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Homo-Odyssee: Abenteuer eines Weltreisenden
Homo-Odyssee: Abenteuer eines Weltreisenden
Homo-Odyssee: Abenteuer eines Weltreisenden
Ebook433 pages6 hours

Homo-Odyssee: Abenteuer eines Weltreisenden

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Eine Sauna in Paris, ein Liebeshotel in Tokio oder ein Hamam in Damaskus: Brent Meersmans "Homo-Odyssee" führt durch 18 Länder auf sechs Kontinenten und ist so facettenreich wie das schwule Leben selbst. Muslimisch, christlich oder jüdisch. Legal oder illegal: Wie leben und lieben Schwule in anderen Teilen der Welt? Wie nehmen sie sich selbst wahr? Wie konnte ihre Kultur trotz Anfeindung und Ablehnung überleben? Meersman nimmt uns mit auf eine beeindruckende Entdeckungsreise, die dazu einlädt, die Welt und sich selbst aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.
LanguageDeutsch
PublisherAlbino Verlag
Release dateOct 8, 2015
ISBN9783959850568
Homo-Odyssee: Abenteuer eines Weltreisenden

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    Homo-Odyssee - Brent Meersman

    Geschichten.

    Masree & Dahoud

    BANANA ISLAND

    Luxor, Ägypten

    Seit meiner Besichtigungstour zu den Pyramiden weiß ich, dass eine Pyramide zu betreten etwas vollkommen anderes ist, als ihre berühmten Formen von außen zu bewundern. Im Inneren der Pyramide war es stockdunkel, und in der Luft hing der Geruch von getrockneten Fäkalien. Ich war, wie es schien, vollkommen allein. Zögerlich tastete ich mich auf dem unebenen Boden voran und fragte mich, was ich hier drinnen eigentlich suchte, als ich ganz in der Nähe ein seltsames Geräusch hörte. Wie Stoff, der über Stein reibt. Ich konnte absolut nichts sehen. Dann berührte mich eine Hand an der Hüfte und fand schnell den Weg zu meiner Leiste, eine große raue Hand mit langen Fingernägeln. Ich machte einen Satz zurück, rannte blindlings in Richtung Ausgang und kam mir dabei vor wie Adela Quested in E.M. Forsters Reise nach Indien, auf ihrer Flucht aus den Marabar-Höhlen.

    Ägypten kann auf eine reiche homosexuelle Geschichte zurückblicken – von den transvestitischen Tänzern unter Muhammad Ali Pascha (dem Gründer des heutigen Ägypten, der öffentliche Tanzdarbietungen von Frauen verboten hatte) bis zur berühmten Oase Siwa, wo noch in den 1930er Jahren Jungen miteinander verheiratet wurden (sehr zum Ärger der bigotten britischen Kolonialmacht, wie ich hinzufügen muss). Die englischen Reisenden, die im achtzehnten Jahrhundert nach Ägypten kamen, äußerten sich regelmäßig voller Abscheu über die homosexuellen Aktivitäten, die auf allen Ebenen der ägyptischen Gesellschaft verbreitet waren, vom Sultan bis zu den Fellachen.

    Nach heutigem Kenntnisstand findet sich der weltweit älteste Nachweis für Homosexualität in Afrika, genauer gesagt: in Ägypten, in der Nähe von Gizeh. Es handelt sich um das 4390 Jahre alte Grab von Niankhkhnum und Khnumhotep, zweier Männer, die gemeinsam beerdigt wurden, um gemeinsam ihre Reise ins Jenseits antreten zu können. Die Fresken an den Wänden der Grabkammer zeigen die beiden in inniger Umarmung und beim Austausch von Nasenküssen (eine Form des Kusses, die zu dieser Zeit auch von heterosexuellen Partnern bevorzugt wurde).

    Männer, die Sex mit Männern hatten, wurden Lotis genannt, ein Wort, das sich von dem Propheten Luth ableitet, eben jenem, der nach Sodom geschickt wurde und in der Bibel Lot heißt. Der Islam betrachtet homosexuelles Verlangen als angeboren, verbietet es jedoch, diesem Verlangen nachzugeben. Folgt man der Auslegung einflussreicher Korangelehrter, so betrachtete der Prophet Mohammed zwei Männer, die sich liebten, deren Liebe aber platonisch blieb, als Märtyrer, die für ihre aufopferungsvolle Enthaltsamkeit von Gott belohnt werden würden. Doch sind schon aus dem Mittelalter verschiedene Schriften bekannt, die einen offeneren Umgang mit Homosexualität anzeigen. Neben den flüchtigen Erwähnungen in Tausendundeiner Nacht sind hier vor allem die Gedichte der Sufis zu nennen, die vielfach Widmungen an ihre jungen christlichen Bediensteten enthalten (was heute gerne verschwiegen wird). Sufis scheinen sich überhaupt wenig um gesellschaftliche Zwänge geschert zu haben. Man darf annehmen, dass ihre idealisierte, poetisch überhöhte Liebe zu den jungen Männern oftmals die Grenze zur physisch-penetrativen überschritt. Mich jedenfalls erinnern ihre Lobgesänge an die Beschreibungen in Platons Symposium, das mir zum ersten Mal in der Universitätsbibliothek in meine zitternden Hände fiel – und mir endlich den philosophischen Beweis dafür lieferte, dass ich keine Anomalie war. Ich wünschte, solche Schriften wären auch den jungen Ägyptern zugänglich, die schier verzweifeln an jener Liebe, deren Namen man nicht nennen darf. Sie sollten nicht länger aus der Geschichtsschreibung ihres Landes getilgt werden.

    Ein Jahrzehnt vor dem sogenannten Arabischen Frühling besuchte ich Luxor, wo ich an einem Spätnachmittag die Corniche, Luxors breite, aber eher langweilige Nilpromenade entlangschlenderte. Eigentlich galt sie als beliebtes Ausflugsziel, doch die Promenade war menschenleer, es war gespenstisch still. Vielleicht hatte man sich immer noch nicht von dem Massaker an achtundfünfzig Touristen erholt, das islamische Fundamentalisten am Westufer des Nils verübt hatten, im Schatten des Totentempels der Hatschepsut. Die Reisegruppe war mit automatischen Waffen niedergeschossen, die Leichen anschließend mit Macheten verstümmelt worden. In der ausgeweideten Bauchhöhle eines der Opfer hatten die Täter ein islamistisches Pamphlet hinterlassen.

    Ein junger Mann auf einem Fahrrad fuhr ein paarmal an mir vorbei; wann immer er durch ein Schlagloch holperte, klirrte leise seine Fahrradklingel. Nach einer Weile hielt er in einiger Entfernung von mir an, stieg ab und warf mir einen prüfenden Blick zu, die Arme vor dem Körper verschränkt. Mit einer Mischung aus Interesse und Scheu ging ich auf ihn zu, wobei ich dachte: »Bitte, nicht noch ein verdammter Bettler!«

    Als ich an ihm vorbeikam, begann er, sein Fahrrad neben mir herzuschieben.

    »Hey Mister! Amerikaner?«

    »Afrikaner«, antwortete ich.

    Er lachte. Sein Gesicht war eingerahmt von vollen, unordentlichen Locken, seine Haut dunkelbraun. Er trug eine dünne, grauweiße Galabija aus Baumwolle, auf der die Fahrradkette ein paar Ölflecken hinterlassen hatte. Irgendwie schwarzafrikanisch, dachte ich, wie ein Nubier. Nordafrika war eben nicht gleich Nordafrika. Warum sahen diese ägyptischen Jungs (und, ehrlich gesagt, auch einige der Polizisten, in ihren makellos weißen Uniformen) nur so verdammt gut aus? Waren es die Augen, mit ihren perfekten Konturen, wie das Hieroglyphenauge des Ra – die Augäpfel schneeweiß, die Iris in tiefem Braun? Oder die perlweißen Zähne, die durch den dunklen Teint noch heller strahlten?

    »Mein Name: Captain Masree.«

    »Captain!«, sagte ich und versuchte, möglichst respektvoll zu klingen.

    »Ich habe Boot. Willst du Bootsfahrt? Sehr billig!«

    Der Pier war nicht weit, wir gingen direkt darauf zu.

    »Es ist schon spät – «, antwortete ich.

    »Heute guter Wind. Kein Anschieben.« Er grinste, ich lachte. Es war ein guter Witz. »Wir zurück … zwei Stunden. Spezialpreis für dich. Siehst du – kein Geschäft heute.« Er zeigte auf die leergefegte Promenade.

    Ich war noch nie besonders gut im Feilschen, also wurden wir uns schnell einig. Ich hatte das Gefühl, dass der Preis, den er mir nannte, angemessen war – wenn man die schlechte Auftragslage einmal außer Acht ließ.

    »Boot sehr sicher«, versprach er mir und zeigte auf eine Feluke, die Ähnlichkeit mit den Segelbooten hatte, die ich aus Madagaskar kannte. Nur dass hier der Ausleger fehlte. Im Boot saß ein zweiter, etwas jüngerer Mann mit nacktem Oberkörper. Er war damit beschäftigt, Seile zu flechten.

    »Heißt Dahoud«, sagte Masree.

    Dahoud schenkte mir ein unfassbar breites Grinsen. Das Grinsen verschwand auch nicht, als ich das Boot inspizierte. So strahlte ich meinen Zahnarzt auch immer an.

    Nach kurzer Zeit legten wir ab, und das vom Wind geblähte, weiße Segel trug uns hinaus auf den breiten Fluss. Auf dem Wasser war es deutlich kühler, doch ich hatte mir am Morgen einen leichten Sonnenbrand geholt, auf den Armen und im Nacken, und der sanfte Wind verstärkte das Brennen. Als würde Terpentin auf der Haut verdampfen.

    Dass Flussufer verschwamm zu einer dunklen Linie, obwohl wir noch nicht allzu weit hinausgefahren waren. Ich überlegte, ob ich wohl zurückschwimmen könnte, falls das Boot sank.

    »Woher kommst du?«, fragte Dahoud, der am Ruder stand.

    »Kapstadt, Südafrika.«

    »PAGAD«, sagte er zu meiner Überraschung. PAGAD, das war eine umstrittene Bürgerwehr, die hauptsächlich aus Muslimen bestand: People Against Gangsterism and Drugs.

    »Was arbeitest du?«, fragte er.

    »Journalist«, sagte ich.

    »Foto machen?«

    Er bestand darauf. Also holte ich meine Kamera heraus. Sie juchzten vor Freude, ließen Ruder und Segel fahren und stellten sich in der Mitte des Bootes auf, die Arme umeinander. Es war ein bezaubernder Anblick.

    Als wir noch weiter draußen waren, fragte Masree: »Bist du verheiratet?«

    Er nickte wissend, als ob sich sein Verdacht bestätigt hätte, und leckte sich die Lippen, die jetzt hell in der Sonne glänzten. »Willst du Banana Island sehen?«

    »Wo ist das?«

    Er zeigte irgendwo in die Ferne.

    »Vielleicht.« Ich hatte von der Insel gehört. Sie sollte sehr schön sein.

    »Banana Island könnte dir gefallen – vielleicht.«

    »Warum? Was gibt’s denn dort zu sehen?«

    Die beiden jungen Männer kicherten.

    »Vielleicht magst du ägyptische Bananen?« Er drehte sich gegen den Wind, sodass die Galabija gegen seinen Körper gedrückt wurde. Mit den Händen zog er den Stoff glatt – ich konnte deutlich die Umrisse seiner langen, baumelnden Frucht erkennen.

    »Ägyptischer Mann gut. Einhundertfünfzig Pfund«, sagte Masree. Wahrscheinlich war es nicht allzu schwer gewesen, mir auf die Schliche zu kommen: Single, weiß, männlich, einer von denen, die seinem Blick nicht auswichen.

    »Und ich? Gefällt dir?«, fragte Dahoud plötzlich.

    »Er nur hundert Pfund«, lachte Masree. »Keine große Banane wie ich.«

    Dahoud protestierte und schlug sich auf die Brust.

    Masree quietschte vor Vergnügen. »Willst du blasen?«

    Unerwartet sagte Dahoud etwas auf Arabisch, er klang besorgt, Masree drehte sich um. Eine andere Feluke steuerte auf uns zu.

    Es war ein größeres Boot, mit zwei Lateinersegeln und in deutlichem besserem Zustand. Der Rumpf war frisch lackiert. An der Reling saßen zwei westliche Touristinnen, die ich auf Anfang fünfzig schätzte. Eine trug ihr Haar adrett unter einem pinken Kopftuch, die andere schützte ihr Gesicht mit einem Sonnenhut, den sie mit einer Hand festhielt, damit er nicht davonflatterte. Beide hatten sich in schlecht sitzende Bikinis gezwängt, die bestimmt ein paar Nummern zu klein waren. Auf ihrer weißen Haut lag ein dünner Film aus Schweiß und Sonnencreme, ihre Augen waren hinter großen Designersonnenbrillen verborgen.

    Das Boot wurde von drei attraktiven, jungen Männern gesteuert, einer trug eine beeindruckende blassblaue Galabija. Auf dem Deck standen große Weidenkörbe, aus denen auffällig große (und schon leicht überreife Bananen) hervorlugten. Und Champagnerflaschen, die mit dem orangefarbenem Etikett. Kopfhaltung und baumelnde Arme der Frauen ließen vermuten, dass sie leicht angetrunken waren. Wir Westler ignorierten uns, doch die jungen Männer auf den beiden Booten wechselten lachend ein paar Worte auf Arabisch miteinander, während die Boote aneinander vorbeiglitten.

    Sobald sie außer Hörweite waren, sagte Masree: »Jetzt zu Banana Island!«

    »Mañana, no bananas today«, sagte ich betont teilnahmslos, blickte hinaus aufs Wasser und versuchte, mich an den Rest des Textes zu erinnern.

    »Komm! Wird dir bestimmt gefallen! Zweihundert Pfund – Dahoud und ich, Spezialpreis. Zwei Ficks!« Er rieb über den sich wölbenden Stoff seiner Galabija, als ob er Metall polieren wollte.

    Dahoud und Masree waren beide wunderschön. Doch es war mir peinlich, dass sie sich mir anboten.

    »Nein, bitte – bringt mich einfach zurück zur Küste.«

    »Schöner Fick. Schau, groß, sehr groß!« Masree presste beide Hände gegen den Penis unter dem Stoff. »Du kannst blasen!«

    »Nein!«, rief ich. »Ich sagte: Nein!«

    Ich schaute hilflos zum fernen Ufer hinüber. Sie starrten mich feindselig an. Wie albern – ich war gefangen auf einem Boot mit zwei gut aussehenden Strichern, die mich anflehten, ihnen einen zu blasen.

    »Zurück zum Hafen, jetzt! Oder es gibt kein Geld für die Bootsfahrt – kein Geld für nichts!« Ich schrie fast, so wütend war ich.

    Es folgte eine lange, peinliche Stille. Schließlich wendeten sie das Boot dann doch. Es kostete sie einige Kraft, gegen den Wind zu kreuzen.

    Ich war dankbar, dass sie dadurch für eine Weile beschäftigt waren. Innerlich war ich immer noch wütend. Sex hat die Angewohnheit, sich ungewollt in alles Mögliche einzumischen.

    Doch beim sanften Schaukeln des Bootes, dem Anblick des goldenen Sonnenlichts und des schlammig-blauen Wassers war mein Ärger dann bald verschwunden. Was blieb, war ein Gefühl der Bestürzung. Ich dachte an die Jungs, die ich auf anderen Reisen getroffen hatte. Aber diese Begegnungen waren anders abgelaufen. Sie hatten zumindest versucht, den Schein zu wahren, dass wir uns auf Augenhöhe begegneten. Die Bezahlung war dann eher ein Geschenk gewesen. Sie waren schwul und gefangen in ihren Kulturen, und ich half ihnen gewissermaßen bei der Entdeckung ihrer sexuellen Identität. Doch diese zwei Kerle mit ihrer Feluke waren nicht schwul. Sie verkauften ihre Körper.

    Wer weiß, vielleicht gefiel es ihnen. Vielleicht waren sie einfach nur geil und liebten es, einen geblasen zu bekommen und auch noch Geld damit zu verdienen. Und in dieser Gegend galt sowieso, dass nur der passive Partner wirklich homosexuell war. Der Arsch eines westlichen Touristen war einfach ein Geldautomat, ein hässliches Loch, in den man einen Schwanz statt einer Bankkarte schieben musste, damit das Geld heraussprudelte.

    Es fehlte nicht an Touristen, die scharf darauf waren, ihre Köpfe unter Galabijas zu stecken. Und auch nicht an Jungs, die die weißen Affen nur zu gerne mit ihren Bananen fütterten. Wie lange würde es noch dauern, bis Ägypten ein zweites Pattaya wurde? Hatten diese Jungs Kondome auf ihren Feluken? Ich bezweifelte es. Nicht mehr lange, und die Seuche würde auch hier um sich greifen, wie im Rest der Welt.

    Interessierten sich die Freier für die Männer, die sich ihnen anboten? Oder waren sie nichts weiter als eine exotische Ware – ein Abenteuer aus tausendundeiner orientalistischen Fantasie, ein Ausstellungsstück in einer erotischen Galerie, das man anfassen, ausprobieren und danach wegwerfen konnte?

    Am Ende verabschiedeten wir uns freundlich. Dahoud und Masree gaben mir ihre Namen und Adressen und ich versprach, ihnen Abzüge der Fotos zu schicken. Ich konnte nicht sagen, ob sie meine Entscheidung respektierten oder mich im Gegenteil dafür hassten, dass ich ihr Angebot abgelehnt und ihren Nachmittag verschwendet hatte. Ich bezahlte sie für den Bootsausflug. Und ich gab ihnen die zweihundert Pfund.

    Zurück in meinem feinen Touristenhotel, ging ich in den Speisesaal, auf der Suche nach einem stillen Plätzchen, an dem es hell genug war, um meinen Kavafis zu lesen. Zwischen den anderen Gästen entdeckte ich die beiden britischen Frauen, die ich auf der großen Feluke gesehen hatte. Sie waren inzwischen vollkommen betrunken, offensichtlich hatten sie nach ihrer Rückkehr einfach weitergemacht. Ich hörte, wie die eine von Banana Island sprach und dabei laut auflachte. »So bin ich schon seit Jahren nicht mehr gefickt worden«, sagte sie kichernd. Dann brachen sie beide in Gelächter aus.

    Doch ich wusste ja schon, dass es nicht nur die alten, fetten, weißen schwulen Männer waren, die auf dem Nil ihren Hobbies nachgingen.

    William

    HEIDNISCHE RITEN

    Damaskus, Syrien

    Die syrischen Grenzbeamten wollten mir nicht erklären, warum ich festgehalten wurde. Der Polizist zeigte auf eine Bank: »Hinsetzen.«

    Natürlich war es ihnen egal, ob William es inzwischen aufgegeben hatte, auf mich zu warten. Falls ja, war ich verloren. Mein letzter Kontakt zu ihm war eine Mail gewesen, vor über einem Monat. Seither hatte es keine Möglichkeit gegeben, ihn in der Wüste zu erreichen. Er war in der Nähe von Maalula mit archäologischen Ausgrabungen beschäftigt.

    Wir waren hier in Damaskus verabredet – in Williams Worten: »wie unter Beduinen«. Man macht Monate im Voraus eine Zeit und einen Treffpunkt aus und erscheint dann, verabredungsgemäß. Keine Handys, keine E-Mails, keine Terminbestätigung. Während ich wartete, amüsierte ich mich im Stillen damit, Worte zu erfinden: Wartelange, Grenzdummizei.

    Plötzlich stand ein kleines Mädchen vor mir, die Haare zu einem Zopf geflochten. Sie glotzte mich an, ziemlich unverschämt, richtete ihre Kamera auf mich und machte – Blitz – ein Foto von mir. Sofort sprang der Polizeichef auf und schrie etwas auf Arabisch. Offenbar wollte er wissen, wer da fotografiert hatte. Wir schauten alle zu Boden. Heimlich streckte ich dem Mädchen, das sich schnell wieder zwischen ihre Eltern geflüchtet hatte, die Zunge heraus. Ihr Gesicht war vor Scham rot angelaufen. Der Beamte schnaubte wütend und machte sich wieder an den Papierkram, nicht ohne uns vorher mit einem hasserfüllten Blick zu bedenken.

    Ein Polizist, vielleicht derselbe wie zuvor – sie trugen alle den gleichen Schnurrbart – kam zu mir herüber, um mir mit militärischer Gründlichkeit Fragen ins Gesicht zu bellen.

    Wie lange wollen Sie in Syrien bleiben? Wie viel Geld haben Sie bei sich? Wo werden Sie wohnen?

    Nach jeder Frage verschwand er in einem unheilvoll aussehenden Flur, von dessen Wänden die Ölfarbe blätterte. Eine Zeit lang konnte man noch seine hallenden Schritte hören, dann das kalte Scheppern einer zufallenden Metalltür.

    Was ist Ihr Beruf?

    Nach jeder meiner Antworten zog man sich bis zu zehn Minuten zur Beratung zurück. Und jedes Mal sah ich, wie mein Reisepass anschließend zurück zum Schalter des Zollbeamten gebracht wurde. Diskussionen auf Arabisch folgten. Vielleicht unterhielten sie sich auch über Sport oder ihre Schwiegereltern. Wieder und wieder machte mein Pass die Runde vom Zoll zur Polizei und zurück.

    Wo ist Ihre Frau? Sind sie hier im Urlaub?

    Ich hatte inzwischen genug Erfahrung mit Bürokratie, von den mürrischen Zollbeamten Ihrer Majestät in Heathrow bis zu der barfüßigen, kaugummikauenden Grenzbeamtin, die in Simbabwe meinen Pass gestempelt hatte (und währenddessen übers Handy fröhlich mit einer Freundin tratschte), um zu wissen, dass es in solchen Situationen darauf ankam, geduldig und nach außen hin ruhig zu bleiben.

    Dann bemerkte ich, dass mein Pass bei seiner letzten Runde auf dem Schreibtisch des Zollbeamten liegen geblieben war. Mein Polizist hatte ihn nicht wieder an sich genommen. Anstatt mir weitere Fragen zu stellen, lief er wortlos an mir vorbei, ließ sich in seinen Stuhl fallen und fing an, Formulare auszufüllen.

    Das Gepäckband stoppte. Die letzten Passagiere standen ungläubig in der plötzlichen Stille und hofften, dass es wieder anspringen würde – was es natürlich nicht tat. Sie tauschten besorgte Blicke aus, seufzten resigniert und gingen zögernd hinüber zum Schalter ihrer Fluggesellschaft, um das verlorene Gepäck zu melden. Er war natürlich geschlossen. Es gab keine weiteren Flüge an diesem Tag. Nach und nach erloschen die Lichter, und von irgendwoher war das Rasseln eines großen Schlüsselbundes zu hören.

    Ich wartete demütig. Nach ein paar Minuten riskierte ich einen Blick auf meinen Polizisten, der noch immer mit gesenktem Kopf über seinen Formularen saß. Mehr als eine Stunde war vergangen, seit ich meinen Pass zum ersten Mal vorgezeigt hatte. Inzwischen war es kurz vor elf Uhr abends – der letzte Bus nach Damaskus würde, wenn William mich richtig informiert hatte, bald abgefahren sein. Ich konnte wirklich nicht länger warten. Ich lief zum Tresen der Zollbeamten und verlangte meinen Ausweis.

    Der Beamte lächelte und sagte ohne das geringste Zögern: »Gut, gut – Südafrika.« Er händigte mir meinen Pass aus, der bereits gestempelt war.

    Verblüfft, doch dankbar rannte ich in Richtung Ausgang. Auf dem Weg durch die Absperrungen war ich ziemlich beunruhigt. Zwei Minuten vor elf.

    War William noch da? War er überhaupt gekommen?

    Wir hatten uns in Kapstadt kennengelernt und waren seither per Mail in Kontakt geblieben, doch eigentlich kannten wir uns kaum. Viele E-Mails, aber nur zwei kurze Begegnungen – die erste in einer Lederbar, und eine Woche später hatte er mich dann in meinem Apartment besucht, für eine schnelle Nummer. Das war die bisherige Ausbeute unserer Romanze.

    Hektisch suchte ich die Hinweisschilder nach Piktogrammen von Bussen ab, als ich Williams amerikanischen Akzent hörte: »Hey, Dude

    Wie versprochen stand er da und strahlte mich an. Ich umarmte ihn wie einen verloren geglaubten Seelenverwandten.

    »Ich dachte schon, du hättest aufgegeben und wärst ohne mich gefahren. Wusstest du, dass der Flug Verspätung hatte? Und dann hat mich die Polizei aufgehalten, dem Zoll war ich egal. Haben wir den Bus verpasst?«

    »Ich weiß, es ist immer das Gleiche.« William sprach ein wenig gedehnt. »Willkommen in Damaskus. Das ist normal hier, mach dir keine Gedanken.« Ich war erleichtert und freute mich, dass er auf mich vertraut und mich nicht im Stich gelassen hatte.

    »Aber warum haben die sich ausgerechnet mich ausgeguckt? Ich hab da mindestens eine Stunde gesessen!«

    »Schieb es einfach auf die syrische Inkompetenz. Das lernst du noch. Als das Team ankam, sind wir auch festgehalten worden, weil der Beamte die Passbilder an die Visa getackert hatte, ohne darauf zu achten, welche davon eigentlich zusammengehörten – zehn Fotos, zehn Formulare, fertig. Das Schlimme ist, dass unsere Namen deutlich lesbar auf den Rückseiten der Passbilder standen. Mit kulturellen Unterschieden kann man eben nicht alles erklären – manche Leute sind einfach nur dämlich«, lachte er. »Du bist also gekommen! Ich war mir nicht sicher, ob du mich erkennen würdest, ich habe ein echt schlimmes Auge. Siehst du?« Er zeigte auf sein rechtes Auge. Es war gerötet und sah ziemlich geschwollen aus. »Ich muss dir so viel erzählen, aber schnell, wir müssen den Bus erwischen. Der kostet nur fünfzehn Lira, anders als das Taxi, das ist fünfzehnmal so teuer.«

    William nahm sich eine meiner Taschen, und wir rannten zur Haltestelle.

    Der Bus war noch da. Es gab nur wenige Sitzplätze im vorderen Teil des Busses, die alle schon besetzt waren. William sprach mit dem Fahrer, auf Arabisch.

    »Als ich eben hergefahren bin, waren es nur fünfzehn Lira, jetzt sind es plötzlich zwanzig. Was soll’s, es sind ja nur fünfzig Cent.«

    »Ich hab kein syrisches … «, begann ich zu sagen, doch William schob mich nach hinten, ans Ende des Busses und küsste dabei meinen Nacken, dann meine Wangen und dann meinen Mund. Er biss mich, ganz sanft. Ich war überrascht und auch ein wenig erschrocken. Schließlich waren wir hier mitten im Nahen Osten.

    »Keine Sorge. Wir sind Brüder. Wir sind Fremde.« Er schob sich näher an mich heran, drückte seinen Schoß gegen meinen Schenkel. »Wir haben uns seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Wir sind alte Freunde, wir dachten, wir würden uns nie wiedersehen … «

    Ich musste lachen. Keiner der wenigen Fahrgäste im Bus beachtete uns. Mir fiel auf, dass die Frauen unverschleiert waren.

    »Entspann dich.« Er küsste mich noch einmal und umarmte mich. Ich fühlte mich leicht, gerettet und gut aufgehoben. Genau wie die anderen Passagiere war ich bereit zu glauben, dass wir alte Freunde waren, die sich lange nicht gesehen hatten, Kindergartenkumpel, entfernte Verwandte. Es fühlte sich an, als gäbe es unsere vollkommen fiktive gemeinsame Vergangenheit tatsächlich.

    »Hier ist das nichts Ungewöhnliches, dass sich Männer in der Öffentlichkeit küssen. Man sieht das ständig.« William grinste schelmisch. »Und ich glaube, dass die Kerle sich auch gegenseitig ficken. Für eine Ehefrau müssen sie eine Brautgabe zahlen und viele können sich das nicht leisten, bevor sie Ende dreißig sind. Irgendwie und irgendwo müssen sie sich ihre Hörner abstoßen. Sex mit Frauen kommt nicht infrage, es sei denn, man geht ins Bordell.«

    Die Libido ist wie jedes andere Verlangen: Es wird umso stärker, je mehr Sex man hat, und wenn man es nicht ausleben kann, wird es irgendwann unangenehm. Aber was, wenn man sich gar nicht erst damit abgab? Würde das sexuelle Verlangen dann einfach verschwinden? Vielleicht war Sex für muslimische Männer, nach einem Leben voller Enthaltsamkeit, gar kein Thema mehr. Ich dachte an die Fernsehbilder von arabischen Milizen, die ihre Kalaschnikows in den Himmel reckten und mit religiöser Inbrunst ihre sexuelle Energie in den Himmel schossen.

    »Und wie stoßen sich denn Archäologen die Hörner ab?« Ich grinste ihn an.

    »Beim Graben!«, lachte William. Dann fügte er schelmisch hinzu: »Das zeig ich dir später.«

    William war Amerikaner jüdischer Abstammung. In Syrien war er im Auftrag einer polnischen Universität, und seinem Visum zufolge war er Angehöriger der anglikanischen Kirche. Atheist wäre die einzig richtige Angabe gewesen, aber das wurde in Syrien nicht besonders gern gesehen – noch weniger gern als eine jüdische Abstammung. Glücklicherweise hatte er einen relativ dunklen Teint und dichtes schwarzes Haar, sodass er oft auf Arabisch angesprochen wurde.

    Auf der Straße war kaum Verkehr. Aus Sicherheitsgründen, wie William mich aufklärte, lag der Flughafen mehr als dreißig Kilometer außerhalb der Stadt. Doch der Bus kam erstaunlich gut voran – obwohl es ruckelte, als führe er auf quadratischen Reifen.

    An der Innenstadt von Damaskus war vor allem eins auffällig: überall Neon. Am Platz der Märtyrer war man besonders großzügig gewesen, wenn auch nicht besonders einfallsreich: Überall leuchteten arabische Buchstaben in grellem Orange und Rot. Auf den Straßen waren extrem viele Polizisten zu sehen. Und die Landesflagge, mit ihren zwei Sternen und den drei Streifen, sah aus wie ein Orden auf einer Uniform.

    Es war das Jahr 2001, zehn Jahre bevor der Bürgerkrieg das Land und seine Bürger in Stücke reißen sollte. In diesem Konflikt werden Homosexuelle als Ziele betrachtet, die es zu töten gilt. So geschah es auch im Irak nach der amerikanischen Invasion, wo ungestraft Dutzende zu Tode gefoltert wurden – auf eine Art und Weise, die ich mich hier nicht zu beschreiben traue.

    Das Hotel in Damaskus war eine erbärmliche Absteige: ein riesiges, dreistöckiges Haus, das zwar vor Kurzem renoviert worden war, aber immer noch vor sich hin bröckelte und über sagenhaft schlechte Betten verfügte. Es war, als ob sich alles gefährlich in Richtung Treppenhaus neigte, das sich wie ein großer Strudel im Zentrum des Gebäudes emporschraubte. Auf gute Umgangsformen schien man keinen großen Wert zu legen – um ins Gebäude zu gelangen, mussten wir über Horden ungewaschener Rucksacktouristen steigen. Sie waren offenbar nicht bereit gewesen, für ihre Übernachtung viel Geld auszugeben, und belegten mit ihren Schlafsäcken jeden Quadratzentimeter der Veranda. Nicht der beste Ort für William und mich, um miteinander intim zu werden. Das europäische Fünfsternehotel auf der gegenüberliegenden Straßenseite berechnete zweihundert Dollar für ein Zimmer und hatte trotzdem nur Hockklosetts.

    »Das ganze Grabungsteam ist krank. Keine Ahnung, warum. Das Wasser, Keime, was weiß ich.« Williams Auge sah gar nicht gut aus. »Ich hoffe, es ist keine Bindehautentzündung oder sonst etwas Ansteckendes. Hoffentlich verdirbt es uns nicht den Spaß.«

    Ich bestand darauf, dass jeder ausschließlich auf seinem eigenen Kissen schlief und schärfte William ein, dass er sich nicht ans Auge fassen und dann mich berühren sollte.

    Das war das allererste Mal, dass ich mit einem fremden Begleiter reiste. Doch William verfügte über all die wichtigen Eigenschaften, die einen guten Reisebegleiter ausmachen: Er war rücksichtsvoll, gewissenhaft, wortgewandt, humorvoll und, am wichtigsten, neugierig, sogar kühn. Im Lauf der nächsten Woche lernten wir uns immer besser kennen und waren uns bald vertraut wie ein altes Ehepaar.

    Gleich am allerersten Tag legte ich mein Schicksal in seine Hände. Es gibt auf der ganzen Welt nichts, inklusive Kairo, das sich mit der schrecklichen Hölle des syrischen Verkehrs vergleichen lässt. Es scheint keine Regeln zu geben, und die Fahrer sind genauso wenig verkehrstüchtig wie ihre Vehikel. Man wählt sein Ziel und überlässt alles Weitere Allah.

    Den Großteil des ersten Tages verbrachten wir eingezwängt in unseren kleinen Peugeot, mit dem wir über das flache Land fuhren. Es war eine lange Fahrt nach Aleppo, das ungefähr neunzig Kilometer vom antiken Antiochia und vierzig Kilometer von der türkischen Grenze im Norden des Landes liegt. Wir mussten einige Umwege machen, weil wir nie mit Sicherheit sagen konnten, auf welcher Straße wir uns gerade befanden. Offenbar hatten sich ein paar Stalinisten aus Sicherheitsgründen Syriens Straßenkarten vorgenommen und dabei ihrer Fantasie freien Lauf gelassen, um den kapitalistischen Feind in die Irre zu führen. Vergeblich suchten wir nach verzeichneten Autobahnen – und fanden dafür eine Menge Straßen, von denen unsere Karte nichts wissen wollte. Das Navigieren war meine Aufgabe, und ich hatte keine Anhaltspunkte außer die offensichtlich fiktive Karte. Auf der nicht verzeichneten Autobahn, auf der wir dann irgendwann landeten, kam uns in regelmäßigen Abständen Gegenverkehr entgegen, den man erst sehen konnte, wenn man schon fast mit ihm zusammengestoßen war. Manchmal verschwand die ganze Straße auch plötzlich im Nichts. Wenn man Glück hatte, ging es kurz darauf auf frischem, klebrigem Teer weiter. Ein Straßenschild, das am Ortseingang jeden Dorfes aufgestellt war, warnte: LANGSAM FAHREN! AUF ANWOHNER ACHTEN! Allerdings schienen wir die Einzigen zu sein, die sich daran hielten.

    William nahm das alles gelassen. Er war froh, am Steuer zu sitzen. »Wir haben Zeit«, sagte er. »Und immerhin, diese Straße gibt es. Das sieht etwas weiter draußen schon ganz anders aus.«

    Während wir mit Sonnenbrillen im Gesicht und dem Spiegelbild unserer stalinistischen Landkarte in der Windschutzscheibe durch die Wüste fuhren, entspannte ich mich ein bisschen – bis mir einfiel, dass wir keinen Ersatzreifen dabei hatten und bei einem Unfall in dieser Einöde stranden würden.

    Irgendwann erreichten wir dann Aleppo und bezogen ein Zimmer im ›Al Gedeideh‹, dem angeblich saubersten Budget-Hotel in ganz Syrien. Alles war pastellgrün gestrichen: Die Wände, die Decke, der Ventilator, das Bett, die Stühle, sogar das Papierknäuel, das in einem der Lüftungsrohre steckte. Die Zimmer waren sorgfältig gereinigt worden. Es gab reichlich heißes Wasser und eine richtige Toilette. Leider ließ das Dekor beim besten Willen keine romantische Stimmung aufkommen – Vorhänge, Lampenschirme, Kissen und Bettdecken waren mit dem gleichen kitschigen Muster geschmückt, das sicherlich von einem Designer mit Rot-Grün-Blindheit entworfen worden war. Außerdem hatten wir erfahren, dass der Eigentümer unangekündigte Zimmerkontrollen machte, bei denen er ohne zu klopfen ins Zimmer gestürmt kam. Wer schlampte und seine Zahnpastatube unverschlossen herumliegen ließ, wurde kurzerhand zwangsgeräumt; alle zurückgelassenen Gegenstände, ob Socken, ein Rasierer oder eine Zahnbürste, wurden vernichtet.

    Aleppo liegt genau zwischen Mittelmeer und Euphrat und hat eine buntgemischte Bevölkerung – hauptsächlich sunnitische Moslems, aber auch Kurden, russisch-orthodoxe Kaufleute, christliche Armenier, die aus Anatolien geflohen waren, und sogar ein paar jüdische Familien. Wenn man durch die Straßen lief, war die Vielfalt offensichtlich. Man konnte rothaarige Syrer und blonde Ukrainer sehen, unverhüllte Christinnen neben muslimischen Frauen mit Gesichtsschleier. Aber was man am häufigsten sah, waren Männer: Männer, die sich entspannten, Männer, die auf dem Weg irgendwohin waren, Männer bei der Arbeit. In einer westlichen Schwulenkneipe trifft man mehr Frauen als in einem gewöhnlichen syrischen Straßencafé. Die Männer saßen beieinander, um Shishas zu rauchen und um Backgammon oder Domino zu spielen. Manchmal saßen sie auch einfach nur da und hielten sich an den Händen – ein verführerischer Anblick vor der alten Stadtkulisse. Diese heterosexuellen Männer gingen erstaunlich ungezwungen miteinander um und fanden es anscheinend ganz selbstverständlich, dass Freundschaft auch körperliche Nähe mit einschloss. Ältere Männer berührten sich liebevoll, ohne Anzeichen von Scham, Furcht oder Sorge.

    Ich vermutete, dass Männer in dieser Kultur ihre engsten emotionalen Bande zu anderen Männern knüpften. In ihren Beziehungen zu Frauen ging es vor allem um Ehre, Fortpflanzung und Familie.

    Obwohl sich, während wir durch die Stadt streiften, überall um uns herum arabische Männer an den Händen hielten, trauten William und ich uns nicht, es ihnen gleichzutun.

    Es war später Nachmittag, und William stand der Sinn nach einem Schwamm und Aleppos berühmter handgeschöpfter Seife aus Oliven und Lorbeer. Wir gingen in ein Hamam.

    »Das ist die einzige Möglichkeit, in Syrien sauber zu werden«, sagte William, mit einem schelmischen Unterton. Er hob vielsagend eine Augenbraue.

    Das Hamam war eine berühmte Touristenattraktion gewesen, doch in diesem schicksalshaften Jahr, in dem die USA Beweise für Massenvernichtungswaffen gefunden haben wollten und daraufhin ihre Bomben auf den Nahen Osten regnen ließen, waren wir ganz unter uns, und die Angestellten achteten merklich auf Abstand.

    Männer haben sich schon immer gemeinsam im Hamam erholt. Im Gegensatz zu Budapest oder Finnland verlangt die Etikette in syrischen Thermalbädern jedoch, dass die Genitalien durchgehend bedeckt bleiben.

    Nach der brütenden Hitze in der Sauna zogen wir uns in eine der kleinen Nischen zurück, die um das achteckige Zentrum angeordnet waren und die alle über ihren eigenen Brunnen verfügten.

    Wir seiften uns gegenseitig mit Olivenseife ein, bis wir dicht mit Schaum bedeckt waren. Ich drehte mich auf den Bauch und legte mich auf den glatten, harten, uralten Marmorboden, während William mit der Luffa jeden Nerv auf meinen Fußsohlen, zwischen den Arschbacken und meinen Fingern kitzelte. Ich fühlte mich auf verletzliche Weise sauber, wie die Haut eines Albinos, die vom Sonnenlicht geküsst wird. Meine Kontaktlinsen benutzten die Gelegenheit, um davonzuschwimmen, aber das kümmerte mich jetzt nicht, so angenehm erschöpft fühlte ich mich durch die Hitze und das gegenseitige Massieren.

    Als wir schließlich fertig waren, zog mir der Aufseher plötzlich und ohne Vorwarnung das Handtuch weg. Ich war peinlich berührt, aber auch ein bisschen stolz auf meinen abschwellenden Schwanz. Der Aufseher verzog keine Miene (als ob er es nicht gesehen hätte) und bedeckte meine Blöße mit einem leichten, gestärkten Tuch aus Perkal; ein zweites wickelte er mir um den Kopf. Ich dachte, ich sähe aus wie Lawrence

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