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Demokratisch - gerecht - nachhaltig: Die Perspektive der Sozial-Ökologie
Demokratisch - gerecht - nachhaltig: Die Perspektive der Sozial-Ökologie
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Demokratisch - gerecht - nachhaltig: Die Perspektive der Sozial-Ökologie

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"Die Sozial-Ökologie bringt eine großartige Hoffnungsbotschaft mit sich: Unsere Gesellschaften werden gerechter sein, wenn sie nachhaltiger sind, und nachhaltiger, wenn sie gerechter sind."

Ökologische Fragen, meint der französische Wirtschaftswissenschaftler Éloi Laurent, seien immer auch soziale Fragen, und deshalb könnten Umweltprobleme in Zukunft nur noch mittels einschneidender gesellschaftlicher Veränderungen gelöst werden.
Die Gesellschaften der einzelnen Länder, Europas und der ganzen Welt sind längst im Zerreißen begriffen und die sich weiter öffnende Reichtumsschere spielt in den ökologischen Krisen der Gegenwart eine immer gewichtigere Rolle. Deshalb hält Laurent die Aufwertung demokratischer Rechte für das wichtigste Mittel, um gegen ökologische Katastrophen anzukämpfen.
Kenntnis- und faktenreich setzt sich Laurent mit den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen und den jüngsten "Umweltkatastrophen" auseinander: die Erdbeben in Sichuan und Haiti, Hurrikan Katrina. Und er zeigt anhand von Beispielen aus der Vergangenheit und Gegenwart auf - UdSSR, USA, China -, wie eng Demokratisierung und Nachhaltigkeit aufeinander wirken (könnten).
LanguageDeutsch
Release dateDec 12, 2012
ISBN9783858695024
Demokratisch - gerecht - nachhaltig: Die Perspektive der Sozial-Ökologie

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    Demokratisch - gerecht - nachhaltig - Eloi Laurent

    Éloi Laurent

    Demokratisch – gerecht – nachhaltig

    Éloi Laurent

    Demokratisch

    gerecht

    nachhaltig

    Die Perspektive der Sozial-Ökologie

    Aus dem Französischen

    von Monika Noll und Rolf Schubert

    Für Sylvie, ohne die dieses Buch nicht entstanden wäre

    Die Originalausgabe unter dem Titel Social-Écologie erschien 2011 bei Flammarion, Paris.

    © Flammarion, 2011

    © 2012 Rotpunktverlag (deutsche Ausgabe)

    www.rotpunktverlag.ch

    Umschlagfoto: photocase.com/jarts

    1. Auflage 2012

    ISBN 978-3-85869-501-7

    eISBN 978-3-85869-502-4

    Zweifellos sind wir es nicht gewohnt,

    uns selbst als Agens unserer Naturordnung zu begreifen.

    Dennoch ist sie unsere Kunst, wie wir die ihre sind.

    Serge Moscovici, Versuch über die menschliche Geschichte der Natur

    Inhalt

    Einleitung

    Für eine Steuerung der zweiten Natur

    I Für einen Entwurf der Sozial-Ökologie

    1 Jenseits des Ökonomismus

    Welche Freiheit bleibt den kommenden Generationen?   Worum es geht: Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit   Die drei Wege der Sozial-Ökologie: Gedächtnis, Erfahrung, Handeln

    2 Warum die heutigen Ungleichheiten unhaltbar sind

    Armut als ökologisches Verhängnis   Mehr produzieren, um weniger zu verschmutzen?   Wir brauchen zukunftsfähige Institutionen   Die falsche Tugend der Reichen   Das Zeitalter der ökologischen Ungleichheiten

    3 Sichuan, Katrina, Haiti: Den Zorn der Götter gibt es nicht

    Das Schulbeispiel für Erdbeben   Ansätze zu einer Theorie der sozial-ökologischen Katastrophe   Ungleichheit, die Achillesferse der reichen Länder

    II Für eine Umsetzung der Sozial-Ökologie

    4 Das Trugbild der grünen Diktatur

    Demokratie als Prozess   Demokratie ist ein System der ökologischen Wachsamkeit   Vom Ökologenkönig zum aufgeklärten Bürger   Verteidigung und Lob der Demokratie: China, die Vereinigten Staaten und die anderen

    5 Ansätze zu einer sozial-ökologischen Politik

    Für den Aufbau sozial-ökologischer Resilienz   Für den Schutz der globalen Identität   Für die Umweltgerechtigkeit in Europa und Frankreich   Für eine Erweiterung der »grünen Ökonomie«

    Schlussbemerkungen

    Sozial-Ökologie im demokratischen Gemeinwesen

    Dank

    Anmerkungen

    Einleitung

    Für eine Steuerung¹ der zweiten Natur

    Je mehr sich die großen Umweltkrisen der Gegenwart – Klimawandel, Zerstörung der biologischen Vielfalt, Verfall der Ökosysteme, Wasserverknappung und -verschmutzung – zuspitzen, umso fruchtloser wird jeder Versuch, uns Menschen als etwas vom Naturzusammenhang Gesondertes zu betrachten. Auf die Natur sind wir angewiesen, wenn wir unser Überleben und unser Wohlergehen sichern wollen. Bei einer Erderwärmung von mehr als zwei Grad Celsius wird uns das Leben schwer werden; bei mehr als sechs Grad Erwärmung wird der Planet Erde unbewohnbar sein. Trotz all unserer Intelligenz wird es uns nicht gelingen, für die freiwilligen Dienste von Ökosystemen, deren großzügige Gaben zur Neige gehen, künstlichen Ersatz zu schaffen, um unsere elementaren Bedürfnisse – atmen, trinken, essen, anschauen – befriedigen zu können. Ohne die reiche Vielfalt an Lebensformen, die nicht nur Quelle materiellen Wohlstands, sondern auch Wissensspeicher ist, werden wir biologisch verarmen und geistig verkümmern. Unsere Abhängigkeit von der Natur ist daher ganz real, und wenn wir das nicht begreifen, schaden wir uns mit der üblen Behandlung der Letzteren im Grunde nur selbst. Den allgemeinen Rahmen dieses Buches bildet also nicht das Verhältnis zwischen Mensch und Natur; es geht vielmehr um die Beziehung des Menschen zur restlichen Natur.

    Mittlerweile gilt nämlich, und das ist das grundsätzlich Neue an unserer Epoche, das Abhängigkeitsverhältnis auch umgekehrt: Die restliche Natur – so, wie sie uns heute, nach Milliarden von Evolutionsjahren, umgibt – ist abhängig von uns Menschen. Genau dies bedeutet der Eintritt ins Anthropozän, in jenes neue Erdzeitalter, in dem der Mensch zur wichtigsten geologischen Kraft unseres Planeten wird, zum König der Elemente. Ohne das geringste Bewusstsein von der eigenen Macht bringt der blutjunge Herr über die Biosphäre die etwa eineinhalb Millionen Arten von Lebewesen an den Rand des sechsten großen Aussterbens² – in der Nachfolge jenes anderen, dem vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier zum Opfer fielen und von dem wir mit fast hundertprozentiger Sicherheit wissen, dass es durch den Einschlag eines Meteoriten ausgelöst wurde. Unsere heutige Macht ist diesem verheerenden Asteroiden durchaus vergleichbar: Hunderte Millionen von sogenannten wilden Arten werden uns entweder ihr Überleben oder ihr Verschwinden zu »verdanken« haben.

    Kurz gesagt, »erste Natur« im Sinne des alten Cicero gibt es nicht mehr. Die frühe, vormenschliche Welt der Natur, die selbstverständlich ihre eigene Evolution durchlaufen hat, ist – so weit das Auge reicht – ein für alle Mal verändert und verwandelt, ganz so, wie es Serge Moscovici, einer der Pioniere der politischen Ökologie in Frankreich, vor vierzig Jahren vorausgesehen hat. Was wir »Umwelt« nennen, ist heute ununterscheidbar eins mit der »zweiten Natur«³, die der Mensch wenn schon nicht nach seinem Bilde, so doch wenigstens für seine Zwecke geformt hat. Nach neueren Berechnungen haben die Menschen bis zum Jahr 1700 nur 5 Prozent des Bodens in der Biosphäre für ihr eingreifendes Tun beansprucht (Landwirtschaft, Städte); 45 Prozent blieben damals noch in einem halb natürlichen Zustand und 50 Prozent ganz und gar unberührt. Im Jahr 2000 dagegen beansprucht der Mensch für sein Eingreifen 55 Prozent des Bodens, während 20 Prozent im halb natürlichen Zustand und 25 Prozent unberührt bleiben.⁴ »Der Mensch ist gleichermaßen Geschöpf und Schöpfer seiner Umwelt«, mahnte schon 1972 die Konferenz von Stockholm in ihrer Schlussdeklaration. Um zum Kern unserer Sache vorzustoßen, wollen wir noch einen Schritt weiterdenken: Wenn es stimmt, dass heute die gesamte Natur abhängig von uns Menschen ist, dann wird für die Entwicklung der Ökosysteme und der in ihnen beheimateten Arten entscheidend sein, wie wir unsere Gesellschaften organisieren. Mit anderen Worten, aus den ökologischen sind soziale Probleme geworden.

    Wie lässt sich ein Begriff von den komplizierten Beziehungen zwischen Sozial- und Ökosystemen gewinnen? Die Letzteren bilden den oftmals unsichtbaren Hintergrund der menschlichen Gesellschaften. Außerdem hat man sie hier und da als Metapher, ja als Modell für Gesellschaftssysteme verwendet, nicht selten allerdings im Dienst gefährlicher⁵ oder dubioser⁶ Ideologien und fast immer zum Zweck einer Naturalisierung gesellschaftlicher Probleme⁷. Aber da wir vermehrt in umgekehrter Richtung denken müssen, gilt es zu begreifen, wie sich die Evolution der Gesellschaftssysteme auf die Dynamik der Ökosysteme auswirkt. Dass uns diese Frage unter den Nägeln brennt, steht außer Zweifel: Wir müssen uns, ob wir wollen oder nicht, mit einer Reihe ernsthafter Probleme befassen, die wir ebenso sehr geschaffen haben, wie wir von ihnen heimgesucht werden, und die daher in keiner Weise »natürlich« sind, weder was ihre Ursachen noch was ihre Folgen angeht.

    Im derzeit üblichen Diskurs verbirgt sich jedoch ein irritierendes Paradox: Je mehr der Menschheit, ganz zu Recht, die Beschleunigung der heutigen Umweltkrisen zur Last gelegt wird, umso pessimistischer wird das Urteil über ihre Fähigkeit, diese Krisen zu lösen. Zutiefst ernüchtert, konstatierten unlängst einige hochrangige Wissenschaftler, zwar habe die menschliche Erkenntnis der Ökosysteme in den vergangenen Jahrzehnten rasante Fortschritte gemacht, aber gleichwohl sei die Lage dieser Systeme schlimmer als je zuvor.⁸ Es empfiehlt sich also, zwei zentrale Fragen noch einmal neu zu stellen: Wie konnte der Funktionsmechanismus der menschlichen Gesellschaften solche reellen und potenziellen Katastrophen hervorbringen? Und wie kann er ihre fatalen Folgen abschwächen? Für eine offene Auseinandersetzung mit diesen Fragen spielen die Sozialwissenschaften, die ja das Verständnis menschlicher Gesellschaften zum Ziel haben, im Gegensatz zu den strengen (Natur-)Wissenschaften eine alles andere als marginale Rolle. Ganz im Gegenteil, sie rücken wieder ins Zentrum: Mit ihrer Hilfe nämlich können wir uns einen gangbaren Entwicklungspfad durch das – wie es der Harvard-Biologe Edward O. Wilson genannt hat – »Jahrhundert der Umwelt« ausdenken.

    Genau dies hatte Darwin schon frühzeitig begriffen, als er in der Einleitung zu seinem Buch Über die Entstehung der Arten (1859) Worte der Anerkennung sowohl für seinen Kollegen und Konkurrenten Alfred Russel Wallace wie auch für Reverend Malthus fand. Für Wallace deshalb, weil dieser – ganz nach dem Prinzip der Mehrfachentdeckung – kurze Zeit nach Darwin und unabhängig von ihm auf das Gesetz der natürlichen Auslese gestoßen war und Darwin gewissermaßen gezwungen hat, die Vaterschaft dafür zu übernehmen und sein zwanzig Jahre zuvor konzipiertes Hauptwerk endlich zu veröffentlichen. Und für Malthus, weil seine Abhandlung über das Bevölkerungsgesetz (1798) Darwin vermutlich auf den Gedanken gebracht hat, dass zwischen den am besten angepassten Einzelwesen ein Kampf stattfindet, der im Verein mit anderen Faktoren zur Evolution der Arten beiträgt.⁹ Am Beginn der modernen Biologie stünde demnach ein Gesellschafts-»Modell«.

    Schon die Entstehung des Begriffs »Ökologie«, die viel weniger weit zurückliegt, als man gemeinhin annimmt, zeugt nicht nur von der Schicksalsgemeinschaft zwischen Menschheit und Natur, sondern auch vom Stellenwert, den die Sozialwissenschaften für das Verständnis dieser Gemeinschaft besitzen. Wie ein Hauswesen, ein autonomes und geschlossenes Ganzes, konzipiert Ernst Haeckel die Welt der Natur, als er in den 1860er-Jahren unter Rückgriff auf den griechischen Wortstamm oikos die Ökologie als Wissenschaft von den Beziehungen der lebenden Organismen zu ihrer organischen und anorganischen Umwelt definiert. Damals wird die Ökologie zur Wissenschaft von der wechselseitigen Abhängigkeit alles Lebendigen. Gebildet ist das Wort in Anlehnung an die Ökonomie, weil die Natur wie eine große Hauswirtschaft erscheint. Auch hier dient also das Verständnis des Gesellschaftlichen als Schlüssel zum Verständnis des Lebendigen. Bevor wir aber der Verschränkung zwischen natürlicher und sozialer Welt im Einzelnen nachgehen, müssen wir uns mit deren Interdependenz befassen.

    In dem begrenzten Raum, den – wie die Biologen Paul und Anne Ehrlich von der Stanford University festhalten¹⁰ – die Biosphäre darstellt und wo es noch in mehreren Kilometern Tiefe unter der Erdoberfläche und in einer über den Mount Everest hinausreichenden Höhe Leben gibt, partizipieren wir an den Ökosystemen und interagieren mit anderen Formen des Lebens, indem wir sie verzehren (Pflanzen, Samen, Fleisch), von ihnen verzehrt werden (weißer Hai, Mücken, Malariaerreger) oder mit ihnen kooperieren (Bakterien im menschlichen Körper, Jagdhunde, andere Menschen). Jeder Versuch, den Menschen als etwas vom Naturzusammenhang Gesondertes zu betrachten, und das heißt, der Natur ein An-sich zuzuschreiben, dürfte also per se problematisch sein. Ebenso problematisch wie die These, dass die Natur nur dazu da ist, uns zu dienen. Das Naturreich darf weder sakralisiert noch instrumentalisiert werden: Es geht um die Abhängigkeit zwischen sämtlichen Arten, die es bevölkern. Deren Zusammenhalt wird mit der Vereinheitlichung der ökologischen Zeit noch zusätzlich verstärkt.

    In seinem Buch Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. vertritt Fernand Braudel die These, die geografische Dauer, nämlich »eine gleichsam unbewegte Geschichte [...], die des Menschen in seinen Beziehungen zum umgebenden Milieu«¹¹, lasse sich sowohl von der sozialen Zeit (den ökonomischen und sozialen Zyklen) als auch von der individuellen Zeit unterscheiden. Da die menschliche Geschichte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts drastisch beschleunigt hat, hält man diese drei Zeiten – die geografische, soziale und individuelle – immer weniger klar auseinander. Heute müssen wir erkennen, dass sie sich berühren, einander entsprechen und sich überschneiden. Die Geschichte der Beziehungen der Menschheit zu ihrer Lebenswelt, eine »träge dahinfließende Geschichte, die nur langsame Wandlungen kennt«, wird quasi in einen Strudel hineingerissen. John Muir, in den 1870er- und 80er-Jahren zum Vater der ersten Nationalparks der Vereinigten Staaten geworden, hat einmal gesagt, wann immer er sich bewusst machen wolle, was aktuell geschehe, gehe er in die Berge. Seinen Zeitgenossen wollte er damit bedeuten, dass es an ihrer Moderne nichts eigentlich Neues gebe und nur die Anschauung der Natur seiner Seele echte Erneuerung bringe. Heute finden wir das Aktuellste tatsächlich in den Bergen: Auf dem schrumpfenden Chagrinleder der Gletscher ist unsere Zukunft zu lesen.

    Vereinheitlichung der ökologischen Zeit – die noch zusätzlich befördert wird durch die allmähliche Verschmelzung von Biologie und Geologie zu einer globalen »Wissenschaft von der Erde« –, aber Unterscheidung zwischen Dynamik der Natur und Dynamik des Menschen. Die Auslese der am besten angepassten Einzelwesen und Arten gehört zu den Instrumenten der natürlichen Evolution. Kulturelle Evolution hingegen ist nicht darwinistisch: Diktiert wird sie nicht, wie es mehr oder weniger jeder Rassismus behauptet, von der natürlichen Auslese, sondern von der Evolution des menschlichen Geistes samt seinen Werten, die sich in Institutionen verkörpern, deren Bestimmung es ist, zur Erleichterung der gesellschaftlichen Kooperation durch die Zeiten hindurch Bestand zu haben.

    Dies ist ein wichtiger Punkt, auf den wir noch im Einzelnen zurückkommen werden, der aber schon jetzt Erwähnung verdient. Nicht menschliche Evolution verläuft vor allem über die natürliche Auslese der Einzelwesen und der Arten nach dem Kriterium der Anpassung an die Lebenswelt. Menschliche Evolution dagegen verläuft, und zwar seit mindestens 12 000 Jahren und seit der Erfindung des Ackerbaus, über Anpassung der Lebenswelt und soziale Differenzierung, die beide wiederum Einfluss auf die biologische Evolution nehmen. Anders gesagt, der Mensch errichtet Institutionen, mit deren Hilfe er hier und jetzt das Leben verändern und sich zum Herrn über einen Teil seiner Evolution machen kann. Man denke nur an die Rolle, die der Sozial- oder Wohlfahrtsstaat im 20. Jahrhundert für die Fortschritte der menschlichen Organismen gespielt hat. Tiere und Pflanzen überleben, weil sie an die Vorgaben ihrer Umwelt angepasst sind. Uns Menschen dagegen geht es gut auf der Erde, weil wir die Umwelt an unsere Bedürfnisse und Wünsche anpassen. Unsere Evolution ist so angelegt, dass unsere Institutionen – und im weiteren Sinne unsere Kultur (als Summe oder vielmehr Produkt unserer Verhaltensnormen, Institutionen und Technologien) – nicht genetisch, sondern durch Lernen, also Erziehung, weitergegeben werden. Politische Institutionen spielen also eine zentrale Rolle in der Evolution jener kulturellen Systeme, die den Rahmen für die menschliche Evolution abgeben.

    Wie stark diese kulturellen Systeme sind, veranschaulicht ein Gegenwartsphänomen, das für die Entschärfung unserer Umweltkrisen entscheidend sein wird: die demografische Dynamik. Im Zentrum des Umweltbewusstseins der 1960er- und 1970er-Jahre stand die Angst vor der Überbevölkerung; davon zeugten die Reaktionen auf das 1968 publizierte Buch von Paul R. Ehrlich, in dem er die unmittelbar bevorstehende Explosion der »Bevölkerungsbombe« ankündigte. Aber die »Bombe« wurde, wie der Autor heute einräumt, partiell entschärft durch sinkende Geburtenraten in den Entwicklungsländern, für die heute als stärkste Triebkraft die Bildung der Frauen verantwortlich ist. Mitte der 1960er-Jahre, etwa zu der Zeit, als das Buch erschien, hat die jährliche Wachstumsrate der Weltbevölkerung ihr Maximum (etwa 2,2 Prozent) erreicht; seither ist sie nahezu halbiert worden (auf etwa 1,1 Prozent), zugleich allerdings auch die Sterblichkeitsrate. Die Geburtenzahl ist von fast fünf auf zweieinhalb Kinder pro Frau gesunken – eher moderat in den wirtschaftlich am weitesten entwickelten Regionen (von 2,6 auf 1,6), aber erheblich in den am wenigsten entwickelten Regionen (von 6 auf 2,6).¹² Die schwierige Übergangszeit von heute bis 2050 (mehr als zwei Milliarden Menschen zusätzlich in den Entwicklungsländern), auf die vermutlich ein allgemeiner Rückgang des Bevölkerungswachstums folgen wird, erfordert umso dringlicher weitere Fortschritte in unseren kulturellen Systemen.

    Zusammenhalt in der Welt der Natur, Vereinheitlichung der ökologischen Zeit, Einzigartigkeit der menschlichen Evolution, entscheidender Einfluss der kulturellen Systeme des Menschen auf die restliche Natur: In Zukunft wird die ökologische Frage dort entschieden, wo sie sich mit der sozialen Frage berührt. Aber warum sollte es so dringend erforderlich sein, den Zusammenhang beider zu denken? Weil unsere krankhafte und durch die derzeitige »große« Krise noch zugespitzte Fixierung auf das Kurzfristige die beiden Sphären tendenziell zu unversöhnlichen Feinden macht. Wenn wir annehmen, wir könnten zwischen dem sozialen und dem ökologischen Imperativ wählen, verschärfen wir nur die Ungerechtigkeit und beschleunigen die Katastrophen. Die von mir so genannte Sozial-Ökologie bringt, wenn man sie richtig versteht, eine großartige Hoffnungsbotschaft mit sich: Unsere Gesellschaften werden gerechter sein, wenn sie nachhaltiger sind, und nachhaltiger, wenn sie gerechter sind.

    Zusammenhang zwischen sozialer Gerechtigkeit und Ökologie meint etwas ganz Bestimmtes: Soziale Ungleichheiten gehören zu den wichtigsten Ursachen der aktuellen Umweltprobleme, und die gegenwärtigen Umweltkrisen treffen, heute und in Zukunft, am härtesten die Mittellosen, und zwar in den reichen Ländern nicht anders als in den armen. Eben dies war der große analytische Neuansatz, dem der Brundtland-Bericht von 1987 gefolgt ist. Er wurde vorbereitet durch die Weltumweltkonferenz von Stockholm, die 1972 in ihrer Schlussdeklaration formulierte: »In den Entwicklungsländern werden die meisten Umweltprobleme durch Unterentwicklung verursacht.« Eine vorschnelle Interpretation dieser beiden für unsere Moderne so grundlegenden Texte könnte zu dem Schluss verleiten, wirtschaftliche Entwicklung sei das Allheilmittel für Umweltprobleme und es erübrige sich, sie zusätzlich mit – hier und da so genannter – sozialer »Seele« auszustatten. Das ist ein Irrtum.

    Das

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