Immortale - Nachtfalke und Hexenmeister
By Simon Rhys Beck and Florine Roth
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About this ebook
Was als vermeintliche Strafaktion beginnt, wird für den Vampir Falcon Hunter und den Magier Timothy Storm zur Bewährungsprobe.
Statt in die Mentorenrolle für den jungen Lord Blackwood zu schlüpfen, erliegt Timothy bald seiner Anziehungskraft.
Und auch der unnahbare Falcon Hunter scheint sein Herz verloren zu haben - unglücklicherweise an die hübsche Schwester des Lords, die keinen Wert auf gesellschaftliche Konventionen legt. Lady Elisabeth kann keinem Geheimnis widerstehen und ist fasziniert von der düsteren Schönheit des Vampirs. Doch in der Dunkelheit lauert eine unberechenbare Gefahr.
Können die beiden Männer die Geschwister Blackwood schützen?
Gay and straight paranormal romance
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Book preview
Immortale - Nachtfalke und Hexenmeister - Simon Rhys Beck
Immortale
Nachtfalke und Hexenmeister
Simon Rhys Beck &
Florine Roth
Impressum
© dead soft verlag, Mettingen 2011
http://www.deadsoft.de
Bildrechte:
© CURAphotography – fotolia.com
© Nejron Photo – fotolia.com
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode/com
3. Auflage 2015
ISBN 978-3-934442-78-8
ISBN 978-3-943678-94-9 (epub)
Dieser Roman ist Fiktion. Orte und Personen sind frei erfunden.
Prolog
Und in diesem Jahr versammelten sich Bluttrinker und Hexenmeister auf Blackwood Manor, und sie begingen widernatürliche Rituale zur Weihung des neuen Herrn von Blackwood. Wie bereits sein Vater stimmte er zu. Ein gewaltiger Sturm zog auf, der Bäume entwurzelte, und das Meer in Aufruhr brachte. Es war, als zürnte Gott ob dieses unheiligen Paktes.
B.W., „Mystische Begebenheiten rund um Blackwood"
Kapitel 1
Timothy Storm stand am großen Fenster des prächtigen Landsitzes und starrte in den schwarzen, sternlosen Nachthimmel. Er fühlte sich unwohl, was zum einen sicher an seinem Auftrag lag, zum anderen daran, dass hier an diesem idyllischen Ort irgendetwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht.
Er ließ seine Gedanken schweifen, gab ihnen so viel Raum, wie er gerade verkraften konnte, und stützte sich mit einer Hand am Fenster ab. Er war geübt darin, in anderer Leute Gedanken einzudringen, trotzdem überraschte es ihn, dass auch Falcon in seinem Kopf auftauchte. Oder er in Falcons Kopf, je nachdem, wie man es betrachtete.
Falcon Hunter, der erste Knight der Immortale, seit ungefähr siebzig Jahren sein Partner und eine Art Mentor. Ein Freund? Das wusste er manchmal selbst nicht. Es verband sie etwas sehr Starkes, seitdem Falcon ihn als kleinen Knaben aufgelesen hatte. Damals war er nicht mehr als ein kleiner trotziger Junge gewesen, der seine Magie wahllos und ohne jeden Plan einsetzte. Er hatte keine Ahnung, wer seine Eltern waren, aber die Menschen, bei denen er gewohnt hatte, hatten ihn versteckt. Aus Angst vielleicht, er war schließlich anders, ein kleiner Hexer mit feuerrotem Haar und dem feinen Gesicht eines Elben. Jetzt, siebzig Jahre später, sah er aus wie ein etwa zwanzigjähriger junger Mann – Magier alterten extrem langsam. Doch sie waren nicht unsterblich wie die Bluttrinker.
Und noch immer beherrschte er die Magie nicht vollständig, ein Umstand, den er oft als demütigend empfand, vor allem, wenn Falcon sich darüber lustig machte. Er seufzte lautlos. Falcon war verärgert, das spürte er. Viggo, der Herrscher der Immortale, und er waren heftig aneinander geraten, bevor Viggo ihm diesen Auftrag erteilt hatte. Und so empfand er Viggos Auftrag eher als persönliche Rache, eine Versetzung aufs Land. Timothy jedoch wusste, dass das nicht stimmte. Nichtsdestotrotz war Falcon wütend. Aber vielleicht stand es in Timothys Macht, ihn ein wenig milder zu stimmen?
Als er den Salon betrat, fand er Falcon ebenfalls am Fenster, er sah nach draußen. Offenbar hatte er dort etwas entdeckt, das seine Aufmerksamkeit erregte.
Falcon war ein beeindruckender Mann, groß, breitschultrig, mit schwarzen Haaren. Ein schwarzer Engel, teuflisch in seiner Schönheit. Timothy hatte sich immer zu ihm hingezogen gefühlt.
„Ein Reh", sagte Falcon leise zu sich selbst, gerade in dem Moment, als Timothy den Salon betrat.
Timothy grinste. „Charmant, dass du mich als Reh bezeichnest."
„Wenn ich dir Tiernamen geben würde, dann fielen mir zweifellos andere ein, mein Lieber", erklärte Falcon mit einem unüberhörbar ätzenden Unterton.
„Bist du verärgert, weil Viggo dich auf diesen Fall angesetzt hat?"
Kapitel 2
Falcon drehte sich langsam um und betrachtete den schmalen Mann, der ein Stück entfernt stehen geblieben war. Timothy war ein hübscher Kerl mit kurzen, roten Haaren und katzengrünen Augen. Er hatte ein freches Mundwerk und keinerlei Respekt. So war er gewesen, als sie sich kennengelernt hatten und so war er geblieben. Timothy besaß großes Potenzial, war allerdings als Magier oft unkonzentriert und chaotisch. Keiner der alten Magier hatte sich bereit erklären wollen, ihn unter seine Fittiche zu nehmen. Ein Fehler, fand Falcon, denn Timothy verfügte über große Macht. Er musste nur lernen, sie irgendwie zu kontrollieren. Und es gab natürlich ein anderes kleines Problem, was Timothys Magie betraf: Timothy war kein weißer Magier, er nutzte ebenso die Energien der Schwarzen Magie. Damit hatte die Loge der Magier ihn ohnehin ausgeschlossen, aber nicht die Immortale, die unsterblichen Bluttrinker. Bei ihnen hatte er unterkommen können, auch wenn er keiner der ihren war.
„Tim, kannst du mir vielleicht sagen, was ich hier auf dem Land, auf dieser gottverdammten Insel soll?"
„Deinen Auftrag kennst du besser als ich", behauptete Timothy.
„Du weißt genau, warum Viggo mich in diese Einöde geschickt hat!" Falcon erinnerte sich gut an die Auseinandersetzung mit dem Herrscher der Immortale. Und der ganze Ärger nur wegen der kleinen Sterblichen, die Falcon nicht einmal ernsthaft interessiert hatte. Einmal am falschen Hals geknabbert und schon wurde man abgesetzt und als Wachhund für dieses Blackwood Ritual abgestellt. Jeder Knight der Immortale hätte hier den Aufpasser machen können! Das war Viggos Rache gewesen, denn der wusste natürlich, dass sein erster Knight das Leben in den Städten, in den Metropolen vorzog.
Falcons Augen blitzten kampflustig, und er freute sich, als Timothy einen kleinen Schritt zurückwich. Das war schon ein Erfolg bei diesem respektlosen Wicht!
Der junge Magier zuckte mit den Schultern. „Ist doch ganz schön hier, du siehst das alles zu verbissen."
„Verbissen?", wiederholte Falcon. Sein Mund verzog sich zu einem wölfischen Grinsen. Ganz bewusst ließ er Timothy sein Raubtiergebiss sehen, und dieses Mal wich der junge Mann nicht zurück. Er kniff nur die katzengrünen Augen zusammen.
„Bist du hungrig?"
Einen Augenblick sahen sich die zwei unterschiedlichen Männer an, dann winkte Falcon ab.
„Ich frage mich manchmal, wer von uns beiden gieriger ist", murmelte er, wissend, wie sehr der Magier es genoss, wenn Falcon sich an ihm nährte. Darin unterschied er sich nicht von anderen Sterblichen. Natürlich gab es Bluttrinker, die es liebten, wenn ihre Opfer Angst empfanden, doch Falcon war ein Meister seines Fachs, und er wusste, dass Timothys in diesen intimen Momenten eine Lust spürte, die ihm sonst versagt blieb.
Timothy presste die Lippen fest zusammen. Er konnte es nicht leiden, wenn man seine Angebote ablehnte.
„Womit habe ich das verdient?", fragte Falcon und drehte sich wieder Richtung Fenster.
„Hör auf, mich so von oben herab zu behandeln."
„Solange du dich aufführst, wie eine zurückgewiesene ..."
„Sprich es nicht aus!", fauchte Timothy.
Manchmal ist er wie ein kleiner nerviger Bruder, dachte Falcon.
„Jetzt gib wenigstens zu, dass ich dir schon häufig aus der Klemme geholfen habe!", zischte Timothy.
Ein oder zwei Mal ...
„Du willst behaupten, dass ich dir in den letzten 70 Jahren nur ein oder zwei Mal geholfen habe?"
Falcon setzte ein scheinheiliges Gesicht auf. „Oh, habe ich wieder laut gedacht?"
„Laut genug", brummte Timothy und wandte sich ab, um zu gehen.
„Was wolltest du überhaupt bei mir?", fragte Falcon, ohne den jungen Mann anzusehen.
„Nichts."
Falcon beließ es dabei. Er kannte Timothy genug, um zu wissen, dass der nicht lange beleidigt sein konnte.
Erneut suchte er nach dem Reh – es, es war zwischen den dunklen Bäumen verschwunden.
Kapitel 3
„Lady Elisabeth, Euer Bruder ist soeben eingetroffen."
Elisabeth sprang auf, sodass ihr Stuhl beinahe umfiel, was ihr einen strafenden Blick ihrer strengen Gesellschafterin Roseanne einbrachte, die die Nachricht überbracht hatte. Roseanne achtete peinlich genau darauf, dass Elisabeth sich möglichst damenhaft benahm. Leider entsprach das nicht Elisabeths Wesen. Und manchmal bereitete es ihr diebisches Vergnügen, Roseanne absichtlich zu verärgern.
Sie drehte sich um. „Clare, hast du das gehört?" Elisabeths Gesicht strahlte, als sie ihre Zofe und beste Freundin ansah.
„Adrian ist da!"
Clare lächelte, in ihren Augen leuchtete es. „Ich habe es gehört."
„Ich gehe ihn begrüßen." Elisabeth machte sofort Anstalten, das Zimmer zu verlassen und Roseanne zu folgen, doch Clare hielt sie zurück.
„Vielleicht solltet Ihr Euch erst wieder vollständig anziehen? Adrian ist zwar Euer Bruder, aber ..." Sie bedachte Elisabeth mit einem skeptischen Blick.
Elisabeth sah an sich hinunter. Sie war erst eben von einem langen Ausritt zurückgekommen und hatte sofort ein Bad genommen. Das Unterkleid, das sie nun trug, offenbarte bei der richtigen Beleuchtung mehr als es verbarg.
Elisabeth lächelte verschmitzt. Nein, so wollte sie ihrem älteren Bruder wirklich nicht unter die Augen treten. Sie wurde ein wenig rot, lachte dann aber ausgelassen. Endlich hatte Adrian es geschafft, herzukommen! Sie freute sich so.
Natürlich, er hatte in London immer viel zu erledigen, und ihre Mutter bestand darauf, dass er ihr Gesellschaft leistete, doch in diesem Jahr hatte Elisabeth sich zum ersten Mal wieder gewünscht, die Saison über in London zu sein. Auch wenn sie düstere Erinnerungen an ihren letzten Aufenthalt dort hatte.
Sie hatte Adrian schrecklich vermisst, seinen Charme, seinen Humor. Wenn er weg war, fehlte Blackwood Manor einfach der Esprit, fand Elisabeth.
Von den aufregenden und vielleicht beunruhigenden Neuigkeiten in der Nachbarschaft wollte sie ihrem Bruder dann in aller Ruhe berichten.
Rasch zog sie sich an und ließ sich von Clare die Haare hochstecken. Dabei war sie so unruhig, dass Clare mehrmals von vorn beginnen musste. Und schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie sprang auf, nahm ihre Zofe bei der Hand und stürmte aus dem Zimmer.
„Wartet, nicht so schnell!", rief Clare und versuchte Schritt zu halten, indem sie mit einer Hand ihre Röcke raffte.
Elisabeth eilte im Laufschritt durch die Gänge und dann die große, mit dunkelrotem Teppich ausgelegte Treppe hinunter. Clare hatte bei dieser Geschwindigkeit längst aufgegeben und folgte ihr in einigem Abstand.
Und dann geschah es: Auf der letzten Stufe verlor Elisabeth das Gleichgewicht. Just in dem Moment, als sich Adrian ganz zu ihr umdrehte. Mit einem großen Satz war er am Fuße der Treppe und fing seine Schwester geschickt auf.
„Das ist ja ein stürmischer Empfang, Schwesterherz", lachte er.
Als Elisabeth sein warm klingendes Lachen hörte, schlang sie die Arme um ihn. Es war ihr egal, ob sich das nun gehörte oder nicht. Sie würde ohnehin immer das tun, was sie wollte!
„Schön, dass du da bist, Adrian", sagte sie, als ihr Bruder sie wieder auf beide Füße stellte.
„Ich freue mich auch, dich zu sehen, Lizzy. Und ich freue mich, London mal für eine Zeit lang nicht zu sehen."
Elisabeth schaute ihren Bruder überrascht an. Sie hatte gedacht, Adrian wäre gern in der Stadt. Sie betrachtete ihn eingehender. Adrian wirkte erschöpft, wenn nicht gar besorgt. Sie seufzte unhörbar. Hatte er Sorgen? Oder war er einfach nur müde von der langen Kutschfahrt? Elisabeth war nicht häufig in London gewesen, und sie hatte die Fahrten immer als sehr anstrengend empfunden. Und an ihre letzte Rückreise mochte sie sich gar nicht erinnern. Die Umstände, die zu ihrer überstürzten Abreise geführt hatten, waren mehr als unerquicklich gewesen. So hatte sie den ersten Teil der Reise im Schockzustand verbracht, den zweiten Teil wiederum fast ununterbrochen geweint.
Elisabeth verscheuchte diese Erinnerungen. Sie gehörten endgültig der Vergangenheit an, zumindest fast.
„Wie geht es dir, Kleine?", fragte Adrian, bevor sie sich erkundigen konnte.
„Es geht mir sehr gut, sagte Elisabeth lächelnd. Und das entsprach der Wahrheit. „Clare
, sie drehte sich um und sah ihre Zofe lächelnd an, „passt auf mich auf."
Clare errötete leicht und schaute verlegen zu Boden. Aber Adrian beachtete sie gar nicht. Ein Schatten huschte über sein Gesicht, und Elisabeth bereute ihre Wortwahl sofort. Sie wusste, was in Adrian vor sich ging. Einmal hatte er nicht auf sie aufgepasst, und die alten Schuldgefühle quälten ihn, das sah sie in seinem Gesicht.
Sie hob die Hand und berührte ihn kurz an der Wange. „Du brauchst dringend eine Rasur", sagte sie tadelnd, um ihn abzulenken.
Adrian lächelte. „Da hast du recht, Schwesterchen."
Während Adrian seine Sachen in sein Zimmer tragen ließ, gab Elisabeth der Köchin Anweisungen, ein reichhaltiges Abendessen vorzubereiten. Nach der langen Fahrt wollte ihr Bruder sicher ein warmes Bad und ein anständiges Essen. So war es immer gewesen.
Und es war überhaupt keine Schwierigkeit, selbst in der kurzen Zeit, ein schmackhaftes Abendmahl herzurichten. Es gab Suppe, Ei, Pastete und Fleisch, dazu getoastetes Brot. Elisabeth, die den ganzen Nachmittag an der frischen Luft gewesen war, hörte ihren eigenen Magen knurren, als sie den Geruch der leckeren Speisen wahrnahm.
Und so saßen sie zwei Stunden später im kleinen Speisesaal und aßen zusammen, nur sie und ihr Bruder. Clare war zwar Elisabeths Freundin, aber für Adrian würde sie immer eine Angestellte sein. Das tat Elisabeth leid, denn Clare schwärmte für Adrian. Elisabeth konnte das verstehen: Ihr Bruder war ein charmanter und sehr attraktiver Mann. Er war kultiviert, hatte ein fein geschnittenes Gesicht und seine sanften dunkelbraunen Augen besaßen eine irritierende Tiefe. Adrian war einfach ein Mann, dem die Frauen zu Füßen lagen.
Nach dem Bad hatte er sich frische Kleidung angezogen, und da er einen ausgesprochen guten Geschmack hatte, saß er nun mit seiner Schwester beim Abendessen und sah aus, als säße er in einem der vornehmen Herrenclubs, die er in London regelmäßig besuchte. Das graue, schmal geschnittene Jackett und die eng anliegende Hose saßen perfekt an seinem schlanken Körper.
Wenn sie allein waren, aßen die Geschwister grundsätzlich im kleinen Speisesaal, der gemütlich hergerichtet war. Elisabeth mochte die warmen Farben, Erd- und Rottöne an den Wänden, sie boten einen schönen Kontrast zum hellen Marmorboden. Nur wenn ihre Mutter zu Besuch auf Blackwood Manor war, was erfreulicherweise nicht allzu häufig vorkam, mussten sie im großen Speisesaal essen. Ihre Mutter wollte nicht auf den Prunk und Luxus verzichten, den dieser Raum bot, der für größere Gesellschaften konzipiert war.
Doch nach dem unglücklichen Tod von Lord Blackwood, Elisabeths und Adrians Vater, hatte ihre Mutter sich nicht mehr wohlgefühlt auf Blackwood Manor. Zu nahe war der Unglücksort, die Klippen, von denen Edward Kinney ins Meer gestürzt war. Das war vor fünf Jahren gewesen. Adrian und Elisabeth hatten sehr getrauert, ihr Vater war ihnen beiden immer näher gewesen als ihre Mutter. Aber von Adrian wurde Stärke erwartet, er hatte die Position seines Vaters einnehmen müssen. Er war nun für die Familie verantwortlich, und er hatte diese Verantwortung immer sehr ernst genommen.
Adrian schob sich ein Stück getoastetes Brot in den Mund und kaute genüsslich. Dann begann er von London zu erzählen, ohne dass Elisabeth ihn drängte. Er wusste natürlich, dass seine Schwester neugierig war.
Gespannt hörte sie zu, als Adrian ihr die neuesten Klatsch- und Tratschgeschichten berichtete. Sie ahnte, dass er immer darauf bedacht war, sie nicht an die schrecklichen Vorfälle von damals zu erinnern. Auch wenn sie ihm bereits mehrfach gesagt hatte, dass sie nicht aus Glas war und an diesem Vorfall nicht zerbrechen würde. Das Problem war nur: Adrian gab sich die Schuld. Er war nicht zur Stelle gewesen. Er hatte sie nicht beschützt.
„Und was macht Mutter?", fragte Elisabeth ohne wirkliches Interesse. Ihre Mutter war ihr immer fremd gewesen. Eine kühle, strenge Frau, die niemals Gefühle zeigte. So hatte Elisabeth ihre Mutter immer gesehen. Und nach dem Tod des Vaters hatte sie sich ganz zurückgezogen, ihre Gefühle vor niemandem preisgegeben.
„Sie geht auf in der Planung von Gesellschaften und derlei Schnickschnack. Herrschsüchtig wie eh und je versucht sie ständig, mich in ihren Bannkreis zu ziehen. Aber bisher habe ich mich gut gehalten."
„Es ist sicher schwierig, die Geschäfte unseres Vaters zu leiten und gleichzeitig mit Mutter um die Macht zu kämpfen."
Adrian lachte. „Was die Geschäfte betrifft, hält sie sich weitestgehend heraus. Sie interessiert sich nicht für Finanzgeschäfte, Immobilien und dergleichen. Es geht eher um mein Privatleben, in das sie sich einmischt."
„Bestimmt macht sie sich Sorgen, wegen eines Erbens", sprach Elisabeth ihre Vermutung aus. Adrians Lachen verstummte abrupt.
„Ist das vielleicht der Grund, warum du London verlassen hast? Geht es um eine Lady?" Sie sah ihn neugierig an.
Adrian seufzte. „Wenn es so einfach wäre."
Elisabeth war versucht, ihn weiter mit Fragen zu löchern, doch sie wusste, dass das keinen Sinn hatte. Er würde sich nur zurückziehen, und das wollte sie nicht. Es würde sich eine andere Gelegenheit ergeben, weiter nachzuforschen. Sie ging fest davon aus, dass es Liebesdinge waren, die ihn so überraschend nach Blackwood Manor hatten zurückkehren lassen.
„Was ist denn hier in der Zwischenzeit passiert?", wollte Adrian wissen und goss sich ein weiteres Glas Wein ein.
Elisabeth bat Glanwill, den Butler, um eine neue Tasse Tee. Jetzt konnte sie endlich mit ihren Neuigkeiten herausrücken. „Weißt du noch, wie wir damals immer zu diesem alten Landsitz gelaufen sind?"
Das Livingston Anwesen. Sie hatten es immer ‚das Spukschloss’ genannt, weil es aussah wie eine kleine Festung. Eine Zeit lang war es unbewohnt gewesen, und aus irgendeinem Grund hatten Lord und Lady Blackwood es für sinnvoll gehalten, ihren Kindern das Betreten des fremden Grundstücks nicht nur zu untersagen, sondern dieses auch mit drastischen Strafmaßnahmen zu unterstreichen.
Elisabeth lachte leise. „Kannst du dich daran erinnern, wie wir dort herumgeschlichen sind?"
Adrian zog eine Grimasse. „Ich erinnere mich ganz dunkel an den alten Earl of Livingston und an die merkwürdigen Gerüchte im Zusammenhang mit seinem Tod. Aber am besten kann ich mich an die Tracht Prügel erinnern, die ich einstecken musste, als herauskam, dass wir uns dort aufgehalten hatten. – Wie kommst du ausgerechnet jetzt auf Livingston Manor?"
„Hast du es nicht gehört? Offenbar gibt es jetzt einen neuen Lord Livingston. Die Burg ist wieder bewohnt."
Adrian war sichtlich überrascht. „Das ist tatsächlich eine Neuigkeit. Hast du den neuen Earl bereits kennengelernt?"
Elisabeth schüttelte den Kopf. Leider nicht. „Vielleicht solltest du morgen hinreiten, um herauszufinden, wer unser neuer Nachbar ist. Mich würde das zumindest interessieren."
Adrian lächelte seine Schwester an. „Das glaube ich sofort, und wahrscheinlich hast du recht. Wenn es das Wetter zulässt, werde ich mich morgen auf den Weg machen, um den neuen Lord Livingston willkommen zu heißen."
Und damit war das Thema für Adrian erledigt.
Aber für Elisabeth nicht, die Gedanken klangen noch lange nach in ihr. Seit Tagen hatte sie immer wieder an den Lord gedacht, ihren neuen Nachbarn. Aus irgendeinem Grund ließ sie das Thema nicht los. Dazu kamen natürlich die Gerüchte, die sich um Lord Livingston rankten.
„Wie er wohl ist, der neue Lord", sagte sie zu Clare, als sie an diesem Abend vor dem Spiegel saß und Clare ihre langen Haare ausbürstete.
„Ihr solltet Euch nicht allzu sehr mit ihm beschäftigen", murmelte Clare und sah Elisabeth im Spiegel an.
„Du weißt etwas, nicht wahr? Elisabeth drehte sich um. „Etwas Neues? Etwas Geheimnisvolles?
„Ich habe etwas gehört, und zwar nichts Gutes. Die Leute im Dorf sagen, Livingston sei ein unheimlicher Kerl, der oft im Dunklen unterwegs ist. Und dabei soll er schön sein wie ein gefallener Engel. Wisst Ihr, das bringt die alten Geschichten und Gerüchte um Blackwood wieder zum Brodeln. Livingstons Cousin scheint übrigens ebenfalls dort zu wohnen. Auch so ein komischer Vogel, hab ich gehört. Sie seufzte und zuckte dann mit den Schultern. „Euer Bruder sah müde aus, nicht wahr?
Elisabeth nickte ein wenig abwesend. Ihre Gedanken kreisten um Lord Livingston. „Die Fahrt ist immer anstrengend, und ich weiß nicht, ob Adrian das Leben in der Stadt bekommt. Vielleicht ist er vor einer aufdringlichen Lady davongelaufen."
Clare unterdrückte ein Kichern. „Warum sollte er davonlaufen?"
„Ich weiß, du würdest sicher nicht davonlaufen! Und schon gar nicht vor Adrian ..." Sie lächelte, als sie sah, dass ihre Freundin rot wurde.
„Vielleicht ist er nur knapp einem wütenden Ehemann entkommen?"
„Glaubt Ihr, Euer Bruder wäre vor einem Duell geflohen?" Mit hochgezogenen Augenbrauen fuhr Clare fort, ihre Haare zu bürsten.
„Nein, leider nicht. Er würde niemals davonlaufen." Elisabeth seufzte. Adrian war ein hervorragender Fechter und ein guter Schütze. Er selbst hatte sie das Schießen und den Umgang mit verschiedenen Feuerwaffen gelehrt, da er die Meinung vertrat, dass Frauen in der Lage sein mussten, sich selbst zu verteidigen.
Und dann waren ihre Gedanken wieder bei dem neuen, mysteriösen Lord Livingston, den keiner kannte und der so plötzlich, wie aus dem Nichts, aufgetaucht war. Ein echtes Geheimnis. Und Geheimnisse hatten sie von jeher fasziniert.
Kapitel 4
„Lord Blackwood wünscht Euch zu sprechen, Sir", sagte Longfield, als er nach einem kurzen Klopfen eingetreten war. Falcon drehte sich langsam um und musterte den alten Butler, während er sich fragte, ob dieser wusste, wem er diente.
Longfields Ankündigung war allerdings überflüssig. Falcon hatte schon vorher gespürt, dass ein Fremder auf einem Pferd gekommen war. Er hatte beide Herzen vorher schlagen hören. Nun lernte er also Lord Blackwood kennen. Schön, dass der junge Lord sich auf den Weg zu ihm gemacht hatte, denn immerhin war es seine, Falcons, Aufgabe ihn zu schützen.
„Führt ihn herein", wies er Longfield an, nachdem er in Gedanken kurz überprüft hatte, ob er angemessen gekleidet war.
Mit forschem Schritt betrat Lord Blackwood Falcons Bibliothek. Er war ganz ruhig, sein Herz schlug nicht schneller, als er Falcon erblickte. Ein gutes Zeichen, fand Falcon und musterte den Neuankömmling interessiert.
„Lord Blackwood."
„Lord Livingston, nehme ich an. Mein Name ist Adrian Kinney."
„Falcon Hunter." Die beiden Männer grüßten sich lediglich mit einem höflichen Nicken.
Blackwood hatte eine angenehm kultivierte, sanfte Stimme. Aber Falcon vermutete einen eisernen Willen hinter dieser zur Schau gestellten Sanftheit. Und irgendetwas anderes war da, was er bemerkte. Er konnte es nur noch nicht greifen. In diesem Moment hätte er gern über die Fähigkeit des Gedankenlesens verfügt, die jedoch nur wenige Immortale besaßen – er gehörte leider nicht dazu.
„Ich hörte, dass Ihr das Erbe Eures ..." Blackwood sah ihn fragend an.
„Großonkels", half Falcon nonchalant aus.
„... Großonkels angetreten habt. Ich hatte vermutet, dass es gar keinen Erben gibt, so lange, wie das Anwesen leer stand."
„Ich war lange in Übersee und dann auf dem Festland", erklärte Falcon ausweichend und versuchte sich an einem beruhigenden Lächeln. Aber er sah an Blackwoods Augen, dass es eher ein Zähnefletschen geworden war. Der hatte sich allerdings gut im Griff, er wich keinen Schritt zurück.
Es gab Menschen, die reagierten mit panischer Flucht auf ihn. Blackwood hatte erstaunlich starke Nerven.
„Einen Drink?"
„Gern." Blackwood nahm das Angebot an. Er sah sich offen um, und das gab Falcon Gelegenheit, ihn genauer in Augenschein zu nehmen.
Lord Blackwood war wohl das, was man einen Dandy nannte, zumindest was sein Äußeres betraf. Er hatte gepflegte kurze Haare, war von schlanker, durchtrainierter Statur und modisch gekleidet.
„Ihr kommt gerade aus London?", fragte Falcon, als er Blackwood seinen Brandy reichte.
Adrians Hand umklammerte das Glas ein wenig zu fest, wie Falcon innerlich lächelnd feststellte.
„Ja, ich war länger in der Stadt, aber von Zeit zu Zeit muss ich hier auch nach dem Rechten sehen."
Falcon hob leicht sein Glas und nippte