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Die berühmtesten Dichter und Schriftsteller Europas
Die berühmtesten Dichter und Schriftsteller Europas
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Die berühmtesten Dichter und Schriftsteller Europas

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Schriftsteller und Dichter prägen unsere Kultur, unser Denken, unser Reden, unser Sein. Die Namen bedeutender Poeten führt jeder im Mund. Aber wer genau war Charles Baudelaire? Warum ist Mary Shelleys Frankenstein zu einem modernen Mythos geworden? Was hat Dantegeschrieben? Und was machte William Shakespeare zum Inbegriff des Dichters? – Das vorliegende Buch geht solchen Fragen nach, indem es die berühmtesten europäischen Dichter und Schriftsteller der Neuzeit vorstellt und ihr Leben, ihre literarische Bedeutung und ihre vielfältigen Beiträge zu unserer Alltagskultur beleuchtet.Vorstellung der berühmtesten europäischen Schriftsteller und Dichter der Neuzeit
LanguageDeutsch
Publishermarixverlag
Release dateFeb 18, 2007
ISBN9783843802239
Die berühmtesten Dichter und Schriftsteller Europas
Author

Katharina Maier

Katharina Maier ist in der Oberpfalz geboren. Ihre erste Geschichte war ein Märchen über eine Taube und eine weiße Hirschkuh, die sich ineinander verliebten und sehr glücklich miteinander wurden. Heute schreibt sie Sachbücher über Literatur im weitesten Sinne und Future-Fantasy-Geschichten von epischer Länge, in denen mal mehr Future und mal mehr Fantasy steckt. Katharina Maier lebt in Augsburg.

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    Die berühmtesten Dichter und Schriftsteller Europas - Katharina Maier

    Maier

    DANTE ALIGHIERI

    (1265–1321)

    »La Divina Commedia« – Die Göttliche Komödie

    Der Pilger

    Dante Alighieri steht mit seiner Göttlichen Komödie (La Divina Commedia, entstanden 1307–21) am Anfang der Literatur der Neuzeit und schuf – vor allem mit deren berühmtestem Teil, dem Inferno – ein symbolisches Feld, das über die Jahrhunderte nichts von seiner Fruchtbarkeit verloren hat.

    Dante Alighieri ist für die italienische Literatur, was William Shakespeare für die englische und Johann Wolfgang Goethe für die deutsche darstellt: ein Nationaldichter. Er war der erste große Dichter in dieser Sprache, ja, er hat die italienische Schriftsprache im Grunde erst geschaffen, indem er der damaligen Vielfalt der italienischen Dialekte die Forderung nach einer überregionalen Volkssprache entgegensetzte und diese auf seinem toskanischen Dialekt basierende volgare durch seine Werke verbreitete und literarisch legitimierte. Unter anderem mit der auf Latein verfassten Schrift Über die Volkssprache (De vulgari eloquentia, entstanden um 1303/04) trat Dante als Dichtungstheoretiker, Philologe und Philosoph von ungeheurer Bildung auf und wurde sozusagen zum Gründungsvater der italienischen Literatur.

    Von Dantes Leben ist wenig gesichert bekannt, vieles muss als Legende betrachtet werden. Er wurde in den niederen Adel von Florenz geboren und blieb seiner geliebten Heimatstadt Zeit seines Lebens aufs Engste verbunden, auch wenn er die letzten neunzehn Jahre im Exil verbringen musste. In seiner Jugend, während er eine solide humanistische Ausbildung genoss, nahm er aktiv an den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Florenz und anderen italienischen Stadtstaaten teil. 1287 ging Dante dann allerdings nach Bologna, wo mit Das neue Leben (Vita nouva, um 1293/94) seine erste poetische Schöpfung entstand, die zugleich das erste konsequent durchkomponierte Werk der italienischen Literatur war. Nach seiner Rückkehr nach Florenz begann Dante dort während einer Phase der Volksherrschaft seine politische Laufbahn. Er wurde zu diesem Zweck Mitglied der Apotheker- und Ärztezunft und bald zum angesehenen Diplomaten. Er stellte sich offen gegen Papst Bonifaz VIII., der die gesamte Toskana seinem Einflussbereich hinzuziehen wollte und sich mit dem französischen König Philippe dem Schönen verbündete. Dessen Bruder Charles de Varlois marschierte 1301 in Florenz ein, während sich Dante auf einer diplomatischen Mission befand. Der Dichter konnte nicht mehr in seine Heimatstadt zurückkehren und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens an den Fürstenhöfen Oberitaliens. Sowohl seine theoretischen Schriften als auch Die Göttliche Komödie entstanden in dieser Zeit des Exils. Die 1307 begonnene und etwa 1315 abgeschlossene Comedia, die Giovanni Boccaccio in seinem Kommentar (entstanden 1357–60) mit dem Attribut divina (›göttlich‹) versah, ist ihrerseits bis heute das Hauptwerk der italienischen Literatur geblieben.¹

    Schon in seinem Erstlingswerk Das neue Leben kündigt Dante indirekt die Göttliche Komödie an. Das Werk besteht aus 31 Gedichten (hauptsächlich Sonetten und Canzonen) und kommentierenden Zwischentexten in Prosa und konstituiert eine Art poetischer Selbstdarstellung seines Schöpfers. Im Mittelpunkt steht jedoch die Begegnung mit der berühmten Beatrice², die der Dichter von weitem und bei flüchtigen Begegnungen glühend verehrt. Die unerwiderte Neigung zu Beatrice und der frühe Tod der Geliebten werden als Triebfedern einer sittlichen Erneuerung des Mannes dargestellt. Dessen Liebe sublimiert sich von Begehren zu idealer Verehrung, die ihn auf den Weg der Tugend, aber auch der Philosophie und der Wissenschaften bringt. Dieses Motiv der erlösenden Weiblichkeit ist ein zentrales der europäischen Literatur geworden und manifestiert sich etwa auch in Goethes Faust. Dantes Neues Leben ist von symbolischen und allegorischen Bezügen durchsetzt, die er später in der Göttlichen Komödie, seiner großen Wanderung durch das Jenseits, ausbauen würde. Hier wird die Figur Beatrices endgültig zur verklärten Verkörperung von Tugend, Weisheit und Schönheit und führt den ›Pilger‹ Dante – das lyrische Ich der Komödie – durch das Paradies (Paradiso) und in die Gegenwart Gottes hinein. Zunächst jedoch muss der Dichter unter der Führung Vergils durch Hölle (Inferno) und Fegefeuer (Purgatorio) wandern, eine Reise, die mit der berühmten Inschrift über den Pforten der Hölle beginnt: »Lasciate ogni speranza – Lasst alle Hoffnung fahren«. Alle drei Bereiche des Jenseits sind bevölkert von mythischen, historischen und zeitgenössischen Persönlichkeiten, die in die übergreifende Ordnung unwiderruflich eingebunden sind, indem sie die Strafe oder Belohnung für ihre Taten an ihrem jeweiligen Platz in den je neun Ringen der Hölle, des Fegefeuers und des Paradieses empfangen¹. So begegnet der Pilger über 600 Personen, die durch Dantes sprachliche Prägnanz treffend und lebendig charakterisiert werden. In den Gesprächen des Ichs mit sublimen wie teuflischen Gestalten, Dichtern, Philosophen, Politikern und vielen mehr manifestiert sich die beispiellose Vielschichtigkeit seiner Sprache genauso wie in den eindringlichen Beschreibungen der jenseitigen Landschaften. Die formale Struktur der 100 Gesänge (34 + 33 + 33) ist streng organisiert und orientiert sich an einer elaborierten Zahlensymbolik. Den göttlichen Zahlen 3 und 9 kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu; sie manifestieren sich u. a. in der von Dante geschaffenen komplexen Strophenform der Terzine.

    Der streng geordnete Kosmos von Inferno, Purgatorio und Paradiso ist ein Desiderat der Glaubenswelt des Mittelalters, als dessen letztes großes Werk Dantes Lehrgedicht angesehen werden kann. Der Pilger Dante, der das Jenseits vom Gründonnerstag bis zum Ostersonntag des Jahres 1300 durchwandert und schließlich die Göttliche Dreieinigkeit und ihre allumfassende Liebe erfährt, stilisiert sich dabei zum Propheten der Wahrheit, ein Gestus, der den antiken Topos des Dichters als göttlich inspirierter Sehender wiederbelebte und einen entscheidenden Einfluss auf die Literaturgeschichte ausübte, da sich über Jahrhunderte immer wieder Generationen von Dichtern (etwa die europäischen Romantiker) in diese Tradition stellten und noch heute stellen. Obwohl die monumentale – und auch sperrige – Göttliche Komödie erst Jahrhunderte nach Dantes Tod außerhalb der Grenzen Italiens bekannt wurde¹, ist dieses Werk, das an der Grenze von Mittelalter und Renaissance steht, eine der zentralen literarischen Schöpfungen der westlichen Welt.

    Wichtigste Werke

    Vita nuova (Das neue Leben, enstanden 1283–93/95)

    De vulgari eloquentioa libri duo (Über die Volkssprache, entstanden 1303/04)

    Il convivio (Das Gastmahl, entstanden 1303–08)

    La comedia/La divina commedia (Die göttliche Komödie, enstanden 1307–23)

    ¹ Der Titel ›Komödie‹ stammt aus der zeitgenössischen Poetik; laut Dante selbst bezeichnet er ein Werk, das schrecklich beginnt und glücklich endet, nicht in Latein verfasst ist und sämliche ›hohen‹ wie ›niederen‹ Stilebenen umfasst.

    ² Das biographische Vorbild Beatrices ist vermutlich Bici di Folco Portinari.

    ¹ Die neun Kreise der Hölle Dantes sind sprichwörtlich geworden. Sie sind fortschreitend nach schwereren Sünden und dementsprechend härteren Strafen angeordnet. Etwa platziert Dante die mythisch-homerische Gestalt Odysseus in den achten Kreis der Hölle, wo er seine Hinterlist im Trojanischen Krieg büßen muss, im Zentrum der Hölle (zermalmt von den drei Mäulern Luzifers) befinden sich mit Judas, Brutus und Cassius die drei großen Verräter der Geschichte.

    ¹ Die erste deutsche Übersetzung stammt aus dem Jahr 1767, und erst die Romantiker Friedrich und A. W. Schlegel sowie G. W. F. Hegel brachten Dante in Deutschland zu Ansehen.

    FRANCESCO PETRARCA

    (1304–1374)

    »Rerum vulgaria fragmenta« – Bruchstücke muttersprachlicher Dinge

    Der Liebesdichter

    Francesco Petrarca – zusammen mit Dante Alighieri und Giovanni Boccaccio eine der tres corone, der drei literarischen ›Kronen‹, der italienischen Renaissance – schuf mit seinem Canzioniere, seinen Liebesgedichten an die berühmte unerreichbare Laura, nicht nur das wirkungsmächtigste Werk der italienischen Literatur, sondern auch die bedeutendste Gedichtsammlung der Neuzeit.

    Der Canzioniere, der ursprünglich unter dem Titel Rerum vulgaria fragmenta (›Fragmente muttersprachlicher Dinge‹) bekannt war², kann ohne Übertreibung als Francesco Petrarcas Lebenswerk bezeichnet werden. Der Poet arbeitete über Jahrzehnte an den 366 Gedichten, die die Endfassung von 1374, dem Jahr seines Todes, enthält. Doch Petrarca betätigte sich nicht nur als Dichter in der volgare, der italienischen Volkssprache, der er zusammen mit Boccaccio und vor allem Dante Vorschub leistete; der in Arezzo geborene Sohn eines Notars wirkte vielmehr auch als einflussreicher Politiker. Nach einem Studium der Rechte in Montpellier und Bologna trat Petrarca 1326 in die Dienste des Kardinals Giovanni Bologna und begann damit eine Laufbahn, die ihn als Diplomat unter anderem nach Flandern, Aachen, Köln und Rom führte. Petrarca war ein leidenschaftlicher Anhänger der Idee einer Wiedergeburt des mächtigen Roms, wurde jedoch von der politischen Realität enttäuscht. Seinen Lebensabend verbrachte er als hochverehrter Dichter und Politiker in Venetien.

    Petrarcas zeitgenössischer literarischer Ruhm war nicht nur auf seine lyrischen Werke in der volgare zurückzuführen, sondern zu einem Großteil auch auf sein auf Latein verfasstes Œuvre, das ihn zu einem der Begründer des Humanismus machte und somit zu einem derjeniger Geister, die die westliche Welt so entscheidend geprägt haben. Während seines Studiums in Bologna kam Petrarca mit dem Gedankengut des Frühhumanismus in Berühung, das er in seinen Texten sukzessive ausbaute und belebte. In seinen von römischen und griechischen Autoren inspirierten lateinischen Dichtungen entdeckte er die Antike sozusagen neu und trug damit entscheidend zu deren ›Wiederauferstehung‹ in der Renaissance bei. Nach ihrem Vorbild rückte Petrarca das schöpferische Individuum in den Mittelpunkt seines Schreibens und setzte sich somit deutlich vom Gedankengut des Mittelalters ab. Zugleich schuf er die antike Literatur nicht einfach nach; vielmehr nutzte er sie als Inspirationsquelle für neue, andere Dichtungsformen. Hierin wurde er wiederum zum Vorbild für nachfolgende Generationen von Poeten. Petrarcas literarischer Ruhm, den er selbstreflexiv zusammen mit seiner Liebe zu Laura als die große Motivationsquelle seines Schaffens benannte¹, fand zu seinen Lebzeiten einen Höhepunkt, als er Ostern 1341 auf dem Kapitol von Rom triumphal zum Dichter gekrönt wurde.

    Im Mittelpunkt von Petrarcas Canzioniere steht die unerwiderte Liebe des dichtenden Ichs zu Laura, deren autobiographischem Vorbild Petrarca vermutlich in der Karwoche des Jahres 1327 begegnete und die er bis zu ihrem frühen Tod ein Jahr später glühend und unerhört verehrte. Die Liebesgedichte des Canzioniere lassen sich entsprechend in drei Phasen einteilen: Zunächst löst die erste Verliebtheit im Ich die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Gefühle aus; dann wird die unerreichbare Frau ähnlich wie die Beatrice Dantes zum moralischen wie geistigen Vorbild des mit sich ringenden Dichters; nach ihrem Tod schließlich wird Laura als transzendente Geliebte verherrlicht und zum Brennpunkt der sublimierten Sehnsüchte des Ichs. Die Frau wird so sukzessive entpersonalisiert und zu einem Symbol der Treue, Hoffnung und Liebe, aber auch des humanistischen Geistes und der Dichtkunst selbst¹. Petrarca reiht sich hiermit zwar in die bereits bestehende Tradition der donna angelicata ein, der ›Engelsfrau‹, die durch das Versagen ihrer Gunst den Dichter auf den Weg der Tugend führt², hebt sie aber auf neue symbolische Ebenen und sieht zugleich nicht davon ab, Lauras physische Schönheit zu rühmen. Petrarca trug damit entscheidend zu der Etablierung des Schönheitsideals der Renaissance bei, das die europäische Liebesdichtung für mehr als zwei Jahrhunderte dominieren sollte. Dieses Ideal manifestiert sich auch in der Lyrik des Petrarkismus, eine an den ›Meister‹ angelehnte Stilrichtung, die durch den festen Schematismus ihrer Motive und der formalen wie stilistischen Elemente gekennzeichnet ist. Während petrarkistische Gedichte mit einem festen Katalog poetischer Bilder arbeiteten (etwa die Frau als Jägerin, die das Herz des hilflosen Dichters in ihren Netzen fängt), die in einem (im besten Fall virtuosen) ästhetischen Spiel endlos variiert wurden, zeichnet sich Petrarcas Metaphorik noch durch ihre Originalität und Schlichtheit gleichermaßen aus (wenn sie auch durchaus zeitgenössischen Schönheitskonventionen folgt).

    Die dominierende Form, die Petrarca seiner Liebeslyrik gibt, ist die des Sonetts, die dank des Canzioniere ihren Siegeszug durch Europa antrat und dabei sprachbedingte Variationen erfuhr. Die Grundform des Petrarca-Sonetts besteht aus zwei vierversigen Strophen und zwei dreiversigen, in denen das in den sogenannten Quartetten angedachte Thema auf eine höhere Ebene und/oder zu einer wirkungsvollen Schlussfolgerung gebracht wird. Mit seiner klaren, festen Struktur, die sich auch auf das Reimschema erstreckt und in einem festen Rahmen unendliche Variation erlaubt, wurde das Sonett zu einer der wichtigsten lyrischen Formen überhaupt, und das gilt bis heute. Petrarcas Bedeutung für die Gattung der Lyrik erschöpft sich jedoch nicht in der Begründung einer neuen Art der Liebesdichtung und der Verbreitung der Sonettform. Vielmehr erhoben seine Verse in der volgare die Volkssprache ganz gleich welchen Landes in den Status einer poetischen Sprache; Latein wurde nicht länger als die einzige der Dichtung würdige Sprache angesehen. Und nicht zuletzt handelt es sich beim Canzioniere um die erste nachantike Gedichtsammlung, die konsequent durchkomponiert ist und einen dezidierten Schwerpunkt auf die Reinheit der lyrischen Form legt. Dadurch begründete Petrarca ganz neue Standards der Dichtkunst, ohne die die Entwicklung der neuzeitlichen Lyrik gar nicht denkbar wäre.

    Wichtigste Werke

    Canzioniere (Canzioniere, entstanden 1336–74)

    Africa (Africa, entstanden 1338–43)

    De viris illustribus (entstanden 1338–53 )

    De secreto conflictu curarum mearum (Gespräche über die Weltverachtung, entstanden 1342/43–58)

    De vita solitaria (entstanden 1346–56)

    ² Der Titel Canzioniere kam erst im 16. Jahrhundert in Gebrauch.

    ¹ Dies bekennt Petrarca in seinem Selbstporträt Gespräche über die Weltverachtung (Secretum/De secreto conflictu curarum mearum, 1342/43–58), ein Totendialog mit dem Heiligen Augustinus in Anwesenheit einer schönen Frau, der Allegorie der Wahrheit.

    ¹ Der Name Laura steht in enger lautlicher Verbindung mit dem lauro, dem Lorbeer, welcher als Symbol für den dichterischen Ruhm steht.

    ² Diese Tradition geht auf den mittelalterlichen Minnesang zurück.

    GIOVANNI BOCCACCIO

    (1313–1375)

    »Il Decamerone« – Zehn Tage

    Der Novellendichter und der Eros

    Giovanni Boccaccio ist der jüngste der tre corone, der drei ›Kronen‹ der italienischen Literatur¹, die an der Schwelle zwischen Mittelalter und Renaissance stehen und eine neue Phase der europäischen Literatur einläuteten. Mit seinem Dekameron (Il Decamerone, entstanden 1349–53) wurde er zum ersten großen Prosaerzähler Europas und zum Begründer der Gattung der Novelle.

    Ähnlich wie im Falle Dante Alighieris haben sich um Giovanni Boccaccios Biographie viele Legenden gebildet. Geboren wurde er wahrscheinlich in Florenz, und zwar als unehelicher Sohn eines Kaufmanns und einer adligen Französin. Mit vierzehn Jahren wurde Boccaccio von seinem Vater in eine Kaufmannslehre im neapolitanischen Bankhaus Bardi geschickt. In Neapel knüpfte er Kontakte mit den Gelehrten, Literaten und Aristokraten, die sich am Hof der Anjou, ein kulturelles Zentrum der Zeit, zusammenfanden. In den 1340er Jahren hielt er sich an den Höfen von Ravenna und Forlí und in Florenz auf, wo er als Notar und Richter tätig war. Nach der großen Pestepedemie des Jahres 1348, im Zuge derer Boccaccios Vater verstarb und die der Dichter in seinem Meisterwerk, dem Dekameron, thematisierte, begab er sich im Auftrag der Stadt Florenz auf diplomatische Mission und bereiste ganz Italien. Seinen Lebensabend verbrachte Boccaccio auf seinem Landgut Certaldo in der Nähe von Florenz.

    Giovanni Boccaccio begann seine literarische Tätigkeit schon früh und kann ohne Zweifel als eine der Gründungsfiguren der italienischen Literatur genannt werden: Zwischen 1336 und 1338 entstand sein Erstlingswerk Il Filocolo, der erste italienische Prosaroman überhaupt; mit der Teseida (1339–40), seiner Bearbeitung des Theseus-Stoffes, begründete Boccaccio eine eigenständige italienische Epik; seine Fabeldichtung Die Nymphe von Fiesole (Ninfale fiesolano, entstanden 1344–46) über die Liebe zwischen einem Hirten und einer Nymphe, die sich durch ihre unverblümte Darstellung der Gefühlswelt der Liebenden auszeichnet, wurde zum Vorbild für die gesamteuropäische Pastoraldichtung. 1343/44, während Boccaccios Zeit in Neapel, entstand der Roman Fiammetta (Elegia di Madonna Fiammetta), der der Legendenbildung um seine Biographie schon zu seinen Lebzeiten entschiedenen Vorschub leistete. Der Roman basiert auf Boccaccios leidenschaftlicher Verehrung der verheirateten Maria d’Aquino, verkehrt jedoch die eigentliche Situation ins Gegenteil, da er in Form des intimen Tagebuchs der Madonna Fiammetta verfasst ist, die von ihrem jungen Liebhaber Panfilo (= Boccaccio) verlassen worden ist. Dieser Bekenntnisroman – der erste nachantike seiner Art – zeichnet sich durch eine psychologische Klarsichtigkeit aus, die seiner Zeit weit voraus ist. Ab 1350, nach seiner Begegnung mit dem Dichter und Humanisten Francesco Petrarca, begann Boccaccio, zahlreiche Werke auf Latein im humanistischen Geist zu verfassen. Sein letztes Projekt war die Abfassung der Kleinen Abhandlung zum Lobe Dantes¹ (Trattatello in laude di Dante, entstanden 1357–60), ein Kommentar der ersten 17 Gesänge von Dantes Komödie (La Divina Commedia, entstanden 1307–21), die in diesem Text das Attribut ›göttlich‹ erhielt.

    Doch so einflussreich Boccaccios sonstiges literarisches Schaffen in Hinsicht auf die italienische Literatur auch war, sein bahnbrechendes Dekameron übertrifft all seine anderen Werke. Mit ihm begründete Boccaccio die Gattung der Novelle, die Johann Wolfgang Goethe als »eine sich ereignete unerhörte Begegebenheit« definierte und damit zwei ihrer wichtisten Eigenschaften nannte: Das zentrale Ereignis, das in ihr in kurzer Form erzählt wird, ist von realistischer, aber ungewöhnlicher Natur. Charakteristisch für die Novelle ist außerdem ein überraschender Wendepunkt in der Erzählung, der in Anlehung an eine Novelle aus dem Dekameron als ›Falke‹ bezeichnet wird². In größerem Maße jedoch noch als die Form seiner Erzählungen wirkte der Rahmen, in den Boccaccio diese ›Mosaike‹ setzt, stilbildend: Die Rahmenerzählung thematisiert die große Pest von 1348 und den von ihr verursachten Zusammenbruch der sozialen Ordnung. Zehn junge Aristokraten (drei Männer und sieben Frauen) fliehen vor der Pest auf ein Landgut in der Nähe von Florenz, wo sie sich über zehn Tage verteilt je zehn Geschichten erzählen, die sich an einem Motto orientieren, das der jeweilige re oder die regina (›König‹ bzw. ›Königin‹) des Tages festlegt³. So werden insgesamt hundert Novellen wiedergegeben, die von regionalen Anekdoten und Schwänken über Klerikersatiren bishin zu dramatischen und tragischen Erzählungen reichen. Dieses in eine Rahmenhandlung eingebettete Erzählen wurde zur Urform all jener Novellensammlungen, die in den folgenden Jahrhunderten in ganz Europa entstanden.

    Boccaccios vielgestaltiges Dekameron, das er in seiner Einleitung den ›holden Frauen‹ widmet, entwirft eine Gesellschaftsskizze des ausgehenden Mittelalters. Alle sozialen Schichten und Lebensbereiche, alle denkbaren Typen von Menschen sind vertreten. Gleichzeitig zeichnet sich das Dekameron durch eine Universalität und Überzeitlichkeit aus, die zu einem großen Teil auf sein zentrales Thema der Liebe und des Eros zurückzuführen ist. Boccaccios Darstellung der Liebe hat nichts von der Idealisierung oder Tabuisierung vorangegangener Jahrhunderte; er präsentiert sie als das zentrales Lebenselement schlechthin, und ihre körperliche wie seelische Erfüllung ist es, die die Charaktere in den Novellen vor allen Dingen motiviert, und zwar sowohl auf physischer als auch auf geistiger Ebene. Die schwankhaften Erzählungen sind oft derb und immer lustvoll, die Atmosphäre zwischen den die Novellen erzählenden jungen Aristokraten ist erotisch aufgeladen. Aber auch tragische Leidenschaft und reine Verehrung finden ihren Weg in das Dekameron, das somit als eine Studie aller Spielarten des Eros gesehen werden kann, die nichts (oder zumindest wenig) auslässt. Im Kontrast zu der durch die Pest entstandenen lebensbedrohlichen Situation, die zu Beginn evoziert wird, wird in den Novellen ein Panorama prallen Lebens entworfen, eines Lebens, in dem der Mensch oft der Willkür der Fortuna und des Amor ausgeliefert ist, in dem er sich aber auch als gewitzter Schmied seines eigenen Glücks beweisen kann. Boccaccios 100 Novellen werden deshalb nicht selten in Entsprechung zu den 100 Gesängen von Dantes Göttlicher Komödie als große ›Menschliche Komödie‹ angesehen.

    Wichtigste Werke

    Il Filocolo (entstanden 1336–38)

    Teseida (entstanden 1339–40)

    Ameto (Aus dem Ameto, enstanden 1341)

    Elegia di Madonna Fiammetta (Fiammetta, entstanden 1343/44)

    Ninifale fiesolano (Die Nymphe von Fiesole, entstanden 1344–46)

    Il Decamerone (Das Dekameron, entstanden 1349–53)

    Trattatello in laude di Dante (Kleine Abhandlung zum Lobe Dantes, entstanden 1357–62)

    ¹ Neben Boccacio gehören zu den tre corone Dante Alighieri und Francesco Petrarca.

    ¹ auch unter dem Titel Das Leben Dantes erschienen

    ² Die fragliche Novelle erzählt von einem armen Adligen, der eine Dame umwirbt und ihr zum Gastmal – aus Ermangelung einer anderen Möglichkeit – ohne ihr Wissen seinen Lieblingsfalken serviert. Auf sein Angebot, der Dame zum Zeichen seiner Liebe alles zu gewähren, was sie sich von ihm wünscht, verlangt sie nichts anderes als seinen berühmten Jagdfalken.

    ³ Der Titel Decamerone/Dekameron setzt sich aus dem griechischen deka (zehn) und hemera (Tag) zusammen.

    LUÍS VAZ DE CAMÕES

    (1524/25–1580)

    »Lembrança da longa saudade« – Erinnerung an langes Weh

    Portugals Krieger-Poet

    Luís Vaz de Camões ist Portugals Nationaldichter. Mit seinem nationalen Epos Die Lusiaden (Os Lusíadas, ca. 1553–70) schuf er ein Werk, das sowohl für Jahrhunderte das portugiesische Nationalbewusstsein definierte als auch die portugiesische Literatur bis weit ins 20. Jahrhundert hinein beeinflusste. Camões ist einer der bedeutendsten Lyriker des 16. Jahrhunderts. Viele seiner formvollendeten Gedichte sind Ausdruck des für die portugiesische Seele so charakteristischen melancholischen Sehnens: der saudade.

    Wenig ist vom Leben von Luís Vaz de Camões gesichert bekannt, Rückschlüsse lassen sich oft nur aus seinen vermutlich autobiographischen Gedichten ziehen. Was man jedoch weiß bzw. vermutet, legt nahe, dass Camões nicht nur ein großer Renaissance-Dichter, sondern – im Stil der portugiesischen ›Helden‹, die er besingt – auch ein Renaissance-Abenteurer war.

    Schon der Geburtsort Camões’ ist nicht eindeutig bekannt; gleich mehrere portugiesische Städte nehmen diese Ehre in Anspruch. Die wahrscheinlichsten Kandidaten sind Lissabon, woher der dem niederen Adel angehörige Vater des Dichters stammte, und

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