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Politisch-administrative Strategien bei besetzten Häusern in Ostberlin
Politisch-administrative Strategien bei besetzten Häusern in Ostberlin
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Politisch-administrative Strategien bei besetzten Häusern in Ostberlin

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Aus zeitgenössischer Perspektive erfolgt hier eine Auseinandersetzung mit der Ostberliner Hausbesetzerbewegung von 1990/91 und der Frage nach den Veränderungen in der Beziehung Staat - Soziale Bewegungen im Vergleich mit dem Häuserkampf im Westen der Stadt zehn Jahre zuvor.
Erkennbar wird, dass soziale Bewegung sowohl zum Auslöser als auch zum Katalysator für Veränderungen und damit zu einer Modernisierungsressource des Staates werden kann. Die Bewegung von 1990/91 kämpfte nicht mehr mit dem Staat, sie verhandelte, und so entstanden Kooperationen ebenso wie partielle Verflechtungen.
Staatliche Steuerung erscheint also letztendlich als Produkt von Netzwerk-Verhandlungssystemen zwischen staatlichen und halbstaatlichen Akteuren und der Bewegung. Unter der Einschränkung, dass das bürokratische Chaos der Wiedervereinigung unbürokratische Lösungen und informelle Strukturen begünstigt hatte, erwies sich das Modell staatlicher Steuerung zu Beginn der 1990er Jahre als hocheffektiv im Vergleich zur autoritären Konfliktbewältigungsstrategie des Berliner Senats von 1980/1981.
LanguageDeutsch
PublisherHirnkost
Release dateApr 19, 2012
ISBN9783943774658
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    Politisch-administrative Strategien bei besetzten Häusern in Ostberlin - Jiri Wittmann

    ANHANG

    1 Einleitung

    Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Die Grenze zwischen West- und Ostberlin war damit wieder offen für alle Berliner.¹ In der folgenden Zeit der politischen Entwicklung in Richtung Wiedervereinigung beider deutscher Staaten, also vom 9.11.1989 bis zum 3.10.1990, zeigten sich die Regierenden und die Verwaltung der DDR hochgradig von der Situation überfordert und in vielen Bereichen handlungsunfähig. Daraus resultierte auf dem Hoheitsgebiet der DDR der zeitweise Zustand eines quasi-rechtsfreien Raumes. Zumindest in bestimmten Bereichen wurden Rechtsüberschreitungen nicht mehr – oder nur in sehr eingeschränktem Maße – geahndet.

    Bereits im Dezember 1989 kam es aufgrund dieser Tatsache in Berlin und Potsdam zu ersten Hausbesetzungen. Im Winter 1989/1990 kamen weitere Hausbesetzungen dazu und im Frühjahr 1990 setzte dann eine regelrechte Welle von Hausbesetzungen ein. Um dieselbe Zeit formierten sich auch Bewegungsstrukturen. Im Juli 1990 waren schon über 100 Häuser in Ostberlin besetzt. Am Tag der Wiedervereinigung, dem 3.10.1990, waren es schließlich rund 150 besetzte Häuser. Diese Entwicklung wurde von den politisch Verantwortlichen des bis dahin weiterexistierenden DDR-Staates nicht bzw. nur schwach behindert. Die Besetzungen wurden geduldet und es fanden ab Juni 1990 auch Verhandlungen zwischen der Hausbesetzerbewegung, dem Ostberliner Magistrat und der Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) statt.

    Nach der Wiedervereinigung am 3.10.1990 und der Machtübernahme des Westberliner Senats wurden allerdings keine neuen Hausbesetzungen mehr geduldet. Einzelne Versuche von Neubesetzungen wurden verhindert, und es kam in den folgenden Monaten auch zu einer Reihe von Räumungen. Besondere Erwähnung verdient hier die spektakuläre Räumung von 12 besetzten Häusern in der Mainzer Straße im Bezirk Friedrichshain am 14.11.1990, bei der es zu den schwersten Ausschreitungen in Berlin seit Jahren kam. Nach diesem dramatischen Höhepunkt des Konflikts zwischen Staat und Bewegung verlagerte sich die Auseinandersetzung aber sehr schnell an Verhandlungstische. Innerhalb des folgenden halben Jahres, etwa von Dezember 1990 bis Juli 1991, gelang es dann, in diesen Verhandlungen fast alle besetzten Häuser in Ostberlin zu legalisieren, im Bezirk Prenzlauer Berg rund 70 besetzte Häuser oder Gebäudeteile, im Bezirk Mitte rund 30 und im Bezirk Friedrichshain ebenfalls rund 30 Häuser oder Gebäudeteile.

    Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Auseinandersetzung zwischen Staat und Bewegung vergleichsweise konfliktarm verlaufen ist und dass die Verhandlungen am Ende zu einem relativen Erfolg für beide Seiten führten. Der Erfolg für den Staat war die Wahrung des sozialen Friedens und die Befriedung der Bewegung, für die Bewegung war der Erfolg die langfristige Absicherung der gewonnenen Freiräume in den Häusern und der Aufbau dauerhafter Strukturen, also einer oppositionellen Gegenmacht in den Stadtteilen. Darin unterscheidet sich der Konflikt Staat – Hausbesetzerbewegung 1990/1991 entschieden von dem Konflikt zwischen Staat und Hausbesetzerbewegung 1980/1981.

    Damals gestaltete sich die Auseinandersetzung zwischen Staat und Bewegung viel härter und aggressiver. Die Bewegung musste massive staatliche Repression erdulden. Zahllose Hausdurchsuchungen, Räumungen, Verhaftungen, eine enorme Zahl von Ermittlungsverfahren gegen Hausbesetzer und Sympathisanten sowie eine Reihe von Verurteilungen mit unverhältnismäßig hohen Strafmaßen gegen Einzelne machten lange Zeit jeden Versuch unmöglich, durch Verhandlungen eine friedliche Lösung zu erzielen. Die Bewegung reagierte auf die staatliche Repression mit verstärkter Militanz und einer Kette von Krawallen. Das Ergebnis dieser konfliktdominierten Auseinandersetzung zwischen Staat und Bewegung fiel für beide Seiten entsprechend negativ aus: Von den 165 besetzten Häusern (Stand Juni 1981) wurden mehr als die Hälfte geräumt, lediglich 78 wurden legalisiert, die Legalisierungen zogen sich teilweise bis 1984 hin, die Vertragskonditionen blieben bei vielen Häusern erheblich hinter den Wunschvorstellungen der Bewohner zurück. Dem Staat brachte dieser Konflikt nicht nur enorm hohe monetäre Kosten, sondern auch einen erheblichen politischen Schaden (Verlust von Glaubwürdigkeit und Vertrauen, Legitimationskrise).

    Ganz offensichtlich gibt es also entscheidende Unterschiede zwischen den Auseinandersetzungen von Staat und Bewegung 1980/1981 und 1990/1991. Das liegt zum einen natürlich an den veränderten Rahmenbedingungen, zum anderen allerdings auch an den veränderten Strategien der Akteure Bewegung und Staat. In meiner Arbeit soll der Zusammenhang zwischen Strategien, Rahmenbedingungen und Verlauf der Auseinandersetzung im Fokus stehen. Der Titel dieser Arbeit lautet Politisch-administrative Strategien bei besetzten Häusern in Ostberlin. Anhand der politischen Strategien im Umgang mit den Hausbesetzerbewegungen möchte ich die Entwicklung der Beziehung Staat–Neue soziale Bewegung untersuchen. Ferner möchte ich die Entwicklung dieser Beziehung in Zusammenhang setzen mit der allgemeinen staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Dabei geht es mir um den Nachweis von Veränderungen in den staatlichen Entscheidungsstrukturen und um neue Formen staatlicher Steuerung politischer und gesellschaftlicher Prozesse.

    Diese Arbeit ist gegliedert in einen theoretischen und einen empirischen Teil. Der theoretische Teil befasst sich mit der Entwicklung der Beziehung Staat–Gesellschaft sowie mit der Beziehung Staat–Neue soziale Bewegungen. Die beiden Beziehungen versuche ich, miteinander zu verbinden und einen Zusammenhang herzustellen. Auf der Grundlage des theoretischen Teils, insbesondere auf der Basis von den im theoretischen Teil erarbeiteten Thesen, erfolgt dann die Analyse der Beziehung Staat–Bewegung von 1980/1981 und 1990/1991. Der Vergleich der Bewegungsverläufe miteinander ermöglicht es, Veränderungen staatlicher Entscheidungsstrukturen und politisch-administrativer Strategien zu untersuchen sowie die Folgen für die Beziehung Staat – Bewegung.

    Was die Materialauswahl und die Quellen betrifft, so ist zu bemerken, dass es sowohl für den theoretischen Teil dieser Arbeit als auch über die Hausbesetzerbewegung 1980/1981 eine Fülle von Literatur gibt. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle den Band Policy-Analyse, Kritik und Neuorientierung (1993), herausgegeben von Adrienne Heritier, aus welchem ich entscheidende Anregungen für den theoretischen Teil meiner Arbeit gewann, sowie das Buch Marginalisierung und Militanz von Manuel Henrique (1990) und die Diplomarbeiten von Renate Mulhak (1981) und von Klaus Herrmann/Harald Glöde (1985) über die Hausbesetzerbewegung von 1980/1981. Des Weiteren das Buch Demokratie von Unten von Roland Roth (1994) über die aktuelle Situation der Neuen sozialen Bewegungen und das Buch Kein Abriss unter dieser Nummer von Bernd Laurisch (1981) zur Hausbesetzerbewegung 1980/1981.

    Die Hausbesetzerbewegung 1990/1991 dagegen ist nur äußerst spärlich dokumentiert. Die hier fehlende Literatur ersetze ich jedoch durch die Auswertung von Presseberichten und Besetzermedien (BesetzerInnen Zeitung, Flugblätter) sowie von verschiedenen Dokumenten, wie z. B. Verhandlungsprotokolle. Darüber hinaus kann ich auch mit meinen eigenen Erfahrungen und Erinnerungen zur Darlegung des Sachverhalts beitragen, da ich selbst seit April 1990 in einem besetzten (inzwischen ehemals besetzten) Haus im Bezirk Mitte wohne, und ich an den Verhandlungen um die Legalisierung der besetzten Häuser beteiligt war. Ein Teil der von mir verwendeten Materialien befindet als Anhang am Ende dieser Arbeit.

    ¹ Mit der grammatikalisch männlichen Formulierung sind in dieser Arbeit alle entsprechenden Personen unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit gemeint.

    2 Staat, Gesellschaft und Neue soziale Bewegungen

    In diesem Kapitel möchte ich die Veränderungen in der Beziehung zwischen Staat und Neuen sozialen Bewegungen untersuchen. Ferner möchte ich versuchen, einen Zusammenhang zu allgemeiner staatlicher und gesellschaftlicher Entwicklung herzustellen. Denn – so ist meine These – die Beziehung Staat–Neue soziale Bewegung steht in enger und direkter Beziehung zur allgemeinen staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Es bestehen wechselseitige Abhängigkeiten.

    Im ersten Abschnitt dieses Kapitels setze ich mich mit der staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklung auseinander. Darauf aufbauend untersuche ich dann im zweiten Abschnitt die Entwicklung Neuer sozialer Bewegungen und ihrer Beziehung zum Staat. Dabei geht es mir insbesondere um die Veränderung staatlicher Entscheidungsstrukturen und ihre Auswirkung auf die Beziehung des Staates zu Gesellschaft und Neuen sozialen Bewegungen. Im dritten Abschnitt fasse ich dann eine Reihe von Schlussfolgerungen aus den ersten beiden Abschnitten zusammen, die mir bei meiner Untersuchung der Hausbesetzerbewegungen als Grundlage dienen sollen.

    2.1 Staat und Gesellschaft

    Die Entwicklung von Staat und Gesellschaft ist seit jeher Gegenstand von politik- und sozialwissenschaftlicher Forschung. Insbesondere die in den sechziger und siebziger Jahren geführte ideologische Auseinandersetzung um Sozialismus und Kapitalismus auf wissenschaftlicher Ebene führte zu einer Fülle von neuen Theorien.

    Für eine angemessene Darstellung dieser Theorieentwicklung ist aber im Rahmen dieser Arbeit leider nicht genügend Raum. Ich werde daher in der folgenden Darstellung staatlicher und gesellschaftlicher Entwicklung Elemente der verschiedensten Theorien verarbeiten, ohne dabei die Herkunft dieser Elemente zu präzisieren oder die Problematiken zu vertiefen. Mir ist die Tatsache bewusst, dass durch diese zwangsläufig oberflächlich bleibende Darstellung eine Verkürzung entsteht. Es sei jedoch berücksichtigt, dass hier keine Theoriegeschichte betrieben werden soll. Ziel meiner Arbeit ist es, mich auf diese Weise dem Kern einer konkreten Problematik anzunähern. Unvermeidliche Auslassungen und Verkürzungen sind daher lediglich der Stringenz dieser Arbeit geschuldet. Dasselbe gilt für die Tatsache, dass ich die Darstellung staatlicher und gesellschaftlicher Entwicklung und die Darstellung der parallel dazu stattfindenden politikwissenschaftlichen Diskussion nicht inhaltlich voneinander getrennt, sondern zusammen behandle.

    2.1.1 Der Staat

    In den ersten Jahren des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland wurde das bundesdeutsche Modell staatlicher Ordnung kaum in Frage gestellt.² Erst ab Mitte der sechziger Jahre, als strukturelle Fehlentwicklungen politische und soziale Ungleichheiten und damit die Widersprüche zwischen normativem Modell und Verfassungswirklichkeit unübersehbar machten, wurde diese „unkritische Akzeptanz durchbrochen.³ Aus der Kritik an bestehenden Verhältnissen wuchs die Forderung nach umfassender Demokratisierung von Gesellschaft und Staat. Diese eingangs von politik- und sozialwissenschaftlicher Seite (Kritische Theorie, Frankfurter Schule) formulierte Forderung wurde von der Studentenbewegung, den Gewerkschaften und mit der Zeit immer breiteren Teilen der Bevölkerung aufgegriffen, bis sie schließlich in einem sozialliberalen Reformprogramm unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen mündete.⁴

    Für die Politikwissenschaft bedeutete das Ende der unkritischen Akzeptanz den Beginn einer Staatsdebatte, die sich mit schwankender Intensität bis heute fortgesetzt hat und in deren Mittelpunkt ganz grob formuliert folgende Fragestellungen standen:

    • Wie funktioniert der Staat eigentlich?

    • Wie sollte er funktionieren?

    • Was muss getan werden, damit der Staat so funktioniert, wie er funktionieren sollte?

    In dieser Debatte standen sich anfangs konservative, reformistische, marxistische und rein empirisch-analytische Theorien konkurrierend gegenüber.⁵ Die ursprünglich starke ideologische Prägung dieser Debatte verlor sich mit der Zeit in dem Maße, wie klar wurde, dass keine dieser Theorien alleine allgemeingültige Erklärungen und Antworten auf o. g. Fragen bieten konnte. Durch gegenseitige Befruchtung der Theorien nahm das Denken in Radikalalternativen (Kapitalismus – Sozialismus, Demokratie – Kommunismus) mehr und mehr ab zugunsten von mehr empirischer Forschung und pragmatischeren Theorieansätzen, u. a. Neopluralismus, Neokorporatismus, demokratischer Sozialismus.⁶ Die ideologische Auseinandersetzung versetzte der politikwissenschaftlichen Forschung einen wichtigen Schub, welcher zu einer Reihe von Erkenntnissen führte, die heute weitgehend als unstrittig

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