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Indisches Liebesleben
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Indisches Liebesleben

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Indien ist ein riesiges Land, das, ungefähr halb so groß wie ganz Europa, unserem Erdteil an Einwohnerzahl fast nahe kommt. Heiß brennt die Sonne über Indien, und unter ihrer Glut wächst alles rascher; das Wunderland, wie es gerne genannt wird, hat in seinem Liebesleben so viele, so bunte und auch so grelle Farben, worüber hier berichtet werden soll.
LanguageDeutsch
PublisherAllpart Media
Release dateMay 8, 2014
ISBN9783862145324
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    Indisches Liebesleben - Dr. B. Werner

    Impressum

    Nach der Ausgabe von

    Peter J. Oestergaard Verlag, Berlin-Schöneberg

    eISBN 978-3-86214-532-4

    © 2014 Allpart Media GmbH, Berlin

    Umschlaggestaltung: Verlag

    Mehr Informationen zur Reihe Allpart erotica unter

    www.olympia-press.de

    Dr. B. Werner

    Indisches

    Liebesleben

    Vorwort

    Die Liebe bildete zu allen Zeiten einen Gegenstand ernsten Nachdenkens, religiöser, philosophischer, medizinischer und auch rechtswissenschaftlicher Betrachtung. Geradezu selbstverständlich ist es, daß die beschreibende Völkerkunde nicht über diesen Gegenstand hinwegsehen konnte, sondern ihn bei der Schilderung von Land und Leuten stets mit in den Kreis ihrer Beobachtungen zog.

    Indien, das Wunderland, wie es gerne genannt wird, hat in seinem Liebesleben so viele, so bunte und auch so grelle Farben, daß man sich nicht wundern braucht, wenn über diesen Gegenstand bereits sehr viel geschrieben und berichtet worden ist.

    Vorliegendes Buch soll nun aus der gewaltigen Literatur einen bescheidenen Auszug geben, gerade groß genug, um die Leser über die Hauptmomente des indischen Liebeslebens in aufklärende Kenntnis zu setzen.

    Berlin-Charlottenburg, im Herbst 1928.

    Der Verfasser.

    ERSTES KAPITEL

    Indien, das Wunderland. – Völkergemisch und Glaubensunterschiede. – Das männliche und das weibliche Kind. – Das Kind im indogermanischen Völkerkreis und in Indien. – Kindermorde und Kinderopfer. – Woher die Kinder kommen. – Die Seele des Kindes. – Zwillings- und Mehrgeburten. – Geburtssagen.

    Aus unseren Kindheitserinnerungen wird uns wohl kein Märchenbuch mit Geschichten aus dem Orient bekannt sein, in dem nicht Indien und Schilderungen aus Indien, von Indiens Pracht, von Indiens Wundern vorkommen. Der Zauber, der über diesem Lande, richtiger gesagt, über diesen Ländern liegt, er hielt viele von uns auch in späteren Jahren gefangen. Ja selbst dann, als das grausame Leben alle Märchen in uns und um uns zerstört hatte, waren es die indische Philosophie, die buddhistischen Heilslehren, die manchem als Wegweiser zu einem neuen innerlichen und zuweilen recht phantasievollem Leben dienten.

    Wer nicht selbst Gelegenheit hatte, Indien zu sehen, lernte es aus Büchern, aus Zeitungen und Zeitschriften, aus Vorträgen und aus Schaustellungen kennen. Lernte es von verschiedensten Seiten aus diesen angeführten Quellen kennen: von der religiösen, der mystischen, der allgemein völkerkundlichen und – in neuester Zeit – auch sehr viel von der sozialen und politischen Seite. Fakirkünste, die im Varieté nicht nur die Schaulust sondern zuweilen sogar wissenschaftliches Interesse anregen, tragen dazu bei, die alte indische Märchenwelt auch dem der Kindheit Entwachsenen lebendig zu erhalten.

    Um sich jedoch von Indien eine richtige Vorstellung zu machen, dazu gehört nun ein ziemliches Maß von Kenntnissen; denn Indien ist nicht ein Land wie etwa England oder Japan, das von einer ziemlich gleichartig gewordenen Bevölkerung bewohnt ist: Indien ist ein riesiges Land, das ungefähr halb so groß wie ganz Europa ist und unserem Erdteil an Einwohnerzahl fast nahe kommt. Indien umfaßt sehr viele Staaten, sehr viele Völker, sehr viele Arten der Gottes- oder der Götterverehrung, deren Formen, durch hunderte von Sekten und deren Abstufungen voneinander unterschieden, die Bewohner Indiens, zuweilen in einer in anderen Ländern ganz unbekannten Art, so sehr beeinflussen, daß ihr gesamtes soziales Leben, das häusliche, gewerbliche, politische, in stärkstem Maße davon abhängt.

    Da nun das alte und so wahre Wort Schillers, daß Hunger und Liebe die Welt regieren, noch nichts von seiner Geltung verloren hat, so bedeutet das für Indien, daß eben die indische Welt in der Art regiert wird, wie man dort liebt und ißt. Oder – es ist leider eine oft wiederkehrende Tatsache – wie man dort liebt und hungert.

    Heiß brennt die Sonne über Indien, und unter ihrer Glut wächst alles rascher, verdorrt alles rascher. Auch für die Menschen und für die Liebe trifft das zu und zumal für die Frau, die Trägerin der Liebe.

    Man sagt, das Wesen der Frau sei in der Hauptsache Mütterlichkeit. Wie weit das auf die zivilisierten Völker des Abendlandes zutrifft, mag dahingestellt bleiben: die moderne und modernste Zeit mit ihren Ausartungen in Moden, Vergnügungen und auch im Arbeitszwang, in den die Frauen immer mehr hineingepreßt werden, lassen immer weniger von diesem Trieb der Mütterlichkeit spüren. Doch immerhin: in der Natur des Weibes liegt einmal die Mütterlichkeit, und deshalb ist die Sehnsucht nach dem Kinde in der Menschheit noch nicht soweit erloschen, um ein Aussterben befürchten zu lassen.

    Trotzdem gerade in Indien die Verhältnisse für ein Neugeborenes nicht sehr günstig liegen, – wenn auch alte, grausame Sitten zum Teil aufgehört haben – sehnt sich auch das indische Weib nach einem Baby. Und auch der indische Mann. Durch viele Generationen ererbte Vorstellungen religiöser Natur und wirtschaftliche Überlegungen bilden, neben den Zärtlichkeitstrieben, die Quellen der Sehnsucht nach den Kindern.

    »Werde die Mutter starker Söhne!« wünscht – nach Ploß-Renz – der Hindupriester der Braut am Tage ihrer Vermählung. Denn nur Söhne haben die Macht, Totenspenden und Ahnenopfer darzubringen. Damit ist schon der religiöse Grund der Kindersehnsucht gekennzeichnet.

    Jedoch ein Sohn muß es sein, nicht eine Tochter. Eine in Südindien praktizierende Ärztin berichtete einer Kollegin, der ebenfalls in Indien tätig gewesenen Dr. med. Frances Elizabeth Hoggan, ein Erlebnis, das als Beispiel hier angeführt werden soll. Eine Frau hatte das Unglück, hintereinander fünf Töchtern das Leben zu schenken. Ihr Gatte legte ihr freundschaftlich nahe, daß er sich eine zweite Frau nehmen werde, um endlich einen Sohn zu bekommen. Die Gattin, die ihren Mann sehr liebte, bat ihn, noch ein wenig Geduld zu haben und die Ankunft des nächsten Kindes abzuwarten. Jedoch alle Wünsche waren vergebens, auch das sechste Kind war weiblichen Geschlechts. Man zögerte lange, der Mutter diese Tatsache mitzuteilen, da man für den Zustand der Wöchnerin böse Folgen fürchtete. Jedoch das Stillschweigen der sie umgebenden Frauen war beredt genug. Die Wahrheit ließ sich auch nicht verbergen, und die Unglückselige starb einige Tage nach ihrer Niederkunft. Da ein direkter Zusammenhang zwischen der normal verlaufenen Geburt und dem Tode nicht festgestellt werden konnte, so nahm die Ärztin an, daß der Kummer über die neuerliche Geburt einer Tochter und der Gedanke, daß nun der geliebte Gatte doch eine zweite Frau ihr zur Seite stellen würde, das Ende der Armen herbeibeigeführt habe.

    In der Regel allerdings ist die Inderin, durch jahrhundertelange Gewöhnung, nicht so sentimental. Sie nimmt es mit viel mehr Ruhe hin, wenn der Mann noch eine Frau ehelicht, und beugt sich auch dem Herkommen, daß ein Sohn allein das Glück des Vaters ausmache. Ein Scheidungsgrund ist jedoch Kinderlosigkeit nicht, und wenn auch der Mann das Recht hat, die Frau nach einer sieben- bis zehnjährigen Dauer der Ehe zu entlassen, falls sie ihm keinen Sohn schenkt, so wird von diesem Rechte kaum mehr Gebrauch gemacht. Wenn man übrigens bedenkt, daß auch in Europa und nicht zuletzt in deutschen Landen die Geburt eines Sohnes mit viel mehr Freude begrüßt wird als die einer Tochter und daß auch die Glückwünsche, ja selbst die Anzeigen bei der Geburt eines »strammen Jungen oder Stammhalters« viel kräftiger klingen, dann wird man in der Freude eines Inders über einen Sohn nicht mehr ein völkerkundliches Kuriosum sehen, wie es in den Büchern meistens, hingestellt wird.

    Auch der Mädchenmord, der früher in Indien in einzelnen Gegenden vorkam, ist keine exotische Angelegenheit. Das gleiche wird von den alten Germanen und Griechen gemeldet, bei denen allerdings der Kindermord keinen Unterschied im Geschlechte machte. Ursachen waren Mißbildung, Schwächlichkeit. Der Mord war grausam: durch Aussetzen, wodurch das Kind elend verschmachtete, oder der Mord geschah aus religiös-abergläubischen Ursachen, wie das lebende Einmauern der Kinder als Bauopfer.

    Bezüglich der Indo-Germanen weist, nach der Zusammenstellung von Ploß-Renz, neben China die meisten Fälle von Kindesmord Indien auf. Was die Hindus betrifft, so versichert A. J. O’Brien, daß es im Pandschab in der vor-britischen Zeit und auch noch später ganze Dörfer gab, in denen nicht ein Mädchen zu finden war. Auch jetzt gäbe es, nach derselben Quelle, noch Gegenden, in denen nach der Volkszählung auf 1000 Knaben nur 450-480 Mädchen kommen, denn trotz aller Bemühungen der britischen Regierung in den siebzig Jahren ihrer dortigen Tätigkeit sei es ihr noch nicht gelungen, dein Mädchenmord ganz zu verhindern. Sie kann dazu die Mithilfe der Hindus nicht entbehren, aber bis jetzt halten noch ganze Dörfer zur Verheimlichung des auf alter Überlieferung fußenden Übels zusammen, was der fremden Regierung die Erbringung von Beweisen sehr erschwert. –

    Bei dem Hindustamm der Radschkumares mit einer Kopfzahl von 125.000 wurden früher jährlich 8000 Mädchen getötet. Die gleiche Zahl der Opfer gab im Jahre 1873 Wilhelm Hoffmann für Kutsch und Gudscherat an. Hier, in Malwa und Radschputana gab es damals kaum eine Familie, die nicht mehrere ihrer Töchter gleich nach der Geburt tötete. Der Ritter Apdschi Hara ließ von seinen zahlreichen Töchtern nur eine einzige am Leben. Den Khondstämmen, die zum Unterschied ausdrücklich als nichtarisch bezeichnet werden, rechnete man jährlich 1300-1500 Mädchenmorde zu.

    Wie Ploß-Renz in seiner Zusammenstellung bemerkt, waren die Gründe für den Kindermord sehr verschiedener Art. Die Radschputen gaben zu Anfang des 19. Jahrhunderts Jonathan Duncan gegenüber Armut und Familienstolz als Entschuldigungsgründe an. W. Hoffmann ließ diese Gründe zwar für viele Fälle gelten, meinte aber, schmutziger Geist unterliege der Tat noch öfter. Ploß selbst, der sein Werk über »Das Kind in Brauch und Sitte der Völker« vor etwa fünfzig Jahren geschrieben hat, gab folgender Meinung Ausdruck: Zwar verbietet das indische Sittengesetz die Tötung des Kindes, allein die gefällige Religion hilft über die Bedenken hinweg: eine einfache Reinigungszeremonie nimmt die Sünde wieder fort. Diese Zeremonie besteht darin, daß am dreizehnten Tage der Dorf- oder Familienpriester, nachdem der Boden des Zimmers, in dem das Kind getötet und oft auch begraben worden ist, nachher mit Kuhmist überzogen wurde, eine sehr einfache Kulthandlung vornimmt. Der Priester kocht und verzehrt nur in diesem Zimmer die ihm von der Familie angebotenen Nahrungsmittel. Damit hat er die Sünde auf sich genommen und die Familie davon gereinigt. Diese darf das Zimmer ohne Gewissensbedenken dann wieder benutzen. Somit stände also die indische Religion in direktem Gegensatze zum indischen Sittengesetz. Aber in neuester Zeit ist es O’Brien, der den Mädchenmord durch die Hindus geradezu sittlich begründen läßt. Nach seinen Darlegungen ist vor allem das orientalische Mißtrauen in die sittliche Kraft des Weibes bei der Beurteilung der indischen Verhältnisse maßgebend. Dieses Mißtrauen verlangt wenigstens bei einem größeren Teil der Pandschabstämme, daß alle Mädchen schon vor ihrer Reife die Hochzeitszeremonie durchgemacht haben, und daß kurz nach eingetretener Reife Kohabitation stattfinde. Hier setzt nun aber die oben erwähnte und gewöhnlich als einziges Motiv angeführte Schwierigkeit der standesgemäßen Verehelichung ein.

    Nach O’Brien verlangt die Sitte, daß die Töchter gesellschaftlich höherstehenden Männern verheiratet werden, während die Söhne gesellschaftlich niedriger stehende Mädchen ehelichen sollen. Allerdings scheint diese doppelte Verfügung auf den ersten Blick jene verhängnisvolle Wirkung auf das weibliche Geschlecht nicht auszuüben; und doch macht sie die Verehelichung zahlreicher Mädchen unmöglich. So dürfen z.B. männliche Nachkommen eines Heiligen die weiblichen Nachkommen gewöhnlicher Sterblicher durch ihre Verbindung mit ihnen beehren, aber Laien, die sich mit den weiblichen Nachkommen eines Heiligen verheiraten, begingen ein Sakrilegium. Ähnlich verhielt es sich mit den zahlreichen Nachkommen des Großmoguls Akbar, der sich als Muselmann nicht, wie die Hindus und Sikhs, auf eine Frau beschränkte, sondern Frauen aus mehreren Hauptstämmen Indiens nahm. Seine männlichen Nachkommen waren willkommene Werber in gesellschaftlich gleichgestellten oder niedrigeren Familien, aber seine weiblichen Nachkommen, die nur mit königlichen Prinzen vermählt werden durften, konnten nur an den Mann kommen, wenn auch mit der Aussteuer tüchtig nachgeholfen werden konnte. Auch die Aussteuer der Töchter Heiliger muß jene der Laientöchter in den Schatten stellen, damit sie standesgemäß, also überhaupt heiraten können. Hiermit wäre man nun doch bei der Habsucht als einem indirekten Grund des Mädchenmordes angelangt, und das nicht nur in den höheren, sondern auch in den niederen und niedersten Schichten der Gesellschaft. Denn auch die Dienstboten bilden, je nach der Kaste ihrer Herren, Kasten mit gleich verhängnisvollen Ehegesetzen, und die Folge ist, daß auch hier ein ähnlicher Prozentsatz der am Leben gelassenen Töchter herauskommt wie bei den Vornehmen.

    Ja, das Kastenwesen. Darüber wird noch allerlei zu sagen sein. Ist es jedoch nur auf Indien beschränkt? Hat nicht das Kastenwesen in Europa so manche Liebesblüte zerstört, nicht manches Mädchenherz gebrochen? Sind tödliches Siechtum oder Selbstmord aus unglücklicher Liebe nicht schlimmer als der Mädchenmord an neugeborenen Kindern, wenn die Ursache auch nichts anderes ist als Standesdünkel, Kastengeist oder Habsucht, die einer Vereinigung zweier Liebenden im Wege stehen? Hier handelt es sich um erwachsene Menschen, die erst seelisch gemordet werden, ehe sie in der Verzweiflung zum Gift, zum Revolver, zum Sprung aus der Höhe oder ins Wasser sich entschließen. Was ist grausamer? Was verwerflicher?

    Die britische Regierung bemüht sich seit einem dreiviertel Jahrhundert, dem indischen Mädchenmord Einhalt zu bieten, teils durch Aufklärung, teils durch strenge Strafandrohungen. Der Erfolg stellte sich nach und nach ein. Anderseits darf jedoch nicht vergessen werden, daß die große Welle wissenschaftlicher Erkenntnis, technischen Fortschrittes und politischer Aufklärung auch vor den Toren Indiens nicht halt gemacht hat. Soziale Einrichtungen haben übrigens auch gute Wirkung erreicht. Schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts suchte Jonathan Duncan als britischer Beamter den Radschputen darzutun, daß der Mädchenmord im Rigveda, dem Religionsgesetz, keinen Stützpunkt habe. Die anderen Entschuldigungsgründe, Armut und Familienstolz, suchte er durch Aussteuerfonds zu beseitigen. Seine, sowie des Oberstatthalters Bentinck Bemühungen hatten Erfolg. Oberst Dixon meinte schon im Jahre 1847, der indische Mädchenmord habe durch Verminderung der Hochzeitskosten und der Ehehindernisse den Todesstoß erhalten, und Lenz spricht vom Mädchenmord unter den Radschputen als von etwas Gewesenem. Die Engländer hatten übrigens ein Gesetz erlassen, daß jedes Dorf, das nicht die der Bewohnerzahl entsprechende Anzahl Mädchen aufweise, strenge Untersuchung und gegebenenfalls Bestrafung zu erwarten hätte. Das bewirkte auch eine rasche Abnahme der grausamen Sitte. Dennoch will O’Brien noch im Jahre 1908 festgestellt haben, daß bei den Radschputen noch immer die Zahl der Knaben die der Mädchen um das doppelte übersteige, also auf 1000 Knaben nur etwa 450-500 lebende Mädchen kämen.

    Für das Töten unehelich geborener Kinder bestehen besondere altüberlieferte Gesetze bei den einzelnen Volksstämmen. Sie hängen ab von der Meinung, die das betreffende Volk über geschlechtliche Sittlichkeit, Schamgefühl und Keuschheit überhaupt besitzt. Darauf wird später noch öfter zurückzukommen sein. Die Todesarten, die gewählt werden, sind natürlich meist grausam: Ersticken, Erwürgen, Ertränken und sogar lebendig Begraben. Die Vergiftung mit Opium ist die am wenigsten brutale Tötung.

    In Indien gehört auch da, wo die Männer zahlreicher sind als die Weiber, Töchtermord nunmehr zu den größten Seltenheiten. Man verabscheut das Verbrechen der Kinderaussetzung, mit Ausnahme ganz wilder Landesteile wird es nirgends mehr begangen, und auch bei den Wilden nur, falls die Eltern vor dem Hungertode stehen und entweder sterben oder einen Teil der Familie opfern müssen. Häckel versichert, daß bei diesem Volke ein ständiges Mißverhältnis zwischen männlichen und weiblichen Geburten obwaltet, indem durchschnittlich zehn Knaben auf acht oder neun Mädchen geboren werden. Nach Marshall stehen bei den Todas die männlichen Kinder unter vierzehn Jahren zu den Mädchen gleichen Alters – das Alter nach ihrer äußeren Erscheinung geschätzt – in dem Verhältnis wie 100 zu 80,6, obschon Töchtermord bei ihnen nicht mehr üblich ist, da er durch das Eingreifen der britischen Regierung längst ausgerottet wurde. Mans Forschungen legen dar, daß bei den Andamanesen ein geringes Übergewicht der weiblichen Geburten über die männlichen vorhanden ist.

    Es wurde eingangs gesagt, daß in Indien zahlreiche Völker wohnen und auch ein Völkergemisch dort lebt, wenn auch die Mischung infolge des starren Kastengeistes und der religiösen Absonderung keine solche ist wie etwa in Mitteleuropa. Die zahlreichen Völker und Volksstämme Indiens haben sich auch noch viele ihrer Überlieferungen und Eigenarten bewahrt, so daß man niemals von indischen Sitten und Gebräuchen, auch nicht in bezug auf Frauen und Liebe, Ehe und Fortpflanzung reden darf, wenn man unter Indien nur Hindus versteht, sondern nur von Gebräuchen wie sie, sehr verschieden voneinander, in den einzelnen Ländern Indiens und des indischen Archipels herrschten und zum Teil noch herrschen. Alle Abstufungen der Zivilisation, um nicht das ganz anderswertige Wort Kultur zu mißbrauchen, sind in Indien vertreten. Der ganz in modernster Weise an englischen oder anglo-indischen Hochschulen ausgebildete Hindu, der seinen Doktor gemacht hat, als Arzt, Rechtsanwalt oder Professor stets mit den neuesten Errungenschaften der Wissenschaft sich vertraut macht, der indische Gentleman, der in seinem eleganten Auto durch Kalkuttas oder Bombays Straßen nach seiner Villa fährt, der reiche Parsenkaufmann, der hohe in der Verwaltung beschäftigte mohammedanische Beamte, sie sind ebenso Typen für sich, wie die Dayaken auf Borneo, die Todas im Nilgirigebirge, die Weddahs auf Ceylon, die Negritos, die sich auf mehreren Inseln des Archipels finden. Ganz etwas anderes stellen wieder Völker dar, die in Siam, in Birma, in Annam, auf der Insel Bali leben. Und noch viele Dutzende Völker und Völkchen in dem Riesenreiche: alle haben ihre Religion, ihre sozialen und politischen Meinungen, Gesetze und Überlieferungen, alle ihre Art, Hunger und Liebe zu befriedigen. Alle aber auch ihre besondere Art ihre Kinder zu lieben, diese Liebe gleich oder ungleich auf Knaben und Mädchen zu verteilen.

    Denn man vergesse nicht: auch das gibt es in Indien, daß die Mädchen ebenso willkommen sind oder doch, wenn sie schon geboren werden, ebenso geliebt werden wie Knaben. Auch das gibt es in Indien, und schon aus dem im Anfang gegebenen Berichte geht hervor, daß die Frau, die vielleicht aus Kränkung starb, weil ihr der Himmel sechs Töchter und keinen Sohn gab, doch sicher nicht einen Augenblick daran gedacht hat, ihre weiblichen Sprößlinge dem Tode zu überliefern, und auch der Gatte, so sehr er einen Sohn sich wünschte, dennoch seine Töchter weder erdrosselte noch ertränkte oder mit Opium vergiftete. Und sechs Töchter sind kein Gelächter, auch nicht in Indien und nicht anderswo, solange noch der Brauch herrscht, die Tochter mit Geld, Möbeln, Wäsche und Kleidern und wenn möglich noch mit einer Lebensrente auszustatten.

    Es ist auch nicht uninteressant festzustellen, daß man aus den Zeiten schwerer Hungersnöte, die in Indien grausame Opfer forderte, Photographien von Kindern sieht, die gleich ihren Eltern bis zum Skelett abgemagert sind. Natürlich auch weibliche Kinder. Schon daraus ist zu ersehen, daß es mit dein Mädchenmord wohl glücklicherweise wirklich vorbei ist, so daß selbst die ärgste Not nicht mehr eine solche Grausamkeit ausüben läßt. Man muß übrigens festhalten, daß auch in alter Zeit der Mädchenmord nur an neugeborenen Kindern und wahrscheinlich ziemlich unmittelbar nach der Geburt begangen worden ist. Es ist lehrreich, hier zum Vergleich auch auf die Gebräuche hinzuweisen, wie sie bei den alten Germanen herrschten. Bei ihnen mußte der Vater das nach der Geburt auf den Boden gelegte Kind aufheben und es damit gewissermaßen anerkennen. Ließ er es liegen, so wurde es ausgesetzt und damit, wenn es nicht zufällig eine mitleidige Seele fand und aufzog, einem qualvollen Verschmachtungstod überliefert. Die Zahl der ausgesetzten Kinder soll gar nicht gering gewesen sein, und es erlitten nach geschichtlicher Überlieferung mehr Mädchen als Knaben dieses Schicksal. Nach Weinhold waren hauptsächlich Armut, Hungersnot und Teuerung Anlässe zum Aussetzen. Bei den Ostfriesen, den Alemannen, in Skandinavien bestanden ähnliche Gesetze. Es scheint jedoch überall die Sitte geherrscht zu haben, daß die Darreichung der ersten Nahrung das Kind bereits vor dem Aussetzen schützen könne.

    Man darf annehmen, daß wohl überall und auch in Indien ein Kind, das bereits Beweise elterlicher Fürsorge erhalten hat, und sei es auch nur durch Darreichung von einigen Tropfen Milch, vor der Tötung geschützt war. Etwas anderes war es, wenn das Kind als rituelles Opfer dargebracht wurde: da kehrte man sich nicht an das Alter, vielleicht aber an das Geschlecht, und opferte lieber Mädchen als Knaben.

    Sehr verbreitet sind Kinderopfer in Verbindung mit der Grundlegung von Bauten. Nach Untersuchungen, die Grimm, Rochholz, Strackerjahn angestellt haben und über die auch Ploß berichtet, begegnet uns das Kindesopfer in Form der Einmauerung vielfach im indo-germanischen Völkerkreis: und auch bei den alten Deutschen. Noch im Mittelalter sollen bei der Grundsteinlegung von Burgen, Stadtmauern, Brücken und Wehren Kinder lebendig eingemauert worden sein, um dem Bau Dauer und Glück zu verschaffen. Jacob Grimm erklärt diese Opfer mit dem Volksglauben, daß die Erde, die die Last eines Baues auf sich dulden soll, gleichsam als Preis für diese Haltbarkeit ihr Opfer verlange.

    Die mildere Sitte einer späteren Zeit ließ es bei dem Symbol leerer Särge, aber auf den ursprünglichen Brauch und Glauben geht der noch jetzt übliche Spruch zurück: »Wenn ein Neubau halten soll, so muß er sein Opfer haben.« Nach der von Ploß geäußerten Ansicht seien derartige Opfer vielleicht zur Versöhnung Wodans gebracht worden.

    Auch Westermarck gibt eine Zusammenstellung über die Bauopfer, die früher bei manchen arischen Rassen geherrscht hätten. Bezüglich Indiens teilt Westermarck mit, daß indische Überlieferungen und Vorstellungen Spuren dieses grausigen Gebrauchs aufweisen. Die Hindu-Radschas sollen, nach Wheeler, die Fundamente öffentlicher Bauten mit Menschenblut gesättigt haben. Als Grierson ein biharisches Bauernhaus photographieren wollte, gestattete die anwesende Großmutter durchaus nicht, daß auch nur eines der Kinder der Familie auf dem Bilde erscheine, denn sie meinte, die Regierung bedürfe einiger Kinder zum Eingraben unter dem Fundamente der Brücke, die damals über den Gandak errichtet wurde. Diese wenigen aus der ziemlich großen Zahl gewählten Beispiele sollen nur darauf hinweisen, daß mit Rücksicht auf die geringere Bewertung der weiblichen Kinder wohl diese in erster Linie zu Opfern auserlesen wurden, obwohl zweifellos auch Knaben zu solchen Zwecken getötet worden sind.

    Eine merkwürdige Art von Kinderopfern, bei denen überhaupt keine Unterschiede zwischen Knaben und Mädchen gemacht werden, ist das Töten neugeborener Kinder, deren Geburt der Mutter das Leben gekostet hat. Diese grausame Unsitte fand sich jedoch nur bei Naturvölkern, die noch auf recht tiefer Stufe und teilweise sogar noch im üblen Rufe der Menschenfresserei stehen. Wie Jacobs berichtet, geschieht in Atjeh, wenn dort eine Frau bei der Niederkunft stirbt, nichts, um das vielleicht noch lebende Kind zu retten. Die Hebamme ist im Gegenteil bemüht, durch anhaltendes Auflegen von nassen kalten Tüchern auf den Leib der Sterbenden, das Kind ebenfalls zu töten.

    Da man in Nias glaubt, daß ein Kind, dessen Mutter bei der Entbindung oder im Wochenbett gestorben ist, ein schrecklicher oder gefährlicher Mensch werden müßte, so tötete man ein solches Kind. Wie Modigliani berichtet, wurde das Neugeborene in einen Sack gesteckt und auf einen Baum gehängt, wo man es dem Tode überließ.

    Maaß erzählt von den Mentawei-Insulanern, daß diese den Säugling mit der toten Mutter zusammen in einer Matte begraben. Man legt das lebende Kind dabei der Leiche in den Arm. Das geschieht, wenn die Mutter im Wochenbett starb. Beendete der Geburtsakt selbst aber das Leben der Mutter, so tötet der Vater das Neugeborene, indem er ihm Nase und Mund zuhält und ihm

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