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Untat
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Ebook126 pages1 hour

Untat

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About this ebook

"Wir sind nervös. Natürlich. Das wären Sie doch sicherlich auch, wenn Sie sich in wenigen Minuten einem Verbrecher anvertrauen würden. Oder?"
Wir wird man zum Verbrecher? Zwei Journalisten heuern bei Oscar, einem "bösen Buben", an und werden Augenzeugen einer Kindesentführung. Doch statt zu einer packenden Reportage entwickelt sich dieses Abenteuer zu einem Albtraum: Sind die Journalisten selbst Opfer - oder doch Täter? Ist Oscar ein Psychopath oder ein Aufschneider? Aus der vermeintlichen Distanz des Beobachters wird man hineingezogen in ein beängstigendes und brutales Geschehen.
LanguageDeutsch
PublisherConte Verlag
Release dateOct 17, 2013
ISBN9783956020087
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    Untat - Guido Rohm

    Für Annette

    Wer die Wahrheit nicht weiß,

    der ist bloß ein Dummkopf.

    Aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!

    Bertolt Brecht

    Erster Tag

    1

    Wir sind nervös. Natürlich. Das wären Sie doch sicherlich auch, wenn Sie sich in wenigen Minuten einem Verbrecher anvertrauen würden.

    Oder?

    Wir haben uns das nicht ausgesucht. Wir wurden erwählt. Von wem?

    Von Oscar!

    Das überdimensionale Bild einer lachenden Frau auf einem Plakat sieht auf uns hinab. Sie zwinkert uns mit dem linken Auge zu. Wir haben es gesehen.

    Aber weil man nicht als verrückt gelten will, übersieht man so etwas am besten. Man spricht nicht darüber. Nur Verrückte fühlen sich von einem Gesicht auf einem Werbeplakat angesprochen.

    Wir sind nicht die Verrückten hier.

    Wir sehen zum Himmel hinauf. Der Himmel ist weit entfernt.

    Wolken, die einen Pessimisten an Särge erinnern würden, ziehen rasch über uns hinweg. Die Zeit scheint sich beschleunigt zu haben.

    Die Gebäude seitlich erwecken den Eindruck, jede Sekunde auf uns hinabzustürzen.

    Wir sitzen in der Falle.

    Unsinn, denken wir, das sind doch nur Häuser.

    »Ihr kommt zu spät!«

    Oscar fuchtelt mit den Händen in der Luft herum. Ein dem Wahnsinn verfallener Dirigent. Er ist ein hässlicher Mann. Ein kleiner Mann. Er hat kaum noch Haare, schlechte Zähne und Glupschaugen. Er riecht schlecht. Das kommt der Wahrheit nicht nahe. Er stinkt.

    Ein Mann wie aus einer Hollywoodkomödie. Oder wie aus einem der alten Gangsterfilme. Eine Mischung aus Peter Lorre und Edward G. Robinson.

    Wir kennen uns aus. Wir haben die Filme alle gesehen. Wir sind ständig damit beschäftigt, unseren Horizont zu erweitern.

    Die Sonne scheint. Sie verbrutzelt uns regelrecht. Wir fühlen uns wie glühende Kohleklumpen.

    Wir schwitzen, aber Oscar scheint ganz besonders stark zu transpirieren. Sein Hemd zeigt an einigen Stellen dunkle Flecken, die uns rasch zur Seite blicken lassen. So etwas will man nicht sehen. Man schämt sich dafür.

    »Ich bin Oscar«, sagt er und streckt uns seine feuchte Hand entgegen.

    Die Hand ist über und über mit dunklen Haaren übersät. Die Hand erinnert an die Klaue eines Werwolfs. Die Fingernägel sind zu lang. Frauenfingernägel. Mordinstrumente. Unter den Fingernägeln ist die Schwärze von Dreck zu erkennen. Der Dreck stößt uns ab. Trotzdem schütteln wir seine Hand. Er ist der Boss dieser Unternehmung. Er hat das Sagen. Er hat uns engagiert. Er hat ein Recht darauf, die Hand geschüttelt zu bekommen.

    »Achtet nicht auf meine Hände«, sagt er. »Ich habe die ganze letzte Nacht ein Loch gegraben.«

    Sagt man so etwas nach der ersten Begrüßung? Er schon.

    Wir nennen unsere Namen. Er nimmt sie gelangweilt zur Kenntnis. Er weiß, wer wir sind. Er hat uns gebucht.

    Wir fragen nicht, warum er ein Loch gegraben hat.

    »Ich müsste trotzdem noch eure Ausweise sehen«, sagt Oscar.

    Wir kramen unsere Presseausweise aus den Rucksäcken und zeigen sie ihm. Kleine Plastikscheiben.

    »Die behalt ich eine Weile.«

    Oscar steckt die Ausweise mit einem Grinsen in die rechte Gesäßtasche seiner schwarzen Jeans.

    Später werden wir von ihm träumen. Aber jetzt lernen wir uns erst einmal kennen.

    Und dann sagt Oscar: »Ich muss euch dort drüben noch kurz einer Leibesvisitation unterziehen. Regt euch darüber nicht auf. Eine reine Formalität.«

    Er lächelt verlegen. Einem solchen Mann kann man nicht böse sein.

    Oscar zeigt zu einer öffentlichen Toilette hin. Einem matt glänzenden Metallkubus.

    Wir nicken und folgen ihm.

    Wir betreten die Toilette. Es riecht nach Urin und Fäkalien. Oscar verdreht die Augen und bewegt den Kopf entschuldigend hin und her.

    »Muss leider sein«, sagt er. »Ich mag solche Orte ja auch nicht.«

    Wir fragen ihn, ob dies seine erste Entführung ist.

    Er hebt die Arme, als wolle er sich ergeben, und winkt dann ab.

    »Wir kennen uns noch nicht. Ich möchte noch nicht über solche Dinge sprechen. Später. Später vielleicht.«

    Wir geben ihm zu verstehen, dass wir das verstehen. Wir haben Verständnis für seine Lage, die gewisse Vorsichtsmaßnahmen nötig macht.

    Um sein Vertrauen zu gewinnen, sagen wir, es sei unsere erste Entführung.

    Wir wollen, dass er uns mag.

    Oscar kontrolliert die Kabinen. Niemand da. Er kommt zu uns zurück.

    »Über was habt ihr denn bisher so berichtet?«, fragt er.

    Ehe wir antworten können, drückt er uns mit seinen Händen an die Wand. Er hat starke Hände und arbeitet zielgerichtet zeitgleich mit der linken wie auch mit der rechten Hand.

    Unsere Körper sollen jeweils ein X bilden. Beine und Arme weit auseinander.

    Rasch klopft Oscar uns von oben nach unten ab.

    »Ihr seid sauber«, sagt er.

    Die Tür der Toilette öffnet sich. Ein offensichtlich angetrunkener Penner wankt herein. Er sieht erschreckend verwahrlost aus. Wirres graues Haar flammt um seinen Kopf.

    Wir stehen noch mit gespreizten Beinen vor der Wand. Unsere Hände kleben an den Kacheln. Wir können den Dreck auf den Kacheln spüren. Er klebt. Wir lösen die Hände wie Saugnäpfe und drehen uns zu ihm um.

    »Wollte euch nicht stören, Jungs«, sagt der Penner. »Muss nur schnell pinkeln.«

    Der Penner kichert und schiebt sich an uns vorbei. Er schüttelt dabei den Kopf.

    Oscar gibt uns ein Zeichen. Wir nicken und folgen ihm ins Freie.

    Nur raus hier, denken wir.

    Verkehrslärm. Hupen. Die Stadt versinkt allmählich in ihren Abgasen.

    Oscar hat für unser erstes Treffen eine besonders befahrene Straße der Stadt ausgesucht. Trotzdem ist heute eher wenig los. Ferienzeit.

    Laut dem Internet ist der Himmel unter der Dunstglocke metallicblau.

    Oscar zieht uns zu einer Hauswand hinüber, die mit Schmierereien übersät ist.

    »Wir sollten jetzt erst einmal eine Zigarette rauchen«, sagt Oscar.

    Er sieht uns erwartungsvoll an. »Was ist? Habt ihr Zigaretten dabei?«

    Wir müssen seine Frage verneinen. Wir rauchen nicht. Wir halten nichts von solchen Lastern. Nur schwache Menschen rauchen.

    »Mann, was seid ihr nur für Typen«, sagt er. »Dann müssen wir eben Zigaretten kaufen.« Und dann fragt er noch: »Aber Geld habt ihr doch wenigstens dabei, oder?«

    Wir haben Geld dabei.

    Auf dem Weg zum nächsten Supermarkt oder Kiosk erzählt uns Oscar von dem Stress, den er bereits an diesem Morgen hatte.

    »Ich hab bis in die frühen Morgenstunden gegraben. War eine echte Plagerei. So eine Entführung sitzt man nicht einfach auf der rechten Arschbacke ab. Ich habe kaum geschlafen. Die Nerven gehen langsam mit mir durch. Man ist ja keine Maschine. Ich bin alleine, müsst ihr wissen. Ich mache alles mit mir alleine aus. Früher war ich verheiratet. Aber meine Frau ist durchgebrannt. Mit einem Schwarzen. Ich bin kein Rassist, aber musste es denn gleich ein Schwarzer sein?«

    Wir haben darauf keine Antwort, zumal wir die Frage geschmacklos finden, es aber nicht zum Ausdruck bringen möchten. Er ist der Boss. Er hat das Sagen. Er bestimmt die Denkrichtungen.

    Oscar unterbricht sich, als wir einen Kiosk erreichen. Er lässt sich von uns Geld geben und kauft drei Packungen Zigaretten. Zwei Packungen verstaut er sofort in seiner Jacke. Eine Packung öffnet er direkt vor dem Kiosk. Das Silberpapier glitzert in der Sonne. Er wirft es in einen neben dem Kiosk befindlichen Mülleimer. Aufgeregte Wespen lauern auf jede Hand, die ihnen den Deckel zum Paradies öffnet.

    »Wo war ich stehen

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