Die Rolle von Guidance in einer sich wandelnden Arbeitswelt
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Der vorliegende Band gibt einen Überblick über aktuelle Trends und Herausforderungen am Arbeitsmarkt. Er beleuchtet die Bedeutung von Weiterbildung in Übergangsphasen und stellt wirksame Strategien in der Berufs- und Bildungsberatung vor.
Die Beiträge richten sich daher vor allem an Personen, die im Bereich der Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf tätig sind sowie an alle an bildungspolitischen Themen Interessierten.
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Book preview
Die Rolle von Guidance in einer sich wandelnden Arbeitswelt - StudienVerlag
OeAD-GmbH.
Michaela Marterer, Peter Härtel
Guidance für Bildung und Beruf: Herausforderungen und Antworten in einer Welt im Wandel. Was ändert sich? Worauf kommt es an? Was bleibt?
Leben ist Entwicklung, Wandel, Veränderung. Und: Leben ist Lernen.
Auch die Arbeitswelt ist im Wandel. Allerdings ist dieses Phänomen nicht neu. Spätestens seit der Frühzeit der Industrialisierung gibt es keine Generation, die nicht von gravierenden Umstürzen der Arbeitswelt betroffen war. Dampfmaschine und Automatisierung, Fließband, Buchdruck und Automobil – das sind nur einige Symbolbegriffe für das, was Arbeitswelt in den letzten Jahrhunderten massiv beeinflusst hat.
Zweifellos sind viele Entwicklungen neu. Virtuelle Kommunikation, soziale Medien, globale Einflüsse auf alle regionalen und lokalen Entwicklungen, Tempo und Tiefgang von Umbrüchen, das sind Erscheinungen, die heute alle Lebens- und Arbeitswelten und alle Generationen betreffen.
Am gravierendsten wirkt sich jedoch das Auseinanderbrechen vieler jener Systeme und Strukturen aus, die Sicherheit versprochen und geboten haben. Lebenslange, „pragmatisierte Arbeitsverhältnisse und gesichertes Einkommen, generationenüberdauerndes Bestehen von Unternehmen, Produkten und Leistungen – all dies gehört, wenn es das je gegeben hat, der Vergangenheit an. Auch der Rahmen von Politik, Gesellschaft, Sozialwesen wird immer stärker überregional, global beeinflusst. Dem gegenüber steht eine erstaunliche Stabilität von Einrichtungen wie Schule, Verwaltung und öffentlich-rechtliche Institutionen. Gerade diese – insbesondere Schule und Bildungswesen, Arbeitsmarktservice und Politik – tragen jedoch Mitverantwortung dafür, Menschen zum Leben und Überleben in neuen Rahmenbedingungen zu befähigen. Dies beginnt in der frühen Kindheit, reicht von Primar- und Sekundarschule über die berufliche Ausbildung im Betrieb bis zu postsekundären und tertiären Einrichtungen – Hochschulen und Universitäten – und zum weiten Feld der Erwachsenenbildung. Das betrifft nicht nur „formale
Systeme, gefordert sind auch nonformale und informelle Bildungs- und Lebensbereiche, außerhalb der formalen Strukturen.
Wichtig ist die Erkenntnis, dass sich nicht nur die Arbeitswelt im Wandel befindet, sondern die gesamte Lebenswelt, Familien- und Sozialstrukturen, Medienwelten, Einflüsse aus Medien und virtueller Kommunikation und vieles mehr.
Was aber heißt dies für Guidance?
Guidance – Service oder Haltung?
„Das Leben der Bürger wird in immer stärkerem Maße durch vielfache Übergänge geprägt: insbesondere von der Schule zur Berufsausbildung und -fortbildung, zur höheren Bildung oder ins Berufsleben, von einer Beschäftigung zu Arbeitslosigkeit oder einer weiteren Ausbildung oder aber dem Verlassen des Arbeitsmarktes.
Beratung spielt eine maßgebliche Rolle bei wichtigen Entscheidungen, vor denen der Einzelne im Laufe seines Lebens immer wieder steht. Sie kann dabei zur Stärkung der Fähigkeit des Einzelnen beitragen, seine Laufbahn im Rahmen des heutigen Arbeitsmarktes sicherer zu gestalten und ein besseres Gleichgewicht zwischen Privat- und Berufsleben zu erreichen." (vgl. EU-Resolution, 2008, S. 2)
So lautet ein Ausschnitt aus der Resolution des Europäischen Rates zu Lifelong Guidance im Jahre 2008, auch auf der Grundlage des Verständnisses von lebensbegleitender Beratung, das in der ersten Resolution des Europäischen Rates von 2004 so festgehalten wurde:
„Vor dem Hintergrund des lebensbegleitenden Lernens erstreckt sich Beratung auf eine Vielzahl von Tätigkeiten, die Bürger jeden Alters in jedem Lebensabschnitt dazu befähigen, sich Aufschluss über ihre Fähigkeiten, Kompetenzen und Interessen zu verschaffen, Bildungs-, Ausbildungs- und Berufsentscheidungen zu treffen sowie ihren persönlichen Werdegang bei der Ausbildung, im Beruf und in anderen Situationen, in denen diese Fähigkeiten und Kompetenzen erworben und/oder eingesetzt werden, selbst in die Hand zu nehmen." (Vgl. EU-Resolution, 2004, S. 2)
Das sind sehr umfassende Begriffe von „Guidance, die aber vor einem noch weiter gehenden Hintergrund betrachtet werden müssen. Von welchem Menschenbild gehen wir aus? In welchem Bezug stehen individuelle Entwicklungen zu institutionellen Rahmenbedingungen? Ist es der Anspruch von Guidance, das Individuum zu befähigen, mit bestehenden Strukturen, auch mit sich verändernden Lebensund Arbeitswelten umzugehen, oder geht dieser Anspruch weiter: nämlich auch Strukturen und Systeme zu hinterfragen, wieweit sie dem „Humanum
gerecht werden, und ob Menschen an Systeme oder Systeme an Menschen angepasst werden sollten.
Darauf geht Peter Plant in seinem Beitrag „An die Freude?" ein, und unter dieser Fragestellung können auch alle weiteren – europäischen und nationalen – Entwicklungen zu Guidance betrachtet werden.
Lifelong Guidance in Europa und IBOBB in Österreich
Über den Tellerrand hinauszuschauen, von anderen europäischen Staaten zu lernen, sich auszutauschen und europäische Resolutionen im eigenen Land zu nutzen – das sind Kernprinzipien der Europäischen Union und sie zeigen die Relevanz der europäischen Zusammenarbeit.
Das ist das Thema des Beitrags von Gerhard Krötzl (BMBF) „Aktuelle Strategien für die Weiterentwicklung der Bildungs- und Berufsberatung im Bildungsbereich im Hinblick auf den Wandel am europäischen Arbeitsmarkt".
In der EU-Resolution „Resolution Council Resolution on better integrating lifelong guidance into lifelong learning strategies" (2008) wurden die Mitgliedstaaten aufgefordert Lifelong Guidance in die jeweiligen Strategien von Lebensbegleitendem Lernen zu integrieren und vier Leitprinzipien mit vier Schwerpunktbereichen anzuwenden.
Abbildung 1: Gegenüberstellung der EU-Resolution 2008 und der Nationalen Lifelong Guidance-Strategie Österreich 2007
In Österreich wurde für den Bereich der Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf (IBOBB) 2007 eine nationale Strategie formuliert, die sich an den Resolutionen 2004 und 2008 orientiert (vgl. Abbildung 1). Generelle Ausführungen zu den vier Schwerpunktbereichen erfolgen auf S. 21.
Der Arbeitsmarkt wandelt sich
Fachliche, technische, persönliche und soziale Qualifikationsanforderungen, demografische Entwicklungen, Internationalisierung, virtuelle Kommunikation – all das sind Herausforderungen für Mitarbeiter/innen und Unternehmer/innen gleichermaßen – und für alle, die beratend und begleitend für Bildung und Beruf tätig sind. Auch wenn die persönliche Entwicklung, das Erkennen und Entwickeln eigener Talente und Potenziale, Interessen und Perspektiven im Vordergrund stehen – Information und Kenntnis über wesentliche Situationen und Trends am Arbeitsmarkt, in der Berufswelt, in Branchen und Betrieben sind unverzichtbare Elemente persönlicher Orientierung, für Berater/innen und für Betroffene. Dies gilt besonders auch für die schulische Erstbildung. Wenn Lehrpersonen, Jugendliche, auch deren Eltern, nicht Einblick in reale Möglichkeiten am Arbeitsmarkt haben, können auch keine nachhaltig gelingenden Entscheidungen vorbereitet und getroffen werden. „Early Work Experience", authentische Begegnung mit betrieblicher Arbeitswelt und mit Personen aus unterschiedlichen Berufsfeldern sind unverzichtbare Elemente von Guidance.
Österreich weist im europäischen Vergleich eine – relativ – günstige Situation der Überleitung Jugendlicher von schulischer Erstbildung in Ausbildung und Beruf auf (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Arbeitslosenrate Jugendlicher in europäischen Staaten, in % Quelle: Eurostat-Abfrage vom 31.10.2014
Die relativ günstige Situation in Österreich ist wesentlich auf den hohen Anteil von Jugendlichen auf der Sekundarstufe II in Berufsbildung – ca. 80% der Jahrgänge von 15- bis 19-Jährigen, je zur Hälfte in Berufsbildenden Schulen und in beruflicher Ausbildung im Betrieb – zurückzuführen. Aber auch 9,1% arbeitslose Jugendliche fordern dazu heraus, die Situation der Überleitung Jugendlicher von Schule in Ausbildung und Beruf zu verbessern, auch der Arbeitsmarkt für Ältere, für Frauen im Wiedereinstieg, für Menschen mit Migrationshintergrund ist ein zentrales Thema.
Einen Überblick über Entwicklungen am Arbeitsmarkt in Österreich und Europa bietet Martina Maurer in „Herausforderungen eines sich ändernden Arbeitsmarktes – Entwicklungen am Arbeitsmarkt in Österreich und Europa".
Die Bedeutung gelingender Übergänge von der schulischen Erstbildung in weitere Ausbildungs- und Berufswege
Übergänge an den Schnittstellen zwischen Schule, Ausbildung und Beruf sind entscheidende Weichenstellungen in wichtigen Phasen des Lebens für junge Menschen. Die Vorbereitung auf diese Entscheidungen ist eine wichtige Kernaufgabe für Bildungs- und Berufsorientierung in der Schule. Gelingende Übergänge hängen jedoch nicht nur von der Schule ab. Sie sind auch wesentlich bedingt durch das persönliche Umfeld, durch Familie, Freundinnen und Freunde, von Wirtschaft und Unternehmen. Prozesse des Sich-selbst-Findens und das Sich-aussetzen-Wollen in der Welt, das sind zumindest ebenso herausfordernde Aufgaben und Themen für Jugendliche und junge Erwachsene. In Österreich müssen wesentliche Entscheidungen von Schüler/innen, Jugendlichen bzw. deren Eltern schon sehr früh getroffen werden (Bruneforth et al., 2012). Das österreichische Schul- und Bildungssystem ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr fragmentiert und selektiert bereits nach vier Schuljahren.
1. Entscheidung bereits mit 10 Jahren: Neue Mittelschule oder AHS?
Diese Entscheidung bestimmt in der Praxis immer noch weitgehend den weiteren Verlauf der Bildungs- bzw. beruflichen Entscheidungen, auch wenn grundsätzlich Durchlässigkeit gegeben ist. Obwohl IBOBB in der 7. und 8. Schulstufe in beiden Schularten verpflichtend durchzuführen ist, zeigen Studien, dass die weiteren Bildungs- und Ausbildungswege oft bereits festgelegt sind. Die Wahrscheinlichkeit, zu einer Matura an einer AHS oder einer BHS zu gelangen, ist aus der AHS-Unterstufe wesentlich höher, während kaum Schüler/innen der AHS-Unterstufe in eine Polytechnische Schule bzw. in eine berufliche Ausbildung im Betrieb (Lehre) wechseln.
2. Entscheidung mit 14 Jahren: Berufsbildende mittlere oder höhere Schule oder Polytechnische Schule?
Diese Entscheidung führt entweder dazu, dass Jugendliche prozesshaft in ihrer Berufs- und Ausbildungswahl begleitet werden, wie es Aufgabe der Polytechnischen Schule ist, oder ab der 9. Schulstufe weder an einer allgemeinbildenden höheren noch an einer berufsbildenden mittleren oder höheren Schule weitere Begleitung im Bereich IBOBB (Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf) erhalten, da dies in deren Curricula nicht vorgesehen ist. 33% jener Schüler/innen, die eine Sekundarstufe II beginnen, brechen diese jedoch in den ersten drei Jahren ab. Es ist also entscheidend, in frühen Phasen des Bildungsweges nicht nur Information und Orientierung über künftige Bildungs-, Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten zu erhalten, sondern auch jene Fähigkeiten und Kompetenzen zu erwerben, die Voraussetzung dafür sind, mit Informationen umzugehen, eigene Talente und Potenziale zu entdecken und zu entwickeln und mit möglichen weiteren Bildungs- und Berufswegen in Bezug zu bringen.
3. Career Management Skills im Kindes- und Jugendalter
Es bedarf somit der „Career Management Skills, also jener Fähigkeiten und Kompetenzen, Entscheidungen zu treffen, Informationen einzuordnen, eigene Stärken und Fähigkeiten zu erkennen, um Übergänge zu „managen
. „Übergangsmanagement als Sammelbegriff bezeichnet einen Ansatz zur umfassenden Gestaltung von Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und abgestimmten Prozessen für selbstverantwortete, aber begleitete Entwicklungsprozesse an Schnittstellen und Übergängen – „Passagen
– zwischen schulischer Erstbildung, weiteren allgemeinen und beruflichen Bildungs- und Ausbildungswegen und zur Arbeitswelt. Neben der Berufsorientierung und der Schüler- und Bildungsberatung an Schulen sowie der Schulpsychologie und Bildungsberatung bedarf es also mehr eines Bündels von mehrdimensionalen Ansätzen: „Berufsorientierung im klassischen Sinne ist ebenso enthalten wie die Marke „IBOBB – Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf
, die auch die Elemente der Begleitung, des „Coachings" und von Realbegegnungen mit der Arbeitswelt enthält. Stützsysteme wie Schulsozialarbeit, Jugendcoaching und psychosoziale Dienste ergänzen diese präventiven Leistungen. Career Management Skills können in diesem mehrdimensionalen Ansatz von Berufsorientierung von den Schüler/innen mit den unterschiedlichen Methoden der Professionen erfahren und erlernt werden. Dazu zählen Kind-Eltern-Lehrer/innen-Gespräche ebenso wie Portfolio-Methoden und reale Begegnungen mit Berufsbildern und Arbeitswelt, die Jugendliche dabei unterstützen, ihre ersten Entscheidungen zu treffen.
4. Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren
Was sind nun die wesentlichen Faktoren, die für das Gelingen von Übergängen entscheidend sind? Natürlich sind individuelle, persönliche, soziale Voraussetzungen, die junge Menschen mitbringen, wesentliche Bestimmgründe, aber darauf darf sich die Betrachtung nie reduzieren: Diese sind Grundlage und Ausgangspunkt, es muss aber sichergestellt werden, dass für alle Jugendlichen, unabhängig von familiären, sozialen, ethnischen, persönlichen Hintergründen geeignete Angebote und gangbare Wege zugänglich sind. Dazu sind vor allem folgende Ansatzpunkte zu beachten:
• Strukturen und Prozesse im Bildungswesen sind wesentliche Bestimmfaktoren – wenn auch immer die persönliche Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Berater/innen und Klienten/innen im Vordergrund steht – es gibt eben strukturelle Voraussetzungen, die günstigere oder weniger günstige Einflüsse auf gelingende Übergänge ausüben – einige Beispiele dazu folgen.
• Angebote und Zugänge zu Bildungs-, Ausbildungs- und Berufswegen sind Voraussetzung für den „nächsten Schritt. Wenn kein Ausbildungsplatz vorhanden ist, ist auch der Zugang dazu nicht möglich. Übergangsmanagement hat also immer auch jenes Feld in Betracht zu ziehen, in das der „nächste Schritt
gesetzt werden kann.
• Die postsekundäre und tertiäre Landschaft stellt einen wesentlichen Faktor dar. Dabei ist nicht nur entscheidend, ob Zugang dazu möglich ist, sondern auch, ob Angebote von Art, Qualität und Bildungskultur so gestaltet sind, dass sie jungen Menschen Zugänge zu weiteren beruflichen Lebenswegen ermöglichen. Das ist nicht der Ruf nach ausschließlich „berufsbezogener" Ausbildung, aber das Einfordern einer Haltung, die auch die Zeit nach Abschluss eines Studiums und die Welt außerhalb der Bildungseinrichtungen im Blick hat.
• Sinngemäß gilt dies auch für Arbeitsmarkt und Unternehmenskulturen. Wie Unternehmen bereit sind, Jugendlichen und Absolvent/innen verschiedener Ausbildungswege die Chance zu bieten, Zugang zu Ausbildung, Arbeit und Beschäftigung zu bieten, ist ein ganz wesentliches Kriterium für gelingende Übergänge und nachhaltige Entwicklungen.
• Und nicht zuletzt sind es die Angebote und Services zur Information, Beratung, Orientierung für Bildung und Beruf und weiterer begleitender Maßnahmen in allen relevanten Disziplinen, die effektives Übergangsmanagement auszeichnen.
5. Empfehlungen der OECD – Herausforderungen für Österreich
Das hat ja die OECD schon vor Jahren im Abschlussbericht des großen Projektes „Transition from Initial Education to Working Life" (OECD,