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Drehe die Herzspindel weiter für mich: Christine Lavant zum 100.
Drehe die Herzspindel weiter für mich: Christine Lavant zum 100.
Drehe die Herzspindel weiter für mich: Christine Lavant zum 100.
Ebook195 pages1 hour

Drehe die Herzspindel weiter für mich: Christine Lavant zum 100.

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About this ebook

Zum 100. Geburtstag der großen Kärntner Autorin am 4. Juli 2015

Das Werk der Christine Lavant wurde, obwohl sie lange als Außenseiterin galt, mit den höchsten literarischen Preisen bedacht. Dass der nicht gerade für Respekt vor Kollegen bekannte Thomas Bernhard eine Gedichtauswahl besorgte, erregte Aufmerksamkeit. Heute, mehr als vierzig Jahre nach ihrem Tod, hat die Dichterin nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt, ihre Erzählung »Das Wechselbälgchen" etwa (2012 neu bei Wallstein veröffentlicht) erreichte in kurzer Zeit vier Auflagen.
Immer sagt es viel über den Rang von Literatur, wenn Autorinnen und Autoren nachfolgender Generationen sich anhaltend und nachdrücklich auf sie beziehen. Bei Lavant ist das in bemerkenswerter Weise der Fall. Der Band zum 100. präsentiert Originalbeiträge von Andreas Altmann, Konstantin Ames, Christoph W. Bauer, Ann Cotten, Dorothea Grünzweig, Maja Haderlap, Peter Hamm, Kerstin Hensel, Gabriele Kögl, Michael Krüger, Sibylle Lewitscharoff, Friederike Mayröcker, Julian Roman Pölsler, Steffen Popp, Teresa Präauer, Ilma Rakusa, Arne Rautenberg, Monika Rinck, Hansjörg Schertenleib, Evelyn Schlag, Ferdinand Schmatz, Kathrin Schmidt, Silke Andrea Schuemmer, Ulf Stolterfoth, Marlene Streeruwitz, Raphael Urweider und Uljana Wolf.
LanguageDeutsch
Release dateMar 30, 2015
ISBN9783835327474
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    Book preview

    Drehe die Herzspindel weiter für mich - Wallstein Verlag

    Herausgeber

    I

    FRIEDERIKE MAYRÖCKER

    »das Selfie der Christine Lavant«

    (unter Tränen unter Palmen:

    ist wie Erdbeben wenn du auf

    Reisen gehst und mich ver-

    lassest : eruptiv, schmeckt

    wie Zitronen : amour fou mit

    Werner Berg, hinfällig starre

    ich ins Rad der Zeit)

    »eigentlich heisze ich Christine Thonhauser, trage 1 Kopftuch von Wolle gegen Kopfneuralgie, bin stigmatisiert. Meine Andacht ist eine Lanze, will nicht dasz das Lamm Gottes geschoren wird, wandele unter verdorrenden Apfelbäumen, abnehmender Tagmond und frühe Schwalben. Heute wurde ich wach ohne zu wissen wer ich sei, geblendet sind meine Augenhöhlen, der Schlange hab’ ich den Schlüssel entrissen, wer haucht so kalt in mein Genick, Engel steh’ auf und verschaff’ mir die Ortschaft Paris, ich verlege die Ortschaft von links nach rechts, Vater ich bringe den FUNKER zurück, Kunst ist Rhythmus, so Kurt Schwitters. Bisweilen Eppich und Pfaffenhut, fremd geht der Schlaf an mir vorbei, mein Schatten kann über Wasser gehen, Liebfrauenhaar und Ingeräusch, »cool kitsch«, so Martin Kubaczek, hinfällig starre ich ins Rad der Zeit, 1 feines blondes, Nest von Hahnenfusz = ich war ganz baff . . . . . . . . . . . .

    ich weisz dasz ich vergangen bin und mich

    auch noch vergangen habe,«

    17.7.2014

    CHRISTINE LAVANT

    Immer näher dem Milchstraßenrand

    dreht sich der Hundsstern die Steppe zurecht,

    während mein Halbtraum durch Mondviertel schleicht

    und vor der Wachsamkeit flüchtet,

    die im Steppenwind nachkommt.

    Gestern warf ich mein Herz hinauf,

    als Hundekuchen war es noch gut,

    aber der Tiefschlaf verfehlte die Zeit,

    weil er die Blätter der Milchsterne fragte:

    Für keinmal, für einmal, für immer?

    Gierig schaut mir der Hundsstern heut zu,

    wie ich die Knochen des Rückgrates rüttle,

    doch keiner will mir vom Leibe gehn,

    denn jeder ist wachsam und listig und bellt

    eine Botschaft hinauf, die der Steppenwind schluckt,

    bevor er das Mondviertel abreißt.

    MAJA HADERLAP

    unter dem hundsstern

    nicht gottverlassen, denn gott stand

    am gartenzaun, als man ihn anderswo

    vermutete. nicht verrückt, auch wenn

    das mädchen sah, wie der mann

    die gestirne musterte und eine zigarette

    rauchte. du musst gar nichts glauben,

    diesen satz legte er in ihre gedanken,

    ohne sich umzudrehen. er werde sich

    unter die südlichen berge zum schlafen

    legen wie ein hund vor sein herrenhaus,

    erklärte der nächtliche gast und ging

    quer über das feld. im wortfieber liegend

    fand man das mädchen, kontaminiert

    mit abwesenheit. ihre augen zogen den

    mond als blasse worthülse an den tag

    und die gräser tasteten aus dem dunkel

    nach ihr. himmel und erde lasteten schwer

    auf der zunge. es roch nach schnee.

    CHRISTINE LAVANT

    Das ist die Wiese Zittergras

    und das der Weg Lebwohl,

    dort haust der Hase Immerfraß

    im roten Blumenkohl.

    Die Rosenkugel Lügnichtso

    fällt auf das Lilienschwert,

    das Herzstillkräutlein Nirgendwo

    wird überall begehrt.

    Der Hahnenkamm geht durch den Tau,

    das Katzensilber gleißt,

    drin spiegelt sich die Nebelfrau,

    die ihr Gewand zerreißt.

    Der Mohnkopf schläfert alle ein,

    bloß nicht das Zittergras,

    das muß für alle ängstlich sein,

    auch für ein Herz aus Glas.

    CHRISTOPH W. BAUER

    zittergras

    vaganten-ekloge

    erklär mir keiner das landleben

    stacheldrahtzäune gab es und

    bauern auf der jagd nach fußbällen

    unter den reifen ihrer traktoren

    zerplatzen träume eine jugend lang

    inspizierte ich mehr kaulquappen als

    mädchen krötenaugen umrundeten

    meine lippen wenn der mond ins

    regenwasser sprang und eins wurde

    mit meinem gesicht nachts lag ich

    im zittergras die sterne zu zählen

    lediglich geröll flimmert heute dort

    oben selbst im hintersten winkel

    wissen telefone über alles bescheid

    werden befindlichkeiten global

    schwärmt der phrasenteufel von

    welthaltigkeit da stehe ich nun

    in dummgeschwätzter zeit

    über mir nur wolkenbatzen die

    zur befürchtung sich verdichten

    schwarz wird mir vor augen

    vom nahen dorf glockenstimmen

    im bannkreis der kröte rieselt

    eine dichterin mir in den sinn und

    vergils achte ekloge freilich schön

    könnten carmina den mond auch

    wieder an den himmel locken

    CHRISTINE LAVANT

    Ich verlege die Ortschaft von links nach rechts,

    dann mußt du nimmer im Beinhaus wohnen,

    das bleibt für immer am Aber-Ort

    und ohne ewige Ampel.

    Vielleicht wirst du rechterhand frieren,

    weil anfangs die Sonne noch nicht gehorcht,

    vielleicht braucht sie sieben Gezeiten,

    um über den Brustkern zu kommen,

    der so vielfältig hart ist?

    Drüben hat noch kein Mond gewirkt,

    es ist dort alles wie vor der Zeit;

    wir werden linksseitig werben müssen

    sanftmütig-dämonisch und halbschlaf-klug

    um jeden dienstbaren Atem,

    der noch halbwegs getreu ist.

    Um meinetwillen geschieht das nicht,

    ich würde auch links wie im Schoße Gottes

    erwachen ohne zugrunde zu gehn

    und Blei oder Strohhalme kauen.

    Du aber, der du im Beinhaus wohnst

    und das Öl der ewigen Ampel verzehrst,

    du mußt dich unter den Lungenflügeln

    insgeheim über die Grenze bringen

    ins Land, das noch nichts von der Sündflut weiß

    und wo der Mond noch nie aufging.

    KERSTIN HENSEL

    Ortschaft

    für C. Lavant zum 100. Geburtstag

    Ich verlege die Ortschaft nicht mehr

    Von links nach rechts Noch und noch

    Finden wir uns

    In gedengelten Welten des Glaubens

    Aber mein Gott

    Brät mir keine Sünden über

    An allen Früchten vergehe ich mich ungestraft Ein Kerl

    Kommt und sagt er sei ein Kerl

    Das ist das ganze Geheimnis

    Ich habe keinen dienstbaren Atem für irgendwen

    Und kein Begehr mich über Gnade zu freuen

    Verlegte Ortschaft: mein Kopf darin

    Haut die Sense links rechts

    CHRISTINE LAVANT

    Versuche den winzig gewordenen Mond

    aus dem Himmel zu blasen.

    Dein Atem reicht nicht einmal dafür noch aus!

    Wie willst du dann die aufgeloderte Sonne

    über deinem Herzen kühler machen

    oder gar sie verschieben?

    Sage zu deinem Herzen, daß früher oder später

    alle Hexen verbrennen müssen.

    Auch die guten entgehen dem Feuer nicht,

    weil Gott ihre magische Asche braucht,

    um seine Erwählten damit zu salben.

    Sage, er haßt diese Asche nicht,

    weil sie trotz allem aus Unschuld kommt

    und vielen gemeisterten Leiden.

    Lehre, wenn du jetzt Atem holst,

    dein Herz in die Mitte der Sonne treten

    und tilge gänzlich aus deinem Blut

    den Namen der Hölle.

    Niemand glaubt dir das Wort –;

    und das, was dich brennt,

    weiß allein seinen eigenen großen Namen,

    der erschütternder ist als alle Zeichen am Himmel.

    ARNE RAUTENBERG

    versuch über den winzig gewordenen mond

    wie kleinlaut sich die tage neigen

    die sichel ab und zu

    nen kopf rollen lässt

    was bleibt? ich kenne einen

    der sammelt rituelle schädelschalen von menschen

    für menschen beschnitzt

    mit skeletten feuer knochen

    und aasfressern dunkel ist diese kapala

    vom jahrhundertealten grind

    bitte um eine handvoll reis

    bitte um eine handvoll sterne

    am nachthimmel bettelnde hände

    der unaufhaltsame tag beginnt

    der nächste innere shitstorm

    will überstanden sein weil

    ich nicht bei mir bin

    aus niederlagen siege mache

    kann ich nicht bei dir sein

    zurück am nachthimmel der einschlafhammer

    benutzt du nicht zu große worte?

    ich lese sie auf (wie reiskörner)

    du öffnest derweil die letzte matroschka

    und von der seele bleibt nurmehr ein see

    (spiegel des anderen)

    CHRISTINE LAVANT

    Herbst

    In den feuchten Gründen

    Wogen Nebelschleier

    Sturmgepflügte Blätter

    Wirbeln um den Weiher

    Durch die Wolkenfetzen

    Brechen Sonnenstrahlen,

    Jene letzten, schönen,

    Die so golden malen

    Und die Wipfel schweigen

    Und die Bäume neigen

    Lebensmüd ihr Haupt.

    Schweigend liegt ringsum das graue Land

    Der Regen nur rauschet sein Lied

    Ein Frösteln die Fluren durchzieht.

    Die triefenden Zweige hängen so müd

    Gealtertes Laub sie umfällt.

    Gar vieles liegt in dem ewigen Lied,

    Das der Regen den Fluren erzählt.

    Drum schweigen sie auch so unentwegt

    Und wollen nur hören und lauschen,

    Was alles der Regen hineingelegt

    In sein melancholisches Rauschen.

    HANSJÖRG SCHERTENLEIB

    Herbst – reloaded

    Regen Regen

    nichts als Regen

    das ewig gleiche Lied

    seit ungezählten Tagen

    Am Kamm des Hügels

    ziehen Schafe

    Müd die Büsche

    Müd die Bäume

    ihre Äste schreiben Worte

    auch wenn sie keiner

    jemals lesen wird.

    Schweigend liegt ringsum das graue Land

    Den Dohlen reicht der Himmelsstreif

    uns ihre Künste vorzuführen.

    Im Flur aus Gras steht schon die Nacht

    sie wartet still jedoch auf wen?

    Ein dunkles Rauschen

    steht in unsren Köpfen.

    Der Weiher wird zum Spiegel

    der Wald zum lichten Dom

    die Äste liegen wie Gebein doch

    durch die Wolkenfetzen schimmert: nichts.

    SILKE ANDREA SCHUEMMER

    Kreuzaufladung

    für Christine Lavant

    Krummbucklig ich

    die Nachzehrerin die Zeterin zertretene

    heb ich Krumen klaub sie auf

    Finsterung Behausen in den Klauen

    Krumm vor Krumenbuckelei mein Wiedergang

    das Wiederverhängnis am Gängelband

    die Kreuzwegbeugung leinengleich geführt

    stellvertretend hebt das Bücken nichts

    Bleibt das Kummerbündnis hier zu glauben

    dass im Scharren nur ein Knöchel

    von der andren Seite nach mir greift

    dass mir ein Keimling zustößt

    wie Gewölbe diese Wurzel mich durchschlägt

    dass sich vielleicht

    auf allen Vieren eine Hand mir reicht

    STEFFEN POPP

    Hunde und Schlitten

    Hunde und Schlitten gleit ich durch Abendliche

    über Städte die auch in der Luft sind – herleuchten –

    eine Steinform

    und in der Luft

    auf der Gegenschräge, Sangskrümme, schwebend

    die Kartause, kübelnder Napf, den die Getriebene

    glänzend, gescheuerte

    Leere, dem Firmament hinstellt

    Kanülen durchfährt sie, gelöste, krampfende Glieder

    Spinnlein, in deren Schwebespur Tropfen hängen

    Demante, ein erdnahes

    Licht- und Tropentandem

    auf der Gegenschräge, mit Glockenfüßen – Gott –

    Treten, schwarz radelt ET im Mond über Hollywood

    das blanke Rasiermesser

    wo er Auge ist blickt nichts

    Hunde und Schlitten gleit ich durch Abendliche

    mir Komplizierte, sie zwinkern, ich übertrete, -kufe

    aber das ist wie Meere

    glätten mit Menschenhänden

    II

    CHRISTINE LAVANT

    Wie pünktlich die Verzweiflung ist!

    Zur selben Stunde Tag für Tag

    erscheint sie ohne jede List

    und züchtigt mich mit einem Schlag.

    Dann stieben Funken um mich her,

    mein Herz ruft alle Engel an,

    der Himmel aber ist ein Meer

    und Jesu treibt in einem Kahn

    sehr weit am andern Rand der Welt,

    dort, wo die Helfer alle sind,

    und meine letzte Hoffnung bellt

    am Ufer durch den Gegenwind.

    Ich spür dann, daß mich niemand hört,

    und sammle still die Funken ein,

    mein Herz – das knisternd mich beschwört –

    wird nach und nach zum Feuerstein.

    RAPHAEL URWEIDER

    ich nehme eine zeile mit nur eine zeile

    auf eine reise und behalte sie ganz weise

    nur für mich und teile sie nicht teile

    nichts an keinem ort wo ich verweile

    auf meine weise lese ich dann diese zeile

    und frage mich nicht wer und wessen

    und ob ich atem hätte diesen mond vergessen

    zu machen oder sonnen zu vermessen

    ein atmen ist ja an sich ein geschenk

    wie auch das leben jedes gelenk

    jede bewegung nicht selbstverständlich

    und jede geduld ist wie alles endlich

    Wie pünktlich die Verzweiflung ist!

    zur blauen

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