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Jüdisches Leben in Tirol und Vorarlberg von 1867 bis 1918: Jüdisches Leben im historischen Tirol
Jüdisches Leben in Tirol und Vorarlberg von 1867 bis 1918: Jüdisches Leben im historischen Tirol
Jüdisches Leben in Tirol und Vorarlberg von 1867 bis 1918: Jüdisches Leben im historischen Tirol
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Jüdisches Leben in Tirol und Vorarlberg von 1867 bis 1918: Jüdisches Leben im historischen Tirol

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"Jüdisches Leben in Tirol und Vorarlberg von 1867 bis 1918" ist ein Auszug aus dem dreiteiligen Sammelwerk "Jüdisches Leben im historischen Tirol". Die Geschichte des jüdischen Lebens im historischen Tirol, welches das heutige Trentino, Süd-, Nord- und Osttirol sowie über ein Jahrhundert lang auch Vorarlberg umfasste, ist über 700 Jahre alt.

Dieser Auszug des Sammelwerks befasst sich unter anderem mit den Grenzen und den damit verbundenen äußeren Rahmenbedingungen für das jüdische Volk. Wie lebten die Jüdinnen und Juden in Innsbruck und Nordtirol, Bozen oder Meran? Wie entstanden in Tirol die ersten Kultusgemeinden? Ebenso werden in diesem Auszug des Sammelwerks die ersten antijüdischen Stimmen und der Anfang des Antisemitismus thematisiert. Die Jüdinnen und Juden in Tirol, deren Zahl durch Zuwanderung stetig wuchs, waren bereits in den 1880er Jahren mit antisemitischen Ressentiments konfrontiert, die innerhalb von zwei Jahrzehnten zu einem geradezu alltäglichen gesellschaftlichen Phänomen wurden.
Den Schluss dieses Beitrages markieren der Erste Weltkrieg und das Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie. Kurze Portraits jüdischer Persönlichkeiten und Familien aus Tirol und Vorarlberg tragen dazu bei, das Alltagsleben der jüdischen Bevölkerung in diesem Umfeld beispielhaft zu beleuchten.
LanguageDeutsch
PublisherHaymon Verlag
Release dateAug 14, 2014
ISBN9783709973424
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    Jüdisches Leben in Tirol und Vorarlberg von 1867 bis 1918 - Martin Achrainer

    2012

    Vorbemerkung

    Die Grenzen sowie die äußeren Rahmenbedingungen dieses Zeitabschnittes sind von grundlegenden gesetzlichen Regelungen geprägt: Die im Dezember 1867 und Mai 1868 erlassenen Staatsgrundgesetze stellten erstmals dauerhaft alle Staatsangehörigen der österreichischungarischen Monarchie rechtlich gleich. Damit waren alle antijüdischen Sonderregelungen für die Niederlassung und den Grunderwerb hinfällig geworden, Jüdinnen und Juden nahmen in großer Zahl an den massiven Migrationsbewegungen der 1880er und 1890er Jahre teil.

    Einen weiteren Einschnitt verursachte das 1890 erlassene Gesetz zur Neuregelung der Israelitischen Kultusgemeinden; diese Neuregelung führte in Tirol und Vorarlberg zu jahrelangen Auseinandersetzungen, bis schließlich kurz vor dem Ersten Weltkrieg eine dauerhafte Lösung gefunden wurde.

    Die Jüdinnen und Juden in Tirol, deren Zahl durch Zuwanderung stetig wuchs, waren bereits in den 1880er Jahren mit antisemitischen Ressentiments konfrontiert, die innerhalb von zwei Jahrzehnten zu einem geradezu alltäglichen gesellschaftlichen Phänomen wurden.

    Den Schluss dieses Beitrages markieren der Erste Weltkrieg und das Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Republik brachte zwar keine Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte der Juden, allerdings erlangte der moderne politische Antisemitismus in Österreich eine immense Bedeutung, da er für zwei der drei politischen Lager als ein konstituierendes und integrierendes Element in der Zeit der Parteienbildung eine nachhaltige Wirkung hatte. Nur aus der Geschichte der letzten Jahrzehnte der Monarchie ist erklärbar, dass am Beginn der Republik ernsthaft pogromartige Ausschreitungen gegen die Juden zu befürchten waren.1

    Diese Entwicklungen werden in ihren wesentlichen Zügen beschrieben; kurze Porträts jüdischer Persönlichkeiten und Familien aus Tirol und Vorarlberg tragen dazu bei, das Alltagsleben der jüdischen Bevölkerung in diesem Umfeld beispielhaft zu beleuchten.

    Für diesen Zeitabschnitt standen neben behördlichen Unterlagen vor allem die Tiroler Tageszeitungen2 sowie die zahlreichen jüdischen Zeitungen3 zur Verfügung, dann die Ergebnisse der jahrelangen biographischen Recherchen, die unter der Leitung von Thomas Albrich durchgeführt wurden und zu drei biographischen Bänden und einem über die jüdischen Friedhöfe in Innsbruck geführt haben. Die darin versammelten Aufsätze dienten nicht nur für diesen Beitrag als unerschöpfliche Quelle, sondern sollen generell als weiterführende Literatur an dieser Stelle ausdrücklich genannt sein.4

    Tirols Jüdinnen und Juden – eine Zuwanderergesellschaft

    Die Staatsgrundgesetze und die Tiroler Juden

    Am Ende des Jahres 1867 sanktionierte Kaiser Franz Josef I. die vom Reichstag beschlossenen Staatsgrundgesetze, die Österreichs neue Verfassung bildeten. Das – in seinem Kern heute noch gültige – Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger bestimmt in seinem Artikel 2: „Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich. Artikel 14 gewährleistet die „volle Glaubens- und Gewissensfreiheit und bekräftigt: „Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnis unabhängig. Ohne jede Einschränkung waren damit die österreichischen Juden erstmals vollkommen gleichberechtigte Staatsbürger, denen auch alle anderen Rechte aus diesem Gesetz zugute kamen, insbesondere der Zugang zu öffentlichen Ämtern (Artikel 3), die Niederlassungsfreiheit und das Recht, Liegenschaften zu erwerben (Artikel 6) sowie – als gesetzlich anerkannte „Religionsgesellschaft – das Recht auf öffentliche Religionsausübung.5

    Dieses Gesetz öffnete Jüdinnen und Juden der Habsburger-Monarchie, vor allem aber in den bis dahin besonders restriktiven Alpenländern, völlig neue Möglichkeiten und Freiheiten in ihrer Lebensgestaltung. Wie sehr der Mangel an solchen Freiheiten sie tatsächlich beschränkt hatte, zeigt am besten das Beispiel der Hohenemser Judengemeinde: Schon im ersten Jahr der Wirksamkeit der neuen Gesetze verlor sie fast die Hälfte ihrer Mitglieder – nicht etwa durch plötzliche Abwanderung, sondern durch die Verrechtlichung eines bereits bestehenden Zustandes. In Innsbruck bildete sich ein neues, wenn auch bescheidenes Zentrum jüdischer Zuwanderung heraus, während sich in Meran eine jüdische Gemeinde unter den ganz lokalspezifischen Bedingungen einer Kurstadt entwickelte und die ohnehin rudimentären Elemente einer jüdischen Gemeinde in Bozen überdeckte.

    Die rechtliche Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung durch die Staatsgrundgesetze ging relativ „unspektakulär über die Bühne"6 – sie lag nicht nur im europäischen Trend der Zeit, ihr waren auch in Österreich mehrere einzelne Maßnahmen vorausgegangen, die die Gleichstellung als Abschluss einer längeren Entwicklung erscheinen lassen.

    Von gesetzlichen Regelungen abgesehen, hatten sich auch in Tirol einzelne Zeichen einer Liberalisierung bemerkbar gemacht, wenn auch nur in den Städten: Schon 1845, nur sieben Jahre nach der Vertreibung der Zillertaler „Inklinanten, wurde mit Friedrich Wilhelm ein Protestant in den Innsbrucker Bürgerausschuss gewählt, der 1851 schließlich auch Handelskammerpräsident im Land der Glaubenseinheit werden sollte. In derselben Wahl wurde der jüdische Fabrikant David Friedmann zu einem der „Stimmführer der Handelskammer gewählt. In Innsbruck siedelten sich einige jüdische Händler an, ohne von der Stadt daran gehindert zu werden, während eine direkte Aufnahme als Bürger noch immer nicht möglich schien: David Wimpfheimer war mit einem solchen Ansuchen im Jahr 1851 – trotz seines erheblichen Vermögens, das er Großteils in das Geschäft seines Schwiegervaters Martin Steiner einbrachte und damit in Tirol investierte – gescheitert.7 Dennoch sollte das Ringen um die „Glaubenseinheit" und damit gegen die Grundgesetze die folgenden Jahrzehnte beherrschen.8

    Die politische Lage in Tirol

    Die politische Lage in Tirol war seit den Protestantenpatenten von 1859 und 1861 vom Kampf der katholisch-konservativen Mehrheit des Tiroler Landtages gegen die liberale Regierungspolitik in Wien gekennzeichnet. Die schärfste Opposition gegen die Staatsgrundgesetze im Reichsrat kam von den konservativen Nordtiroler Abgeordneten. Im Vordergrund stand dabei die Verfassungsfrage um das Recht des Reichsrates, Landesrechte durch Reichsgesetze außer Kraft zu setzen. Mit einer Verwahrung gegen diese Rechte des Reichsrates eröffnete der konservative Tiroler Abgeordnete Ignaz Giovanelli am 8. Oktober 1867 die Generaldebatte über das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger: „Die Grundsätze, welche hier ausgesprochen sind, wollen uns in Schul- und Kirchensachen solche Bestimmungen octroyiren, mit denen wir nie und nimmer einverstanden sein werden", lautete Giovanellis Kernaussage.9 Auf liberaler Seite wurde dagegen nicht nur mit dem formellen Recht argumentiert, sondern die politische Absicht angesprochen – „eine Seite scheine „ein Landesrecht darin zu erblicken […], für ewige Zeiten die Herrschaft des katholischen Clerus zu befestigen und Protestanten wie Israeliten zu Staatsbürgern zweiter Classe zu degradiren.10

    Nicht nur im Reichsrat, sondern vor allem in Tirol selbst führte der Kulturkampf zu einer extrem scharfen Polarisierung zwischen dem katholisch-konservativen und dem liberalen Lager. Das letztere hatte in den großen Städten Innsbruck und Bozen das Sagen. In diesem Konflikt hatten die Juden ein leidliches Auskommen: Die Auseinandersetzung wurde nicht auf ihrem Rücken ausgetragen. Politisch wie auch gesellschaftlich konnten sie nur im Lager der Liberalen stehen. Tatsächlich gelebte Toleranz war in den liberalen Städten ein öffentliches Bekenntnis zum gesellschaftlichen Fortschritt. So konnte Tobias Wildauer schon 1861 darauf verweisen, dass in Innsbruck, „wo noch nie einem Protestanten irgendeine Schwierigkeit gemacht wurde, […] bekanntlich ein Protestant Magistratsrath und Präsident der Handelskammer ist".11 Der aus Augsburg gebürtige Friedrich Wilhelm war bekanntlich 1845 in den Bürgerausschuss und im Jänner 1851 zum Präsidenten der Handelskammer gewählt worden; aus dieser Position zog er sich erst 1874 wegen seines Alters zurück.12 Zum dritten Vertreter des „Fabrikstandes" wurde wie erwähnt 1850 der Jude David Friedmann gewählt.13

    Die kaiserliche Genehmigung der Staatsgrundgesetze feierte der liberale Konstitutionelle Verein in Innsbruck jährlich mit einer „Verfassungsfeier", bei deren zweiten im Dezember 1870 sich mit Wilhelm Dannhauser auch ein Vertreter der Innsbrucker Juden zu Wort meldete. Seine launige Rede auf die liberale Landtagsminorität darf im Hinblick auf die tatsächlichen Erleichterungen, die die nunmehr rechtlich verbrieften Freiheiten den Juden in Tirol brachten, wohl auch wörtlich genommen werden:

    „Zwar sagen unsere Gegner, sie wollen ja auch unser Bestes. Aber das ist es eben, daß wir ihnen unser Bestes nicht zum Opfer bringen wollen (Bravo!), daß wir dieses Kleinod wahren wollen, dieses Atom von Freiheit, diesen Tropfen Licht, der uns vom Himmel in die Schale geworfen wurde. Wir wollen es wahren, wie der Gärtner sein junges Pflänzchen wahrt, daß es gedeihe, erstarke und heranwachse zu einem Baume, zum Baume der Freiheit, der belebend und kräftigend zum Lichte führen muß, und diesen Wächtern unseres Kleinods, den Führern der tirolischen Verfassungspartei, gilt mein herzliches Hoch! (Bravo! Hoch!)"14

    Als Dannhauser zwei Jahre später als erster Jude in den Innsbrucker Gemeinderat gewählt wurde, stellten die Neuen Tiroler Stimmen, die Tageszeitung der Katholisch-Konservativen, dieses Ereignis als neuerlichen Einschnitt in die althergebrachte Glaubenseinheit des Landes dar:

    „Bei uns in Innsbruck sondirte man die edle Bürgerschaft, wie viel sie ertrage. Man stellte zum ersten Mal, seit Innsbruck steht, in dieser einst marianischen Stadt, im dritten Wahlkörper einen Israeliten als Kandidaten für den Bürgerausschuß auf und – es glückte vollständig. Es versteht sich, wir reden nicht von der Person, die ist ehrenwerther als oft Hunderte getaufter Neuheiden, wir reden vom Prinzip. Darum wird es immer besser kommen, man wird immer mehr wagen."15

    Die politische Stimmung im Land konnte der tatsächlichen rechtlichen Gleichstellung der Juden auch in Tirol nicht mehr schaden. Mit den neuen Möglichkeiten der Niederlassung und des Erwerbs von Immobilien und Grundbesitz fand nun auch eine größere Anzahl jüdischer Bewohner der Monarchie, zu einem geringeren Teil auch aus dem Deutschen Reich, ihren Wohnsitz in Tirol.

    Wer waren die Juden in Tirol?

    Als der St. Gallener Rabbiner Dr. Hermann Engelbert16 im Jahr 1872 an einer Statistik des Judentums in der Schweiz, in Österreich-Ungarn und im Deutschen Reich arbeitete, erhielt er von der Statthalterei in Innsbruck die Auskunft, im Kronland Tirol und Vorarlberg gebe es drei israelitische Kultusgemeinden, nämlich in Innsbruck, Bozen und Hohenems. Diese Gemeinden erhielten drei Begräbnisplätze, eine Synagoge im Eigentum einer Gemeinde, zwei gemietete Synagogen, eine Elementarschule und keine Religionsschule. Zusammen zählten sie 262 Mitglieder, darunter 30 schulpflichtige Kinder.17

    Diese Auskunft bedarf eines näheren Blicks. Der Begriff einer „Kultusgemeinde" wurde hier ohne nähere Definition verwendet – die Angaben bezogen sich offensichtlich nur auf jene Orte, in denen jeweils eine etwas höhere Zahl von Juden ansässig war. Neben der langjährig bestehenden jüdischen Gemeinde in Hohenems – sie war nicht nur Kultusgemeinde, sondern seit 1849 auch politische Gemeinde – hatten lediglich Innsbruck und Bozen irgendwelche jüdischen Institutionen aufzuweisen: In beiden Städten gab es nämlich einen jüdischen Friedhof. Und da in beiden Städten eine wenn auch geringe Zahl von Juden lebte, mochten sie immerhin für gelegentliche Gottesdienste und die Durchführung von Beerdigungen sorgen, außerdem wohl auch für die religiöse Erziehung ihrer Kinder.

    Im zunehmend auch von Juden frequentierten Kurort Meran begann man gegen Ende dieses Jahres 1872, religiöse Institutionen zu konstituieren.

    Nur in Hohenems war regelmäßig ein Rabbiner tätig – die Stelle war zum Zeitpunkt der Erhebung gerade nicht besetzt –, dem die Statthalterei im Jahr 1873 die Matrikenführung für alle in Tirol und Vorarlberg lebenden Juden übertrug18, wie es wohl auch schon vorher geschehen sein mag. Innsbruck, Bozen und Meran blieben für den gesamten Zeitraum die wesentlichen Orte jüdischen Lebens in Tirol, mit Hohenems durch die kultusrechtlichen Bedingungen eng verbunden.

    Bevor nun der Frage nachgegangen wird, wer die jüdische Bevölkerung in Tirol war, einige Worte zu ihrer demographischen Entwicklung. Die nüchternen Zahlen der Volkszählung allein zeigen schon eine enorme Bevölkerungsverschiebung; doch damit allein ist noch nicht viel erreicht. Denn als Orte jüdischen Lebens nahmen die vier Zentren Hohenems, Innsbruck, Bozen und Meran höchst unterschiedliche Entwicklungen ein. Die Enklave Hohenems verlor nach 1867 sehr rasch einen Großteil ihrer Mitglieder; Innsbruck erlebte einen Aufstieg zum Verkehrs-, Verwaltungs- und Handelszentrum, der einen enormen Zuzug mit sich brachte, darunter auch eine Anzahl von Juden, die schließlich eine an Mitgliedern Hohenems rasch überholende Gemeinde bildeten. Wenn auch Meran unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg ein Mehrfaches an jüdischer, allerdings nur zeitweise anwesender Bevölkerung zählte, so hatte dies wiederum eine ganz selbständige Ursache im aufkommenden Kurbetrieb, der auch jüdische Gäste umfasst, und einer Stiftung, die die Gründung spezifisch jüdischer Kultus- und Kureinrichtungen erlaubte. In Bozen war die Bevölkerungsentwicklung der Zahl nach wenig bedeutend.

    Jüdinnen und Juden in Innsbruck und Nordtirol

    Die Grundsätze in der Judenpolitik, wie sie seit den Toleranzedikten von Kaiser Josef II. und noch im Vormärz gehandhabt worden waren, wurden etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stillschweigend vernachlässigt. Allerdings blieb vor allem der Erwerb von Haus- und Grundbesitz Juden grundsätzlich verwehrt, und eine Aufnahme in den Gemeindeverband schien nahezu unmöglich. Eine Überwachung der Zahl der tolerierten jüdischen Familien, wie wir sie in den 1820er Jahren noch finden, scheint nicht mehr stattgefunden zu haben. Ein wenn auch geringer Zuzug von fremden Juden stieß offenbar zunächst auf keinen behördlichen Widerstand. So änderte sich zunächst langsam, dann relativ rasch die Zusammensetzung der jüdischen Gemeinschaft in Innsbruck.

    Von den seit der Toleranzgesetzgebung als ansässig betrachteten Familien Uffenheimer, Weil, Dannhauser und Bernheimer waren zunächst die meisten Uffenheimer-Familien aus Innsbruck verzogen und die verbliebenen Uffenheimers konvertiert. Die Nachkommen der beiden Familien Weil und der mit ihnen verbundenen Familie Moos waren teils nach Hohenems verzogen, teils ausgestorben. Die Familie Bernheimer war nach Bayern verzogen. Noch in der bayerischen Zeit war Martin Steiner nach Innsbruck gekommen, später David Friedmann, dann der Bankier Markus Loewe und der Mineralienhändler Isak Gebhard – alle vier kamen aus Südwestdeutschland. Ihnen allen gelang es, sich in Innsbruck wirtschaftlich und familiär zu etablieren. Zusammen mit der Familie Dannhauser bildeten sie um die Mitte des Jahrhunderts die „alte" jüdische Gemeinde in Innsbruck.

    Die Mitglieder dieser Gemeinde scheinen sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gut etabliert zu haben und – trotz der erheblichen Schwierigkeit bei Grunderwerb und Heiratsbewilligungen – in der bürgerlich-liberalen Gesellschaftsschicht Innsbrucks relativ gut integriert gewesen zu sein. Diese Neuorientierung gegenüber religiösen Minderheiten – denn auch die Protestanten waren davon betroffen – ist als eine Folge der Herausbildung eines städtischen Bürgertums zu betrachten, das sich vom bisherigen gesellschaftlichen und politischen Establishment emanzipierte und den Grundstock einer gesellschaftlich und politisch liberalen Schicht bildete.19 Die Städte Bozen und Innsbruck entwickelten sich dabei zu liberalen Hochburgen in einem Umfeld, das nicht nur besonders stark katholisch-konservativ dominiert war, sondern sich im Zuge des in den 1860er Jahren tobenden Kulturkampfes zunehmend rückwärtsgewandter, reaktionär gab.20 Ein Zeichen für die gegenüber vorangegangenen Jahrzehnten tolerante und unaufgeregte Einstellung gegenüber den wenigen Innsbrucker Juden mag die so selbstverständlich erfolgte Genehmigung der israelitischen Abteilung am Westfriedhof im Jahr 1864 gewesen sein.

    Bei der Volkszählung am Ende des Jahres 1857 wurden in Innsbruck nur 25 Israeliten gezählt.21 Diese Zahl ist zweifellos zu gering gegriffen – die Erhebung erfasste nämlich nur die einheimische, nicht die anwesende Bevölkerung. 1869 wurden 59 Personen gezählt.22

    Darunter befanden sich als Nachkommen und Oberhäupter der bedeutenderen jüdischen Familien der Bankier Markus Loewe, die Söhne des 1864 verstorbenen Brauereibesitzers Martin Steiner, Max und Sigmund, die Söhne des 1869 verstorbenen Mineralienhändlers Ezechiel Dannhauser, Jakob und Wilhelm, die 1860 ein Weißwarengeschäft eröffnet hatten, und der Strohhutfabrikant Moritz Friedmann.23

    In den 1860er Jahren waren nun etwa sechs kleine Händler, vorwiegend aus Wien, dazugekommen; Julius Stern und etwas später seine beiden Brüder traten bei ihrem kinderlosen Onkel Markus Loewe ins Geschäft ein, und mit Ludwig Mauthner wurde 1869 der angeblich erste jüdische ordentliche k. k. Universitäts-Professor Österreichs an die Universität Innsbruck berufen. Damit stammte bereits zu Beginn der 1870er Jahre nur mehr die Hälfte der in Innsbruck ansässigen Juden aus der „alten" Gemeinde, während die andere Hälfte in den letzten Jahren zugewandert war.

    Für die bereits erwähnte Statistik der Kultusgemeinden in Österreich bat 1872 der Stadtmagistrat Innsbruck den Bankier Markus Loewe um die Erhebung der geforderten Daten. Loewe gab an, dass in Innsbruck zwölf männliche und 15 weibliche Israeliten wohnten – womit nur die Zahl der volljährigen Erwachsenen gemeint sein konnte.24

    Seine weiteren Angaben geben einen kleinen Einblick in die religiöse Situation der Innsbrucker Juden:

    „Cultusbeamte existiren hier keine, ebensowenig eine Schule. Innsbruck untersteht dem Rabbinat Hohenems in Vorarlberg. Als Synagoge dient ein in der Judengasse No. 107 im 5ten Stock gelegenes Betzimmer, welches Eigenthum der Herren Brüder Dannhauser hier ist. Begräbnißplatz befindet sich hier Einer, neben dem städtischen Friedhof. Wolhthätigkeits Anstalten & Vereine, die speziell von den hiesigen Israeliten gegründet, bestehen hier keine."25

    Dass sich das Betzimmer im Haus der Familie Dannhauser befand, ist kein Zufall: Schon um 1670 kauften die Brüder May dieses Haus; ab 1775 war Gabriel Uffenheimer dessen Eigentümer und seit 1784 gehörte es der Familie Dannhauser, die sich seither immer um die religiösen Angelegenheiten der Innsbrucker jüdischen Gemeinde kümmerte.

    Für einzelne Persönlichkeiten wie Ezechiel Dannhauser oder Markus Loewe lässt sich belegen, dass Juden gesellschaftliches Ansehen nicht grundsätzlich verwehrt blieb.

    Bei Markus Loewes Tod hieß es, der Bankier habe „in den weitesten Kreisen der Geschäftswelt auch außerhalb Tirol und Oesterreich den besten Ruf eines coulanten, tüchtigen und vertrauenswürdigen Geschäftsmannes genossen „und stand hier bei allen Berufskreisen in großem Ansehen.26 Die Innsbrucker Nachrichten würdigten die „hohe Achtung und die große Beliebtheit, deren sich der biedere, leutselige alte Herr in allen Kreisen der hiesigen Bevölkerung erfreut hatte".27

    Im liberalen Vereinswesen der Stadt waren seit den 1860er Jahren auch Juden präsent: Sie waren Mitglieder sowohl im Innsbrucker Turnverein wie in der Innsbrucker Liedertafel, im Kaufmännischen Verein oder im Verein des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum. Sie wurden als Geschworene berufen und engagierten sich in Interessensvertretungen, besonders in der Handelskammer und in den Institutionen des gewerblichen Bildungswesens. Universitätsprofessoren und Ärzte, später auch mancher interessierte Händler traten dem naturwissenschaftlichmedizinischen Verein Innsbruck bei, in dessen erstem, 1870 veröffentlichten Bericht Beiträge von Raphael Hausmann, Camil Heller – er war zu dieser Zeit 1. Vorstand des Vereins – und Ludwig Mauthner enthalten waren.28

    Das folgende kurze Porträt stellt die um 1870 „älteste" jüdische Familie Innsbrucks in dieser Übergangszeit vor.

    Die Familie Dannhauser

    Die Familie Dannhauser war nunmehr die älteste jüdische Familie in Innsbruck – obwohl sie erst ab 1784 nachweisbar ist, führte sie selbst sich auf das Jahr 1676, das Jahr der Vertreibung aus Hohenems zurück. Ein kurzer Rückblick soll die entscheidenden Veränderungen, die sich innerhalb dreier Generationen abspielten, veranschaulichen.

    1784 war der mit Gabriel Uffenheimer verschwägerte Jakob Dannhauser von Fellheim nach Innsbruck gekommen; er wurde, da er mit seiner Frau Sara das Haus in der Judengasse 107 besaß, schließlich als „toleriert betrachtet. Nach seinem Tod im Jahr 1790 konnte daher sein ältester Sohn Abraham das Erbe antreten, dessen Brüder waren allerdings ständig von der Ausweisung bedroht und verließen letztlich in der bayerischen Zeit auch die Stadt. Die Söhne Abraham Dannhausers dienten bereits beim Militär – teils beim bayerischen, teils beim kaiserlichen Jägerregiment –, wanderten aber schließlich nach Frankfurt bzw. nach Frankreich aus. Der jüngste Sohn, Ezechiel, übernahm nun das väterliche Erbe. Wie sein Vater und nach dessen Tod seine Mutter führte schließlich Ezechiel Dannhauser eine „Trödlerei weiter, spezialisierte sich aber auf den Mineralienhandel, den auch seine Brüder und sein Schwager Isak Gebhard betrieben. Ezechiel Dannhauser trat nicht nur als Sprecher der Innsbrucker Juden in Erscheinung – nämlich im Gesuch um den neuen Friedhof im Jahr 1864 –, sondern auch in einer gewerberechtlichen Angelegenheit im Jahr 1850 als Vertreter der Innsbrucker Trödler, unter denen er der einzige Jude war.29

    Ihm wurde nach seinem Tod 1869 auch ein besonders ehrender Nachruf gewidmet:

    „Wir gaben am letzten Dienstag einem unserer wackersten Mitbürger das letzte Geleite. Es war der durch seinen Bieder- und Wohlthätigkeitssinn allgemein geachtete E. Dannhauser, Mineralog hier. Die rege, tiefe Theilnahme von Seite der Bevölkerung unserer Stadt ohne Unterschied der Stände gab hinlänglich Beweis, welchen Grad der Achtung und Liebe dieser würdige Greis durch sein ganzes Wesen erworben. Wie viel des Guten und Edlen der Dahingeschiedene im Stillen gewirkt, wie manchem Armen er wohlgethan, wie manchen Hungrigen in seinem Hause er gespeist, spricht ganz für seinen bescheidenen edlen Charakter, und für die wahre Menschenliebe, die er als Israelite ohne Unterschied des Glaubens an Jeden mit gleicher Liebe übte! – Friede seiner Asche."30

    Das besondere Ansehen der Familie Dannhauser zeigt sich auch in einem sehr seltenen Dokument, der „Leichenpredigt" für Karoline Gebhard, einer Schwester Ezechiel Dannhausers, die mit Isak Gebhard verheiratet war.

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