Drehe die Herzspindel weiter für mich: Christine Lavant zum 100.
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Das Werk der Christine Lavant wurde, obwohl sie lange als Außenseiterin galt, mit den höchsten literarischen Preisen bedacht. Dass der nicht gerade für Respekt vor Kollegen bekannte Thomas Bernhard eine Gedichtauswahl besorgte, erregte Aufmerksamkeit. Heute, mehr als vierzig Jahre nach ihrem Tod, hat die Dichterin nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt, ihre Erzählung »Das Wechselbälgchen" etwa (2012 neu bei Wallstein veröffentlicht) erreichte in kurzer Zeit vier Auflagen.
Immer sagt es viel über den Rang von Literatur, wenn Autorinnen und Autoren nachfolgender Generationen sich anhaltend und nachdrücklich auf sie beziehen. Bei Lavant ist das in bemerkenswerter Weise der Fall. Der Band zum 100. präsentiert Originalbeiträge von Andreas Altmann, Konstantin Ames, Christoph W. Bauer, Ann Cotten, Dorothea Grünzweig, Maja Haderlap, Peter Hamm, Kerstin Hensel, Gabriele Kögl, Michael Krüger, Sibylle Lewitscharoff, Friederike Mayröcker, Julian Roman Pölsler, Steffen Popp, Teresa Präauer, Ilma Rakusa, Arne Rautenberg, Monika Rinck, Hansjörg Schertenleib, Evelyn Schlag, Ferdinand Schmatz, Kathrin Schmidt, Silke Andrea Schuemmer, Ulf Stolterfoth, Marlene Streeruwitz, Raphael Urweider und Uljana Wolf.
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Book preview
Drehe die Herzspindel weiter für mich - Wallstein Verlag
Herausgeber
I
FRIEDERIKE MAYRÖCKER
»das Selfie der Christine Lavant«
(unter Tränen unter Palmen:
ist wie Erdbeben wenn du auf
Reisen gehst und mich ver-
lassest : eruptiv, schmeckt
wie Zitronen : amour fou mit
Werner Berg, hinfällig starre
ich ins Rad der Zeit)
»eigentlich heisze ich Christine Thonhauser, trage 1 Kopftuch von Wolle gegen Kopfneuralgie, bin stigmatisiert. Meine Andacht ist eine Lanze, will nicht dasz das Lamm Gottes geschoren wird, wandele unter verdorrenden Apfelbäumen, abnehmender Tagmond und frühe Schwalben. Heute wurde ich wach ohne zu wissen wer ich sei, geblendet sind meine Augenhöhlen, der Schlange hab’ ich den Schlüssel entrissen, wer haucht so kalt in mein Genick, Engel steh’ auf und verschaff’ mir die Ortschaft Paris, ich verlege die Ortschaft von links nach rechts, Vater ich bringe den FUNKER zurück, Kunst ist Rhythmus, so Kurt Schwitters. Bisweilen Eppich und Pfaffenhut, fremd geht der Schlaf an mir vorbei, mein Schatten kann über Wasser gehen, Liebfrauenhaar und Ingeräusch, »cool kitsch«, so Martin Kubaczek, hinfällig starre ich ins Rad der Zeit, 1 feines blondes, Nest von Hahnenfusz = ich war ganz baff . . . . . . . . . . . .
ich weisz dasz ich vergangen bin und mich
auch noch vergangen habe,«
17.7.2014
CHRISTINE LAVANT
Immer näher dem Milchstraßenrand
dreht sich der Hundsstern die Steppe zurecht,
während mein Halbtraum durch Mondviertel schleicht
und vor der Wachsamkeit flüchtet,
die im Steppenwind nachkommt.
Gestern warf ich mein Herz hinauf,
als Hundekuchen war es noch gut,
aber der Tiefschlaf verfehlte die Zeit,
weil er die Blätter der Milchsterne fragte:
Für keinmal, für einmal, für immer?
Gierig schaut mir der Hundsstern heut zu,
wie ich die Knochen des Rückgrates rüttle,
doch keiner will mir vom Leibe gehn,
denn jeder ist wachsam und listig und bellt
eine Botschaft hinauf, die der Steppenwind schluckt,
bevor er das Mondviertel abreißt.
MAJA HADERLAP
unter dem hundsstern
nicht gottverlassen, denn gott stand
am gartenzaun, als man ihn anderswo
vermutete. nicht verrückt, auch wenn
das mädchen sah, wie der mann
die gestirne musterte und eine zigarette
rauchte. du musst gar nichts glauben,
diesen satz legte er in ihre gedanken,
ohne sich umzudrehen. er werde sich
unter die südlichen berge zum schlafen
legen wie ein hund vor sein herrenhaus,
erklärte der nächtliche gast und ging
quer über das feld. im wortfieber liegend
fand man das mädchen, kontaminiert
mit abwesenheit. ihre augen zogen den
mond als blasse worthülse an den tag
und die gräser tasteten aus dem dunkel
nach ihr. himmel und erde lasteten schwer
auf der zunge. es roch nach schnee.
CHRISTINE LAVANT
Das ist die Wiese Zittergras
und das der Weg Lebwohl,
dort haust der Hase Immerfraß
im roten Blumenkohl.
Die Rosenkugel Lügnichtso
fällt auf das Lilienschwert,
das Herzstillkräutlein Nirgendwo
wird überall begehrt.
Der Hahnenkamm geht durch den Tau,
das Katzensilber gleißt,
drin spiegelt sich die Nebelfrau,
die ihr Gewand zerreißt.
Der Mohnkopf schläfert alle ein,
bloß nicht das Zittergras,
das muß für alle ängstlich sein,
auch für ein Herz aus Glas.
CHRISTOPH W. BAUER
zittergras
vaganten-ekloge
erklär mir keiner das landleben
stacheldrahtzäune gab es und
bauern auf der jagd nach fußbällen
unter den reifen ihrer traktoren
zerplatzen träume eine jugend lang
inspizierte ich mehr kaulquappen als
mädchen krötenaugen umrundeten
meine lippen wenn der mond ins
regenwasser sprang und eins wurde
mit meinem gesicht nachts lag ich
im zittergras die sterne zu zählen
lediglich geröll flimmert heute dort
oben selbst im hintersten winkel
wissen telefone über alles bescheid
werden befindlichkeiten global
schwärmt der phrasenteufel von
welthaltigkeit da stehe ich nun
in dummgeschwätzter zeit
über mir nur wolkenbatzen die
zur befürchtung sich verdichten
schwarz wird mir vor augen
vom nahen dorf glockenstimmen
im bannkreis der kröte rieselt
eine dichterin mir in den sinn und
vergils achte ekloge freilich schön
könnten carmina den mond auch
wieder an den himmel locken
CHRISTINE LAVANT
Ich verlege die Ortschaft von links nach rechts,
dann mußt du nimmer im Beinhaus wohnen,
das bleibt für immer am Aber-Ort
und ohne ewige Ampel.
Vielleicht wirst du rechterhand frieren,
weil anfangs die Sonne noch nicht gehorcht,
vielleicht braucht sie sieben Gezeiten,
um über den Brustkern zu kommen,
der so vielfältig hart ist?
Drüben hat noch kein Mond gewirkt,
es ist dort alles wie vor der Zeit;
wir werden linksseitig werben müssen
sanftmütig-dämonisch und halbschlaf-klug
um jeden dienstbaren Atem,
der noch halbwegs getreu ist.
Um meinetwillen geschieht das nicht,
ich würde auch links wie im Schoße Gottes
erwachen ohne zugrunde zu gehn
und Blei oder Strohhalme kauen.
Du aber, der du im Beinhaus wohnst
und das Öl der ewigen Ampel verzehrst,
du mußt dich unter den Lungenflügeln
insgeheim über die Grenze bringen
ins Land, das noch nichts von der Sündflut weiß
und wo der Mond noch nie aufging.
KERSTIN HENSEL
Ortschaft
für C. Lavant zum 100. Geburtstag
Ich verlege die Ortschaft nicht mehr
Von links nach rechts Noch und noch
Finden wir uns
In gedengelten Welten des Glaubens
Aber mein Gott
Brät mir keine Sünden über
An allen Früchten vergehe ich mich ungestraft Ein Kerl
Kommt und sagt er sei ein Kerl
Das ist das ganze Geheimnis
Ich habe keinen dienstbaren Atem für irgendwen
Und kein Begehr mich über Gnade zu freuen
Verlegte Ortschaft: mein Kopf darin
Haut die Sense links rechts
CHRISTINE LAVANT
Versuche den winzig gewordenen Mond
aus dem Himmel zu blasen.
Dein Atem reicht nicht einmal dafür noch aus!
Wie willst du dann die aufgeloderte Sonne
über deinem Herzen kühler machen
oder gar sie verschieben?
Sage zu deinem Herzen, daß früher oder später
alle Hexen verbrennen müssen.
Auch die guten entgehen dem Feuer nicht,
weil Gott ihre magische Asche braucht,
um seine Erwählten damit zu salben.
Sage, er haßt diese Asche nicht,
weil sie trotz allem aus Unschuld kommt
und vielen gemeisterten Leiden.
Lehre, wenn du jetzt Atem holst,
dein Herz in die Mitte der Sonne treten
und tilge gänzlich aus deinem Blut
den Namen der Hölle.
Niemand glaubt dir das Wort –;
und das, was dich brennt,
weiß allein seinen eigenen großen Namen,
der erschütternder ist als alle Zeichen am Himmel.
ARNE RAUTENBERG
versuch über den winzig gewordenen mond
wie kleinlaut sich die tage neigen
die sichel ab und zu
nen kopf rollen lässt
was bleibt? ich kenne einen
der sammelt rituelle schädelschalen von menschen
für menschen beschnitzt
mit skeletten feuer knochen
und aasfressern dunkel ist diese kapala
vom jahrhundertealten grind
bitte um eine handvoll reis
bitte um eine handvoll sterne
am nachthimmel bettelnde hände
der unaufhaltsame tag beginnt
der nächste innere shitstorm
will überstanden sein weil
ich nicht bei mir bin
aus niederlagen siege mache
kann ich nicht bei dir sein
zurück am nachthimmel der einschlafhammer
benutzt du nicht zu große worte?
ich lese sie auf (wie reiskörner)
du öffnest derweil die letzte matroschka
und von der seele bleibt nurmehr ein see
(spiegel des anderen)
CHRISTINE LAVANT
Herbst
In den feuchten Gründen
Wogen Nebelschleier
Sturmgepflügte Blätter
Wirbeln um den Weiher
Durch die Wolkenfetzen
Brechen Sonnenstrahlen,
Jene letzten, schönen,
Die so golden malen
Und die Wipfel schweigen
Und die Bäume neigen
Lebensmüd ihr Haupt.
Schweigend liegt ringsum das graue Land
Der Regen nur rauschet sein Lied
Ein Frösteln die Fluren durchzieht.
Die triefenden Zweige hängen so müd
Gealtertes Laub sie umfällt.
Gar vieles liegt in dem ewigen Lied,
Das der Regen den Fluren erzählt.
Drum schweigen sie auch so unentwegt
Und wollen nur hören und lauschen,
Was alles der Regen hineingelegt
In sein melancholisches Rauschen.
HANSJÖRG SCHERTENLEIB
Herbst – reloaded
Regen Regen
nichts als Regen
das ewig gleiche Lied
seit ungezählten Tagen
Am Kamm des Hügels
ziehen Schafe
Müd die Büsche
Müd die Bäume
ihre Äste schreiben Worte
auch wenn sie keiner
jemals lesen wird.
Schweigend liegt ringsum das graue Land
Den Dohlen reicht der Himmelsstreif
uns ihre Künste vorzuführen.
Im Flur aus Gras steht schon die Nacht
sie wartet still jedoch auf wen?
Ein dunkles Rauschen
steht in unsren Köpfen.
Der Weiher wird zum Spiegel
der Wald zum lichten Dom
die Äste liegen wie Gebein doch
durch die Wolkenfetzen schimmert: nichts.
SILKE ANDREA SCHUEMMER
Kreuzaufladung
für Christine Lavant
Krummbucklig ich
die Nachzehrerin die Zeterin zertretene
heb ich Krumen klaub sie auf
Finsterung Behausen in den Klauen
Krumm vor Krumenbuckelei mein Wiedergang
das Wiederverhängnis am Gängelband
die Kreuzwegbeugung leinengleich geführt
stellvertretend hebt das Bücken nichts
Bleibt das Kummerbündnis hier zu glauben
dass im Scharren nur ein Knöchel
von der andren Seite nach mir greift
dass mir ein Keimling zustößt
wie Gewölbe diese Wurzel mich durchschlägt
dass sich vielleicht
auf allen Vieren eine Hand mir reicht
STEFFEN POPP
Hunde und Schlitten
Hunde und Schlitten gleit ich durch Abendliche
über Städte die auch in der Luft sind – herleuchten –
eine Steinform
und in der Luft
auf der Gegenschräge, Sangskrümme, schwebend
die Kartause, kübelnder Napf, den die Getriebene
glänzend, gescheuerte
Leere, dem Firmament hinstellt
Kanülen durchfährt sie, gelöste, krampfende Glieder
Spinnlein, in deren Schwebespur Tropfen hängen
Demante, ein erdnahes
Licht- und Tropentandem
auf der Gegenschräge, mit Glockenfüßen – Gott –
Treten, schwarz radelt ET im Mond über Hollywood
das blanke Rasiermesser
wo er Auge ist blickt nichts
Hunde und Schlitten gleit ich durch Abendliche
mir Komplizierte, sie zwinkern, ich übertrete, -kufe
aber das ist wie Meere
glätten mit Menschenhänden
II
CHRISTINE LAVANT
Wie pünktlich die Verzweiflung ist!
Zur selben Stunde Tag für Tag
erscheint sie ohne jede List
und züchtigt mich mit einem Schlag.
Dann stieben Funken um mich her,
mein Herz ruft alle Engel an,
der Himmel aber ist ein Meer
und Jesu treibt in einem Kahn
sehr weit am andern Rand der Welt,
dort, wo die Helfer alle sind,
und meine letzte Hoffnung bellt
am Ufer durch den Gegenwind.
Ich spür dann, daß mich niemand hört,
und sammle still die Funken ein,
mein Herz – das knisternd mich beschwört –
wird nach und nach zum Feuerstein.
RAPHAEL URWEIDER
ich nehme eine zeile mit nur eine zeile
auf eine reise und behalte sie ganz weise
nur für mich und teile sie nicht teile
nichts an keinem ort wo ich verweile
auf meine weise lese ich dann diese zeile
und frage mich nicht wer und wessen
und ob ich atem hätte diesen mond vergessen
zu machen oder sonnen zu vermessen
ein atmen ist ja an sich ein geschenk
wie auch das leben jedes gelenk
jede bewegung nicht selbstverständlich
und jede geduld ist wie alles endlich
Wie pünktlich die Verzweiflung ist!
zur blauen