Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita: Gesellschaftliches Engagement von Kindern fördern
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Raingard Knauer
Raingard Knauer ist Professorin für Pädagogik, Sozialpädagogik und Kindheitspädagogik an der Fachhochschule Kiel, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit. Sie ist Gründungsmitglied des Instituts für Partizipation und Bildung e.V. Arbeitsschwerpunkte: Erziehung und Bildung in Kindertageseinrichtungen, Partizipation von Kindern und Jugendlichen, Konzepte hochschulischer Bildung.
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Book preview
Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita - Raingard Knauer
zusammengefasst.
Warum eine frühe Förderung gesellschaftlichen Engagements notwendig ist
Gesellschaftliches Engagement bietet viele Potenziale - für das Subjekt, für die Gesellschaft und für die Demokratie. Dieses erste Kapitel beinhaltet eine theoretische Annäherung an den Begriff, beschreibt die Bedeutung von Engagement für Bildungsförderung, begründet die Notwendigkeit, Kindertageseinrichtungen als demokratische Orte zu gestalten, arbeitet Zusammenhänge zwischen Engagement und Zivilgesellschaft sowie Potenziale von Engagementförderung heraus und gibt erste Hinweise auf eine solche Förderung in Kindertageseinrichtungen.
Annäherungen an den Begriff »gesellschaftliches Engagement«
Um den breiten Begriff des gesellschaftlichen Engagements konkreter fassen zu können, soll hier zunächst geklärt werden, was damit überhaupt gemeint ist. Anders als das traditionelle Ehrenamt verweist »gesellschaftliches Engagement« oder »bürgerschaftliches Engagement« auf die aktive Mitgestaltung der Gesellschaft und die Vielfalt der Engagementformen. Die folgende Definition orientiert sich an der Begriffsbestimmung der Enquete-Kommission zur Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements (vgl. Deutscher Bundestag 2002: 38f.) und an der Definition, die dem Projekt »jungbewegt - Dein Einsatz zählt.« der Bertelsmann Stiftung zugrunde liegt (vgl. Meinhold-Henschel 2010: 51).
Gesellschaftliches Engagement
- ist freiwillig
- ist gemeinwohlorientiert
- verfolgt einen Eigensinn und dient auch der Realisierung eigener Interessen
- findet im öffentlichen Raum statt
- ist nicht auf materiellen Gewinn gerichtet
- wird in der Regel gemeinschaftlich ausgeübt
- greift gesellschaftliche Anliegen auf und macht sich zu deren Anwalt
- umfasst demokratisches Mitentscheiden und Mithandeln
Im Folgenden werden die Elemente dieser Definition genauer ausgeführt und auf Kinder und Kindertageseinrichtungen bezogen: Gesellschaftliches Engagement von Kindern...
... ist freiwillig
Gesellschaftliches Engagement kann nicht verordnet werden
Engagement für sich und andere kann Kindern nicht verordnet werden. Freiwillig bedeutet, dass man selbst entscheiden kann, ob, wofür und wie man sich engagieren will. Ohne Freiwilligkeit würde Engagement zum Zwangsdienst. Das Engagementinteresse der Kinder ist breit. Es reicht vom Mithandeln-Wollen bei einfachen Verrichtungen im Alltag (»Tisch decken«) bis zum Engagement für spezifische Interessen (»Delfine retten«).
Kinder fragen häufig den ganzen Tag: »Kann ich mitmachen?« oder »Kann ich helfen?«. Was für Erwachsene oft eher mühsam ist (den Tisch decken, die Geschirrspülmaschine ausräumen, die Einladungen für das Sommerfest zur Post bringen), empfinden Kinder als eine hochinteressante Tätigkeit. Hier mithandeln zu dürfen, heißt für sie, wichtig zu sein. Aber wenn diese Tätigkeit zur Pflicht wird, verlieren sie schnell das Interesse.
... ist gemeinwohlorientiert
Etwas für sich tun und etwas für andere tun, hängt zusammen
Gesellschaftliches Engagement hat immer einen Bezug zur Gemeinschaft - von einer aufeinander bezogenen Gruppe bis zur kommunalen Gemeinde -, in der es stattfindet. Sich für das Gemeinwohl zu engagieren, bedeutet, über die eigenen Interessen hinaus Mitverantwortung für das Wohl aller zu übernehmen - auch wenn dies zu ausgewählten Themen geschieht. Gesellschaftliches Engagement ist nicht egoistische Durchsetzung von eigenen (oder gruppenspezifischen) Interessen, sondern beruht auf einem Bewusstsein darüber, dass man in einer »Gesellschaft« lebt, in der Interessen und Bedürfnisse so ausgeglichen werden müssen, dass ein Nutzen für alle entsteht. Damit ist jedoch kein reiner »Altruismus« gemeint, also ein Handeln, das eigene Interessen zugunsten anderer (völlig) zurückstellt, sondern im gesellschaftlichen Engagement haben auch Eigeninteressen ihren Platz. Denn: »Wer sich selbst nicht wichtig ist, kann auch nicht für andere sorgen, für andere Verantwortung übernehmen« (Deutscher Bundestag 2002: 39).
Gesellschaftliches Engagement ist also ein Handeln, das mitverantwortlich auf das Wohl anderer und aller zielt, aber dabei ebenfalls Motive und Interessen des Individuums erfüllt. Wer etwas für andere und mit anderen tut, hat auch selbst etwas davon. Kinder handeln schon von sich aus so: Sie helfen anderen, machen Verbesserungsvorschläge, setzen sich für Gerechtigkeit ein, entfalten persönliche Interessen, von denen auch andere Kinder profitieren. Sie entwickeln ein Verständnis für die soziale Gemeinschaft ihrer Gruppe und der Kindertageseinrichtung. Sie tun etwas für diese Gemeinschaft und stellen damit die Frage, was denn für alle gut ist.
Was gut für das Gemeinwohl ist, liegt jedoch nicht von vornherein fest. Was jeweils das Gemeinwohl ist und welches Engagement ihm wie nutzt, wird in pluralistisch-demokratischen Gesellschaften permanent in gesellschaftlichem Agieren, öffentlichem Streiten und Diskutieren ausgehandelt.
Dieser Prozess spielt sich auch in Kindertageseinrichtungen ab. Gesellschaftliches Engagement beinhaltet hier ebenfalls ein ständiges Aushandeln darüber, was die Einzelnen brauchen und wollen und wie man zu Lösungen kommt, die für alle annehmbar sind.
Das Außengelände soll neu gestaltet werden. In die Planung sollen im Rahmen einer Zukunftsvverkstatt auch die Kinder einbezogen werden. Dass es unterschiedliche Interessen gibt, wird schon in der Kritikphase deutlich. Die Kinder »diktieren« den Erwachsenen, was sie am bestehenden Außengelände gut bzw. schlecht finden. Als die auf Karten gesammelten Ideen im Gruppenraum an Pinnwänden aufgehängt werden, wird den Kindern deutlich: Verschiedene Kinder bewerten die bestehenden Spieimöglichkeiten unterschiedlich. Was die einen gut finden, finden andere schlecht. So erkennen die Kinder, dass es verschiedene gleichberechtigte Interessen gibt. Im weiteren Verlauf der Zukunftswerkstatt erleben sie auch, wie man trotzdem zu Lösungen kommt, die alle akzeptieren können.
... verfolgt einen Eigensinn und dient der Realisierung eigener Interessen
Gesellschaftliches Engagement beinhaltet immer eigene Interessen und die eigene Art, sich zu engagieren
Dass sich Menschen für ihre Gemeinschaft engagieren, hat ganz unterschiedliche Motive. Die Meinung, als gesellschaftliches Engagement könne nur selbstloses Helfen (Altruismus) verstanden werden, gilt als überholt. Man geht heute davon aus, dass gesellschaftlichem Engagement auch eigennützige Motive zugrunde liegen. Häufig verbinden Engagierte beide Ideen: Sie wollen mit ihrem Handeln etwas für sich und gleichzeitig etwas für andere tun. Die Förderung gesellschaftlichen Engagements erkennt das Eigeninteresse als berechtigt und hilfreich auch für das Gemeinwohl an.
Damit hat gesellschaftliches Engagement immer auch einen Eigensinn - sowohl hinsichtlich dessen, warum sich Menschen engagieren, als auch in Bezug auf die Art und Weise, wie sie dies tun. Auch Kinder engagieren sich aus ihren Interessen heraus und auf ihre eigene Art und Weise. Dabei ändern sich die Motive sowie die Art und Weise des Engagements mit den Kindern (mit jedem neuen Kind kommen neue Interessen hinzu) und auch für die Kinder (was für jedes einzelne Kind interessant ist, verändert sich ebenfalls).
Aline und Janine interessieren sich seit einiger Zeit sehr für Pferde. Sie beschweren sich, dass es nicht genug Bilderbücher zu diesem Thema in der Kita gibt. Jetzt gehen sie einmal pro Woche mit der Erzieherin in die öffentliche Bücherei und leihen dort Bücher über Pferde aus, die ihnen und vielen anderen Mädchen gefallen. Aber einige Kinder beschweren sich: Sie wollen nicht immer nur Pferdebücher anschauen. Gemeinsam wird überlegt, wie man die unterschiedlichen Interessen berücksichtigen kann. Die Kinder kommen auf die Idee, die Bibliotheksgruppe zu erweitern. Aline und Janine bleiben die Pferdespezialistinnen, andere Kinder setzen andere Schwerpunkte. Aber auch das Interesse von Aline und Janine kann sich wieder ändern - und damit verändern sich auch die Inhalte ihres