich bei Mr. Murphy erfahren hatte! Emery schlug mit der Faust auf den Tisch, dass es dröhnte, und rief zornig aus:

    „Jetzt können wir von neuem hinter den Halunken her rennen, wenn sie nämlich so gütig gewesen sind, eine Spur zu hinterlassen! Und dabei steht noch zu erwarten, dass trotz aller Gefahren, die wir laufen, das Geld deiner Schützlinge doch verloren ist! Und das ist ein Rechtsanwalt! Hält einen fremden Schwindler für seinen Busenfreund, stellt einen zehnfachen Räuber und Mörder in seiner Kanzlei an und will uns gute Lehren geben!"

    Winnetou sagte kein Wort. Wenn er ja eine Art von Ärger fühlte, so verbot ihm sein Indianerstolz, ihn sehen zu lassen.

    Es waren noch nicht zwei Stunden vergangen, so erschien ein Bote, um uns zum Verhör zu rufen. Als wir unsere Aussagen gemacht hatten, mussten wir sie beeiden. Dann wurden wir ermahnt, uns jetzt stets zur Verfügung der Behörde bereit zu halten. Trotzdem aber waren wir entschlossen, New Orleans zu verlassen, sobald es uns nötig schien.

    Kaum waren wir in unsere gemeinsame Wohnung zurückgekehrt, so brachte uns der Kellner einen Mann, der uns zu sprechen verlangt hatte. Es war ein sehr sorgfältig gekleideter und pfiffig aussehender Master bei guten Jahren. Er setzte sich ohne Umstände auf den nächsten Stuhl, betrachtete uns der Reihe nach aufmerksam, spuckte einmal tüchtig aus, schob sein Priemchen in die andere Backe und fragte Emery:

    „Schätze, in Euch den sehr ehrenwerten Mister Bothwell vor mir zu sehen?"

    „Ich heiße Bothwell", bestätigte der Gefragte kurz.

    „Und Ihr seid der bekannte Präriemann, den man Old Shatterhand nennt?", wurde ich gefragt.

    „Ja."

    „Und Ihr seid ein Redman namens Winnetou?", wandte er sich an den Apatschen.

    Winnetou nickte.

    „Well! So bin ich bei den richtigen Leuten, fuhr der Fremde fort, „und ich hoffe, dass ihr mir die nötige Auskunft geben werdet.

    „Wollt Ihr uns wohl zunächst sagen, wer Ihr seid, Master?", forderte Emery ihn auf.

    „Ich bin alles und habe alle Namen, lautete die selbstbewusste Antwort. „Wie ich heiße, kann euch gleichgültig sein. Es genügt, euch zu sagen, dass wir die drei Meltons suchen wollen. Ich habe die unter mir stehenden Detektive von allem zu unterrichten und möchte euch vor allen Dingen ersuchen, die Hand dabei aus dem Spiel zu lassen.

    „Das werden wir gern, erklärte Emery. „Erinnert Euch nur so oft wie möglich an die Weisung, die Ihr uns damit so freundlich erteilt!

    „Also nun meine Fragen! Ihr kennt doch die Meltons genau?"

    Wir antworteten dem eingebildeten Menschen kaum, sodass er sich endlich zornig empfahl. Dann meinte Emery:

    „Wir müssen die Meltons unbedingt selber finden. Aber wo haben wir sie zu suchen? Glaubst du, dass Jonathan mit dem Schiff fort ist?"

    „Fällt ihm nicht ein. Er ist nur an Bord gegangen, um den Anwalt irrezuführen", erklärte ich.

    „Und sein Oheim Harry?"

    „Ist nicht nach St. Louis. Nach Europa sind sie nicht, denn sie wissen, dass die Drähte spielen werden. Nach Afrika und so weiter gehen sie auch nicht, da sie dort Pfefferkörner unter den Rosinen gefunden haben. Es ist am klügsten für sie, zunächst Gras über die Ereignisse der letzten Zeit wachsen zu lassen. Und wo finden sie die nötige Zurückgezogenheit am besten? Hier in den westlichen Staaten. Ich möchte wetten, dass sie irgendwo droben in den Felsenbergen stecken. Geld haben sie genug, um Vorräte zu kaufen. Sie können da ein ganzes Jahr und noch länger ungesehen hausen."

    „Möchte dasselbe behaupten. Hoffentlich haben sie eine Spur zurückgelassen."

    „Kein Ereignis bleibt ohne Spur. Es gilt nur, sie aufzufinden. Ich werde jetzt zunächst einmal nach den beiden Wohnungen gehen. Vielleicht bemerke ich da den Anfang eines Fadens, den wir aufwickeln können."

    2. Die Witwe des Yumahäuptlings

    Ohne Zögern machte ich mich zu Mrs. Elias auf den Weg, trat aber vorher in eine Trinkstube, die ihrer Wohnung gegenüber lag. Hier hoffte ich, etwas zu erfahren. Leider wurde ich von einem alten, schläfrigen Neger bedient, der sich erst seit einigen Tagen in dieser Stellung befand; ich fragte ihn also gar nicht erst. Dennoch freute ich mich nachher, hier eingekehrt zu sein, denn ich saß noch gar nicht lange da, so sah ich unseren Detektiv drüben aus dem Haus kommen. Er hatte Mrs. Elias gewiss einen Besuch abgestattet, um sich nach Jonathan Melton zu erkundigen.

    Ich wartete noch eine Viertelstunde und ging dann auch hinüber. Die Inschrift eines kleinen Schildes sagte mir, dass die Wohnung noch zu vermieten war. Als ich klingelte, öffnete eine alte, dicke Mulattin, die mich forschend betrachtete. Ich wusste diese Art von Dienstboten zu behandeln, zog tief den Hut und fragte:

    „Bitte, Mylady, bin ich so glücklich, Mrs. Elias zu sehen?"

    Sie fühlte sich geschmeichelt, für ihre Herrin gehalten zu werden, und lächelte vor Wonne, dass ihr Gesicht noch einmal so breit wurde.

    „Nein, antwortete sie. „Ich bin nur die Köchin. Mrs. Elias ist im Zimmer. Kommt, Sörrrr!

    „Nehmt vorher meine Karte, Mylady! Man darf einer solchen Dame nicht unangemeldet einen Besuch machen."

    Sie grinste mich wieder glücklich an, nahm die Karte, eilte mir voraus, riss eine Tür auf, verschwand und sagte so laut, dass ich es hören konnte:

    „Hier, Ma’am, eine Karte von einem sehr feinen Sörrr! Wonderful fine! Viel gebildeter als der, der vorhin da war."

    Dann kam sie wieder heraus, ließ mich ein und schloss die Tür hinter mir. Ich stand vor einer ältlichen Dame, die mir mit freundlichen Augen entgegenblickte.

    „Verzeihung, Madam! Ich lese, dass hier eine Wohnung zu vermieten ist."

    „Ja, nickte sie, indem sie ihren Blick zwischen mir und meiner Karte hin und her gehen ließ. „Wie es scheint, seid Ihr ein Deutscher?

    „Allerdings."

    „Das freut mich sehr. Ich bin eine Landsmännin von Ihnen. Bitte, machen Sie mir das Vergnügen, sich zu setzen! Die Wohnung, die ich zu vermieten habe, besteht aus vier Räumen. Ist Ihnen das nicht zu viel?"

    Sie hatte das Letzte deutsch gesagt. Ich sah in ihr gutes, ehrliches Gesicht und da war es mir unmöglich, sie zu belügen. „Schade, ein Deutscher und dennoch ein Lügner!" So sollte sie nicht von mir denken. Darum deckte ich meine Karten auf.

    „Allerdings. Selbst ein einzelner Raum wäre mir zu viel. Ich komme nicht der Wohnung wegen, Madam."

    „Nicht?, meinte sie erstaunt. „Und doch fragen Sie danach?

    „Das war nur ein Vorwand. Da Sie aber eine Landsmännin von mir sind und ich in Ihr aufrichtiges Gesicht blicke, darf ich Ihnen keine Unwahrheit sagen. Mein Zweck war, mich nach Small Hunter zu erkundigen, der bei Ihnen gewohnt hat."

    „Nach dem? Sind Sie etwa auch ein Geheimpolizist?"

    Bei dieser Frage verfinsterte sich ihr Gesicht.

    „Nein, Madam, ich bin ein Privatmann, hege aber eine so große Teilnahme für Hunter, dass ich Ihnen zu großer Dankbarkeit verbunden wäre, wenn Sie die Güte haben wollten, mir Auskunft über ihn zu geben."

    Da lächelte sie:

    „Ich sollte eigentlich nicht, weil Sie nicht offen zu mir gekommen sind. Da Sie aber Reue zeigen, will ich Ihren Wunsch trotzdem erfüllen. Kennen Sie Hunter?"

    „Besser, als mir lieb ist."

    „Besser – als – Ihnen – lieb – ist? So ist’s wohl wahr, was

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