Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Migration und Integration gestalten: Transatlantische Impulse für globale Herausforderungen
Migration und Integration gestalten: Transatlantische Impulse für globale Herausforderungen
Migration und Integration gestalten: Transatlantische Impulse für globale Herausforderungen
Ebook311 pages3 hours

Migration und Integration gestalten: Transatlantische Impulse für globale Herausforderungen

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Die transatlantische Zusammenarbeit diente einst dem Wiederaufbau und der Demokratisierung Europas. Heute spielt sie eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung gemeinsamer globaler Herausforderungen. Angesichts der demographischen Entwicklungen und der Migrationsströme, denen sich die europäischen und nordamerikanischen Gesellschaften gegenübersehen, sind die Migrations- und Integrationspolitiken entscheidend für ihre wirtschaftlichen, sozialen and demokratischen Perspektiven im 21. Jahrhundert. Gerade Europa braucht neue Konzepte für Zuwanderung und Integration, um im weltweiten Wettbewerb um Talente bestehen zu können.
Das Buch dokumentiert innovative Lösungsansätze, die eine "Transatlantic Task Force on Immigration and Integration" erarbeitet hat. Die Taskforce wurde von der Bertelsmann Stiftung und dem amerikanischen Migration Policy Institute zusammengebracht, um neue strategische Impulse für die Zukunftsfragen von Zuwanderung und gesellschaftlichem Zusammenhalt zu entwickeln.
LanguageDeutsch
Release dateJul 23, 2010
ISBN9783867932080
Migration und Integration gestalten: Transatlantische Impulse für globale Herausforderungen

Related to Migration und Integration gestalten

Related ebooks

Social Science For You

View More

Related articles

Reviews for Migration und Integration gestalten

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Migration und Integration gestalten - Verlag Bertelsmann Stiftung

    abrufbar.

    I. Migration steuern

    Migration im Zeitalter der Mobilität neu denken

    Demetrios G. Papademetriou

    1 Kontexte im Wandel

    Mehr Länder als zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte sind heute wichtige Akteure im internationalen Migrationssystem. Bei den größten dieser Akteure erreicht die Migration ein solches Ausmaß, dass sie als Triebkraft für rasche, tiefgreifende und augenfällige soziale und kulturelle Veränderungen wirkt. Die überwiegende Mehrheit der fortgeschrittenen industrialisierten Demokratien zählt zu diesen Akteuren, und die daraus entstehenden Umwälzungen laufen buchstäblich vor den Augen der Menschen ab.

    Der Umfang und die Zusammensetzung der internationalen Migration sind Auslöser für diese Umwälzungen und die Reaktion darauf. Die Zahl der internationalen Migranten ist so hoch wie nie zuvor. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen belief sie sich 2005 auf mehr als 190 Millionen Menschen. Im Gegensatz zur historischen Migration des letzten Jahrhunderts definieren sich heutige Migrationsströme durch die überwältigende Mehrheit der Migranten: So gut wie alle, die außerhalb der legalen Migrationskanäle daran teilnehmen, stammen aus Ländern, bei denen eine sehr große soziale, kulturelle und oft auch rassische »Distanz« gegenüber den Ländern besteht, die sie anstreben. Und es kommt noch etwas hinzu. In der Welt der Angriffe vom 11. September 2001 auf die Vereinigten Staaten und der späteren Anschläge in Madrid und London scheinen die religiösen Unterschiede ausschlaggebend geworden zu sein. Diese Gegebenheiten verstärken die »Auffälligkeit« und das »Anderssein« von Neuankömmlingen, was wiederum das gefühlte Unbehagen der Bevölkerung in den Zielländern vermehrt.

    Institutionen im öffentlichen und privaten Sektor der Gesellschaften der Zielländer sind bemüht, sich den Herausforderungen der heutigen Migration zu stellen. Für keine anderen Institutionen scheint die Anpassung jedoch schwieriger zu sein als für diejenigen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU). Ihre Bemühungen werden durch mehrere Faktoren erschwert; zwei davon sind von besonderer Bedeutung.

    Der erste ist das Gewicht früherer politischer Entscheidungen in Bezug auf Einwanderung und Integration. Manche europäische Regierungen und Gesellschaften haben den dauerhaften Charakter der Einwanderung und ihrer Verankerung im »Leben« der Gesellschaft des jeweiligen Ziellandes viel zu lange geleugnet. Dies gilt besonders für Deutschland. Dadurch wurden wichtige Bemühungen zur Integration von Einwanderern in das deutsche Gemeinwesen und die deutsche Gesellschaft verzögert. Bemerkenswerterweise scheinen andersartige politische Entscheidungen - sei es, sie offiziell »mit offenen Armen willkommen zu heißen« (wie in den Niederlanden und in Skandinavien) oder ihnen mit »überheblicher Missachtung zu begegnen« (wie in Frankreich) - zu ähnlichen Ergebnissen geführt zu haben. Fast flächendeckend sind Einwanderer und ihre Nachkommen gegenüber den Einheimischen im Nachteil: bei den Bildungsabschlüssen, bei den wirtschaftlichen Indikatoren (Beschäftigungsquoten, Einkommen, Wohnungsstandard usw.), beim Zugang zu Chancen sowie bei der sozialen und politischen Partizipation. Diese Häufung von Benachteiligungen zeigt sich in unterschiedlichen Graden wirtschaftlicher, sozialer und politischer Marginalisierung. Die Marginalisierung wiederum führt zu gegenseitigem Misstrauen: Viele Einwanderergemeinschaften schätzen sich als diskriminiert ein, während viele Einheimische Einwanderern und ihren Kindern gegenüber unduldsam, wenn nicht sogar misstrauisch und argwöhnisch reagieren.

    Der zweite erschwerende Faktor besteht darin, dass in den meisten Fällen die vorhandene Zuwanderung vornehmlich auf den gesetzlich geschützten Familiennachzug, die Asylmigration und natürlich die illegale Migration entfällt. Die Ausnahmen von dieser Regel betreffen vor allem Irland und die südliche Flanke der EU, also Länder, die erst seit kurzer Zeit größere Zahlen von Migranten aufnehmen, und zwar überwiegend im Rahmen der Arbeitsmigration - wenngleich diese Migration in recht hohem Maß illegal ist. Dies führt dazu, dass der größte Teil der Zuwanderung nicht einfach quantitativ oder qualitativ gesteuert werden kann - ein Thema, auf das weiter unten noch näher eingegangen wird.

    Umfang und Merkmale der heutigen und noch mehr der zukünftigen internationalen Migration zwingen die Länder, die Umwälzungen, die dieser Prozess mit sich bringt, viel besser als in der Vergangenheit zu bewältigen. Weil der Nutzen im Erfolgsfall und die Nachteile bei einem Scheitern jeweils so groß sind und in der Schwebe hängen, wird das Management des internationalen Migrationsprozesses durch kluge Regulierung und andere politische Maßnahmen auf der lokalen, nationalen und regionalen sowie stufenweise und vorsichtig auch auf der internationalen Ebene unumgänglich. Die Argumente dafür werden noch überzeugender, wenn das Entwicklungspotenzial gut regulierter Migration für die Herkunftsländer ebenfalls berücksichtigt wird.

    2 Belastungsfaktoren abschwächen, den Nutzen maximieren

    Die meisten Staaten, die Migranten in großer Zahl aufgenommen haben, suchen nach Möglichkeiten, die Kontrolle über den Prozess zu gewinnen und bessere politische Ergebnisse zu erzielen. Ihre Ziele bei diesen Bemühungen sind lobenswert: Sie wollen den Prozess in einer Art gestalten, die ihre nationalen wirtschaftlichen Interessen und Prioritäten voranbringt und gleichzeitig den sozialen Zusammenhalt im Auge behält. Zudem sollen Rechtsgrundsätze und Verpflichtungen zur Beachtung der Menschenrechte sowie zum Flüchtlingsschutz genau eingehalten werden.

    Diese Ziele könnten komplementärer sein, als allgemein angenommen wird. Das Gleiche gilt für die Ziele der Gesellschaften von Herkunfts- beziehungsweise Aufnahme- oder Zielländern und für die Ziele der Migranten selbst. Der Zusammenstoß unterschiedlicher und oft gegensätzlicher Interessen beruht zum Teil auf dem oben bereits erwähnten Umstand, dass in fast allen Ländern (Kanada, Australien und in den letzten Jahren vielleicht das Vereinigte Königreich sind rühmliche Ausnahmen) ein zu großer Teil der Gesamtmigration weder das Ergebnis von Selektion darstellt noch in anderer Beziehung wirklich reguliert wird. Damit kommt eine Veränderung der Regeln für die Zulassung von Migranten dem Betreten eines politischen Minenfelds gleich. Der Verzicht auf eine aktive Auswahl an Migranten, die ins eigene Land kommen, führt zu ungewissem Nutzen für die Aufnahmeländer.

    Andererseits beschränken die schlechte Regulierung der Migration und die illegale Migration im Allgemeinen die Möglichkeiten von Migranten, die höchsten Erträge aus der Investition in ihre Migration zu erwirtschaften. Dies verringert ihre Möglichkeiten, Einkommen zu erzielen und Geld in ihre Herkunftsländer zu überweisen, was wiederum den Nutzen für die Migranten und damit auch den Nutzen für ihre Familien und die Gemeinschaften im jeweiligen Herkunftsland verringert. Die illegale Migration erhöht zudem die Kosten für fast alle Betroffenen und führt tendenziell dazu, dass allen Arten von Migration ein Makel der Illegalität anhaftet. Gleichzeitig bereichert die Illegalität Verbrechersyndikate und Schleusernetzwerke, die die illegale Migration abwickeln. Für diese Organisationen ist Menschenschmuggel ein höchst einträgliches Geschäft, dessen Kosten - gleich, wie sie gemessen werden - das Risiko weitestgehend wert zu sein scheinen, weil sie primär von den Einwanderern selbst getragen werden.

    Angesichts der raschen Zunahme der illegalen Zuwanderung kann man die Position vertreten, dass in immer stärkerem Maß Komponenten der Zuwanderungspolitik der fortgeschrittensten industriellen Demokratien »in der Realität« von Schleusern und Geschäftemachern bestimmt werden. In vielen Fällen ließe sich sogar behaupten, die Regierungen wendeten den Löwenanteil ihrer Ressourcen für das Migrationsmanagement (und physisches, aber vor allem politisches Kapital) für die Bewältigung der Probleme auf, die durch die illegale Migration und die Anwesenheit illegaler Migranten auf ihrem Territorium entstehen - ein Prozess, bei dem Erfolg vor allem daran gemessen wird, wie gut es gelingt, nicht ganz erfolglos zu bleiben. Die Anstrengungen vieler EU-Mitgliedstaaten, besonders an den Südgrenzen der Union, und der Europäischen Kommission selbst - und gewiss die Aktivitäten der Vereinigten Staaten - passen in dieses Muster. Dieser Umstand schränkt eindeutig die der Politik zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur verstärkten Öffnung legaler Migrationskanäle ein.

    Es gibt jedoch eine Alternative: Diese besteht darin, politischen Handlungsspielraum für die Steuerung einer planmäßig, klug und flexibel regulierten Zuwanderung (und Anwesenheit) legaler Migranten zu erschließen, deren Beiträge zur Wirtschaft und Gesellschaft größtenteils gerade deshalb wertvoller sind, weil der Prozess erfolgreich gesteuert wird. Dieses Modell beschreibt am besten das Migrationsmanagement von Ländern wie Kanada und Australien.

    Die Herausforderung für die Politik liegt also klar auf der Hand. Damit der Nutzen der Migration größer wird, müssen die Regierungen vor allem erfolgreich die Illegalität jeder Art verringern und geschickt die unvermeidlichen Spannungen und Belastungen bewältigen, die der Prozess mit sich bringt. In Bezug auf den letzten Punkt ist vielleicht nichts dringlicher, als der Öffentlichkeit zu zeigen, dass Migranten gesetzestreu sind, positive Beiträge zur Wirtschaft leisten und dass die Beschäftigungschancen Einheimischer durch Zuwanderung nicht beeinträchtigt werden.

    3 Veraltete Konzepte, unflexible Verwaltungskategorien und die Notwendigkeit einer besseren Politik und besserer politischer Urteilsfähigkeit

    Systeme zum Migrationsmanagement leiden unter veralteten Konzepten, unflexiblen Verwaltungsstrukturen sowie dem Umstand, dass die Mittel häufig fehlgeleitet werden - und für die Aufgabe immer viel zu knapp bemessen sind.

    Ganz allgemein beruhen viele der heutigen Einwanderungssysteme, besonders im Nordwesten Europas, auf konzeptionellen und ideologischen Gedankengebäuden, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten und denen die Maximen des Flüchtlingsschutzes und der Achtung der Menschenrechte zugrunde lagen. Diese Maximen und die völkerrechtlichen Instrumente, zu denen sie führten - die Allgemeine und die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die Genfer Flüchtlingskonvention -, waren damals und sind noch heute wichtige Handlungsrichtlinien und schreiben ein bestimmtes Vorgehen vor, wenn ihre Bestimmungen eindeutig sind. Solche Instrumente, auch die administrativen sowie zivilgesellschaftlichen Systeme, die sie hervorgebracht haben, sollten nicht dazu dienen, andere Formen von Zuwanderung zu »verdrängen«. In dem widersinnigen politischen Kontext, der sich um die meisten Aspekte des »Zuwanderungsproblems« entwickelt hat, scheinen sie jedoch unbeabsichtigt genau diesen Effekt gehabt zu haben.

    Die Last der Vergangenheit endet damit nicht. Zentrale Zuwanderungskonzepte und Verwaltungskategorien müssen ebenfalls überarbeitet, wenn nicht sogar neu entwickelt werden. Besonders beeinträchtigen Konzepte, die komplexe Prozesse auf binäre Entwederoder-Formeln reduzieren, die Fähigkeit, dynamische Phänomene zu erfassen und angemessen darauf zu reagieren.

    Um mit dem einfachsten Beispiel zu beginnen: Die Unterscheidung in »Entsendeländer« und »Aufnahmeländer« von Migranten ist nicht sonderlich hilfreich, weil auf der elementarsten Ebene die meisten Gesellschaften Migranten sowohl entsenden als auch aufnehmen. Viele Länder sind auch Transitländer von Migranten. Solche groben Unterteilungen verschleiern die Aspekte, die Teilnehmer am Migrationsprozess verbinden könnten, und verzögern Maßnahmen, die es ihnen ermöglichen könnten, größeren Nutzen daraus zu ziehen. Historisch betrachtet, hat sich außerdem die Zeitspanne, die es heute zu dauern scheint, bis sich ein Land, das in erster Linie Entsendeland ist, in eines ändert, das Migranten sowohl entsendet als auch empfängt (oder überwiegend Migranten empfängt), fast auf einen Augenblick verkürzt.

    In ähnlicher Weise kann die Unterscheidung von »dauerhafter« und »zeitlich begrenzter« Migration immer weniger beschreiben, wie sich immer mehr Menschen heute verhalten und noch mehr Menschen zukünftig verhalten werden. Dies wird besonders dann gelten, wenn politische Maßnahmen und Verwaltungsvorschriften über den gesamten Migrationsprozess Menschen nicht mehr »aussperren« oder »einsperren«. Das Erste bedeutet, in einer Zeit, in der der Bedarf an neuen Arbeitskräften mit unterschiedlichen Qualifikationen und Bildungsabschlüssen immer weiter zunimmt, Grenzen »dichter« zu machen, ohne in angemessenem Umfang legale Migrationskanäle zu öffnen. Das Zweite meint das Festhalten an Vorschriften, nach denen ein ausländischer Arbeitnehmer, der das Beschäftigungsland verlässt, nicht wieder einreisen kann, ohne den Zuwanderungsprozess erneut durchlaufen zu müssen. Dabei kehren heute wie in den letzten 100 Jahren hohe Anteile der Zuwanderer »auf Dauer« in ihre Herkunftsländer zurück oder ziehen in andere Länder. Dieser Prozess wird sich wahrscheinlich beschleunigen. Umgekehrt bleiben viele anfangs temporäre Zuwanderer als Legale länger als vorgesehen und lassen sich in ihrem Beschäftigungsland auf Dauer nieder oder bleiben dort einfach als Illegale.

    Diese Fakten erfordern es, dass die Managementsysteme anpassungsfähiger werden. Nur dann werden diejenigen, die Vorschriften interpretieren und durchsetzen müssen, besser in die Lage versetzt, die politischen Ergebnisse zu erzielen, die ein aktives Zuwanderungssystem erfordert.

    Außerdem dürften die beschäftigungsbasierte und die qualifikationsabhängige Migration hinsichtlich ihrer Einflüsse auf den Bruttoarbeitsmarkt bei weitem nicht so unterschiedlich sein, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. In erster Linie wird der konkrete Arbeitsmarktbedarf gedeckt, wo dies zweifellos am wichtigsten ist: bei einem Arbeitgeber, der eine offene Stelle hat, die er nicht besetzen kann. In zweiter Linie ist dies eher ein Instrument zur »Akkumulation von Humankapital« und erfordert im Allgemeinen nicht das Eingreifen eines Arbeitgebers. Wenn die Arbeitskraft einer Person benötigt wird, ist die Humankapitaldifferenz zwischen den beiden Qualifikationsniveaus vielleicht weniger schwerwiegend, als manche behaupten - zumindest kurz- bis mittelfristig. Wenn man darüber hinaus ein gewisses Maß von Fluktuation und verbesserte Möglichkeiten zur Qualifizierung annimmt - zwei Annahmen, deren Berechtigung durch die demographische Entwicklung in Europa größer wird, weil sie eine positivere offizielle Einstellung gegenüber Arbeitsmigranten fördert -, kann selbst der langfristige Nutzen anfangs geringer qualifizierter Arbeitskräfte beträchtlich sein. Eine abweichende Einschätzung des Qualifizierungsthemas kann zu Vorurteilen über den relativen »Wert« unterschiedlicher Arten von Arbeit führen, die in vielen Beziehungen unangebracht sind.

    Beispielsweise hat für eine Familie, in der ein älteres Mitglied gepflegt werden muss, allein schon die Verfügbarkeit eines weniger qualifizierten, aber Pflege anbietenden Migranten große positive Auswirkungen. Die übergeordnete Bedeutung eines solchen Kontakts vergrößert sich enorm, wenn die Anwesenheit einer solchen Pflegekraft einem anderen (häufig qualifizierten) Erwachsenen im Arbeitgeberhaushalt den Eintritt in den Arbeitsmarkt gestattet. Wenn wir über Arbeit »ohne Qualifikationsanforderungen« sprechen, müssen wir darüber hinaus (a) zwischen Abschlüssen als Ergebnis formaler Bildung und Qualifikationen unterscheiden und (b) wissen, ob wir uns auf das Anforderungsprofil der Stelle oder die Qualifikationen beziehen, über die der Stelleninhaber verfügt. Gewöhnlich beziehen wir uns auf das Erste und setzen das Zweite voraus. Ausländer mit einem hohen Bildungsstand nehmen sehr häufig Arbeit an, die wenige Qualifikationen erfordert.

    Angesichts der sich verschärfenden Mängel und Unausgewogenheiten in Bezug auf Qualifikationen und andere Faktoren müssen die Anerkennung von dem und Investitionen in das Humankapital, das alle Zuwanderer und besonders anerkannte Asylbewerber und Besitzer von Familienvisa mit sich bringen, zentrale Bestandteile gut verwalteter Migrationssysteme sein.

    Als letzter Punkt sei angeführt, dass Migration unverhältnismäßig darunter zu leiden scheint, dass sie zwangsläufig vom Verhalten - genauer gesagt von den Mängeln und dem letztendlichen Schicksal - der vielen gesellschaftlichen Institutionen betroffen ist, die ebenfalls dringend erneuert, überdacht und radikal verändert werden müssen.

    Beispielsweise wird das Bildungssystem aktiv daran mitwirken müssen, die zukünftigen Arbeitnehmer eines Landes so vorzubereiten, dass sie angesichts zunehmend intensiver globaler Konkurrenz wirtschaftlich erfolgreich sein können. In immer stärkerem Maß werden die Zulassung von Ausländern und die Verlagerung von Stellen in Länder, in denen genügend gut gebildete und ausgebildete sowie wesentlich billigere Arbeitskräfte verfügbar sind, besorgniserregende Konsequenzen einer versagenden eigenen Bildungspolitik sein.

    Diese kurze Analyse wirft die folgenden Fragen auf: Was sind einige der grundsatzpolitischen Konsequenzen der alten Denkweise in Bezug auf Migration, und wie könnte eine andere Denkweise über den Prozess unsere Vorstellungen über unser zukünftiges Migrationsmanagement und seine Durchführung in der Praxis verändern?

    4 Alte und neue Denk- und Handlungsweisen in Bezug auf Migration

    Das alte System

    Das alte System verwendet abgedroschene Thesen und einen Befehlston, um Gespräche über eine gut durchdachte und zunehmend notwendige Öffnung der Zuwanderung zu unterbinden - mit der Konsequenz, dass die Arten von Fragen, auf die Antworten gefunden werden müssen, erst gar nicht gestellt werden und zukunftsorientierte politische Handlungskonzepte sowie Konzepte, die den nationalen (und darüber hinausgehenden) wirtschaftlichen Interessen dienen und gleichzeitig die sozialen Kontexte berücksichtigen, in denen Migration stattfindet, immer seltener werden.

    Beispielsweise soll der Satz »Nichts ist dauerhafter als ein temporärer Zuwanderer« denjenigen Einhalt gebieten, die die Zuwanderung temporärer Arbeitskräfte und/oder die dauerhafte Zuwanderung in Erwägung ziehen. Er motiviert auch diejenigen, die der Zuwanderung kritisch gegenüberstehen, solchen Öffnungsvorhaben Widerstand entgegenzubringen.

    Das alte System weigert sich, aus den Widersinnigkeiten zu lernen, die alte politische Handlungskonzepte (und das Fehlen von Konzepten) begünstigen, und ignoriert sie. Was geschieht, ist, dass das alte System versucht, ein zunehmend dynamisches Phänomen (Zuwanderung) mit statischen Konzepten, Politikinstrumenten aus einer vergangenen Zeit und starren, fast sklerotischen Arbeitsmarktsteuerungssystemen zu bewältigen.

    Es sei daran erinnert, wie die Inflexibilität vieler europäischer Arbeitsmärkte durch die Zuwanderung betreffende Entscheidungen gefördert und verstärkt wird. Man denke auch an die Zunahme der Schattenwirtschaft und daran, wie solche Arbeitsmarktbeschränkungen für Nichteinheimische zur Vitalität der Schattenwirtschaft beitragen.

    In dieser Art von Politikdenken spiegeln sich drei im Großen und Ganzen verwandte Mythen wider, und es begünstigt sie sogar wahrscheinlich noch: erstens der Mythos, dass Arbeitsmärkte auf eigentümliche Art unabhängig von anderen gesellschaftlichen Gegebenheiten funktionieren wie der Ablehnung bestimmter Arbeit und der negativen Anreize für die Aufnahme solcher Arbeit durch die Gewährung immer noch relativ großzügiger Wohlfahrtsleistungen. Zweitens der Mythos, dass Arbeitsplätze auf eigentümliche Art immun gegen den Druck internationaler Konkurrenz sein können und sowohl im Stammland eines Unternehmens gehalten werden können als auch mit einer ähnlich hohen Vergütung verbunden sein können wie früher. Drittens der Mythos, dass die Zahl der Arbeitsplätze in einer Volkswirtschaft auf eigentümliche Art unveränderlich ist und einheimische Arbeitsmärkte deshalb vor der Konkurrenz durch Ausländer geschützt werden müssen.

    Aber selbst wenn Zuwanderer im Land anwesend sind, investiert das alte System nicht fürsorglich, indem es sie und ihre Kinder darauf vorbereitet, in den Arbeitsmarkt einzutreten und dort Erfolg zu haben. Insofern trägt es - wenn auch unbeabsichtigt - zu ihrer wirtschaftlichen Benachteiligung bei. Dies ist der Grund für die wesentlich höheren Arbeitslosenzahlen bei Zuwanderern und ihren Nachkommen im Vergleich zu den Einheimischen, ihre unterbrochene Zugehörigkeit zur Erwerbsbevölkerung, die Tatsache, dass sie unter den Inhabern schlecht bezahlter Stellen und in Kohorten mit niedrigem Einkommen unverhältnismäßig stark vertreten sind, und so weiter. Dies ist auch ein Beispiel dafür, dass die Vergangenheit die Gegenwart belastet.

    Letzten Endes schafft das alte System weitere Abhängigkeiten, indem es Asylbewerbern, deren Antrag als plausibel eingestuft wird, oder direkten Angehörigen von Zuwanderern mit Langzeitaufenthaltsberechtigung gewöhnlich zumindest für eine gewisse Zeitspanne die Arbeitserlaubnis verweigert.

    Das neue System

    Weil das alte System einem Denken und Handeln verhaftet ist, das zu der Zuwanderungspolitik und der politischen Zwickmühle in puncto Zuwanderung geführt hat, mit der die Vereinigten Staaten und weite Teile der EU heute konfrontiert sind, steht das neue System vor der gewaltigen Aufgabe, eine neue Sprache und - noch wichtiger - eine neue Syntax für die internationale Migration zu entwickeln. Nachstehend sind einige Bereiche aufgeführt, in denen große Fortschritte erzielt werden müssen.

    • Das neue System wird nachweisen müssen, dass es globale, regionale (Nicht-EU-) und subregionale Reservoirs fähiger Arbeitskräfte wesentlich besser verstehen, (bei Bedarf) zu ihrem Wachstum beitragen und sich ihrer bedienen kann, anstatt fast ausschließlich in regionalen (EU), nationalen und subnationalen Kategorien zu denken. Weil die EU-Erweiterung an ihre natürliche Obergrenze stößt und wenn man von anhaltendem Wirtschaftswachstum ausgeht, wird die (bei weitem) ergiebigste Quelle der Union für neue Arbeitskräfte genau dann austrocknen, wenn die Arbeitsmarktkonsequenzen der neuen Demographie ihren Höhepunkt erreichen

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1