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Zukunft Quartier - Lebensräume zum Älterwerden, Band 2: Eine neue Architektur des Sozialen - Sechs Fallstudien zum Welfare Mix
Zukunft Quartier - Lebensräume zum Älterwerden, Band 2: Eine neue Architektur des Sozialen - Sechs Fallstudien zum Welfare Mix
Zukunft Quartier - Lebensräume zum Älterwerden, Band 2: Eine neue Architektur des Sozialen - Sechs Fallstudien zum Welfare Mix
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Zukunft Quartier - Lebensräume zum Älterwerden, Band 2: Eine neue Architektur des Sozialen - Sechs Fallstudien zum Welfare Mix

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Frau Rotlaub ist 90 Jahre alt und auf pflegerische Unterstützung angewiesen. Zu ihren Nachbarn hat sie täglichen Kontakt, ein befreundetes Ehepaar besucht sie regelmäßig, um mit ihr zu musizieren, und bei der Kaffeerunde in der Wohnanlage sieht man Frau Rotlaub oft und gerne. Während sich die bezahlte Nachbarschaftshilfe um ihren Haushalt kümmert, stellt ein Pflegedienst die fachliche Betreuung sicher. Je nach Gesundheitszustand kommen die Helfer zusammen, um ihre Aktivitäten neu aufeinander abzustimmen.
Neben dem Unterstützungsnetzwerk von Frau Rotlaub werden Beziehungsgeflechte von fünf weiteren älteren Menschen in qualitativen Studien analysiert. Gezeigt wird zum einen, wie in Wohnprojekten des "Netzwerk: Soziales neu gestalten" Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe erhalten und ausgeweitet werden kann. Zum anderen wird eine wichtige Bedingung der Unterstützung sichtbar: auch die Unterstützenden müssen von der besonderen Situation in den Wohnprojekten profitieren können. Insgesamt zeichnet sich eine neue Architektur des Zusammenlebens ab, in der die Beteiligten jenseits der eigenen Handlungslogiken füreinander mitdenken. Das institutionelle Rückgrat dieser Architektur bildet die in den Wohnprojekten fest verankerte Gemeinwesenarbeit.
Die vorliegenden Erkenntnisse können die Politik, die Gemeinwesenarbeit und die Wissenschaft sozialer Arbeit bei der Beantwortung der Frage unterstützen, wie durch die Vermittlung vielfältiger Interessenlagen kleinräumige Unterstützungspotenziale zu entwickeln sind, um einen gelungenen Welfare Mix zu gestalten.
LanguageDeutsch
Release dateJul 15, 2010
ISBN9783867931304
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    Zukunft Quartier - Lebensräume zum Älterwerden, Band 2 - Verlag Bertelsmann Stiftung

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    1 Fragestellung und Methode

    Das »Netzwerk: Soziales neu gestalten« (SONG) hat sich im Rahmen neuartiger Wohnprojekte zum Ziel gesetzt, Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe zum Wohlergehen älterer Menschen zu fördern. Das Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung (zze) hat eine empirische Untersuchung durchgeführt, die darüber Aufschluss geben soll, wie sich das Leben älterer und alter Menschen in den Wohnprojekten des »Netzwerks: Soziales neu gestalten« (SONG) entwickeln kann. Ausgehend von der Überlegung, dass kein Mensch für sich alleine bestimmen kann, welchen Lauf »sein« Leben nimmt, erschien eine Netzwerkstudie dem Forschungsgegenstand angemessen. Angesichts dieses Designs kann es nicht darum gehen, repräsentativ zu zeigen, wie die Menschen in den Wohnprojekten insgesamt leben. Stattdessen werden sechs Einzelfälle vorgestellt, an deren Beispiel die Potenziale der jeweiligen Wohn- und Lebenssituation analysiert werden.

    Veränderte Lebensbedingungen alter Menschen

    Wachsender Unterstützungsbedarf

    Die Auseinandersetzung mit dem »demographischen Wandel« ist nicht neu. Bereits die gleichnamige Enquete-Kommission des Bundestages hat sich von 1992 bis 2002 mit aktuellen und zu erwartenden Veränderungen der Bevölkerungszusammensetzung befasst. Das Ergebnis der Untersuchungen lautete, dass zwei zentrale Verschiebungen die demographische Entwicklung prägen: eine zunehmend älter werdende Bevölkerung und eine insgesamt schrumpfende Einwohnerzahl. Nach Auffassung der Kommission wären die Auswirkungen beider Verschiebungen selbst durch eine wachsende Zahl von Zuwanderern nicht aufzuhalten - im besten Falle wäre ihre Intensität abzuschwächen. Die Prognose der Sachverständigen bis zum Jahr 2020 lautete: »Die Zahl der älteren Menschen wird zunehmen, insbesondere die Zahl der Hochaltrigen wird überproportional steigen. Zum anderen wird nach dem Jahr 2020 eine Abnahme der Gesamtbevölkerungszahl erwartet, wobei die Bevölkerung im Erwerbsalter prozentual stärker schrumpfen wird als die Gesamtbevölkerung« (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005b: 35).

    Eine vielfach aus dieser Prognose gezogene Schlussfolgerung sieht die ausreichende Versorgung alter Menschen in Zukunft gefährdet. Angesichts des Rückgangs der Zahl erwerbsfähiger Menschen und des Potenzials an beruflichen Pflege- bzw. Unterstützungskräften werden Fragen der Finanzierbarkeit und der Durchführung von Versorgungsleistungen virulent.

    Daten des Bundesgesundheitsministeriums belegen den Trend einer wachsenden Anzahl von Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf. Seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 steigt die Zahl der Leistungsempfänger kontinuierlich an. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung seit der Aufnahme stationärer Versorgungsleistungen in die Versicherung 1996. Sie bietet damit die Chance, Entwicklungen unterschiedlicher Formen des Pflegebedarfs zu verfolgen (Bundesministerium für Gesundheit 2008: 50). Demnach ist der Kreis der Leistungsempfänger gemäß den Prognosen der Enquete-Kommission insgesamt gewachsen.

    Darüber hinaus ist zu beobachten, dass Empfänger ambulanter Leistungen mit fast 70 Prozent den größten Anteil an der Gesamtheit der Leistungsempfänger bilden. Das heißt zum einen, dass die meisten Menschen mit Pflegebedarf nach Pflegestufe in Privathaushalten versorgt werden. Der Anteil dieser Versorgungsform ist jedoch in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gesunken, sodass man zum anderen vorsichtig von einem Trend zur Abkehr von der traditionell dominierenden häuslichen Pflege sprechen kann, der - kraftvoll ausgedrückt - auch als »Heimsog« bezeichnet wird (Häcker und Raffelhüschen 2006). Das Ziel des Pflegeversicherungsgesetzes, dafür zu sorgen, dass Pflegebedürftige möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können (Grundsatz »ambulant vor stationär« § 3, SGB XI), läuft also Gefahr, verfehlt zu werden.

    Tabelle 3: Leistungsempfänger der sozialen Pflegeversicherung in den Jahren 1996 und 2006

    In ihrem Report über »Alter und Pflege« führen Hoffmann und Nachtmann aus, dass innerhalb der Lebensphase »Alter« das Dritte und Vierte Lebensalter zu unterscheiden sind. Ohne exakte zeitliche Markierung machen sie den Übergang zwischen dem 80. und 85. Lebensjahr fest, wobei das Vierte Lebensalter durch zunehmende physiologische Alterserscheinungen mit deutlichen physischen und psychischen Einschränkungen gekennzeichnet ist: »Die Häufigkeit von Erkrankungen nimmt zu, Multimorbidität (Mehrfacherkrankungen) und chronische Krankheiten beeinträchtigen deutlich die Lebensqualität. Insbesondere die Gefahr demenzieller Veränderung und der damit einhergehende Verlust von Identität und Biographie steigen in diesem Alter an. Das Risiko, bei der Bewältigung des Lebens auf die Hilfe und Unterstützung anderer Personen angewiesen zu sein und pflegebedürftig zu werden, ist in dieser Lebensphase am größten und prägt sie auch zunehmend« (Hoffmann und Nachtmann 2007: 3).

    Mentalitätswechsel und neue Lebensformen

    Wenn eine steigende Zahl von Menschen jenes Vierte, von hohem Unterstützungsbedarf geprägte Lebensalter erreichen wird, wäre zunächst eher mit einer Verstärkung als mit der Abschwächung des Trends zu stationären Wohnformen zu rechnen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was »Altenhilfe« heißt und wie neue Wege der Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität mit Blick auf ihre Wohnsituation aussehen können.

    Gemäß der »Baden-Württemberger Pflegestudie« sind derzeit Kinder und Schwiegerkinder die wichtigsten Helfer älterer Pflegebedürftiger (eine vom Baden-Württembergischen Sozialministerium in Auftrag gegebene Untersuchung zur »Situation der Pflegebedürftigkeit nach Einführung der Pflegeversicherung«, Blinkert und Klie 1999). Von ihnen geht fast die Hälfte aller Hilfeleistungen aus. Sofern vorhanden, sind Ehegatten zu 20 Prozent an der pflegerischen Versorgung beteiligt. Mit einem Anteil von gut 70 Prozent bilden Frauen die Mehrzahl der Helfer, wobei es sich in rund 60 Prozent der Fälle um Ehefrauen handelt (Blinkert und Klie 1999: 192). Zumindest zum Zeitpunkt dieser Studie scheint der Individualisierungsschub der Nachkriegszeit die Situation ambulant versorgter älterer Menschen (noch) nicht umfassend zu bestimmen.

    Es kann zwischen familienbezogen-traditionalistisch eingestellten Pflegebedürftigen (45 Prozent), Pflegebedürftigen, die in geringem Maße individualisiert sind (47 Prozent), und Pflegebedürftigen, bei denen sich die Individualisierung deutlich in den persönlichen Lebensumständen niedergeschlagen hat (8 Prozent), unterschieden werden. Die familienbezogen-traditionalistischen Pflegebedürftigen weisen zu 85 Prozent ein stabiles Unterstützungsnetzwerk auf, während die individualisierten Pflegebedürftigen dazu neigen, über ein eher labiles Netzwerk zu verfügen (Blinkert und Klie 1999: 188f.).

    Die Vermutung, dass der Anteil individualisierter Pflegebedürftiger bei den stationär Versorgten deutlich höher liegt als in den anderen Gruppen, konnte weder bestätigt noch widerlegt werden. Freilich ist zu erwarten, dass bei anhaltender Schwächung familialer Bindungen die Zahl der Personen wächst, die »wenige oder sogar keine Kinder [haben], vom Partner getrennt lebend oder geschieden [sind], relativ mobil vor dem Ruhestand und deshalb noch nicht sehr lange am Wohnort leben« (Blinkert und Klie 1999: 191).

    In einem größeren Zusammenhang können pflegekulturelle Orientierungen abgebildet werden: Solidaritätsbereitschaft und Solidaritätserwartung sind milieuspezifisch verteilt, und bei aller Bereitschaft zur Solidarität in der Familie ändern sich die Fähigkeiten und Abwägungsprozesse, einander beizustehen. Vormoderne Solidaritätsmuster mit einer ausgeprägten Rollenverteilung, in der eine hohe Bereitschaft von Töchtern und Schwiegertöchtern besteht, Eltern und Schwiegereltern ohne die Unterstützung professioneller Hilfe zu pflegen, bestehen nur noch in Milieus mit niedrigem sozialem Status und/oder eher traditionellen Lebensentwürfen fort. In den »Gewinnermilieus« der Modernisierung herrscht der Trend zur breiteren Streuung von Verantwortlichkeit vor, verbunden mit einer latenten Bereitschaft, auch stationäre Versorgungsformen in einer ökonomischen Gesamtabwägung zu akzeptieren.

    Abbildung 1: Gemeinwesenorientiertes Engagement, Pflegebereitschaft und soziale Milieus

    Eine ungebrochene Bereitschaft zur familialen Unterstützung und Pflege, auf der sowohl die Pflegeversicherung als auch die Versorgungserwartungen vieler älterer Menschen fußen, ist demographischen und sozialen Wandlungsprozessen unterworfen und nimmt als zugrunde liegende Mentalität ab. Oftmals sind die empirischen Voraussetzungen im Sinne einer Verfügbarkeit familialer Solidarität vor Ort überhaupt nicht mehr gegeben. Vielgestaltigen Netzwerken zur Versorgung alter Menschen und zur Absicherung von Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe kommt daher wachsende Bedeutung zu. Flankiert wird diese Entwicklung von einer Erweiterung der Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement, wobei sich diese Bereitschaft am häufigsten im liberal-bürgerlichen Milieu findet (Blinkert und Klie 2004: 139).

    Geht man davon aus, dass zahlenmäßig und aus Gründen der Wertorientierung nur ein kleiner Kreis älterer Menschen unmittelbar auf Angehörige als Quelle persönlicher Unterstützung wird zurückgreifen können, stellt sich die Frage nach anderen Quellen und deren Erschließung (Tesch-Römer und Wahl 2000: 437). Mit der Professionalisierung von Pflegeleistungen und der Individualisierung von Lebensläufen wird häufig die Notwendigkeit einer Versorgung hilfsbedürftiger alter Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen verbunden. Nach zahlreichen Medienberichten über Missstände in Alteneinrichtungen herrscht die Tendenz vor, die Lebensqualität alter Menschen dort als wenig wünschenswert zu interpretieren (Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen 2007).

    Das Leben und Wohnen im Alter hat sich dabei in den vergangenen Jahren insgesamt eher zum Experimentierfeld entwickelt. Allein aufgrund der Tatsache, dass sich eine wachsende Zahl alter Menschen weder aus körperlichen noch aus finanziellen Gründen (mehr) vor die Alternative »Heim oder Angehörige« gestellt sieht, haben sich neue Wohnformen entwickelt. Dazu gehören z. B. das betreute Wohnen zu Hause, betreutes Wohnen in der Wohnanlage, die Altenwohngemeinschaft, das Mehrgenerationen-Wohnen, Wohnen in Gastfamilien, integratives Wohnen (Tews 2000). Angestrebt wird, dem Leben im Alter eine neue Qualität zu geben und/oder eine Qualität wiederzuerlangen, die häufig als normal, aber in der Moderne häufig als abhandengekommen gilt: die selbstständige Führung eines Haushalts (als moderne Qualität) sowie das Wohnen in einer Gemeinschaft, die im Bedarfsfall Unterstützung bietet (als traditionelle Qualität). Je nach Wohnform fällt die Ausgestaltung anders aus: So strebt das integrative Wohnen an, die Nachbarschafts- und Selbsthilfe im Quartier zu fördern, während das Mehrgenerationenhaus auf die Bildung von Wahlverwandtschaften im Haus abhebt und die Altenwohngemeinschaft gegenseitige Hilfeleistungen bis hin zur Pflege der Mitbewohner im gemeinsamen Haushalt zum Ziel hat.

    Die Entstehung neuer Wohnformen weist bereits darauf hin, dass sich das Leben im Alter und damit die Mentalitäten alter Menschen grundlegend wandeln. In der Frage, ob der Ersatz des Stereotyps vom gebrechlichen alten Menschen ohne Weiteres durch das Stereotyp des agilen Senioren ersetzt werden kann, zeichnet sich ab, dass das Alter häufiger differenziert wahrgenommen wird (Kruse und Schmitt 2005). Abgesehen von messbedingten Einflüssen, wurden lange Zeit altersbedingte Kompetenzverluste und Produktivitätseinbußen aufgrund ihrer Folgen für die sozialen Sicherungssysteme bevorzugt thematisiert. Dagegen scheint nun ein Trend zur Betonung der Potenziale älterer Menschen einzusetzen (wie etwa der Titel des 2005 vom Bundesfamilienministerium herausgegebenen Fünften Berichts zur Lage der älteren Generation »Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft - der Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt der Generationen« zeigt). Man kann dies auf den Bedarf an einem Rollenrepertoire zurückführen, das es älteren Menschen ermöglicht, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten auch nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu erhalten und zu erweitern. In der Praxis findet der neue Trend seinen Niederschlag darin, die älteren Menschen als Ressource zu umwerben und sie für regionale und überregionale Formen des freiwilligen Engagements zu gewinnen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2007; Olk 2007).

    Definition von Selbstbestimmung und Teilhabe

    »Selbstständigkeit« und »Autonomie« bzw. »Integration« und »Teilhabe« lauten Schlüsselbegriffe in der Diskussion darum, worauf es im Leben alter Menschen ankommt. Angesichts der Verwendungszusammenhänge entziehen sich die Begriffsinhalte einer allgemeinverbindlichen Bestimmung. Die Forderung nach Autonomie hat eine anhaltende Tradition in der Behindertenhilfe und bedeutet dort, dass Menschen mit Behinderung in die Situation gesetzt sein sollen, selbst darüber zu befinden, wie sie leben möchten (Spörke 2007). Bezogen auf das System sozialer Hilfe ist gemeint, die durch Hilfebedarf entstehenden institutionellen Einschränkungen nach Kräften zu vermeiden und umgekehrt persönliche Assistenz, Barrierefreiheit oder andere Unterstützung mit Blick auf die Möglichkeit zu organisieren, eigene Angelegenheiten nach eigenem Ermessen zu regeln.

    Auf alte Menschen lässt sich der Begriff ausdehnen, sofern sie auch ohne Behinderung oftmals Einschränkungen in ihrer Lebensführung unterworfen sind, wenn z. B. der Tagesablauf im Pflegeheim durch die Anwesenheitszeiten des Personals und in der Familie durch Rhythmen der Angehörigen vorgegeben wird. Gewiss stellt sich die Frage, ob je ein Mensch im radikalen Sinne selbstbestimmt lebt (siehe Steiner 1999), doch verfängt dieser Einwand nicht, solange sich in empirischer Hinsicht danach trennen lässt, in welchen Belangen eine Person selbst über ihr Schicksal entscheiden kann und in welchen andere dies für sie tun dürfen, sollen oder müssen. Selbstständigkeit unterscheidet sich für die Unterstützer einer Person dadurch von Selbstbestimmung, dass sie beim Erwerb von Kompetenzen behilflich sind. Sie sollen der betreffenden Person ermöglichen, selbst zur Bewältigung ihrer Situation beizutragen (Ackermann 2006).

    Teilhabe (Partizipation) als Konzept in der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) interpretiert den Menschen als Subjekt in gesellschaftlicher und natürlicher Umwelt (Deutsches Institut 2005). Aspekte allgemeiner Menschenrechte und subjektiver Erfahrung vereinen sich in diesem Konzept, wenn es einerseits um den gleichberechtigten Zugang zu verschiedenen Lebensbereichen und die Einbindung in sie und andererseits um die persönliche Entfaltung in ihnen geht. Auf den Punkt gebracht, ist Teilhabe »das Einbezogensein einer Person in eine Lebenssituation oder einen Lebensbereich«, wobei es um die Lebensbereiche geht, an denen sie selbst teilhaben möchte - nicht um diejenigen, an denen sie nicht teilhaben will (Schuntermann 2005: 55).

    Die besondere Bedeutung des Konzepts bei der Beschäftigung mit alten Menschen liegt darin, dass die verschiedenen Entwicklungsstadien im Leben von Menschen nur durch gesellschaftliche Teilhabe zu bewältigen sind. Nach Aussagen von Staudinger und Schindler (2002: 66) sind der Umgang mit diesen Entwicklungsaufgaben und die Bewältigung dieser Anforderungen sowohl dafür verantwortlich, wie alt man wird, als auch dafür, »wie zufrieden man dabei ist und welche Möglichkeiten zur Partizipation man nutzen kann und will«. Entscheidend ist, dass es angesichts der subjektiven Lagen keine allgemeingültige Lösung für das Problem der Sicherstellung gesellschaftlicher Partizipation, sondern immer eine Vielzahl von Lösungen geben muss.

    Damit Selbstbestimmung und Teilhabe im Weiteren in die Analyse gemischter Wohlfahrtsproduktion (vgl. folgendes Kapitel) einbezogen werden können, wird »Lebensqualität« als Schlussstein in das begriffliche Gebäude eingesetzt. Selbst wenn »Wohlfahrt« individuell variiert, sind wichtige Dimensionen der Lebensqualität älterer Menschen verallgemeinernd beschrieben. Der in der Forschung weit verbreitete Index SF-36 thematisiert als Indikatoren gesundheitsbezogener Lebensqualität z.B. die körperliche Funktionsfähigkeit, den allgemeinen Gesundheitszustand, die soziale und emotionale Funktionsfähigkeit sowie das psychische Wohlbefinden (Bullinger und Kirchberger 1998). In ähnlicher Weise benennt die Weltgesundheitsorganisation physisches und psychisches Funktionieren, die soziale Einbindung und soziale bzw. natürliche Umweltfaktoren als Parameter von Lebensqualität (World Health Organization 1996). Die Handreichung des Deutschen Caritasverbandes für freiwillig und ehrenamtlich Tätige in der Behindertenhilfe rät in Anlehnung daran, Teilhabemöglichkeiten in den Bereichen Kommunikation und Interaktion, Lernen und Wissen, Mobilität und Gemeinschaftsleben, Selbstversorgung und Haushaltsführung zu beobachten (Krank 2007: 71). Blunck nennt in ihrer Arbeit zu informellen Hilfen im Alltag die Bereiche emotionaler, informativ-ratgebender und alltagspraktischer Hilfestellungen (Blunck 2002: 18f.). Bei der Erhebung des BMFSFJ zu Möglichkeiten und

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