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Der steinerne Zeuge
Der steinerne Zeuge
Der steinerne Zeuge
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Der steinerne Zeuge

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About this ebook

David ist wie vor den Kopf geschlagen: Vor zwanzig Jahren ist sein Vater auf einer archäologischen Expedition verschollen, und nun bekommt er ein Paket, das dieser kurz vor seinem Verschwinden abgeschickt hat. Es enthält eine kleine antike Statue und einige Hinweise, die ihn auf die Spur der damaligen Geschehnisse führen.
Gemeinsam mit der jungen Archäologin Kira macht er sich in Mexiko auf die Suche nach Antworten: Was ist mit seinem Vater damals geschehen? Was hat es mit dem geheimnisvollen Schatz auf sich, dem er auf der Spur war? Und welche Rolle spielt der seltsame Kunstsammler Belmont, der sehr an der Statue interessiert ist?
Diese kleine Statue scheint der Schlüssel zu allen Antworten zu sein, doch sie sind nicht die Einzigen, die das wissen. Auch andere sind hinter dem Schatz her, und ihnen ist jedes Mittel recht. Eine wilde Jagd beginnt, an deren Ende nichts mehr so ist, wie es einmal war.
LanguageDeutsch
PublisherSieben Verlag
Release dateApr 1, 2014
ISBN9783864433467
Der steinerne Zeuge

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    Book preview

    Der steinerne Zeuge - Stefan Mühlfried

    Danksagung

    Die Vergangenheit muss reden und wir müssen zuhören. Vorher werden wir und sie keine Ruhe finden.

    Erich Kästner

    Es war einmal

    David starrte wie betäubt auf das Paket.

    Er hielt eine Botschaft aus einer anderen Welt in den Händen, aus einer anderen Zeit, einer besseren. Wieder und wieder wanderte sein Blick über die ausgeblichenen Buchstaben, die auf der Vorderseite prangten. Es war zwanzig Jahre her, dass er diese Schrift das letzte Mal gesehen hatte, aber er hätte die Handschrift seines Vaters unter Hunderttausenden erkannt.

    David Rost stand dort, und darunter seine Adresse in Hamburg.

    „Alles in Ordnung?", fragte der Postbote auf der anderen Seite des Türrahmens.

    „Geht schon", sagte David und warf die Wohnungstür zu.

    Er ging zurück ins Wohnzimmer, das Paket zu allen Seiten drehend und wendend. Es war nicht groß, etwas größer als ein Schuhkarton, und nicht sehr schwer, drei Kilo vielleicht. Das braune Packpapier knisterte unter seinen Händen, als er sich auf das Sofa fallen ließ.

    Vorsichtig, wie ein rohes Ei, setzte er das Paket auf den Couchtisch, die Adresse zu ihm gewendet. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und das Kinn auf die Hände und schaute das Paket eine ganze Weile schweigend an. Hätte ihn jemand beobachtet, hätte er vermuten können, dass David gänzlich unbeteiligt dort saß, aber das täuschte. Sein Herz schlug schnell und heftig, in seinen Ohren rauschte das Blut im Takt, und ihm schien, als wühle eine eiserne Faust in seinen Eingeweiden.

    Zaghaft streckte er seine Hand aus, berührte das Paket, als wolle er sich vergewissern, dass es keine Fata Morgana war. Sacht ließ er seine Fingerspitzen über die blassen Buchstaben gleiten. Absender: Michael Rost, Mexiko.

    Seine Finger blieben an der groben Paketschnur hängen, und er zog das Paket zu sich heran, legte es auf seine Knie und zögerte wieder.

    Zwanzig Jahre. Und knapp drei Monate. So lange war es her, dass David seinen Vater das letzte Mal gesehen hatte. An der Haustür, dort, wo David eben noch gestanden hatte, hatte sich sein Papa von ihm verabschiedet. „Hey, hatte er gesagt und David spielerisch gegen die Schulter geboxt, „es ist ja nur ’ne ganz kleine Expedition. Bis zu den Sommerferien bin ich wieder da, und dann gehen wir beide zelten, okay?

    Auch eine ganz kleine Expedition dauerte mindestens zwei Monate, und das war für einen Zwölfjährigen eine verdammt lange Zeit. Aber er hatte nur tapfer genickt und den Kopf ein klein wenig hängen lassen.

    Sein Vater hatte geseufzt und sich zu ihm hinuntergebeugt. „Ich weiß, ich bin viel zu oft und viel zu lange weg. Aber ich verspreche dir, wenn du groß genug bist, dann nehme ich dich mal mit."

    Davids Augen hatten geleuchtet. „Ehrlich?"

    „Großes Ehrenwort. Dann hatte er seinen geliebten Lederhut mit der breiten Krempe, rissig und fleckig von unzähligen Abenteuern im Dschungel und in der Wüste, genommen und David aufgesetzt. „Ist nur geliehen, hatte er mit gespieltem Ernst gesagt. „Für unsere erste gemeinsame Tour kriegst du einen eigenen, und ich bekomme den hier wieder."

    David schickte einen langen Blick zum Schrank, auf dem der Hut lag und auf die Einlösung des Versprechens wartete. Seit zwanzig Jahren nun.

    Erst hatte David auf einen Brief seines Vaters gewartet, der nicht kam. Jeden Tag war er mittags nach der Schule zum Briefkasten gerannt und enttäuscht wieder zurückgekommen. Er hatte auf seinen Vater gewartet, Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat. Erst war er traurig gewesen, dann wütend. Wütend und verzweifelt. Papa hatte es ihm doch versprochen. Und langsam, über Jahre hinweg, war die Wut der Leere gewichen, als er sich nicht mehr gegen die Erkenntnis wehren konnte: Sein Vater würde nicht mehr zurückkommen. Nie mehr. Keine gemeinsamen Sommerferien. Keine Expedition. Und was das Schlimmste war: Niemand konnte ihm sagen, warum. Niemand, den er verantwortlich machen konnte. Niemand, an dem er seine Wut auslassen konnte.

    Mit einem Ruck stand er auf, legte das Paket auf den Tisch zurück und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Mit der Dose in der Hand lehnte er sich in die geöffnete Terrassentür, trank und beäugte das Paket aus der Ferne. Da lag es auf dem Tisch, ein harmloser hellbrauner Quader, und trotzte den letzten zwanzig Jahren.

    David nahm noch einen tiefen Zug, ließ die halb volle Dose auf die Terrasse fallen und trat mit festen Schritten zurück zum Couchtisch. Zögern nützte nichts. Er zerrte das Band vom Paket, wickelte das Papier ab. Darunter kam eine schlichte Pappschachtel zum Vorschein, die er zaghaft öffnete.

    Unter dem Deckel sah er zuerst nichts als einige zusammengeknüllte Zeitungsseiten. Spanisch, wie es schien. Darunter befand sich ein in einen Lappen gehüllter Gegenstand, den David vorsichtig auswickelte. Es war eine steinerne Statue. Sehr alt offenbar, hübsch gearbeitet und etwa dreißig Zentimeter groß. Sie stellte eine menschliche Figur dar, mit übergroßem, zur Fratze verzerrtem Mund. Die viel zu kurzen Arme waren seitlich ausgestreckt, und der Kopf war von einer Art steinernem Federkranz umgeben. Der Körper war mit fremdartigen Symbolen bedeckt. Füße gab es nicht, die Figur bildete nach unten hin einen Zylinder mit perfekt runder Grundfläche. Die Seitenflächen des Zylinders waren mit senkrechten und waagerechten Linien bedeckt, die sich ohne erkennbares Muster überkreuzten, vereinten oder aufteilten.

    David wendete die Statue hin und her. Maya? Aztekisch? Irgendwas Südamerikanisches halt. Hübsch, sicherlich, und bestimmt auch wertvoll, aber nicht viel anders als die zig Statuen, die er aus dem Museum kannte. Auffällig war höchstens das Fehlen von Beinen. Warum sollte sein Vater ihm ausgerechnet diese Statue geschickt haben? Er hatte zwar hin und wieder Post von ihm bekommen, wenn er auf Expedition war, auch kleine Geschenke, aber nie Ausgrabungsobjekte. Sein Vater wäre niemals auf die Idee gekommen, einen Fund für sich zu behalten.

    David setzte die Statue ab und kippte den Rest des Paketinhaltes auf den Tisch. Zwischen zusammengeknülltem, vergilbtem Zeitungspapier fiel ein Briefumschlag heraus. David stand in seines Vaters Schrift darauf. Mehr nicht.

    David legte das Paket beiseite, riss den Umschlag mit klopfendem Herzen auf und zog ein eng beschriebenes Blatt heraus.

    Mein lieber David,

    du wunderst dich bestimmt, warum ich dir diese Statue schicke, stimmt’s? Wo du doch viel lieber ein T-Shirt vom Hardrock-Café Mexiko City gehabt hättest. (Keine Angst, das steckt schon in meinem Koffer.)

    Nein, dieses hübsche kleine Ding ist nicht für dich. Aber ich habe eine sehr, sehr wichtige Bitte: Bewahre sie auf, bis wir uns wiedersehen. Das klingt jetzt bestimmt geheimnisvoll, aber das ist es gar nicht. Es ist nur einfach so, dass hier im Lager ein Kollege ist, dem ich nicht über den Weg traue. Er hat ganz schöne Stielaugen bekommen, als er den Kleinen hier gesehen hat, und ich glaube nicht, dass er ihn einem Museum spenden möchte.

    Du musst wissen, die Statue ist sehr außergewöhnlich. Vom Umfeld der Grabung her müsste sie eigentlich der Kultur von Teotihuacán zuzuordnen sein, aber die Symbole und auch die künstlerische Ausgestaltung widersprechen allem, was wir bisher an Kenntnissen über diese Epoche und ihre Werke haben.

    Ein Schmunzeln stahl sich in Davids Gesicht. Typisch sein Vater, einem Zwölfjährigen Vorträge über mittelamerikanische Archäologie zu halten.

    Tja, und da habe ich eben beschlossen, sie dem Menschen zu schicken, dem ich am allermeisten auf der Welt vertraue: Dir. Pack sie einfach wieder in die Schachtel und lege sie in eines deiner Geheimverstecke. Du hast doch welche, oder? Also, als ich zwölf war, hatte ich jedenfalls immer ein oder zwei.

    Mama darfst du sie natürlich zeigen, denn ihr vertraue ich ebenso wie dir, aber sonst wäre es besser, wenn sie keiner sieht. Nur vorsichtshalber. Klar?

    Also, mein Großer, ich freue mich schon darauf, dich und Mama wiederzusehen. Und natürlich auf das Zelten im Sommer, darauf ganz besonders!

    Pass gut auf Mama auf,

    ganz liebe Grüße,

    Papa

    David ließ das Papier sinken. Ein Dutzend verschiedener Gedanken und Gefühle irrlichterte durch seinen Kopf und verursachte ein heftiges Durcheinander. Was sollte diese Geheimniskrämerei? Wo kam dieses Paket nach zwanzig Jahren her? Was würde Mutter dazu sagen?

    Was war in Mexiko passiert?

    Wo war sein Vater?

    Und dazwischen spürte er das wohlbekannte schmerzliche Stechen, das ihn immer heimsuchte, wenn er an seinen Vater dachte. An die Lücke, die er hinterlassen hatte, für die es keine Erklärung und keine Heilung gab und keinen Trost.

    *

    „Interessant. Gerhard Stollberg, Professor für Archäologie an der Universität Hamburg, betrachtete die Statue von allen Seiten. „Woher hast du die, David?

    „Kann man herausfinden, von wo sie kommt?"

    „Na ja, der allgemeinen Ausprägung nach würde ich sagen, sie kommt aus Teotihuacán. Wir wissen sehr wenig über diese alte Stadt und ihre Kultur, aber die meisten Funde haben wir aus der dortigen Umgebung."

    „Wo liegt die?"

    „Etwa fünfzig Kilometer nordöstlich von Mexiko City."

    „Eine von diesen überwucherten Dschungelstädten, was?"

    Gerhard lachte. „Nein, überhaupt nicht. Es ist eine Touristenattraktion, bestens ausgebaut und hunderttausendfach jedes Jahr besucht."

    „Und wo sonst noch?"

    „Schwer zu sagen. Wir wissen noch sehr wenig über dieses Volk. Die viel interessantere Frage ist aber doch, woher hast du sie?"

    „Flohmarkt, sagte David. „Zufallsfund.

    Gerhard zog die Stirn kraus und schaute David unwirsch über den Rand seiner Lesebrille an. „Quatsch. So etwas findet man nicht auf dem Flohmarkt."

    „Du glaubst gar nicht, wo man so etwas überall findet. Es soll Leute geben, die so was aus dem Dreck ausbuddeln."

    Gerhard lachte. „Ja, davon habe ich auch schon gehört. Sein Gesicht wurde wieder ernst. „Aber nicht das hier. Dieses Stück, mein Junge, ist ganz außergewöhnlich. So etwas wurde überhaupt noch nie ausgebuddelt. Nicht im Dreck und nicht auf einem Flohmarkt.

    David hasste es, wenn sein Stiefvater ihn Junge nannte. „Stimmt, ich habe eine halbe Stunde gebraucht, das Schild Made in Hongkong vom Boden abzukriegen." Er streckte die Hand aus.

    Gerhard machte keine Anstalten, ihm die Statue zurückzugeben. Stattdessen ließ er sie von einer Hand in die andere gleiten und sah David unverwandt in die Augen. „Du hast sie von deinem Vater, stimmt’s?"

    „Und wenn?" David spreizte fordernd die Finger.

    „David, das fragst du nicht im Ernst! Wenn es von Michael ist, dann bist du es ihm schuldig, das Stück untersuchen zu lassen. Ihm und auch uns."

    „Ich bin euch gar nichts schuldig. Er ist verschollen, als er für euch unterwegs war. Wenn hier jemand jemandem etwas schuldig ist, dann ihr ihm!"

    Gerhard nickte. „Das stimmt. Und trotzdem, du kennst deinen Vater. Die Wissenschaft war stets sein höchstes Gut. Wenn es von ihm ist, dann hätte er gewollt, dass wir es untersuchen."

    „Nein, sagte David und schüttelte heftig den Kopf. „Nein, das hätte er nicht.

    „Also ist es von ihm?"

    „Herrgott, ja. Und?"

    „Wieso kommst du erst jetzt damit? Und wo hast du es überhaupt her?"

    „Lag gestern in der Post."

    „Gestern? Gerhard schnappte nach Luft. „Ein Lebenszeichen von Michael? Nach zwanzig Jahren? Er drängte David zu der kleinen Sitzecke in seinem Büro. „Los, setz dich und erzähl!"

    David ließ sich in den abgewetzten Sessel fallen und zuckte die Schultern. „Da gibt es nichts zu erzählen. Er hat es wohl abgeschickt, als er noch auf der Expedition war. Keine Ahnung, warum es jetzt erst kam."

    Ein seltsam verklärter Ausdruck stahl sich in Gerhards Gesicht, als er erneut die Statue musterte. „Mein Gott, ist das lange her. Er setzte sich. „So lange, murmelte er, „so lange."

    „Was? Was nuschelst du da?"

    Gerhard riss den Blick von der Statue los und sah David mit einem schmallippigen Lächeln an. „Ach, weißt du, es ist einfach ein unglaubliches Gefühl, nach zwanzig Jahren ein Lebenszeichen von Michael zu bekommen. Wie … Wie eine Botschaft aus dem Jenseits. Erschrocken hob er die Hand zum Mund. „Oh, entschuldige, das wollte ich nicht sagen.

    David winkte ab. „Nach so langer Zeit muss man sich wohl mit der Möglichkeit anfreunden, oder? Ich meine, die einzige Alternative wäre, dass er mit einer schwarzäugigen Mexikanerin durchgebrannt ist, einen Haufen Kinder gezeugt hat und von seinem alten Leben nichts mehr wissen will. Wäre das besser? Er grinste zynisch. „Ich finde nicht.

    „Eben darum finde ich, dass du das Stück dem Institut überlassen solltest. Zumindest eine Zeit lang."

    „Nein."

    „Du bekommst es doch wieder. Würde dich denn nicht interessieren, woran er gearbeitet hat, als er verschwand?"

    „Ich sagte Nein."

    „Junge, du …"

    „Nein!" David streckte wieder den Arm aus, den Blick fest auf seinen Stiefvater gerichtet.

    Gerhard zögerte, blickte erst in Davids Augen und dann auf die ausgestreckte Hand. Schließlich seufzte er und gab David die Figur zurück. „Wenn du meinst. Du wirst schon deine Gründe haben."

    „Habe ich. David wickelte die Figur in ein Handtuch und verstaute sie in seinem Rucksack. „Wie geht’s Mutter?

    Gerhard seufzte. „Nicht sehr gut, fürchte ich. Das kühle Wetter ist ihr sehr auf die Lunge geschlagen. Du solltest sie mal wieder besuchen, das würde ihr Kraft geben. Nur um eins möchte ich dich bitten."

    David nickte. „Ich weiß schon. Ich soll ihr nichts von dem Paket sagen."

    „Ja, das wäre lieb von dir. Du weißt, Anna kann Aufregung nicht gut vertragen."

    „Und dann soll ich sie besuchen?" David grinste und stand auf.

    Gerhard lachte. „Du bist ein Zyniker. Aber deine Mutter liebt dich trotzdem, und ich auch. Also komm doch mal wieder vorbei, ja? Am Wochenende?"

    „Sonntagnachmittag?"

    „Perfekt."

    Missmutig schlenderte David durch das Atrium des Westflügels des Uni-Hauptgebäudes. Eigentlich hatte er sich von diesem Besuch mehr erhofft. Einen deutlicheren Hinweis, wo sein Vater zuletzt gewesen war. Warum er verschwunden war. Und wo David ihn jetzt finden konnte. Ihn oder sein Grab.

    Mit verdrießlicher Miene schubste er die Drehtür an und trat ins Freie. War ja eigentlich klar gewesen, dass diese Aktion nichts brachte. Vor zwanzig Jahren schon hatten seine Mutter und das Institut Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, ihn zu finden. Warum sollte das jetzt anders sein, nur weil dieses prähistorische Playmobil-Männchen aufgekreuzt war?

    Aber er würde dranbleiben. Auf jeden Fall.

    Jetzt bloß weg hier. David konnte all diese superschlauen Studenten in ihren betont lässigen Designerjeans nicht leiden.

    *

    „Anna, das Essen war großartig!" Gerhard lehnte sich wohlig seufzend zurück.

    „Was hältst du von einer guten Zigarre zum Nachtisch, David?"

    „Ja, gern." David wischte sich den Mund an der Serviette ab und unterdrückte ein Aufstoßen.

    „Ist gut, dann will ich mal abräumen." Anna erhob sich ächzend.

    David sprang auf und beeilte sich, Teller und Besteck zusammenzuräumen, während seine Mutter mit einer Schüssel in jeder Hand in die Küche schnaufte. Er holte sie ein, als sie sie in den Geschirrspüler schob.

    „He, wieso lässt du mich das nicht machen?"

    Sie richtete sich auf und schenkte ihrem Sohn ein Lächeln. „Weil ich mir sonst ganz und gar nutzlos vorkomme. Und weil ich sonst einroste."

    „Und Gerhard? David nickte in Richtung Wohnzimmer. „Er hilft dir doch, oder?

    „Natürlich tut er das. Er ist dabei sogar noch bemühter als du – wenn das möglich ist. Sie gluckste leise. „Und wenn ich ihn lasse.

    David lächelte schmallippig und begann, die Teller in den Geschirrspüler zu sortieren.

    Anna seufzte. „Ach, Junge, ich wünschte, du würdest endlich aufhören, ihn als Konkurrenz für deinen Vater zu sehen. Er ist nicht Michael, und er will auch nicht so sein. Glaub mir, wenn er das versucht hätte, dann wäre er bei mir nicht weit gekommen."

    „Ach, Mama, das weiß ich doch. Es ist nur …, David sah aus dem Küchenfenster auf die hohen Bäume im Garten, durch die man, wenn sie kein Laub trugen, bis zur Elbe sehen konnte. „Ich musste in den letzten Tagen ziemlich oft an Vater denken.

    Anna runzelte die Stirn. „Hat das einen besonderen Grund?"

    „Nein, sagte David rasch, „gar nicht. Ist halt von Zeit zu Zeit so. Bei dir nicht?

    „O doch, das kenne ich. Eigentlich jedes Mal, wenn ich dir ins Gesicht sehe. Und jetzt raus aus der Küche. Gerhard wartet auf dich, und ich kriege das hier schon allein hin."

    David schaute sie unsicher an.

    „Wenn ich dir das sage, dann ist das auch so. Sie schob ihn vor sich her aus der Küche. „Los, mach schon.

    Er fügte sich und schlenderte ins Wohnzimmer, wo Gerhard mit breitem Grinsen zwei Zigarren hochhielt. „Eine Bolivar Inmensas?"

    „Mir egal, wie sie heißt. Hauptsache, sie schmeckt."

    Gerhard lachte und klopfte David auf die Schulter. „Worauf du dich verlassen kannst, mein Lieber. Komm, lass uns in die Sonne gehen."

    Auf der Terrasse zelebrierten sie das Entzünden der Zigarren und schlenderten immer noch schweigend die wenigen Stufen in den kleinen, gepflegten Garten des Reihenhauses hinunter.

    „Geht ihr gar nicht gut, durchbrach David schließlich die Stille und nickte zum Haus. „Sie will sich nichts anmerken lassen, aber sie plagt sich ganz schön, oder?

    „Tja, sagte Gerhard, „die Fibrose macht ihr schon zu schaffen. Und es wird nun mal nicht besser. Aber ich glaube, es sieht schlimmer aus, als es ist. Sie ist ein altes Dampfross: Ständig am Schnaufen, aber trotzdem nicht aufzuhalten.

    David lachte. „Schöner Vergleich."

    Gerhard nahm einige lange Züge. „Hast du dir schon überlegt, was du mit der Statue machen willst?"

    David schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich bin mir sicher, sie hat mir noch einiges zu erzählen."

    „Ich will dich ja nicht bedrängen, aber meinst du nicht, bei uns im Institut könnte man ihr am besten zuhören?"

    David machte eine Pause und paffte. „Nein, sagte er schließlich, „nein, ich glaube, bei euch ist nicht ihr Platz, zumindest nicht im Moment.

    „Du glaubst, sie wird dich auf die Spur deines Vaters führen, nicht?"

    David hüllte sich in eine Rauchwolke. „Irgendwie schon. Ist doch wohl das deutlichste Zeichen, das ich in den letzten zwanzig Jahren bekommen habe, oder? Wäre ich religiös, würde ich sagen, sie ist ein Zeichen des Himmels."

    „Und wie soll das vonstattengehen?"

    „Keine Ahnung. Das Paket hat von allein seinen Weg zu mir gefunden, und ich werde auch allein den Weg zurück zum Absender finden."

    „Was für ein Glück, dass du damals darauf bestanden hast, in der Wohnung zu bleiben, als wir hier herausgezogen sind. Du hättest das Paket sonst nie bekommen."

    „Noch so eine Fügung."

    Wieder schwiegen sie eine Weile, bis der Professor tief Luft holte. „David, hänge dich bitte nicht zu tief in diese Suche rein, ja? Das wäre nicht gut."

    David stutzte. „Was willst du mir damit sagen?"

    „Nichts Besonderes. Ich möchte nur nicht, dass du enttäuscht bist, wenn auch diese Spur im Sand verläuft. Es ist einfach schon so verdammt lange her."

    David sah seinen Stiefvater mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Dahinter steckt doch noch mehr."

    „Nein, wirklich nicht."

    „Wieso schaust du mich dann nicht an?"

    Gerhard lächelte nachsichtig. „Weil es mir unangenehm ist, dir das zu sagen. Ich möchte dir deine Illusionen nicht nehmen."

    „Ist gut. Entschuldige."

    „Ach weißt du, Gerhard klopfte David auf die Schulter, „ich könnte dich doch sowieso nicht zurückhalten, oder?

    „Nein, das könntest du nicht."

    „Wusst ich’s doch. Erfüllst du mir noch eine Bitte?"

    „Na?"

    „Hältst du mich auf dem Laufenden, was die Sache angeht?"

    „Okay."

    Gerhard runzelte die Stirn. „Das kam mir etwas zu prompt. Ich meine es ernst."

    „Ich auch. Keine Angst, ich rufe dich an, wenn es etwas Neues gibt."

    Gerhard sah David einen Moment lang prüfend an, dann nickte er. „Gut. Danke."

    *

    Das Klingeln des Telefons riss David aus dem Schlaf. Er stöhnte. Diese gottverdammte Nachtschicht war so stressig gewesen, dass er heute Morgen nicht einmal mehr das Telefon aus der Wand gezogen hatte, bevor er ins Bett gekippt war.

    Beharrlich schrillte es durch seinen Schädel, wieder und wieder. Verdammt, welcher Penner ließ das Ding so ewig lange klingeln?

    Endlich gab es Ruhe, aber nur, um kurz darauf von Neuem zu beginnen. Fluchend wälzte David sich herum und tastete nach dem Hörer, der prompt zu Boden fiel. Er überlegte einen Moment, ihn einfach liegen zu lassen, hängte sich dann aber doch über die Bettkante und fischte ihn wieder auf. „Mhm."

    „Herr Rost? David Rost?", fragte eine unverschämt muntere Stimme.

    „Wer will das wissen?", murmelte er und tastete nach dem Wecker. Zehn Uhr. Verdammter Mist.

    „Mein Name ist Mark Belmont. Sie haben vielleicht schon von mir gehört."

    „Nie im Leben."

    Kurze Stille. „Wie auch immer: Ich bin ein Sammler antiker Kunstgegenstände und ein großzügiger Spender des Instituts, an dem Ihr verehrter Herr Vater zu lehren pflegte."

    „Und?"

    „Ich habe erfahren, dass sich in Ihrem Besitz ein Artefakt befindet, ein sehr außergewöhnliches Stück."

    „Woher wollen Sie das denn wissen?"

    „So etwas spricht sich rasch herum."

    „Nein."

    „Was?"

    „Unverkäuflich."

    „Also haben Sie es?"

    „Vergessen Sie’s." Er knallte den Hörer auf die Ladestation zurück. Arschloch.

    Er ließ sich ins Bett zurückfallen und boxte das Kopfkissen zurecht. Unter dem Vorhang drängte sich die Morgensonne in den Raum und tauchte ihn in schummriges Zwielicht. David starrte missmutig den gewellten Streifen gelben Lichtes an und zog sich die Decke über den Kopf. Er drehte sich um, dem aufsteigenden Tag demonstrativ den Rücken zuwendend.

    Aussichtslos. Er war todmüde und gleichzeitig hellwach. Eigentlich hätte er nach dem Telefonat schlicht und ergreifend hintenüber kippen und noch im Fallen wieder einschlafen müssen – eine der Fertigkeiten, die man bereits im ersten Jahr bei der Feuerwehr lernte –, aber diesmal klappte es einfach nicht. Er warf sich noch ein paar Mal hin und her, dann gab er auf.

    Mist. Er schwang sich aus dem Bett und schlurfte in die Küche. Kaffee. Wenn schon wach, dann aber auch richtig. Er bereitete ein schwarzes Gebräu zu, das dem Nachtschwesternkaffee im Sankt Georg problemlos den Rang ablaufen konnte, schüttete einige Teelöffel Zucker hinein und setzte sich mit dem dampfenden Becher auf die Dachterrasse, die sich vor seiner Wohnung im dritten Stock erstreckte. Die Maisonne hatte die Luft über den Dächern von Hamburg bereits kräftig aufgeheizt, und er blinzelte sie minutenlang an, um den Schlaf aus seinem Kopf zu vertreiben. Der Kaffee tat sein Übriges, und er reckte sich, dass die Gelenke knackten. Na gut. Heute Abend würde er tot umfallen, aber er musste ja auch erst morgen wieder zur Arbeit.

    Was zum Teufel war an dieser Statue so Besonderes, dass dieser Typ sich so dafür interessierte? Und was noch wichtiger war, woher wusste er davon?

    Tausend weitere Fragen, die sich in den letzten Tagen angesammelt hatten, purzelten ihm durchs Hirn. David begriff. Aufgeweckt hatte ihn dieser merkwürdige Sammler, aber am Einschlafen gehindert hatte ihn die Sache mit der Statue selbst. Nachdenklich nippte er an dem heißen Kaffee, verzog angewidert das Gesicht und nahm noch einen Schluck. Wer könnte ihm Antworten verschaffen? Gerhard? Nein. Der würde eher noch mehr Fragen aufwerfen. Seine Mutter? Unmöglich. Selbst wenn sie gesund wäre, könnte sie ihm nicht viel weiterhelfen.

    Er schnippte mit den Fingern. Sarah. Sie hatte zwar mit Archäologie nichts am Hut, aber sie wusste immer weiter. Nicht, dass sie seine Fragen beantworten könnte, ganz im Gegenteil. Normalerweise kam er mit mehr offenen Fragen von ihr zurück, als er mitgebracht hatte. Aber irgendwie waren es die besseren Fragen. Die richtigen.

    Sie hatten sich vor ein, zwei Jahren auf einer Party kennengelernt. Er hatte sie derb angemacht, sie hatte ihn derb abblitzen lassen, dann hatten sie beide herzlich darüber gelacht und seitdem waren sie befreundet. Hin und wieder traf Sarah ihn, um Dampf abzulassen über die Schlechtigkeit der Menschen im Allgemeinen und der Männer im Besonderen, und immer, wenn ihm das Leben mal wieder ein Bein gestellt hatte, ließ er seine Fragen bei ihr austauschen. Diesmal war es eine ganz andere Sorte Fragen, aber den Versuch war es wert. Er stand auf, ging hinein und griff zum Telefon.

    Am frühen Nachmittag, David hatte doch noch ein wenig Schlaf gefunden und war wieder einigermaßen mit der Welt versöhnt, betrat er Sarahs Lieblingsbistro an der Schanzenstraße und schob die Sonnenbrille auf die Stirn. Aus der hinteren Ecke wedelte ihm ein goldbereifter Arm entgegen, und er schlug sich zu Sarahs Tisch durch.

    „Na, großer Bruder", begrüßte sie ihn, während er sich auf den Platz ihr gegenüber fallen ließ.

    David runzelte die Stirn. „Großer Bruder? Wenn ich der Hurensohn bin, als den du mich immer bezeichnest, dann wirft das kein gutes Licht auf deine Familie."

    Sie verdrehte die Augen und nickte zum Nachbartisch, wo sich ein braun gebrannter Blondling mit Hawaiihemd auf den Polstern rekelte. David stöhnte. „Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Willst du schon wieder auf diese Sorte Arschloch reinfallen?"

    „Wo ich doch so einen charmanten, gebildeten und höflichen Kerl wie dich hätte haben können."

    „Du hast gut aussehend vergessen."

    Sie spitzte die Lippen. „Wie konnte ich nur."

    „Du hast mir damals das Herz gebrochen, weißt du."

    Sarah lachte. „Du kannst es einfach nicht lassen. Wo ist dein Problem?"

    „Außer dir? Mein Vater."

    Sie nippte an ihrer Cola. „Wie das denn? Der ist doch schon lange tot, oder?"

    „Nicht unbedingt. Ich habe dir nur die halbe Wahrheit erzählt." David winkte dem Kellner, bestellte ein Bier und ein Schnitzel und erzählte Sarah die ganze Geschichte, von seinem verschollenen Vater, der Statue, den Gesprächen mit seinem Stiefvater und dem Anruf des Sammlers.

    „Wow, machte sie, als er fertig war. „Das hätte mich aber auch aus der Bahn geworfen. Das ist ja wie eine Zeitreise.

    „Ja, es fühlt sich irgendwie an, als hätte ich die Jahre seit seinem Verschwinden in einer Warteschleife verbracht, und jetzt geht das Leben an derselben Stelle weiter."

    „Und, was willst du jetzt tun?"

    „Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht hier, und du könntest dich an den Schönling da verschwenden."

    Das Schnitzel kam, der Schönling ging. Sarah sah ihm nach und zog einen Flunsch. „Zu spät."

    „Besser so. Glaub’s mir." David ertränkte den Inhalt seines Tellers in Ketchup.

    Sarah verzog das Gesicht. „Muss das sein?"

    „Stimmt, ist ein bisschen viel. Erinnert mich an den Verkehrsunfall letzte Nacht."

    „Du bist ekelhaft!"

    David grinste und schob sich ein großes Stück Schnitzel mit Pommes in den Mund.

    Sarah sah ihn nachdenklich an, während er in erzwungener Schweigsamkeit kaute. „Was ist eigentlich genau damals gelaufen? Ich meine, warum konnte man ihn nicht finden? Was sagten die anderen, die bei der Ausgrabung dabei waren?"

    David spülte den Bissen mit einem Schluck Bier hinunter. „Nichts. Es war niemand da, der etwas erzählen konnte."

    „Was? Sarah machte eine abfällige Handbewegung. Ihre goldenen Armreife klingelten. „Du kannst mir doch nicht erzählen, dass eine komplette Expedition einfach verschwunden ist?

    „Doch, genau das. Niemand weiß, wo sie damals gearbeitet haben, und niemand hat es jemals herausgefunden."

    „Du nimmst mich auf den Arm."

    „Nein, bestimmt nicht. Die Uni sagt, dass es keine offizielle Unternehmung war. Jemand scheint gezielt Personal für eine private Ausgrabung angeheuert zu haben, und dieser Jemand legte großen Wert auf Diskretion, sowohl, was seine Person anging, als auch die gesamte Expedition. Das Einzige, was man damals herausfinden konnte, war, dass es nach Mittelamerika gegangen ist, aber schon beim Land war dann Feierabend. Na ja, seit zwei Tagen weiß ich wenigstens, dass es Mexiko war."

    „Also entschuldige mal, aber wer wäre so bescheuert, eine Expedition nach Mexiko privat zu finanzieren? Was soll das bringen?"

    „Gold, vermutlich. Es gibt immer noch viele Legenden um den Schatz der Azteken oder Inkas oder wen auch immer, der angeblich in verschollenen Tempeln versteckt ist. David schob sich ein paar Fritten in den Mund. „Alles Humbug, wenn du mich fragst, aber hin und wieder erliegt einer der Versuchung und steckt eine Menge Geld in eine Expedition, in der Hoffnung, wahnsinnig viel Gold herauszubekommen. Oder antike Kunstgegenstände. Du glaubst gar nicht, wie viel Geld man für so eine alte Statue auf dem Schwarzmarkt bekommen kann.

    „Na gut, damit kann man auch die Geheimniskrämerei erklären."

    „Damit und mit der Tatsache, dass die mexikanische Regierung den größten Teil für sich beanspruchen würde, wenn sie davon Wind bekäme."

    „Klar. Sarah lehnte sich zurück und tippte nachdenklich mit dem Zeigefinger auf die Lippen. „Aber was ich nicht verstehe: Irgendwo ist immer ein Leck. Ich meine, so eine Expedition besteht aus vielen Leuten. Einer muss doch mal zu Hause angerufen haben. Jemand muss vor Ort Lastwagen und Jeeps gemietet, Lebensmittel gekauft haben, irgendwas.

    David wedelte mit ein paar Pommes in der Luft. „Sind die damals auch draufgekommen. Fehlanzeige. Keine Hotels, keine Telefonate, nichts. Flugtickets bis Los Angeles, aber keine Anschlussflüge. Überhaupt waren es nur zwei oder drei andere Archäologen, die verschwunden sind. Er schob die Fritten in den Mund. „Die meisten Leute wurden wohl vor Ort angeheuert, aber wo? Die Leute vom Institut konnten damals ja nicht ganz Südamerika durchkämmen.

    „Du frisst wie ein Schwein, weißt du das?"

    „Oink." Er grinste mit vollem Mund.

    „Ist ja eine wirklich unglaubliche Geschichte."

    „Was meinst du, wie wenig ich die damals glauben wollte. Hey, ich war zwölf!"

    Sarahs Blick nahm etwas Mütterliches an. „Ach je, du Armer. Das muss wirklich die Hölle gewesen sein."

    „Ja, murmelte David und sah zur Seite. „Mir wäre es fast lieber, er wäre damals gegen einen Baum gefahren und tot gewesen. Dann hätte ich wenigstens Bescheid gewusst.

    „Glaube ich dir. Was willst du jetzt machen?"

    „Keine Ahnung. Das ist es ja gerade. Ich meine, was weiß ich denn jetzt schon? Dass er jemandem misstraut hat, dass er in Mexiko war, und dass es diese komische Steinfigur gibt. Mehr nicht."

    „Und, was willst du jetzt von mir hören?"

    David sah auf seinen Teller und rührte mit einer Fritte in der Ketchuppfütze. „Weiß nicht."

    Sarah lehnte sich vor. „Was willst du überhaupt? Was erhoffst du dir jetzt, was wünscht du dir?"

    „Herrgott, keine Ahnung. Er schob den Teller von sich und funkelte sie an. „Bis vor zwei Tagen wusste ich, dass ich meinen Vater nie finden würde. Kein Lebenszeichen, kein Grab, nichts. Ich habe mein halbes Leben damit verbracht, mich damit abzufinden, und ich habe es ganz gut geschafft. Und dann kommt dieses dämliche Paket und schmeißt alles wieder durcheinander. Woher soll ich da noch wissen, was ich will?

    Sarah sah ihn schweigend an, bis er den Blick senkte. „Deine schöne Gewissheit ist futsch, und du würdest sie gern wiederhaben."

    „Klar."

    „Was wäre für dich denn so eine neue Gewissheit?"

    „Herauszufinden, was nach dem Brief passiert ist. Sein Grab zu finden. Oder was auch immer."

    „Wo willst du anfangen mit der Suche?"

    „Verdammt, keine Ahnung! Ich kann doch nicht nach Mexiko fahren und mich durch den Urwald schlagen."

    Sie sah ihn durchdringend an.

    „Was?"

    Sie schwieg weiter und sah ihn an.

    „Du meinst doch nicht …?"

    Sarah zuckte die Schultern. „Ich meine gar nichts. Das ist deine Entscheidung."

    Ein Grinsen breitete sich auf Davids Gesicht aus. „Sarah, ich liebe dich, weißt du das?"

    „Vergiss es. Nur über meine Leiche."

    *

    David ahnte Böses, als er nach Hause kam und seine Wohnungstür einen Spalt offen stehen sah. Mit bis zum Hals klopfendem Herzen spähte er durch den Spalt in den Flur. Der Schuhschrank war aufgerissen, der Inhalt auf dem Boden verstreut, daneben die Jacken vom umgestürzten Garderobenständer. Rasch zog er sich zurück, huschte um die nächste Ecke und holte sein Mobiltelefon heraus.

    Nachdem er die Polizei verständigt hatte, huschte er auf Zehenspitzen zur Tür zurück und lauschte. Nichts. Das einzige Geräusch, das er hörte, war das Pochen des Blutes in seinen Ohren. Stand da jemand auf der anderen Seite der Tür und hielt wie er den Atem an? Leise und vorsichtig schob er sie weiter auf und spähte dahinter. Niemand. Er schlüpfte durch den Spalt.

    In Ermangelung einer besseren Waffe hob er einen Regenschirm auf, hielt ihn wie ein Schwert vor sich und schlich ins Wohnzimmer. Auch hier sah es aus, als wäre ein Tornado durch das Haus gefegt. Schubladen waren herausgerissen, ihr Inhalt ausgekippt, ebenso der Inhalt der Schränke. Zerbrochenes Geschirr war über den Fußboden verteilt, Bücher, Zeitschriften, CDs.

    Etwas knirschte unter Davids Fuß,

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