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wiederkehren: Ein zeithistorisches Dokument über den Zweiten Weltkrieg, das Ende des Kriegs und den Neuanfang
wiederkehren: Ein zeithistorisches Dokument über den Zweiten Weltkrieg, das Ende des Kriegs und den Neuanfang
wiederkehren: Ein zeithistorisches Dokument über den Zweiten Weltkrieg, das Ende des Kriegs und den Neuanfang
Ebook358 pages4 hours

wiederkehren: Ein zeithistorisches Dokument über den Zweiten Weltkrieg, das Ende des Kriegs und den Neuanfang

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Das zeithistorische Dokument über den Zweiten Weltkrieg, das Ende des Kriegs und den Neuanfang in Deutschland: "wiederkehren" meint die Rückkehr eines Kriegsgefangenen aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft ; "wiederkehren" meint die allmähliche Erinnerung eines Schwerverwundeten an seine Jugend im Nazideutschland ; "wiederkehren" meint die Rückkehr einer Jüdin in die Umwelt, in der sie aufgewachsen ist ; "wiederkehren" meint die Konstituenten gesellschaftlichen und politischen Handelns, die immer aktuell sind ; "wiederkehren" meint auch den Schmutz, den man meint beseitigt zu haben und der immer wieder zurückkehrt. "wiederkehren" ist das Thema des vorliegenden Romans, das der Autor in der Rückschau mit Distanz und Ironie bearbeitet, um erlebte Wirklichkeit konkret zu erfassen und sie abstrakt-mythologischer Daseinsbeschreibung zu entkleiden.
LanguageDeutsch
Release dateDec 5, 2014
ISBN9783869922232
wiederkehren: Ein zeithistorisches Dokument über den Zweiten Weltkrieg, das Ende des Kriegs und den Neuanfang

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    wiederkehren - Helmut Lehnen

    Helmut Lehnen

    w i e d e r k e h r e n

    Roman

    Für Astrid

    Helmut Lehnen

    w i e d e r k e h r e n

    Roman

    AtheneMedia

    Die Handlung und alle Personen in diesem Roman sind frei erfunden.

    Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen und

    mit tatsächlichen Begebenheiten wären rein

    zufällig und unbeabsichtigt.

    Inhaltsverzeichnis

    1. Teil

    Rückläufige Vorfälle

    2. Teil

    Kapriolen

    3. Teil

    Vorläufige Rückfälle

    1. Teil

    Rückläufige Vorfälle

    „Home again! Wir sind da, Sunnyboy! Jetzt beginnt ein neues Leben. Mach was draus!"

    „Mach ich!", sagte der PW[1] hinten im Dodge.

    Marec Holleck, Sergeant der US Army, steuerte, an Trümmern und Ruinen vorbei, einen kleinen Platz an, und als er die Sirene in Gang setzte, stoben Männer, Frauen und Kinder, die auf dem Markt des niederrheinischen Städtchens irgendwelchen Geschäften nachgegangen waren, in alle Richtungen auseinander.

    „What´s the matter?" Holleck bremste scharf, der Dodge schlingerte auf glattem Boden, brach nach links aus und kam mitten auf dem Platz zum Stehen.

    „Sirenengesänge sind nicht beliebt in dieser Gegend", sagte der PW hinten im Dodge.

    „Okay, let’s go", sagte Holleck nach Amiart, wälzte sich vom Fahrersitz, streckte und dehnte sich und sah zu, wie der PW die Plane hochrollte, mit Schwung über die hintere Klappe flankte und der Länge nach auf den Boden stürzte.

    „Jetzt musst du nur noch den Boden küssen, spöttelte Holleck, „dann ist alles getan, was ein Heimkehrer tun muss.

    „Motherfucking sheet, fluchte der PW in Pittsburghslang, „ist verdammt rutschig, dieser heimatliche Boden.

    Ein junger GI, dritter im Bunde des militärischen Kommandos, half ihm auf die Füße, sprang auf die Ladefläche des Dodge und hievte zwei prall gefüllte Seesäcke auf den Boden.

    „Pay attention", sagte Hollek, denn er wusste, dass in den Säcken die Schätze dreijähriger Kriegsgefangenschaft gehortet waren.

    Dann setzten sich die Drei auf die warme Motorhaube des Dodge und verbreiteten die Duftwolken amerikanischen Tabakqualms.

    Die rätselhafte Anziehungskraft des Aromas wirkte. In Dunst und Nebel schmolzen Elendsgestalten zu einer Krake zusammen, die ihre Beute nicht aus den Augen ließ, denn irgendwann würden die Amis ihre Kippen ausspucken. Als es so weit war, hatten nur die stärksten Arme eine Chance.

    Holleck sah der Balgerei eine Weile zu, schlug sich auf die Oberschenkel und rief erneut „Let’s go! Leider muss ich dich jetzt aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, schweren Herzens, sagte Holleck, legte seine Hände auf die Schultern des PW und zog ihn an seine Brust. Dann verlieh Holleck dem Zeremoniell einer Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft eine besondere Note. Er ließ die Sirene aufheulen, nahm Haltung an, ließ sich den Mantel des PW reichen, rieb mit auffälliger Gebärde das mit Zahnpasta aufgetragene „PW ab, dass es ordentlich staubte, kniete nieder, vollzog dasselbe an den Hosenbeinen des PW, salutierte und überreichte ein Papierbündel von Mann zu Mann. Dann lagen sich zwei Amis und ein Deutscher in den Armen und wussten nicht, ob sie lachen oder weinen sollten.

    Den Zeugen dieses Auftritts gefiel das Spektakel und sie klatschten Beifall, als Holleck die Lili Marleen anstimmte. Holleck sang so herzzerreißend falsch, dass die Zuschauer bemüht waren, den Singsang in die rechte Bahn zu lenken und so gedieh die Entlassung eines deutschen Kriegsgefangenen aus amerikanischer Gefangenschaft zum öffentlichen Platzkonzert.

    Besser hätte Holleck seinen Auftrag nicht erfüllen können, aber als ihm trotzdem die Tränen kamen, umarmte er den Entlassenen heftig, sprang in den Dodge, drehte ein paar waghalsige Kurven, gab dem GI Gelegenheit aufzuspringen und verschwand mit Sirenengeheul im Nebel.

    „Holy Moses! Wollt ihr mich hier hängen lassen?, rief der Entlassene hinterher und biss sich auf die Zunge, als er sich der Bedeutung des Hängenlassens in Zeiten moralischer Wiederaufrüstung bewusst wurde. Der Abschied verschleierte ihm den klaren Blick, der zur Wahrnehmung der Realität notwendig gewesen wäre. Auf seinem Seesack sitzend, wohlgenährt und winterfest in Amiklamotten gekleidet, fühlte er sich verlassen. Er verfiel in den Zustand, den amerikanische Ärzte als Psychotrip und Flucht vor der Verantwortung diagnostiziert hatten, weil sie bei ihm Verdrängtes vermuteten, das sie als „Großgepäck bezeichneten, Großgepäck, das er nicht hergeben wollte.

    Mit Beschuldigungen musste er leben, seitdem er unter einem heißen Zeltdach in der Normandie, unter einem durchschimmernden Roten Kreuz, aus langem Koma erwacht war, als er die Augen öffnete und nicht ausmachen konnte, ob die Schmerzensschreie seine eigenen oder die der in Watte und Verbänden verschnürten Mumien neben ihm waren. Vorsichtig begann er seine Schmerzmale abzutasten, um zu erkunden, ob er an Leib und Gliedern Verluste zu beklagen habe. Als er nachgezählt hatte, ertrug er die Schmerzen geduldig, weil er sie als Botschafter einer intakten Körperlichkeit wahrnahm. Im Laufe eines langen Sommers vernarbten seine Wunden, die Schmerzen wichen einem nervösen Juckreiz und er begann zu kratzen. Unbarmherzig kratzte er an den Narben seines Körpers und seines Bewusstseins, denn die, die ihm die Granatsplitter herausoperiert hatten und ihn pflegten, wollten wissen, mit wem sie es zu tun hatten.

    Wer bist du? Woher kommst du? Wohin willst du? Fragen, die ihm gestellt wurden und die er sich selber stellte. Aber er fand keine Antworten.

    „Wir werden es herausbekommen! Wir haben dich aus einem Granattrichter in der Nähe von Bastogne geborgen, halbnackt, mitten im Winter, ohne Uniform, ohne Soldbuch, ohne Erkennungsmarke, ein halbnackter Schwerverwundeter ohne Identitätsnachweis, nur einen zerfetzten Feldpostbrief fanden wir in deinem Brustbeutel, mit Feldpostnummer, Namen und Absender. Sonst fanden wir nichts. Aber wir werden es herausbekommen, was du auf dem Kerbholz hast. Ein Nazityp aus dem Bilderbuch bist du, blond, blauäugig, verrückt und verbohrt; du schweigst, weil du was zu verschweigen hast. Sobald du wieder laufen kannst, stecken wir dich in das Hungerlager von Cherbourg, wenn du dann immer noch nicht redest, wirst du in Straflagern verschwinden, du wirst dann so lange Minen räumen, bis du redest."

    Dann kam Marec Holleck, ein blonder Riese, Aufseher in einem Straflager, geschickt von seinem Lagerkommandanten mit dem Auftrag, Ersatz zu schaffen für einen Minenräumer, der in die Luft geflogen war, Ersatz, um den es nicht schade wäre, wenn er das gleiche Schicksal erlitte.

    Holleck wusste, dass das bis auf die Knochen abgemagerte Elendsbündel dazu ausersehen war, als er es am Tor des Cage 15 im Hungerlager von Cherbourg empfing. Holleck war betroffen, denn er hatte die Bilder aus Konzentrationslagern vor Augen und wollte sich nicht auch schuldig machen wie die Schergen, die seine Eltern zu Tode geprügelt hatten. Deshalb hob er das Elendsbündel – ohne lange nachzudenken und entgegen jeder Vorschrift – auf den Beifahrersitz seines Jeeps und fütterte es bis zur Ankunft im Straflager von St. Lô mit Schokolade, die er in mundgerechte Stücke zerbrach. Die Erinnerung an erfahrenes Unrecht und die Absicht, es besser machen zu wollen, weckten in dem tschechischen Beuteamerikaner den Vorsatz, das junge Elendsbündel neben ihm in seine Obhut zu nehmen und den jungen Kriegsgefangenen gegen Rachegefühle und Willkür zu schützen. Hinter Hollecks breitem Rücken lebte der Kriegsgefangene gefangen, aber befreit, belastet, aber geschützt – drei Jahre lang.

    Jetzt saß er da auf Schutt und Trümmern inmitten von Ruinen, die kein Stadtbild ergaben, an das man sich hätte erinnern können, an einem Ort, der zertrümmert war wie sein Bewusstsein. Und sie kroch wieder hoch, die Angst, von unten nach oben in den Kopf, erweckt in Verhören amerikanischer Spurensucher, aber auch von eigenen Zweifeln, die Angst, an Taten beteiligt gewesen zu sein, die man ihm in Wort und Bild immer wieder vor Augen hielt.

    Männerstimmen weckten ihn. „Please, a cigarette, a cigarette, please!" Von einem zum anderen Augenblick stand er hellwach auf den Beinen und wehrte den Zugriff auf seine Seesäcke mit der Kraft eines Holzfällers ab. Die Bettelnden wichen zurück und dann stand er vor einer alten und einer jungen Frau. Er, der sich nicht erinnern konnte, je mit einer Frau geredet zu haben, er stand vor einer alten Frau und sah in ein junges Gesicht, in ein junges Frauengesicht mit heller Stimme.

    Er hätte danach greifen können, wovon in den Zelten der Lager die Rede war, wenn abends in den Zelten die Lichter ausgingen. Augen, Lippen, Arme, Beine, Busen und Röcke der Frauen waren ihm greifbar nahe, Gesichter ihm zugewandt, ihm allein, wunderbare deutsche Frauen mit hellen Stimmen. Als sich seine Augen in den Augen der jungen Frau verfingen und sie ihm freundlich zulächelte, griff er – ohne sie aus den Augen zu lassen – in einen Seesack, kramte eine Packung Chesterfield heraus und hielt sie der jungen Frau entgegen; aber die junge Frau übersah das Angebot, weil auch sie ihn gebannt anstarrte. Die Alte jedoch griff schnell zu, warf einen Blick in den Seesack, bedankte sich überschwänglich für ihr kleines Glück.

    Die Alte hatte die Situation blitzschnell erfasst und ihn als Hilfsbedürftigen erkannt. Dann tastete sie vorsichtig ab, ob seine Hilfsbedürftigkeit etwas einbringen könne. Er bedürfe dringend eines Schutzes, das sehe man ihm an; und da er offenbar von niemandem erwartet werde, sei er in ihrer Nähe gut aufgehoben, denn sie sei ein armes Weib und darum könne er sich bei ihr sicher fühlen vor habgierigem Gesindel, denn zu holen sei bei ihr nichts. Dann gab sie dem Entlassenen zu verstehen, dass er in seinen Seesäcken die härteste Währung der Nachkriegszeit herumschleppe und damit mancherlei Gefahr ausgesetzt sei in diesen Zeiten und in dieser Gegend, aber Raum sei bekanntlich in der kleinsten Hütte, Zudecken ließen sich auch noch finden und sie und ihre Pflegetochter würden gerne zusammenrücken gegen ein geringes Entgelt aus seinen Seesäcken und für Wärme sei auch gesorgt, nur zu essen hätten sie nichts.

    Überrascht, immer noch an den Augen der jungen Frau hängend, gab der Entlassene der Alten eine Abfuhr. „Nein, nein", sagte er, da wolle er doch lieber in einem Hotel übernachten als zwei Frauen zur Last zu fallen.

    Die Alte war sprachlos, die junge Frau löste sich von seinen Augen und platzte mit hellem Lachen heraus. Was denn ein Hotel sei, fragte sie, und was er zu essen gedenke ohne Lebensmittelkarten und wo er sich wärmen wolle ohne Kohlen und wo er etwas kaufen wolle, wo es nicht zu kaufen gebe, und wo er unterkriechen wolle in diesen Ruinen und dass ihn die britische Militärpolizei hinter Schloss und Riegel verwahren werde, wenn sie ihn nach der Polizeistunde noch auf der Straße erwische; kurz und gut, er solle froh sein, an sie geraten zu sein, aber auch sie sei froh, denn sie habe schon lange nicht mehr einen jungen Mann getroffen, dem sie gerne in die Augen sehe.

    Die Zutraulichkeit gefiel ihm, aber der Anspruch der Frauen ängstigte ihn zugleich und machte ihn noch hilfloser. Er begann zu faseln, suchte nach Argumenten, brachte leere Worte und falsche Begriffe ins Spiel, sprach von Erfahrungskategorien, die er nicht einbringen könne und zuletzt flüchtete er in Zitate klassischer Freiheitssänger, die ein Professor beim Hin- und Hergerenne im Cage 15 des Lagers Cherbourg im Kampf gegen den Hunger fortwährend zitiert hatte und die er nun seinerseits zitierte, um das soeben erlangte Gut der Freiheit zu verteidigen.

    Die Frauen sahen ihn verständnislos an. Die Herrschaften, von denen er erzähle, seien ihnen nicht bekannt, aber ein gewisser Kobijolke habe in ihren Kreisen einen Namen, weil der über Güter freiheitlicher Zeiten verfüge, von denen man leben könne und die man kaum noch kenne, nämlich Butter, Eier und Speck.

    Der Entlassene raffte sein Hab und Gut zusammen und setzte sich auf einen der Seesäcke, um anzudeuten, dass er die Nacht lieber anders verbringen und auf eine andere Lösung warten wolle. In diesem Augenblick war der Platz wie leer gefegt. Große und Kleine rannten wie um ihr Leben und verschwanden in Winkeln und Ecken. „Razzia, schrie die Alte, stieß den Entlassenen vom Sack, packte die Schnüre und zog die Säcke hinter sich her, die junge Frau half ihr dabei und der junge Mann hatte Mühe, den Flüchtenden zu folgen. Die zogen die Säcke über Schutthalden, schleiften sie durch Löcher und Rinnen, hoben sie über Mauerreste und schleusten sie um Ecken und Winkel, bis die Alte auf ein Gebilde aus Wellblech wies, das sich vor dem Rheindamm wie ein Lindwurm duckte. „Da müssen wir hin, rief die Alte, „in der Nissenhütte hausen wir."

    Was dem Fremdling im Bauch dieses Ungeheuers an Gerüchen, Lärm und Krawallen entgegenschlug, ließ eine Ansammlung von Kindern, Frauen und Männern auf engstem Raum vermuten, und als er durch eine Tür geschoben wurde, auf der mit Kreide und in Sütterlin der Name „Wulfen" geschrieben stand, fragte er sich, wo in dieser Höhle ein Plätzchen für ihn herausspringen sollte.

    „Unser Schatzkästlein", sagte die junge Frau, zündete zwei Kerzen an und machte den Gast bekannt mit Luxusgütern, die deutschen Ostflüchtlingen von britischen Besatzern großzügig zur Verfügung gestellt worden waren. Dazu gehörten zwei Holzpritschen, links und rechts der Tür aufgestellt und den halben Raum besetzend, dazwischen ein Tisch und dahinter, an der gewölbten Wand, ein kleines Kanonenöfchen. Dann pries die junge Frau als besondere Errungenschaften das fließende Wasser draußen auf dem Flur und die Kanalisation, die in dieser Qualität andernorts noch nicht zu finden sei. Besonders lobte sie die Heizkraft des kleinen Öfchens, rauchfrei und mit sicherem Abzug und bedauerte, dass das elektrische Licht nicht funktioniere, weil mal wieder kein Strom in der Leitung sei.

    Da der junge Mann befürchtete, der Inhalt seiner Säcke könnte bei der Schleiferei zu Schaden gekommen sein, förderte er einen Teil des Inhaltes zutage und versetzte die Frauen damit in Entzücken. „Die Packungen haben nicht nur den Transport von Amerika in die Normandie heil überstanden, nicht nur die Lagerung in frischer Meeresluft an den Sandstränden der französischen Küsten, nicht nur die Verstreuung auf Minenfeldern, zum guten Schluss haben sie auch noch die Schleiferei zweier Weiber schadlos überstanden", stellte der Entlassene zufrieden fest.

    Die Frauen trauten ihren Augen nicht, was da alles hervorgekramt worden war. Die Alte berechnete schnell den Wert der amerikanischen Konterbande und kam zu dem Ergebnis, dass sie einen wohlhabenden Gast geladen hatte und klagte, es sei doch schade, wenn solche Reichtümer nutzlos in der Nissenhütte herumlägen, in der es nichts zu essen gebe. Mit nur zwei Päckchen Tabak amerikanischer Qualität könne sie auf den Abend ein köstliches Freiheitsmahl arrangieren, vorausgesetzt, sie erreiche Kobijolke noch, aber dann müsse sie sich beeilen.

    Das Gehabe der Alten amüsierte den jungen Mann, der mit amerikanischen GIs nächtelang gepokert hatte, Übung im Umgang mit Zockern hatte, die kleinen Listen der lebenstüchtigen Alten als Überlebensstrategien akzeptierte und mit ihr aushandelte, mit zwei Päckchen Velvet Tabak müssten nicht nur das Abendbrot, sondern auch das Frühstück für den nächsten Morgen gesichert sein. Mit diesem Auftrag zog die Alte los.

    Die junge Frau zog dem Entlassenen den Mantel aus, drängte ihn auf eine Pritsche und zog ihm die Schuhe von den Füßen. In der Enge des Raumes kam es dabei zu Körperberührungen, die wie Blitze bei ihm einschlugen. Auf der Pritsche liegend sah er zu, wie die Frau Holzspäne aus einem Karton nahm, sie anzündete, aus einem anderen Karton Kohlen in das Öfchen rieseln ließ, die Ofenringe beiseite schob und das Feuer beobachtete. Die Flammen warfen wechselndes Licht auf das Gesicht der Frau. „Du bist schön", dachte er und er genoss es, dieses schöne Gesicht über sich gebeugt zu sehen.

    Jede Bewegung der jungen Frau genoss er und er bemerkte kaum, dass die Alte inzwischen zurückgekehrt war und ihre Hamsterbeute auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Der Kobijolke sei zwar mit allen Wassern gewaschen, aber im Kopfrechnen schwach, schwadronierte die Alte, denn sie habe ihm für den Tabak nicht nur den Gegenwert von 280 Reichsmark abgeluchst, sondern glatte 300 und da sie gute Preise für exklusive Lebensmittel erzielt habe, sei am Ende auch noch ein Fläschchen schwarzgebrannten Fusels herausgesprungen und nun könne man des jungen Mannes Sprung in die Freiheit würdig begehen, wenn er endlich aufhöre, nur noch Blicke an ihre Pflegetochter zu verschwenden, denn es sei in diesen Zeiten geboten, die Aufmerksamkeit für die Lebensnotwendigkeiten aufzuwenden und sie nicht für unnützes Zeug zu verbrauchen und außerdem habe sie den Kobijolke auf amerikanische Ware scharf gemacht und Kobijolkes Adamsapfel sei wild gehüpft, als sie ihm von Tabak, Schokolade, Kaffee und Schwarzem Tee erzählt habe.

    Nach dieser Aufrechnung kramte die Alte eine Kaffeemühle aus einem Karton, ließ sich breitbeinig auf der anderen Pritsche nieder und klemmte die Kaffeemühle zwischen ihre Oberschenkel. Die Mühle sei zwar echter Kaffeebohnen entwöhnt, schwadronierte die Alte weiter, weil man nur noch Weizenkörner durch ihr Mahlwerk gejagt habe, aber nun sei die Zeit gekommen, sie wieder ihrer eigentlichen Aufgabe zuzuführen und jetzt fehle nur noch der Kaffee.

    Als der Kaffee in Blechbechern dampfte und Brote mit Butter, Wurst und Käse bei den Frauen Wohllaute hervorlockten, begann die Alte von Kobijolkes weitumspannenden Netz zu schwärmen, das über Schafshürden, Schweineställe und Hühnergelege hinweg bis Ostfriesland reiche, wo man bekanntlich besonders gute Schwarzhandelsgeschäfte mit Schwarzem Tee erzielen könne und sie vermute in den Seesäcken auch Schwarzen Tee, deshalb habe sie mit Kobijolke ein Date ausgehandelt, denn das Handelsgut dürfe doch nicht in den Säcken verkümmern.

    Nach dieser Rede gab die Alte einen Schuss Fusel in ihren Kaffee und nahm aus der Flasche einen kräftigen Schluck.

    Jetzt wurde es dem jungen Mann zu bunt, er wurde heftig und sagte, er ließe sich nicht gern in seine Angelegenheiten hineinreden, er bedanke sich für die freundliche Aufnahme und die Aufforderung, sich in ihren vier Wänden wohlfühlen zu sollen, könne aber in diesem Gewölbe vier Wände nicht erkennen und wie er auch gerechnet habe, sei in der Enge des Raumes kein Plätzchen für ihn herausgesprungen. Darum wolle er sich noch an diesem Abend um ein anderes Quartier bemühen, was mit seinen Säcken ja nicht sonderlich schwer zu sein sei. Das sei auch aus moralischen Gründen vonnöten, denn in der Enge des Raumes seien Körperberührungen von Mann zu Frau nicht vermeidbar und um ihres guten Rufes willen wolle er sich jetzt davonmachen.

    Vor Schreck nahm die Alte einen Schluck aus der Flasche und die junge Frau sagte: „Wir haben keinen guten Ruf zu verlieren."

    „Was redest du denn da?, fiel die Alte ihr ins Wort, „du hast einen sehr guten Ruf und da Sie Augen im Kopf haben, junger Mann, werden Sie unschwer erkennen, was sich da hinter Lumpen und verfilzten Haaren verbirgt. Versetzen Sie diese schöne Gestalt mal in ein schlesisches Gut, setzen Sie diese Frau, feierlich gekleidet, vor ein Cembalo, setzen Sie diese Frau auf ein Pferd und sehen Sie ihren Sprüngen und Kapriolen zu, dann ahnen Sie, was sie verloren hat, als tschechische und polnische Banditen über sie hergefallen sind. Alles hat sie verloren, aber nicht ihren guten Ruf.

    Weinend nahm die Alte einen Schluck aus der Flasche.

    „Du trinkst zu viel", sagte die junge Frau.

    „Dieses Elend kann man doch nur im Suff ertragen. Du bist ein wahrer Segen, sprach sie die Flasche an, „ein wahrer Segen für meine geschundene Seel.

    „Wohin du siehst, siehst du nur Zerstörung", dachte der junge Mann und hatte Mitleid mit dem alten Gesicht, das gezeichnet war von Ätzungen und Verbrennungen.

    „Du trinkst zu viel, wiederholte die junge Frau, „gib mir die Flasche.

    Die Alte setzte die Flasche an und leerte sie mit gierigen Zügen, Fusel rann an ihren Mundwinkeln herunter und tropfte auf den Boden, die leere Flasche kullerte unter den Tisch.

    Die junge Frau zuckte mit den Schultern, zog zwei Strohsäcke unter den Holzpritschen hervor und kramte zwei Wolldecken aus einem Pappkarton, dann zog sie der Alten die Holzpantinen von den Füßen, schob den Strohsack zurecht und deckte die Alte zu.

    „Du bist eine gute Seele, lallte die Alte und sank auf den Strohsack. „Ich brauche keine Decke, wir haben ja nur zwei. Sie drehte sich zur Seite und schwieg. Die Frau wickelte die Alte ein und sagte: „Wir müssen unter einer Decke schlafen."

    „Wir zwei unter einer Decke?" Der junge Mann fuhr zusammen und wunderte sich, mit welcher Selbstverständlichkeit die schöne Frau diese Anordnung traf.

    „Ich gehe jetzt", sagte er und zog seine Schuhe an.

    „Du bleibst, sagte sie, „du weißt ja nicht wohin.

    „Ich habe Angst", sagte der junge Mann.

    „Ich auch", sagte die Frau.

    Der junge Mann rückte auf die äußerste Ecke der Holzpritsche und nestelte an seinen Säcken herum.

    „Du wirst neben einer Frau liegen, der eine zweite Haut angewachsen ist. Sieh dir dieses angewachsene Gelumpe an, es wird dich abstoßen, denn diese Haut hat nichts Anziehendes, sie ist rau und schmutzig und wird uns schützen. Kriech nun endlich unter die Decke."

    Der junge Mann zündete sich eine Zigarette an.

    Die junge Frau rückte nach, nahm ihm die Zigarette aus dem Mund und sagte: „Das Aroma riecht man meilenweit und morgen werden sie in der Nachbarschaft wieder Gerüchte kochen, weil es sonst nichts zu kochen gibt. Die Hochnäsige habe sich für Zigaretten verkauft, werden sie sagen. Ich habe so oder so nichts zu verlieren. Sie kroch unter die Decke und sagte: „Komm! Wir wollen uns wärmen.

    „Du hast ja gut eingeheizt, sagte der junge Mann, „ich bleibe hier sitzen, ich werde nicht frieren.

    „Aber du zitterst ja am ganzen Leibe", sagte die junge Frau und zog ihn unter die Decke.

    „Ihr liegt zu eng beieinander", sagte die Alte und zog die Decke weg. Sie hatte eingeheizt, Kaffee gekocht und schlürfte Kaffee aus einem Blechbecher. Der Kobijolke sei immer früh auf den Beinen, sagte sie und fuhr da fort, wo sie am Abend aufgehört hatte und man dürfe den Kobijolke nicht warten lassen.

    Die Frau hatte einen Arm um den Mann geschlungen und ihn eng an sich gedrückt, löste sich jetzt von ihm, der sich verlegen aufrichtete und erstaunt war, dass er in voller Bekleidung und mit Schuhen an den Füßen in den Armen einer Frau die Nacht verbracht hatte

    „Gestern ist gestern und heute ist heute", sagte die Alte, es gebe viel zu tun und da müsse man das Gestern möglichst schnell vergessen, denn jeder neue Tag sei ein Kampf um das tägliche Brot, obwohl, so vermute sie, dieser Tag ein außergewöhnlicher werden könne, denn die Sonne stünde am Himmel. Dann verordnete sie ein kurzes Frühstück, weil sie pünktlich zum verabredeten Termin bei Kobijolke erscheinen wolle.

    Noch hätte der junge Mann ablehnen können, aber auch er war neugierig geworden, denn für Abenteuer war er offen und während der Gefangenschaft hatte er sich auf manches waghalsige Abenteuer eingelassen.

    Kobijolke erwarte ihn im Pissoir zur Sprechstunde und er solle ein Päckchen Tee nicht vergessen als Beweismittel und die Seesäcke könne ihre Pflegetochter bewachen.

    Dann machten sie sich auf zum Marktplatz. „Da unten erledigen nur Männer ihre Geschäfte, sagte die Alte, „ich warte hier oben.

    Der junge Mann drängte sich an zwei Männern vorbei und als er unten die Pendeltür aufstieß, stieg ihm kalter Tabakqualm und Uringeruch in die Nase und vor einer Toilettentür stand eine hagerer, hochgeschossener Mann, der von oben herab mit einem Bittsteller verhandelte, der eine goldene Taschenuhr baumeln ließ.

    „Goldene Uhren und son Zeugs wird man nicht mehr los, davon ist zu viel unterwegs, sagte der Hagere, „das Zeugs läuft nicht mehr, selbst die Tommies rücken dafür nichts mehr raus von ihren Edelgütern.

    Er wolle keine Edelgüter, er wolle etwas zu fressen für seine Schwiegertochter und seine Enkelkinder, die jeden Tag weniger würden und goldene Uhren hätten doch einen bleibenden Wert, sagte der Bittsteller.

    „Nur verdauen kann man sie nicht. Aber da ich ein mitleidiges Herz habe, biete ich dir zwanzig Pfund schönes weißes Mehl für das Ding. Mehr ist nicht drin."

    Der Bittsteller wendete sich empört ab und schimpfte den Langen einen Galgenvogel und Aasgeier. „Das wirst du eines Tages büßen, Kobijolke."

    Der stieß einen spitzen Pfiff aus, zwei Männer kamen von oben heruntergestürzt und beförderten

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