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Raum für den Frieden: The Practice of Peace
Raum für den Frieden: The Practice of Peace
Raum für den Frieden: The Practice of Peace
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Raum für den Frieden: The Practice of Peace

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About this ebook

Überall wünschen sich Menschen ein harmonisches und produktives Miteinander am Arbeitsplatz, in Nachbarschaften, in der Welt, in unseren Familien und Freundschaften, auch in Chefetagen.
Diesen Zustand herbeizuführen, versucht man mit großem Aufwand an Beratung. Dialog, Mediation, Supervision, Coaching, Krieg und Friedensverhandlungen...der erhoffte Erfolg bleibt oft aus.
Harrison Owen ist auf eine Alternative gestoßen: open space.
Im open space haben weltweit die unterschiedlichsten Gruppen verblüfft beobachtet, wie friedliche und produktive Zusammenarbeit von ganz alleine geschieht, trotz aller Gegensätze und Konflikte oder auch gerade wegen derselben. Das einfache Geheimnis liegt in den schier unerschöpflichen Möglichkeiten der Selbstorganisation, die sich in dem Raum und der Zeit einer open space-Veranstaltung frei entfalten können.
Das open space-Verfahren lässt sich leicht erlernen, jede und jeder von uns kann es nutzen.

Wie wir die dafür notwendigen Fertigkeiten durch ständiges Üben so vertiefen können, dass wir friedensstiftend wirken, beschreibt Harrison Owen in seinem vorliegenden Buch.
LanguageDeutsch
Release dateApr 15, 2013
ISBN9783943755077
Raum für den Frieden: The Practice of Peace

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    Raum für den Frieden - Harrison Owen

    2013

    Vorwort

    Seit dem 11. September 2001 ist unsere Welt nicht mehr dieselbe. Vier Flugzeuge starteten zu einem Routineflug in den wolkenlosen Himmel. Die Passagiere erwarteten, dass ihr Leben so weitergehen würde wie bisher: Sie würden ihrer Arbeit nachgehen, Kinder großziehen, Freunde besuchen.

    Aber unter ihnen war eine Gruppe junger Männer mit ganz anderen Vorstellungen. Sie wussten, dass sie in Kürze sterben würden und glaubten fest an den Sinn ihres Todes. Er würde ein Unrecht wieder gutmachen, ein Unrecht, das in ihren Augen ein schreckliches Ausmaß angenommen hatte.

    Es dauerte keine Stunde, und alle vier Flüge endeten in einer unvorstellbaren Katastrophe. Tausende verloren ihr Leben, und die ganze Welt hielt den Atem an. Für einen Augenblick blieb die Zeit stehen, und Millionen Menschen überall auf der Erde starrten wie gebannt auf ihre Fernsehschirme, verbunden durch die Bilder der aufsteigenden Rauchwolken, die den wolkenlosen Himmel über New York und Washington verdunkelten.

    Aber dieser Augenblick ging vorbei und mit ihm das Gefühl der Verbundenheit. Viele verliehen ihrem Zorn und ihrer Erschütterung Ausdruck, aber andere quittierten die Anschläge mit Siegesgeschrei und Freudenrufen. Die tödliche Spaltung unserer Welt wurde sofort erschreckend sichtbar.

    In Wirklichkeit hatte sich die Welt gar nicht verändert. Die Hungernden haben immer noch nichts zu essen, während die Satten auf Diät sind. Menschen lieben sich, Kinder werden geboren, Geschäfte gemacht – und Sonne und Mond rahmen die vorüberziehenden Tage ein, wie sie es vor diesem entscheidenden Augenblick getan hatten. Aber unsere Wahrnehmung hat sich geändert, und wie immer ist die Wahrnehmung die Wirklichkeit. Nur, wie genau sieht diese neue Wahrnehmung aus? Und wie die Realität, die sie geschaffen hat? Ich habe darüber nachgedacht wie wir alle, nicht abstrakt und akademisch, sondern mit einem Gefühl existenzieller Bedrohung, das sich einstellt, wenn einem alle Eckpfeiler und Sicherheiten des eigenen Lebens aus den Händen geschlagen werden.

    Ich war erst vor kurzem 65 geworden und schaute auf ein reiches, erfülltes Leben zurück, ein Leben, das mich mit Tausenden von Menschen auf dem ganzen Erdball zusammengebracht hat, die mich an ihren Erfahrungen teilhaben ließen: Dorfbewohner in Westafrika, Obdachlose aus den amerikanischen Städten, Zuckerrohrarbeiter in Lateinamerika, Manager in den USA und Europa, Staatsdiener aus allen Bereichen und ganz normale Leute, sie alle lieferten die farbigen Mosaiksteine zu meinem Leben. Wenn es etwas gab, was mich angetrieben hat, dann war es mein leidenschaftliches Interesse für das Phänomen der transformierenden Veränderung in unserem Alltag, darüber nachzudenken, zu schreiben und damit zu arbeiten. Dabei hatte ich das unverdiente Glück, über eine neue und ungewöhnliche Methode zu stolpern, wie Gruppen miteinander arbeiten können. Sie ist als open space bekannt geworden. Und jetzt plötzlich war mein ganzes Leben aus den Fugen geraten durch die Sprengkraft eines Augenblicks.

    Die Einzelheiten meiner persönlichen Odyssee spielen hier weiter keine Rolle. – Nur soviel. Im Januar 2002 war ich in Israel, genauer gesagt auf der Dachterrasse eines Freundes in der Nähe von Tel Aviv. Ich war in diesen gequälten Teil der Welt gekommen in der Hoffnung, dass meine Erfahrungen hier vielleicht irgendwie von Nutzen sein könnten. Die Nachrichten quollen über von Bombenattentaten und ihren Opfern, aber der Abend war still und klar. Eine sanfte Brise streichelte meine Wangen, und ich fühlte mich hin- und hergerissen zwischen der Gelassenheit des Augenblicks und der abgrundtiefen Verzweiflung, die das Land erfüllt. Plötzlich, im Raum zwischen Gelassenheit und Verzweiflung, formten sich Worte auf meinen Lippen. Es geht um „Practice of Peace", sagte ich in die Nacht.

    In diesem Augenblick war mir alles klar. Aber – wie meistens in solchen Augenblicken – das lag nur daran, weil ich mich noch nicht mit den Einzelheiten beschäftigt hatte. Das habe ich inzwischen nachgeholt, und das Puzzle begann sich zusammenzufügen.

    Hier ist das Ergebnis.

    Harrison Owen

    Camden, Maine

    Im September 2002

    Zu diesem Buch: Ursprung und Vertrieb

    Als Autor dieses Buches bin ich alleine verantwortlich für dessen Inhalt. Aber es wäre mit Sicherheit nie entstanden ohne die Unterstützung der außergewöhnlichen Gemeinschaft von Menschen, die überall auf der Welt mit dem open space Verfahren arbeiten.

    Druck und Verkauf sind dezentral organisiert. Wer das Buch erwerben möchte, kann sich an eine der folgenden Adressen wenden:

    Deutschland

    Michael M Pannwitz mmpannwitz@gmail.com

    USA

    Peggy Holman info@osius.org

    Kanada

    Larry Peterson larry@spiritedorg.com

    Australien

    Brian Bainbridge, (verstorben 2010)

    Schweden

    Thomas Herrmann thomas@openspaceconsulting.com

    Dänemark und Niederlande

    Gerard Muller gm@openspace.dk

    Haiti

    John Engle john@johnengle.net

    Taiwan

    Gail West icataiw@gmail.com

    Israel

    Tova Averbuch tova.averbuch@gmail.com

    Österreich

    Erich Kolenaty e.kolenaty@transformation.at

    Estland

    Mikk Sarv tuulepuu@gmail.com

    Die Estländische Ausgabe wird im Sommer 2003

    erhältlich sein.

    Andere

    Harrison Owen hhowen@verizon.net

    Alle Einnahmen dienen der Verbreitung von open space. Ich verzichte auf die Tantiemen, alle anderen auf die Vergütung ihrer investierten Zeit. Nur die direkten Herstellungs- und Übersetzungskosten werden aus den Einnahmen bestritten. Der offizielle Verkaufspreis beträgt 20 US Dollar oder das Äquivalent dafür. In besonderen Fällen können Rabatte eingeräumt werden.

    The Practice of Peace entwickelt sich weiter. Neue Erkenntnisse werden in spätere Auflagen eingearbeitet.

    Harrison Owen

    2002

    Zur deutschsprachigen Ausgabe

    Heute in fünf Tagen wird dieses Buch auf deutsch vorliegen.

    Dahinter steckt weder ein eingeführter Verlag noch eine Vertriebsorganisation mit einer ausgefeilten Werbekampagne, noch ein irgendwie formal erkennbares System. Etwas viel Wirksameres ist hier am Gange, ein Selbstorganisierendes System, getragen von Leidenschaft und Verantwortung für eine friedlichere Zukunft.

    Ganz traditionell werde ich deswegen einige von den mir bekannten Menschen nennen, die in diesem Projekt mitwirken ... ideell, materiell, mit ihrer ganzen Arbeitskraft und Phantasie. Und der Überzeugung, dass das Leben unweigerlich zum Frieden tendiert. In diesem Buch wird beschrieben, was für ein Frieden gemeint ist: Einer, der Chaos, Konflikt und Verwirrung enthält, aber diese produktiven Kräfte auch transzendiert. Ein dynamisches Zusammenspiel, das zu Ganzheit, Harmonie und Gesundheit führt.

    Zuerst nenne ich Harrison Owen, der sein Werk verschenkt hat mit der Einladung, es überall zu verlegen, zu übersetzen und mich und viele (siehe auch den Abschnitt „Zu diesem Buch: Ursprung und Vertrieb") ermuntert hat, es unter die Menschen zu bringen.

    Und zu einer „Übersetzung gehört natürlich auch ein „Übersetzer: Georg Bischoff. Er grübelt immer noch, was es eigentlich ist, was er da gemacht hat. Denn zum Glück ist es keine Übersetzung, sondern eben eine „Übersetzung", die ich mit Vergnügen und Gewinn genieße. Vieles hat sich mir dadurch ganz anders, neu, aufregender erschlossen. Mit seiner Begeisterung für das Buch hat er mich noch mal neu angesteckt, ohne ihn hätte ich dieses Vorhaben nie in die Hand genommen.

    Er hatte natürlich auch fabelhafte Unterstützung durch KollegInnen und Freunde, insbesondere der gesamten Familie Pfeifer: Toni, die als Amerikanerin manches Rätsel lösen konnte, der Philosoph Manfred, der Systeme auf Herz und Nieren prüfte, und Andy, der den Computer wunderbar bei Laune hielt. Nicht zu vergessen Roland Frey, der immer da war, wenn man ihn brauchte. Außerdem bin ich sicher, dass seine Frau Irmi Grünsteidel tage- und nächtelang an seinem Werk mitgewirkt hat und ihn nebenbei mit frischgebrühtem Kaffee versorgte.

    Insbesondere zwei Menschen haben wesentlich zur Verwirklichung dieses Projektes beigetragen, ideell und materiell! Jo Töpfer und Agnes v. Walther, beides Kollegen der besonderen Art.

    Ganz konkret und sehr deutlich ist mir die Liebe und Zuwendung aus dem engsten Familienkreis, insbesondere von Sabine und den beiden jüngsten unserer sechs Kinder, Friederike und Daniel: Während ich über dem Text des Buches brütete, haben sie unsere Silberhochzeit zusammen mit Geschwistern und Freunden genial organisiert. Ein anderes Beispiel eines Selbst­organisierenden Systems.

    Ich wünsche mir sehr, dass es Sie und Euch fesselt und begleitet auf dem Weg zum Frieden, nach dem wir uns sehnen.

    Michael M Pannwitz

    Berlin

    28. April 2003

    Kapitel 1

    Frieden und die Praxis des Friedens

    Frieden! Ein wundervolles Wort. Seltsamerweise scheint es in dem Teil der Welt am selbstverständlichsten gebraucht zu werden, in dem es keinen Frieden gibt, ganz egal wie man ihn definiert. Im Nahen Osten grüßen nahezu alle einander mit „Friede", Shalom auf Hebräisch und Salaam auf Arabisch. Bei Begrüßung und Abschied, jedes Mal beschwören Juden wie Araber den Frieden. Und sie sind nicht die einzigen. Bei den Christen ist der Friedenskuss wohlbekannt, und wer politisch Karriere machen will, führt den Frieden auch ständig im Munde. Überall auf der Welt sind Menschen von jeher auf der Suche nach dem Frieden in den Krieg gezogen.

    Ganz offensichtlich hat dieses Wort eine große Bedeutung in unserem Leben, aber sein Inhalt bleibt mehr als verschwommen. Man könnte diese universelle Formel eher als Ausdruck der Hoffnung oder als Gebet denn als Bestätigung einer vorhandenen Realität betrachten. Auf jeden Fall bleibt die Bedeutung des Wortes ein Trugbild. Wie das Wort Liebe, dessen Bedeutung sich von reiner Unzucht bis zu „der Kern der Göttlichkeit" erstreckt, ist auch Frieden offen für eine Fülle von Interpretationen.

    Für viele von uns wird Frieden definiert durch die Abwesenheit seines Gegenteils, wie Chaos, Verwirrung und Konflikt. Wo es kein Chaos, keine Verwirrung und keinen Konflikt gibt, hätten wir demnach Frieden. Der Weg dorthin würde also die Ausschaltung dieser unheiligen Dreifaltigkeit bedeuten. Aber was für ein Frieden wäre das? Ich fürchte die Antwort lautet: Ein ziemlich langweiliger. Unter diesen Vorzeichen wäre er ein statischer, zu Unrecht idealisierter Zustand. In extremen Augenblicken betrachten wir ihn vielleicht mit Neid, aber auf lange Sicht gesehen würden wir so das Kind mit dem Bade ausschütten. In der Absicht Leben zu schützen, hätten wir genau die Elemente entfernt, die es überhaupt erst ermöglichen.

    Die Versuchung, sich ein Leben ohne Chaos, Verwirrung und Konflikt zu wünschen, ist verständlich, und sei es auch nur, weil ihre Begleitumstände entschieden lästig sind. Wer würde nicht so ein Leben vorziehen, wenn er die Wahl hätte. Trotzdem können diese elementaren Kräfte nicht einfach als unnötige Plagen betrachtet werden. Denn in Wahrheit gehören sie dazu. Jede von ihnen bereichert das Leben, und ohne sie wäre es im wahrsten Sinne des Wortes kaum lebenswert. Das riecht nach Ketzerei, aber sehen wir uns das Ganze etwas näher an. Beginnen wir mit dem gewaltigen Chaos.

    Chaos

    Vom Altertum bis in unsere Tage hat Chaos auf keinen Fall etwas in der feinen Gesellschaft zu suchen. Aus gutem Grund, es bringt alles durcheinander. Chaos erscheint in allen möglichen Formen und Dimensionen, aber eines ist allen gemeinsam. Sie bedrohen die etablierte Ordnung. Wie ein Hagelschauer auf einer Gartenparty oder ein Wespenschwarm im Schwimmbad – wenn Chaos sein Haupt erhebt, ist die alte Ordnung in Gefahr.

    Menschen, wie in der Tat die meisten Lebewesen in solch einer Situation, stellen auf einmal fest, dass sie an ihrer Ordnung hängen. Sie sorgt für Form und Struktur in unserem Leben, gibt ihm Sinn und erlaubt uns, in die Zukunft zu planen. Wenn das Chaos in Gestalt eines tosenden Flusses auftritt, erhöhen wir die Dämme und verteidigen unsere Dörfer und Städte; genauso bei einem Vulkanausbruch, aber oftmals mit weniger Erfolg. Lava fließt wohin sie will.

    Unternehmen fürchten Chaos nicht weniger. Wenn durch Wettbewerbsdruck, Veränderungen im Konsumverhalten oder aufgrund von interner Korruption oder Habgier die Firma zusammenbricht, ähnelt die Reaktion der von Ameisen, wenn ihr Hügel angegriffen wird. Alle laufen durcheinander und fliehen, aber schon kurz darauf greifen sie vielleicht die Eindringlinge an, räumen die Trümmer weg und beginnen mit dem Wiederaufbau.

    Das sind alles keine neuen Erkenntnisse. Chaos ist nie ein willkommener Gast. Aber es lohnt sich auf zwei Reaktionen zu achten, die bei Menschen in einer vom Chaos dominierten Situation auftreten: Empörung und der Wunsch nach Kontrolle. Beides gehört zusammen, denn oft ist der Grund für die Empörung der Verlust an Kontrolle. Irgendwann hat der Mensch die Vorstellung entwickelt, dass er alles unter seiner Kontrolle haben muss. Und wenn die Dinge sich nicht erwartungsgemäß entwickeln, ist er alles andere als erfreut. Selbst in einigen unserer ältesten Heiligen Schriften wird diese Einstellung beschrieben. In der Schöpfungsgeschichte im Alten Testament und in der Thora wird von niemand Geringerem als Gott festgelegt, dass die Menschheit sich die Erde und alle seine Kreaturen untertan machen soll. Die Aufforderung zur Kontrolle!

    Überlassen wir die detaillierte Exegese den Schriftgelehrten, aber es gilt festzuhalten, dass die Idee von der Kontrolle schnell an ihre Grenzen stößt. Es scheint nie richtig zu funktionieren. Trotz all unserer Anstrengungen treten Flüsse über die Ufer, brechen Vulkane aus, muss Konkurs angemeldet werden, und Ameisen überfallen unser Picknick. Wenn wir wirklich dazu bestimmt sind, Kontrolle auszuüben, stimmt hier etwas nicht.

    Dazu kommt unsere Unfähigkeit, die enorme Komplexität des Kosmos zu erfassen, in dem wir wohnen, wenn auch nur in einer sehr kleinen und unbedeutenden Ecke. Wer die Kontrolle will, muss wenigstens irgendeine Vorstellung davon haben, was vor sich geht. Zugegeben, wir erweitern unser Wissen, und vielleicht ahnen wir auch etwas von den Kräften, die da am Werke sind. Aber es scheint, dass jedes Mehr an Wissen auch die wachsende Erkenntnis unserer Unwissenheit in sich trägt. Und wenn es darum geht, dieses Wissen umzusetzen, laufen wir den Ereignissen immer hinterher. Wir können ja nicht einmal das Wetter exakt vorhersagen, geschweige denn es kontrollieren.

    Kommen wir zum Thema Empörung. Man hat irgendwie den Eindruck, dass uns das Universum unfair behandelt. Wenn ein Fluss eine Stadt überflutet, ein Orkan über das Land fegt, ein Taifun eine Insel zerstört oder wir pleite gehen, dann verlangt etwas in uns, dass der Herrscher über Himmel und Erde sich mit uns zur Beratung an einen Tisch setzt. So kann es nicht weitergehen. Es muss doch noch einen anderen Weg geben...

    Aber vielleicht ist das, was da passiert ist, ja gar nicht nur negativ. Schließlich verwandeln die gewaltigen Naturkräfte Felsen in feinen Sand, ohne den es am Strand überhaupt nicht schön wäre. Und eine Pleite macht Platz im Wettbewerb für neue Unternehmen und neue Ideen. Das ist ganz sicher schmerzhaft für uns, aber gar nicht so schlecht für die Verbraucher und die Welt im Ganzen. Vielleicht gibt es ja einen Rhythmus. Man muss pflügen, ehe man säen und ernten kann. Ausatmen vor dem Einatmen.

    Chaos tritt in unterschiedlichen Formen auf. Es ist immer schmerzhaft, wenn man davon betroffen wird. Aber es scheint ein Sinn dahinter zu stecken – nämlich Platz in der alten Ordnung zu schaffen, damit das Neue erscheinen kann. Und vielleicht wird unser Leben weniger durch die erstarrten Formen und die existierende Ordnung bestimmt als durch die Reise selbst. Dann wäre das Chaos keine unbequeme Nebensache, sondern ein Wesenszug unseres Lebens. Denn unsere Reise würde ganz sicher schnell enden ohne Raum, in dem wir uns bewegen können. Und wenn wir unsere Vorstellung von Frieden betrachten, meine ich, dass Frieden ohne Chaos überhaupt kein Frieden ist.

    Verwirrung

    Verwirrung ist das intellektuelle Äquivalent des Chaos. Gerade wenn man glaubt, etwas begriffen zu haben und alles klar ist, ändert sich plötzlich die Welt, und irgendwie ist doch wieder alles anders, als man denkt. Das ist eine böse Überraschung, besonders für diejenigen unter uns, die sich etwas auf ihre intellektuellen Fähigkeiten einbilden und meinen, sie hätten die Zukunft fest im Griff.

    Dieser Illusion fallen professionelle Planer überall zum Opfer, zum Beispiel der General, dessen sorgfältig ausgearbeiteter Schlachtplan im Durcheinander des Krieges versinkt oder der Firmenchef, dessen Marktanalyse sich wunderbar in seiner Power Point Präsentation ausnimmt, bis er plötzlich entdeckt, dass der Yen ins Bodenlose gefallen ist. Und seine wunderschöne Analyse war doch für den Japanischen Markt gedacht.

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