Die Trauersprechstunde: Was in der Trauer weiterhilft
By Hubert Böke
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About this ebook
Hubert Böke weiß aus jahrzehntelanger Erfahrung, welche Fragen Trauernde hautnah betreffen. Und er weiß vor allem, dass Standardantworten nicht weiterhelfen, einfühlsamer Rat aber umso mehr. Deshalb ist dieses Buch ein wahrer Schatz für Trauernde, der einlädt, immer wieder die Seiten durchzublättern und dann genau die Frage zu entdecken, die zur Zeit die eigene Frage ist.
Ein Buch zuallererst für Trauernde; aber auch Angehörige und Menschen, die Trauernde begleiten, werden hier wichtige Hinweise und Anregungen finden.
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Book preview
Die Trauersprechstunde - Hubert Böke
NAVIGATION
Buch lesen
Cover
Haupttitel
Inhalt
Anmerkungen
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
HAUPTTITEL
Hubert Böke
Die Trauersprechstunde
Was in der Trauer weiterhilft
Patmos Verlag
Für Lene Thurøe Knudsen
INHALT
Vorwort
1. Wie lange wird die Trauer dauern?
2. Wo sind unsere Verstorbenen?
3. Wie finde ich aus meinen Schuldgefühlen heraus?
4. Ist es normal, dass ich mich so schwach fühle?
5. Wie soll ich das alles alleine schaffen?
6. Hat mein Leben noch einen Sinn?
7. Ist das noch Trauer oder schon eine Depression?
8. Darf ich zornig sein?
9. Ich kann nicht weinen. Was hilft mir aus meiner Starre heraus?
10. Warum träume ich nicht von ihm/von ihr?
11. Wenn ich einmal lache und mich freue, denke ich sofort: Das darfst du nicht! Aber wer sagt denn das?
12. Wie kann ich lernen, mir Hilfe und Unterstützung zuzugestehen?
13. Wie gehe ich mit all den »guten« Ratschlägen um, die mir nicht weiterhelfen?
14. Warum trauern wir so verschieden?
15. Muss ich mich wehren gegen den Wunsch, ihm/ihr hinterhergehen zu wollen?
16. Ich rede mit ihm/ihr, als wäre er/sie noch bei mir. Bin ich noch »bei Trost«?
17. Wenn ich spüre, dass er/sie bei mir ist, träume ich das nur oder kann das wirklich sein?
18. »Du bist so anders, so eigen geworden!«, wird mir vorgehalten. Ist es nicht gut, »eigen« zu sein?
19. Viele können mit meiner Trauer nicht umgehen. Wie kann ich mir und ihnen helfen?
20. Wenn ich mich nach einer neuen Partnerschaft sehne, bin ich dann untreu?
21. Muss ich wirklich »loslassen«?
22. Ist es seltsam, dass ich nicht gerne zum Grab gehe?
23. Warum?
24. Kann ich etwas tun gegen die nächtlichen Ängste und die Schlaflosigkeit?
25. Die schrecklichen Bilder des Sterbens überlagern alle Erinnerungen. Was hilft mir, mich auch wieder an die guten Zeiten erinnern zu können?
26. Im Sterben war ich an seiner/ihrer Seite. Werde ich in meinen letzten Stunden alleine sein?
27. Gibt es gute Gründe, an ein Wiedersehen zu glauben?
28. Wie kann ich die Jahrestage so gestalten, dass ich nicht in neuer Trauer versinke?
29. Werde ich irgendwann damit leben können, dass er/sie mich durch den Suizid alleine zurückgelassen hat?
30. Wie kann ich damit leben, dass wir keinen Frieden miteinander gefunden haben?
31. »Über Verstorbene nichts, es sei denn Gutes.« Wenn es aber nicht immer »gut« war zwischen uns?
32. Gibt es Rituale, die mir in meiner Trauer helfen können?
33. Ist jetzt die Zeit der Trauer bald durchgestanden?
34. Darf ich wieder glücklich sein?
Mein Herz ist wie April
Unterstützende Angebote in der Trauer
Anmerkungen
Vorwort
Trauern tut weh. Von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen, ist eine der schmerzlichsten Krisen und eine der größten Herausforderungen unseres Lebens. Der Verlust zerreißt die Seele. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Die Zeit der Trauer ist eine Zeit tiefer Abstürze und heftiger innerer und äußerer Kämpfe. Es ist nicht allein der Schmerz über den erlittenen Verlust. Das ganze bisherige Leben steht auf dem Kopf. Es ist die wunde Leere im Herzen und es ist ein völlig veränderter Alltag.
»Ich komme mir vor, als wäre ich in ein ganz anderes, fremdes Land geraten«, beschreibt eine Trauernde ihr Erleben. »Alles ist so anders als früher. Ich verstehe gar nicht mehr, was um mich herum geschieht. Die Leute reagieren anders, hilflos oft. Es ist, als würden wir nicht mehr dieselbe Sprache sprechen, als wäre da eine Wand aus Glas zwischen uns. Ich selbst komme mir so hilflos, so sprachlos vor. Meine Gefühle fahren Achterbahn. Vielleicht reagiere ich deshalb manchmal so dünnhäutig, so angekratzt. Ich kenne mich selbst nicht mehr.«
Dieses Bild von einem »fremden Land«, in das ein Trauernder hineingerät, ist ein sehr persönliches Bild. Nicht jeder wird sich darin wiederfinden. Gewiss aber erleben viele Menschen die Trauer als eine verstörende, beängstigende und vor allem sehr schmerzliche Erfahrung, der sie sich im Grunde nicht gewachsen fühlen.
Denn der große Verlust ist unerträglich und zuzeiten einfach nicht auszuhalten. Dennoch bleibt Trauernden nichts anderes, als sich dieser veränderten Welt zu stellen. Irgendwie muss man seinen Alltag bestehen, muss (wenn es der Partner ist, den man verloren hat) eine neue Rolle im Leben finden: als »Alleinstehende(r)« – so sehr man diesen Begriff hassen mag.
Ich hoffe sehr, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, nicht alleine stehen; dass Menschen an Ihrer Seite sind, die auch in der Trauer bei Ihnen bleiben; Angehörige, Freunde, die zu Ihnen stehen (oder sich neu einfinden) und die bereit sind, die Achterbahn Ihrer Gefühle mit Ihnen auszuhalten. Aber auch Sie werden es schon erlebt haben, dass sich dann und wann mit einem Mal eine Wand aus Glas auftut. Trauer kann sehr einsam machen. Weil andere mit der Trauer nicht umgehen können oder es – auf Dauer – nicht wollen. Aber auch, weil man es mit sich selbst schwer hat und es den anderen nicht leicht macht.
In diesem fremden Land der Trauer Menschen zu begegnen, die in einer ähnlichen Ausnahmezeit leben, kann eine große Hilfe sein. Sie sprechen oft dieselbe Sprache, weil sie am eigenen Leib erfahren, wie Trauer sich anfühlt. Das nimmt der eigenen Trauer nicht die Schwere, aber es lässt einen nicht mehr so allein sein: Auch andere machen diese Erfahrungen, oft am Ende der eigenen Kraft zu sein, nicht mehr zu wissen, wie es weitergehen soll, den Schmerz kaum noch ertragen zu können. Auch andere machen diese Erfahrung, dass sich das Leben in der Trauer ganz anders anfühlt – ein Leben, für das man sich gar nicht gewappnet fühlt. Auch andere fragen sich, wenn sie sich so sehr »neben der Spur« erleben: »Bin ich noch ›normal‹?«
In den zurückliegenden 25 Jahren haben meine Frau Lene Knudsen und ich Menschen in ihrer Trauer begleitet – im Auftrag des Evangelischen Kirchenkreises Leverkusen, offen aber für jede und jeden: in Einzelgesprächen, in Trauergruppen (oder »Trauerkreisen«) und in den letzten sieben Jahren in der »Begegnungsstätte auf dem Friedhof Reuschenberg«. Vor allem unser Pavillon mitten auf dem größten der Leverkusener Friedhöfe ist für viele Trauernde zu einem guten Ort geworden. Hier begegnen sie Menschen, die wie sie selbst die Trauer kennen. So ist unsere Arbeit ein Angebot von »Trauernden für Trauernde«. In einem Team von bis zu 20 Frauen tun hier jeweils zwei ehrenamtliche Mitarbeiterinnen ihren Dienst, laden zu einer Tasse Kaffee ein und hören einfach zu. Hier wird viel geweint, aber auch viel gelacht – vielleicht gerade weil sich hier Menschen mit ihrer Trauer aufgehoben fühlen. In »unserem Häuschen«, wie der Pavillon von Mitarbeiterinnen und Besucherinnen liebevoll genannt wird, hat die Trauer ihren Raum; aber auch der (über die Zeit wachsende) Wunsch, wieder »ins Leben« zurückzufinden. Deshalb geht es in unserem Pavillon oft auch munter zu, wenn gemeinsame Aktivitäten, Ausflüge, Theaterbesuche und Reisen verabredet werden.
Aus dieser Arbeit heraus und aus unzähligen Gesprächen mit Menschen in ihrer Trauer entstand die Idee zu diesem Buch. »Die Trauersprechstunde« greift ganz konkrete Fragen auf. Fragen, wie sie uns in Einzelgesprächen gestellt wurden; Fragen, die wir hören, wenn Trauernde miteinander im Gespräch sind. – So hoffe ich sehr und bin ganz gewiss, dass Sie selbst sich in vielen dieser Fragen wiederfinden.
»Die Trauersprechstunde« ist kein Buch, das man vom Anfang bis zum Ende lesen muss, sondern eher ein Nachschlagewerk. Die Reihe der Fragen folgt keiner besonderen Anordnung. Ich lade Sie vielmehr ein, die Seiten immer wieder einmal durchzublättern. Bis Sie auf die Frage stoßen, die Sie jetzt – in diesem Augenblick – besonders anspricht. An einem anderen Tag wird es eine andere Frage sein, die Sie gerade beschäftigt. Welche Frage Ihnen gerade wichtig ist, wird auch davon bestimmt sein, auf welchem Wegabschnitt Ihrer Trauerzeit Sie sich selbst erleben. Unmittelbar nach dem Abschied stehen andere Fragen im Vordergrund als nach Monaten und Jahren der Trauer.
Sie können das Buch auch vom Ende her lesen und mit der Erzählung »Mein Herz ist wie April« beginnen. Es ist die Geschichte einer Trauernden, die Sie mitnimmt auf ihren ganz persönlichen Weg durch die Trauer. Zwischen den Zeilen finden sich viele der Themen, die in den Fragen des Buches aufgegriffen werden.
Die »Antworten« auf diese Fragen bleiben so nahe wie möglich an dem, was wir in unserer Trauer begleitenden Praxis erlebt haben. Von einem französischen Arbeiterpriester, den ich während meines einjährigen Arbeitsaufenthaltes auf Sizilien kennen und schätzen gelernt habe, ist mir vor allem sein Leitspruch in Erinnerung geblieben: Das, wofür er sich engagierte, sollte immer geschehen »in manera concreta«, das heißt in ganz konkreter Weise. Ich hoffe, dass mir das in meinen Antworten gelungen ist. Dazu hilft gewiss, dass ich immer wieder (wenn auch anonymisiert) von konkreten Menschen in ihren konkreten Situationen erzähle. Mir ist dabei sehr bewusst, dass es an Ihnen selbst ist, die jeweilige Antwort auf die Tauglichkeit für Ihre eigene Situation zu prüfen. Wenn ich in meiner langjährigen Arbeit als Seelsorger etwas gelernt habe, dann dieses: dass wir Menschen unseren ganz eigenen Weg gehen müssen. Der Rat eines anderen hat deshalb immer nur einen begrenzten Wert. Lesen Sie und prüfen Sie, was für Ihre Trauer, für Ihr Leben stimmig ist. Wenn eine Antwort hilfreich sein kann, freut es mich. Wenn Sie spüren: ›Das passt nicht für mich‹, dann verwerfen Sie diese Antwort. Darum bitte ich Sie!
Auf manche Ihrer Fragen mag es jetzt auch noch keine Antwort geben. Sie finden sich manches Mal erst mit der Zeit.
Rainer Maria Rilke schreibt in seiner unvergleichlichen, dichten Sprache an einen jungen Dichterfreund:
»… ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, … Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.«
Noch eine Nachbemerkung in eigener Sache: Weil ich Pastor und Seelsorger bin, werden Sie immer wieder auch kurze Texte aus der Bibel finden, vor allem aus den Psalmen; auch weil sie uns ihre leiderfahrene Sprache leihen können, wenn wir nach Worten suchen für das eigene Leid. – Und natürlich ist die Antwort eines Pfarrers sicher nicht zu lösen von seinem eigenen Glauben und der Weise, wie er das Leben deutet. Ich hoffe, Sie werden es beim Lesen eher als Bereicherung empfinden. Auch hier bemühe ich mich um eine »manera concreta«, die aus meiner beruflichen und persönlichen Erfahrung kommt.
Herzlich willkommen also in der »Trauersprechstunde«.
Hier soll Raum sein für Ihre Fragen, Ihre Trauer, Ihren Schmerz.
Lassen Sie uns aber auch gemeinsam auf das schauen, was in der Trauer weiterhelfen und neuen Mut zum Leben geben kann.
Ihr
Hubert Böke
1. Wie lange wird die Trauer dauern?
Ganz so lange ist es nicht her, dass Trauernden bei uns ein »Trauerjahr« zugestanden wurde. Die Erfahrung hat Generationen gelehrt, dass ein Mensch in seiner Trauer alles zumindest einmal durchlebt haben muss: einmal den Geburtstag, einmal den Hochzeitstag, einmal den Sterbetag, einmal Weihnachten und die dunkle