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Heimatrausch: Vincent Jakobs' 9.Fall
Heimatrausch: Vincent Jakobs' 9.Fall
Heimatrausch: Vincent Jakobs' 9.Fall
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Heimatrausch: Vincent Jakobs' 9.Fall

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About this ebook

Ein feucht-fröhlicher Silvesterabend im Kreis von netten Menschen; der Rheinländer Vincent Jakobs scheint endlich angekommen im Sauerland.
Als dann jedoch der Sohn einer befreundeten Familie auf rätselhafte Weise verschwindet, beginnt ein Albtraum, den man seinen schlimmsten Feinden nicht gönnt ...
LanguageDeutsch
PublisherBlatt Verlag
Release dateDec 17, 2014
ISBN9783934327245
Heimatrausch: Vincent Jakobs' 9.Fall

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    Book preview

    Heimatrausch - Kathrin Heinrichs

    Sauerlandkrimi & mehr

    © 2013 by Kathrin Heinrichs

    Alle Rechte vorbehalten

    Umschlaggestaltung: Birgit Beißel

    Zweite Auflage 2014

    ISBN 978-3-934327-14-6

    eISBN 978-3-93432716-0

    Kathrin Heinrichs

    Heimatrausch

    Sauerlandkrimi & mehr

    Ähnlichkeiten zu realen Orten sind gewollt. Personen und Handlung des Romans dagegen sind frei erfunden. Bezüge zu realen Menschen wird man daher vergeblich suchen.

    Inhalt

    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Kapitel 43

    Kapitel 44

    Kapitel 45

    Kapitel 46

    Kapitel 47

    Kapitel 48

    Kapitel 49

    Kapitel 50

    Kapitel 51

    Kapitel 52

    Kapitel 53

    Kapitel 54

    Kapitel 55

    Kapitel 56

    Kapitel 57

    Weitere Fälle von Vincent Jakobs

    Prolog

    Es war ein Abend, wie man ihn nur ganz selten erlebt. Ein Abend, an dem alles stimmte. Mag sein, dass dies den Flaschen Rotwein geschuldet war, die wir im Laufe des Silvesterabends entkorkten. Ganz sicher aber auch der Atmosphäre, die uns umgab. Draußen schneite es leise vor sich hin, so dass wir uns wie in einer Schneekugel fühlten. Karla hatte Kerzen aufgestellt, große Stumpenkerzen, die wilde Schatten in die Winkel der alten Bauernstube warfen, und im Kamin knisterte ein wohliges Feuer. Wir hatten Sauerländer Potthucke gegessen mit leckeren Kartoffeln und Speck. Wir hatten gelacht, erzählt und jede Menge getrunken. Es war ein Abend, an dem ich mehr als einmal dachte: ‚Alles ist gut’.

    Dass nicht alles gut war – und dass außerhalb unserer Schneekugel die Welt ihren grausamen Lauf nahm, das wurde mir erst später bewusst. Viel später.

    1

    Wie ertrinkt eine Fliege standesgemäß?", Doro saß über ihr geliebtes Zeit-Rätsel gebeugt und schaffte es, die weinselige Runde zum Schweigen zu bringen. „Der dritte Buchstabe ein S, insgesamt sechs."

    Alle auf der Silvesterfeier dachten angestrengt nach, zumindest sah es so aus. Nur Albert, Doros Mann, las aufmerksam das Etikett einer Sektflasche durch. Albert war Rechtsanwalt. Und Weinkenner. Im Moment vor allem das Letztere.

    „Was ist für eine Fliege standesgemäß?", überlegte meine Frau Alexa laut.

    „Ein Frack vielleicht?" Der Vorschlag kam von Gretha, die wie immer am schnellsten reagierte.

    „Frack sagt man eher beim Pinguin", entgegnete Martin, ihr Mann.

    „Passt aber auch zu einer Fliege!" Grethas Tonfall wurde trotzig.

    „Passt aber von den Buchstaben nicht!" Oh, Martin gab heute Contra! Dabei war er sonst eher wortkarg – aber auch lustig! Eben hatte er beim Improvisationstheater einen Notrufknopf gespielt und war dazu knallrot angelaufen.

    „Bist du dir sicher? Gretha zog einen Schmollmund. „Wenn mich nicht alles täuscht, bist du es, der mich immer in Sachen Rechtschreibung fragt.

    „Notruf!", rief Martin, kniff das Gesicht zusammen und wurde knallrot. Alle lachten.

    „Wie kann eine Fliege ertrinken?, startete Jörg einen zweiten Versuch. Als Werbefachmann war er auf Kniffligkeiten spezialisiert. Nachdenklich rieb er jetzt sein Kinnbärtchen. „In Marmelade vielleicht – oder in Sirup?

    Keiner antwortete. Stattdessen wiederholte Doro verbissen die Frage. „Wie ertrinkt eine Fliege standesgemäß? Sechs Buchstaben, Freunde!"

    „Was sagt denn der Lehrer?"

    Alle Blicke richteten sich auf mich. Oh nein, nicht das! Ich war hier, um Silvester zu feiern, nicht um mich zu beweisen. Die Frage kam von Max, meinem Freund. Er saß etwas abseits auf der Ofenbank und massierte Karlas Füße, die sie in seinen Schoß gelegt hatte.

    „Der Lehrer hat Ferien!", konterte ich. Albert ließ wie zur Bestätigung den Sektkorken knallen, obwohl es noch gar nicht zwölf Uhr war.

    „Ich hab’s! Karla riss die Füße vom Schoß ihres Freundes. „In Sekt! Versteht ihr? Fliege – Insekt!

    Begeisterung brach aus. Albert nutzte die Gelegenheit, allen Sekt einzuschenken.

    Ich muss zugeben, auch ich war beeindruckt. Karla hatte richtig was drauf! Nicht nur, dass sie ihren Sohn Benny allein großgezogen hatte. Nicht nur, dass sie sich im Hotelfach hochgearbeitet hatte. Nicht nur, dass sie diesen alten Hof in Grafschaft renoviert hatte. Sie war dabei auch noch klug und spritzig und nett!

    „Auf dich!" Gretha prostete Karla zu.

    „Um Gottes willen! Unsere Gastgeberin wurde verlegen, „Lieber auf euch! Auf eure Hilfe! Als ich diesen Hof geerbt habe, hätte ich nie gedacht, dass ich das mit der Renovierung geschafft kriege. Ich will nicht rührselig werden, aber ich weiß nicht, wie ich das jemals wieder gutmachen soll!

    „Lad uns einfach immer wieder ein!", sagte Albert ganz trocken.

    „Auf Karla und Max und ihr neues Zuhause! Gretha hob ihr Glas. Alle prosteten ihnen zu und dann sagte Doro in ihrer unnachahmlichen Art: „So, Leute, wir sind mit dem Rätsel noch nicht durch.

    Alle lachten oder stöhnten, aber das hielt Doro nicht ab. „Gäbe es eine Kleiderordnung für den Leihverkehr, schriebe sie wohl die vor. Der dritte Buchstabe ein M, insgesamt acht."

    „Das ist zu kompliziert, maulte Gretha. „Sagt mir lieber: Was wünscht ihr euch fürs neue Jahr? Auffordernd blickte sie in die Runde.

    „Dass das mit meiner Selbständigkeit klappt", sagte Karla, ohne zu zögern.

    Das war der nächste verwegene Plan: Karla wollte den ehemaligen Hühnerstall zu einem Hof-Café umbauen.

    „Das kriegst du hin!, befand Gretha pragmatisch und sah sich weiter um. „Und wie sieht es mit euch aus? Was wünscht ihr euch für das kommende Jahr?

    Doro legte den Stift nieder. „Nur eins, sagte sie ernst. „Dass Annette ihre Krankheit überwindet.

    Alle schwiegen. Annette war eine aus dem Freundeskreis, ein Gründungsmitglied, wenn man so wollte.

    „Ich habe heute noch mal angerufen, erklärte Karla betreten. „Ich habe gefragt, ob sie und Uwe nicht doch vorbeikommen können. Aber keine Chance. Annette muss morgen wieder nach Essen in die Klinik.

    Für kurze Zeit breitete sich Stille aus.

    „Und du?, fragte irgendwann Doro in Grethas Richtung. „Was wünschst du dir?

    „Dasselbe wie jedes Jahr, schnodderte die und löste damit die Starre im Raum auf. „Dass der Mistkerl an meiner Seite noch ein spätes Kind mit mir will.

    „Doppel-Notruf!", rief Martin und wurde wieder knallrot. Alle lachten.

    „Was ist mit dir?", fragte Max irgendwann in meine Richtung.

    Ich sah zu Alexa hinüber. „Ich wünsche mir Momente wie diese", sagte ich knapp.

    „Auf das Hier und Jetzt!, rief Karla übermütig. „Und jetzt wird getanzt!

    Fast hätten wir über das Tanzen den Jahreswechsel verpasst, allerdings platzte irgendwann Kante herein, Karlas Vetter, der noch bis zuletzt auf der Skihütte gearbeitet hatte. Kante hatte ich bei den Renovierungsarbeiten kennengelernt. Eine echte Type, wie er da mit seiner roten Bommelmütze und angefrorenem Schnauzbart hereinschneite.

    „Alles in Butter auf’m Kutter?", fragte er munter.

    „Muss ja, woll, antwortete Martin und fügte dann trocken hinzu: „Ich glaube, gleich ist es zwölf!

    Ausgelassen stürmten wir nach draußen in den Schnee, wo die Flocken sich zum Jahreswechsel eine Pause gönnten. Während die Glocken das neue Jahr einläuteten, begannen Max und Albert eine Schneeballschlacht, Alexa telefonierte mit unseren Kindern, die auf einer Skifreizeit waren.

    „Alles in Ordnung!", sagte sie anschließend und gab mir einen Kuss. Dann schauten wir Arm in Arm dem Feuerwerk zu. Die Sauerländer ließen sich pyrotechnisch mal wieder nicht lumpen. Je kleiner der Ort, desto größer der Trubel am Himmel.

    „Wollen wir ein paar Schritte gehen?", fragte Alexa, als es vorbei war. Dabei kuschelte sie sich noch enger an meine Seite.

    Ich nickte. Die Potthucke war mächtig gewesen. Laufen war gut, auch wenn es saukalt war. Nach einem halben Kilometer blieb Alexa plötzlich stehen und küsste mich. Wärmetechnisch war es jetzt deutlich besser.

    „Ich hab Angst, dass wir zusammenfrieren", sagte ich trotzdem, als sich unsere Lippen voneinander gelöst hatten. Alexa lachte und nahm mich noch einmal fest in den Arm. Das war der Moment, da ich es sah.

    Es war Nacht, es war wolkenverhangen. Dennoch herrschte ein diffuses Licht. Man konnte Schatten erkennen. Und da war ein Schatten, etwa fünfzig Meter entfernt. Eine Silhouette. Auf der Wiese Richtung Wilzenberg, dem Grafschafter Hausberg.

    „Ich habe eine Fata Morgana, wisperte ich. „Eine Kälte-Fata Morgana. Dahinten läuft nämlich gerade jemand mit einem Schlitten entlang.

    Alexa drehte sich um. „Wo? Ich sehe nichts."

    Ich zeigte Richtung Berg. „Und der Schlitten scheint beladen. Vielleicht muss da jemand zum 1. Januar eine neue Wohnung beziehen."

    „Ich sehe immer noch nichts."

    „Jetzt sehe ich’s auch nicht mehr. In der Dunkelheit verschwunden."

    Wir schauten noch eine Weile, dann hakte sich Alexa bei mir ein, und wir gingen zurück Richtung Hof. „Ach Vincent, ich glaub, wir werden alt."

    „Was willst du damit sagen? Dass ich Altershalluzinationen habe? Oder du eine Sehschwäche?"

    Alexa gluckste. „Wahrscheinlich beides."

    Dann begann es plötzlich wieder zu schneien. Wir legten einen Spurt ein und waren außer Atem, als wir schließlich in Karlas Wohnstube stürmten.

    „Willkommen in der Heimat!", wurden wir von Jörg ausgelassen begrüßt.

    „Da spricht der Heimat-Experte", lästerte Doro – ein klein wenig schärfer, als ich es angebracht fand.

    „Heimat ist dein Thema?", fragte ich deshalb versöhnlich in Richtung Werbefachmann.

    „Tausend Berge, tausend schöne Aussichten", zitierte Karla ironisch, bevor er antworten konnte.

    „Tausend Jahre Langeweile nicht zu vergessen", frozzelte Albert.

    „Sagen wir mal so, Heimat ist das Thema im gesamten Werbebereich", Jörg wippte mit seinem übergeschlagenen Bein. Erst jetzt fiel mir auf, dass er Chucks trug. Diese Leinenschuhe hatte ich erst kürzlich meiner Tochter verboten, weil ich sie für den Winter zu kalt fand.

    „Egal, ob du Joghurt verkaufen willst oder Lederhandtaschen, führte der Marketingexperte aus, „umgib das Ganze mit Landleben, und du wirst das Zeug los.

    „Die Welt wird global, wir werden banal", lästerte Albert.

    „Die Globalisierung stärkt die Region, dozierte Jörg weiter. „So nach dem Motto: Ich kapiere die Welt nicht, aber das Sauerland kapiere ich schon.

    „Ich kapier’s nicht", schnodderte Martin.

    „Du!, schimpfte Gretha ihn an. „Tu mal nicht so! Bist auch so ein Lokalheld. Deine Kneipe, deine Kumpels, dein Fußballverein.

    „Heimat, murmelte Max, „was ist das überhaupt?

    „Heimat ist, wenn du im Sauerland Fahrrad fahren willst und wegen der Steigungen nach zehn Metern schlappmachst", lästerte Albert.

    „Heimat steht bei mir im Navi, wenn ich nach Hause fahren will", fügte Martin pragmatisch hinzu.

    „Jugendliche können mit Heimat nicht mehr viel anfangen", hörte ich nun Gretha sagen. „Die sind zu Hause, wenn sie bei Facebook eingeloggt sind."

    „Moment, widersprach Doro, „das kann man nicht verallgemeinern. Unser Jakob zum Beispiel hat tatsächlich echte Freunde. Also welche, die man anfassen kann.

    „Viel mehr noch, führte Albert aus. „Jakob und Benny haben eine Weile sogar retromäßig gelebt, ohne Internet und Handys und so. Stimmt’s, Karla?

    Statt einer Antwort stand Karla auf. „Na ja, ich wäre froh, wenn Benny das Handy benutzen würde, das ich ihm letztens aufgedrängt hab. Ich schau mal, ob er zum neuen Jahr Laut gegeben hat."

    „Keine Nachricht", seufzte sie, als sie mit ihrem Handy in den Raum zurückkam.

    „Kommt bestimmt noch", tröstete Jörg.

    „Das ist mein Wunsch fürs neue Jahr, sagte Karla resigniert, „dass Benny Max nicht länger als Konkurrenten begreift.

    Der Satz blieb ein Weilchen im Raum hängen. Dann hob Albert sein Glas. „Auf die Jugend", prostete er uns feierlich zu.

    Auf die Jugend!

    Von Albert!

    Ich werde diesen Moment niemals vergessen!

    2

    Am Neujahrsmorgen war die Stille geradezu fühlbar. Sie fühlte sich an wie ein kühler, weißer Seidenstoff, der gerade über einen Stuhl gelegt worden war. Ich konnte das beurteilen, denn ich lag reglos im Schnee – ausgestreckt auf dem Rücken, nachdem ich eben einen Adler in den Schnee gepresst hatte. Das klingt ein wenig albern. Ist es vermutlich auch. Vielleicht wäre es klüger, sich mit einer gewissen Menge Restalkohol herauszureden. Oder damit, dass ich meine neue Schneehose ausprobieren wollte. Die Wahrheit ist anders. Ich fand es einfach nur schön, da zu liegen.

    Eigentlich wollten wir längst zu einem ausgiebigen Neujahrsspaziergang aufgebrochen sein. Aber außer mir waren alle noch mit anderen Dingen beschäftigt. Alexa im Bad, Max auf der Suche nach Schnürsenkeln für seine Wanderschuhe, Karla beim Telefonieren. Sie hatte einen Anruf von Doro bekommen, die auf der Suche nach ihrem Sohn war. Jakob hatte nach einer Silvesterparty eigentlich nach Hause kommen wollen, man machte sich Sorgen. Ob Karla von Benny etwas wüsste – er war Jakobs bester Freund.

    „Er wird es sich anders überlegt haben und in der Jagdhütte geblieben sein", hatte ich Karla im Flur sagen hören.

    Und Max, der gegrummelt hatte: „Jakob ist neunzehn! Ich wüsste nicht, dass ich damals immer Bescheid gesagt hätte, wenn ich nach einer Fete woanders gepennt hab."

    Als ich Stimmen herankommen hörte, schaffte ich es gerade noch rechtzeitig, mich aus dem Schnee hochzurappeln. Max und Alexa näherten sich. Meine Frau hatte die Hände tief in den Taschen ihrer Jacke vergraben und trug eine dieser skandinavischen Mützen mit bunten Zöpfen an der Seite, was sie sehr jung aussehen ließ. Sie schien aufmerksam zuzuhören, denn sie blickte nicht hoch, schaute vielmehr ernst vor sich hin.

    „– vielleicht besser, wenn ich mich weiter zurückhalte", hörte ich die Stimme von Max.

    Er schaute mich jetzt an, lächelte sogar.

    „Was ist mit Karla?, fragte ich, als sie mich erreicht hatten. „Geht sie nicht mit?

    „Nee, erklärte Max. „Sie muss nach Winkhausen. Ihre Urlaubsvertretung im Hotel hat ein paar Fragen. Aber Gott sei Dank hat sie uns Proviant eingepackt. Er klopfte gegen den Rucksack auf seinem Rücken.

    Alexa griff nach meiner Hand, wir stapften zu dritt weiter.

    „Und ihr?, wollte ich wissen. „Habt ihr gerade über Benny gesprochen?

    Max nickte. „Wieder einmal."

    Ich seufzte. Mein Freund hatte mit Karla endlich sein Gegenstück entdeckt. Die beiden hatten sich, auch wenn Max seine Wohnung in Hagen behalten hatte, hier im Sauerland ein Zuhause geschaffen. In dieser wunderbaren Geschichte gab es nur einen einzigen Schatten: Benedikt. Benny. Karlas neunzehnjährigen Sohn. Er hatte Max vom ersten Augenblick an als Konkurrenten gesehen, und seit einigen Monaten war er praktisch abgetaucht, wohnte seitdem bei seinem Vater und ließ sich auf dem Hof kaum noch sehen.

    „Karla leidet sehr unter Bennys Verhalten, erklärte Max. „Sie hat eben noch versucht, ihn zu erreichen, auch um nach Jakob zu fragen. Keine Chance.

    „Sie haben in einer Jagdhütte gefeiert?", fragte ich nach.

    „Ja, hat Ecki ihnen besorgt." Ecki. Eckhard. Bennys Vater, ein Ranger, der beim Rothaarsteig angestellt war. Offenbar hatte er gute Kontakte und immer mal eine Jagdhütte zum Feiern an der Hand.

    „Ich habe Max vorgeschlagen, dass wir dort hinwandern sollten, um nach Jakob zu sehen", erklärte Alexa.

    „Und ich habe gesagt, das sieht aus wie Kontrolle, wenn ich bei Benny reinschneie", gab Max zu bedenken.

    „Alexa und ich machen das schon, nahm ich ihm den Wind aus den Segeln. „Zeig uns nur erst einmal, wo diese Experten sind.

    Max sah auf die Uhr. Dann zuckte er die Achseln. „Von mir aus. Aber ich hoffe, ihr seid ausreichend trainiert. Die Hütte liegt ein ganzes Stück Richtung Fleckenberg. Das wird kein Spaziergang, das wird ein ziemlich langer Marsch."

    „Genau richtig, sagte Alexa. „Kennst du den Weg?

    „Wir sind da letztens noch gewandert", murmelte Max.

    „Dann machen wir das", entschied meine Frau.

    Damit war die Sache dann klar.

    3

    Im Nachhinein scheint mir ein Schatten auf unserer Neujahrswanderung zu liegen. Damals empfand ich sie als das pure, reine Glück. Die Bäume brachen beinah unter der Last der Schneemassen zusammen, dazu schien die Sonne aus einem klarblauen Himmel. Die Wege, die Max uns führte, nachdem wir die Grafschafter Straße gekreuzt und das Kloster hinter uns gelassen hatten, waren gänzlich unberührt – irgendwie passend zum neuen Jahr.

    Nur einmal begegneten wir jemandem – einer schrägen Frau um die siebzig mit grüner Barbourjacke und Wachshut, ihr Jagdhund im grünen Steppmäntelchen. Ich hätte darauf gewettet, dass er „Gordon oder „Lord hieß. Es war noch besser. Sie rief ihn „King Arthur".

    Max wünschte ein frohes neues Jahr. Die Landlady schien angenehm berührt und grüßte munter zurück.

    Die große Überraschung passierte, als wir uns nach einer langen Steigung durch ein Fichtenwäldchen gekämpft hatten: Ein wuseliger Skihang tat sich plötzlich unter uns auf – wir hatten das Skigebiet Höhenlift erreicht.

    „Huppsala!", hörte ich meine Frau neben mir sagen.

    Rechts von uns spuckte ein Ankerlift im Zehnsekundentakt Skifahrer auf die Piste. Es sah alles sehr munter aus. Zum ersten Mal dachte ich, dass das Spaß machen könnte.

    „Max?" Eine Stimme schreckte uns auf.

    Wir sahen jemanden aus dem Lift hinausfahren. Es sah ziemlich elegant aus, wie er zum Wenden den einen Ski fast in die Senkrechte nahm. Ich erkannte ihn erst, als er neben uns zum Stehen kam und die Skibrille abnahm. Ich erkannte ihn an seiner Mütze.

    „Ihr hier und nicht in Hollywood?" Kante grinste über das ganze Gesicht. Der Sprücheklopfer trug nicht etwa eine Skihose, sondern eine Jeans. Sehr cool. Das konnten sich nur Skifahrer erlauben, die nie in Gefahr gerieten, jemals zu stürzen.

    „Wo sind eure Skier?", frozzelte er uns an.

    „Wie immer zu Hause", bürstete Max ihn ab.

    „Ich krieg euch noch auf die Bretter", drohte er uns.

    „Gibst du gerade Unterricht?", versuchte Max ihn abzulenken.

    „Jep, bestätigte er, „einer holländischen Familie – falls die denn jemals hier ankommt! Er schaute die Lifttrasse hinunter. „Wetten, dass mindestens einer von ihnen gleich aus dem Lift kippt?"

    Ich weiß nicht, was es war, vielleicht meine rheinische Herkunft oder meine Nähe zu den Niederländern, die mich den folgenden Satz sprechen ließen: „Ich wette dagegen."

    Kante sah mich überrascht an. „Ach wirklich? Na, dann wetten wir um eine Unterrichtsstunde auf Skiern, morgen um zehn."

    „Hand drauf!" Eine weitere Welle von Unzurechnungsfähigkeit ließ mich Kante die Hand hinhalten. Er schlug sofort ein – nur um eine Sekunde später triumphierend zu johlen.

    „Wette gewonnen!" Er deutete mit dem Stock nach unten. Tatsächlich hatte der Lift gestoppt, weil jemand herausgepurzelt war. Ein rosafarbenes Knäuel, das selbst von hier oben extrem schneebepudert wirkte.

    „Ich muss dann jetzt los", feixte Kante und hob seine Skier vorne an, als würde er einen Hochstart probieren. Gekonnt drehte er sich noch einmal zu mir um. „Ich erwarte dich

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