Der kleine buddhistische Mönch
By César Aira
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César Aira
César Aira, geboren 1949 in Coronel Pringles, veröffentlichte bisher über 80 Bücher: Romane, Novellen, Geschichten und Essays. Darüber hinaus übersetzt er aus dem Englischen, Französischen und Portugiesischen und lehrt an den Hochschulen von Rosario und Buenos Aires, wo er heute lebt. Aira gilt als einer der wichtigsten lateinamerikanischen Autoren der Gegenwart – und als ihr raffiniertester. Seine Texte überraschen durch Genresprünge, aberwitzige und riskante Erzählkonstruktionen und Plots. 2016 erhielt er den Premio Iberoamericano de Narrativa Manuel Rojas.
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Der kleine buddhistische Mönch - César Aira
XIV
I
Ein kleiner buddhistischer Mönch sehnte sich danach, aus seiner Heimat auszuwandern, die keine andere war als Korea. Es zog ihn nach Europa oder Amerika. Der Plan war schon in frühester Jugend, fast noch Kindheit in ihm gereift und hatte sein ganzes Leben überstrahlt. In dem Alter, da andere Kinder die sie umgebende Welt erforschen, wurde er von der Sehnsucht nach fernen Welten ergriffen, und alles, was er um sich her erblickte, sah er als träumerisches Vorzeichen einer wahren Wirklichkeit, die ihn auf der anderen Seite des Planeten erwartete. Er konnte es nicht mehr mit Gewissheit sagen, doch er hätte schwören mögen, dass er schon nach Europa oder Amerika wollte, bevor er überhaupt wusste, was das ist, so als wäre in ihm das Fernweh von Beginn an einprogrammiert gewesen. Jedenfalls währte seine Unwissenheit, sofern es sie bei ihm gegeben hatte, nicht lange, denn schon die ersten Bücher, die er las, beschäftigten sich mit der Geografie der Länder seiner Sehnsucht, und später nahm ihn das Studium ihrer Kulturen genauso oder sogar mehr noch in Anspruch als seine religiöse Bildung, die in der Sekte, der er angehörte, über alles ging. Intelligent und zielbewusst, wie er war, machte er trotz seiner geradezu unglücklichen Kleinheit eine kometenhafte Mönchskarriere, derweil er des Nachts Sprachen erlernte, Geschichte, Philosophie, Politik und Psychoanalyse studierte und zudem Shakespeare, Balzac, Kafka las sowie alles, was er für nützlich erachtete. Der kleine buddhistische Mönch war ein lebender Beweis für die Redensart »klein, aber oho«.
Natürlich hatte er mit seiner geistigen Vorbereitung das Problem nur zur Hälfte gelöst, und zwar die zweite Hälfte vorneweg; offen blieb die erste, die mit den unumgänglichen praktischen Fragen. Zunächst fehlte ihm schon mal jedwede vernünftige Möglichkeit, das für ein Flugticket nötige Geld zusammenzubringen. Des Weiteren kannte er in der erträumten Ersten Welt niemanden, der ihm dort eine Arbeit vermittelte, von welcher er seinen Lebensunterhalt würde bestreiten können. Noch schwerwiegender war, dass er nicht wusste und sich nicht im Geringsten vorzustellen vermochte, was für eine Art von Arbeit das überhaupt sein könnte. Er besaß keinerlei Berufsausbildung, zumindest keine Ausbildung für einen gewöhnlichen Beruf. Er wusste zwar, dass der Buddhismus zeitweise in dem einen oder anderen westlichen Land oder auch einmal in allen gleichzeitig in Mode war, und es entging ihm dabei nicht, dass die größten Anhänger dieser Mode unter den Vertretern der begüterten Klassen dieser Länder zu finden waren. So ein originelles Mitbringsel wie der kleine buddhistische Mönch kostete sie einen Klacks, und er wusste in der Tat von etlichen Landsleuten, die in diesem einträglichen Geschäft untergekommen waren. Dies allerdings im Rahmen von Institutionen, die sie in die Welt entsandten, sie finanziell ausstatteten und für ihre Echtheit bürgten. Bedauerlicherweise huldigte die Sekte, der er angehörte, einer extremen Ortsgebundenheit, sie enthielt sich jeder Proselytenmacherei, war prinzipiell gegen Populärunterricht eingestellt und verabscheute jegliche Institutionalisierung. Das ging so weit, dass es, genau genommen, ein sprachlicher Lapsus war zu sagen, er würde dieser Sekte »angehören«, da ihre Mitglieder, sobald sie ihr Studium abgeschlossen hatten, auf Gedeih und Verderb sich selbst überlassen waren, ohne Oberhäupter, Klöster oder Ordensregeln. Sie waren Wander- oder Bettelmönche, Geheimmönche oder, wenn ihnen das lieber war, sesshafte Finanzleute und öffentliche Prediger, kurz gesagt, sie konnten sein, was sie wollten, und schuldeten niemandem Rechenschaft. Sie hatten auch keine Möglichkeit, sich untereinander zu erkennen. Womöglich waren sie ja allesamt in dem Auswanderungsprojekt verwickelt und wussten es nur nicht, jeder dachte, er wäre der Einzige. Vielleicht waren sie auch alle von derselben geringen Körpergröße wie der kleine buddhistische Mönch und wussten auch das nicht.
Ein Projekt zu verfolgen kann helfen, das Leben lebbar zu machen, selbst wenn es ein Irrsinnsprojekt ist, das nicht zu verwirklichen ist, dann sogar umso mehr, weil es auf umso längere Zeit angelegt ist und weil sich umso mehr Menschen darin wiederfinden. Praktische Leute sagen, Träume taugten zu nichts; doch sie werden nicht leugnen können, dass sie immerhin zum Träumen taugen. Dem kleinen buddhistischen Mönch hatte der Traum von der Reise einen Sinn im Leben beschert. Ohne ihn hätte sich sein Dasein in den unbeständigen Nichtigkeiten der koreanischen Zeitgeschichte verloren, und all seine Mühen wären vergebens gewesen. Dank dem Projekt diente jede seiner Studien und Lektüren dem Großen und Ganzen, und nichts war umsonst. Wenn sich ein Hochasiate fragte, was es miteinander gemein habe, Hegel zu studieren, Truman Capote zu lesen, die Grundrisse der Loire-Schlösser zu durchmustern und sich in die Machtkämpfe zwischen Guelfen und Ghibellinen, Tories und Whigs, Republikanern und Demokraten zu versenken, so könnte er darin Bruchstücke eklektischen Bücherwissens vermuten, und bei jedem anderen wäre es tatsächlich nur Futter einer ziellosen Neugierde. Bei ihm aber war alles auf ein Ziel ausgerichtet. Praktisch jede Regung seines wachen Geistes, ganz gleich, in welches Gebiet er eintauchte, führte zum letzten Zweck. Mit einem Wort, das Auswanderungsprojekt war der Kompass, der seinem Leben Orientierung verlieh, und wer einen Pleonasmus darin wittert, wenn ein Orientale in Fernost Orientierung braucht, der darf nicht vergessen, dass es den Orient nicht gäbe, wäre nicht auf der anderen Seite der Okzident, und der genau war es, um den in schlafloser Nacht die Gedanken des kleinen buddhistischen Mönchs kreisten.
Doch eines Tages würde sein Traum Wirklichkeit werden, dachte er, als er den Blick zum Himmel hob, in dessen weiter Ferne sich die Himmelreiche widerspiegelten, die auf ihn warteten. Träumen kostet nichts, sagte er sich. Und wenn sich die Wirklichkeit durch die Gleichsetzung mit sich selbst definierte, sah er in der umgekehrten Aufschichtung antipodischer Himmel das triumphierende Einswerden von Traum und Leben.
II
Der Fluchtweg tat sich eines Tages unerwartet in der Person eines französischen Fotografen auf, der Korea besuchte. Außer unerwartet war er auch hochgradig zufällig, wie es die Schachzüge des Schicksals zu sein pflegen, wenn es etwas im Schilde führt. Vor einem großen Hotel, an dem, in seine Träumereien versunken, der kleine buddhistische Mönch vorbeispazierte, wäre er fast von einem Ehepaar zertrampelt worden, als dieses, von der Drehtür hinauskatapultiert, auf die Straße trat. Er unternahm ein schnelles Manöver, machte einen Sprung zur Seite und zwei, drei schnelle Schritte vorwärts, und brachte sich so aus der Fußlinie. Er war derlei Ausweichmanöver gewohnt, ein sechster Sinn warnte ihn vor der Gefahr; bei seinen Spaziergängen im Innenstadtgewimmel kam es derart häufig zu solchen Zwischenfällen,