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Ebook210 pages2 hours

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About this ebook

20 Einblicke in lesbische Leben. 20 Ausschnitte aus lesbischen Leben. 20 verschiedene Zugänge zu lesbischen Leben.
Vom Versuchen und Gelingen und vom Scheitern.
Von den frühen 70er Jahren bis ins angebrochene dritte Jahrtausend.
Was sich verändert hat, oder aber nicht. Wie es weiter geht.
Von Ängsten und Erfolgen.
Von der Aufregung der Anfänge, des Kennenlernens, vom Glück, wenn die Liebe zu einer anderen Frau erwidert wird, vom Stolz (und auch von den Anstrengungen, derer es bedarf,) lesbisch zu sein!
LanguageDeutsch
PublisherMilena Verlag
Release dateOct 7, 2015
ISBN9783902950550
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    c/o coming out - Milena Verlag

    2004

    Schrankwechsel

    Aga Folie

    c/o

    »In meinem Schlafzimmer steht ein Schrank. Es ist ein richtig großer, so wie man vielleicht gleich ein Bild davon hat, wenn man das Wort hört: ein schlichter, alter, heller Eichenholzschrank mit Messingknäufen. Auf vier kurzen Beinen steht er fest am Boden und blickt mich einäugig an. Das Auge ist der Spiegel an der linken Tür.

    Im Inneren hängen Herrenanzüge. Sie gehören aber nicht mir, auch wenn ich manchmal wünschte, ich wäre einer, der sie tragen könnte. Sie gehören meinem Mann. Der existiert real und die Anzüge passen nur ihm. Mir nicht.

    Bei der Frau, die ich liebe, steht auch ein Schrank im Schlafzimmer. Es ist aber einer aus einem modernen Möbelhaus, Vollholz und ebenfalls mit Anzügen gefüllt. Sie wünscht sich nicht, sie tragen zu können. Sie gehören ihrem Mann, mit dem sie das Schlafzimmer teilt, seit dreißig Jahren. Ich teile meines nie, schon zu Beginn der Ehe nicht. Manchmal teilte ich kurzfristig das Bett, aber seit einigen Jahren nicht mehr. Es wäre unerträglich und es ist unpassend.

    R., ihr Anzugträger, darf es aber nicht wissen, dass wir einander lieben. Kaum jemand von ihren Bekannten darf es wissen.

    D., mein Anzugträger, weiß es, und es ist ihm egal. Mir ist nicht egal, dass er noch immer in meiner Wohnung haust. Es sei schön hier und wir hätten es damals so vereinbart, dass er nach der Heirat zu mir in die kleine Stadt zöge. Wo er jetzt hin solle, fragt er mich. Ich weiß keine Antwort, im Moment.

    M. und ich wissen uns auch keinen Rat, wie wir endlich zueinander kommen können. Wir reden und reden. Die Kolleginnen und Kollegen in der Schule wissen vage, dass ich sie liebe und sie mich. Aber es gibt auch ihre Mutter, der davor graust und deren Herz aussetzen wird, was schon einmal passiert ist. Wegen mir nämlich, sagt sie.

    M. lügt den ganzen Tag, die ganze Nacht und am nächsten Tag wieder. Ich muss mitlügen, zumindest vor den Kindern, und will das überhaupt nicht. Sie hat im Frühjahr mit einer Therapie begonnen. Jetzt weint sie sehr oft und kann es noch weniger denn je sagen. Ich eile zwischen Flucht und Mitleid, Wut und Schmerz hin und her, und je nach Tag oder Nacht ist das eine oder andere stärker. Aber es reißt nie ab.

    Morgen gehe ich mit drei anderen Frauen wandern. Zwei von ihnen waren mal ein Paar, die Dritte war kurzfristig mit mir eines, als ich versuchte, nicht mehr M., sondern Ch. zu lieben. Das war falsch, und so sind wir einfach vier Lesben, die wandern gehen. Sonntags, wenn andere lügen und am Tisch die gute Gattin mimen. Diesen Sonntag ist M. bei ihrer Mutter zum Essen. R. ist auch dabei und man redet über dies und das. Dass niemand irgendein Anzeichen bei M. erkennt, macht mich wütend, denn sie bleibt bei denen, die nicht sehen und nicht hören. Und die schon gar nicht fühlen. Wollen. Sie wollen einfach nicht, und daher spüren sie nichts. Und sie bleibt Mutter und gute Gattin.

    Dann weint sie, wenn wir darüber reden und ich sie küsse und dabei ihre müden Augen berühre, sie schnäuzt sich und seufzt. Dann zieht sie sich aus, ich auch, und wir steigen neben meinem Schrank in mein buntes Bett. Zunächst still und dann laut, aber nie gleichmäßig. Ich genieße es und will nicht darauf verzichten. Aber es dauert schon zu lange, das Warten, sage ich am Telefon, wenn sie wieder im Haus, wo ihr Schrank steht, in der Küche sitzt und Mathematikhausübungen korrigiert. Abends. Ich korrigiere meine Hefte in der Schule, damit ich abends Zeit habe. Wozu? Um mit M. zu telefonieren, wenn nicht gerade R. in die Küche kommt und sie dann sofort das Thema wechselt, sich unverbindlich freundlich mit mir unterhält. Verlässt er den Raum, können wir weiter reden, über Dinge, die wir aber nicht lösen können. Manchmal weint sie dann, oder ich weine, und die Sache geht mit uns schlafen und sitzt morgens auf der Bettdecke, hämisch grinsend: Eine Aufgabe, die zu lösen uns unlösbar scheint.

    Gelegentlich möchte ich sagen, dass M. meine Lebensgefährtin ist. Einfach so würde ich es sagen mögen. Aber einmal geht es nicht, weil es nicht stimmt und ein andermal kann ich es nicht sagen, weil es mir peinlich ist, wenn es mein Gegenüber irritiert. M. ist doch eine Frau und das ist ja eigenartig, dass eine die Lebensgefährtin einer Frau ist. Gut, dass sie nicht wissen, dass ich manchmal eine Anzugträgerin sein möchte. Das wäre noch irritierender.«

    Ich drücke die Pausentaste meines kleinen Walkmans und blicke A. erwartungsvoll an. Sie hat aufgehört zu reden und einfach versonnen vor sich hin geschaut, also habe ich die Pausentaste gedrückt. Ein so langes Schweigen aufzunehmen würde mich zu viel Zeit bei der Abschrift kosten, denn schließlich muss ich noch zwölf weitere Interviews niederschreiben, um dann herauszufinden, worin sie sich unterscheiden und welches Leben der 13 Frauen ich bestimmt nicht führen wollte. Moment, denke ich, das ist unerheblich. So einfach mit meinen eigenen Wünschen zu vergleichen. Was ist es eigentlich, das mich dazu gebracht hatte, Frauen zu fragen? Ich wollte es herausfinden, auf wissenschaftlicher Basis, damit es mehr Gewicht hat. Aber was? Dass es stimmt, dass eine, die eine Frau liebt, heute genauso darunter leiden muss wie Stephen bei Marguerite Radclyffe Hall damals? Dass zwar nicht mehr alle Liebesgeschichten ohne Happyend sind? Dass Anzugtragen jetzt wieder in Ordnung ist, weil nicht mehr zu vergleichen, denn jetzt kennzeichnet es eine ad absurdum-Führung der Geschlechter, ein Hinters-Licht-Führen aller biologistischer Denkansätze? Queertheory – das war, was sich geändert hat? Ich drifte ab.

    A. seufzt und nimmt einen Schluck Wasser, trocknet die Lippen mit ihrem Taschentuch, das sie zuvor benützt hat, weil sie einfach weinen musste. Weil nichts mehr geht, weil M. wie ein sich tot stellender Käfer am Rücken liegt, die Augen fest geschlossen hält und ohne zu atmen starr die Beinchen von sich streckt. Dünne, krumme Beinchen, weit ab in die Höhe ragen sie aus dem roten Panzer mit den schwarzen Punkten.

    »Sie ist ein Marienkäferl, kein Schusterkäfer, der zwar die gleiche Farbe, aber ein zackiges Muster hat und der an Baumstämmen Haufen bildet, ekelige schwarz-rote Krabbelhaufen. So ein Frauenkäferl ist allein und zart und breitet die Flügel aus, wenn es an der Fingerspitze angelangt ist, um abzuheben. Ja, so ein Käfer ist M., ein Naturwesen, das sommers alltäglich auftaucht, orange in der Sonne leuchtet und das ich auf meiner Hand tragen kann. Aber ich kann sie nicht angreifen, denn ich würde sie zerquetschen, ich muss sie fliegen lassen, damit sie wiederkommen kann. Und das macht mich traurig, dass sie nicht greifbar ist, und wenn man ihr zu nahe kommt, stellt sie sich tot.«

    An dieser Stelle hatte A. plötzlich zu weinen begonnen, was mir ein wenig peinlich war, obwohl ich bei der Einschulung gelernt hatte, dass Interviews bisweilen in die Tiefe gehen können und dass die Befragten im Gespräch alles neuerlich durchmachen würden. Ich hatte das Gefühl, mich wissentlich in eine voyeuristische Position zu begeben, die ich sonst nicht einnehme.

    Ich frage A., wie sie es sähe – sei nicht doch leichter, »es« heute zu sagen als vor zwanzig Jahren? Nein, sei es nicht, denn damals war sie zwar jung, aber zuwenig selbstbewusst. Sie sei nicht eine von denen gewesen, die sich im Schrank verkriechen, aber sie habe es damals nicht wirklich gewusst. »Nicht Fisch, nicht Fleisch, einfach unklar war es mir. Ich war unpolitisch und ständig darauf bedacht, irgendwie durchzukommen, dabei witzig und außergewöhnlich zu sein. Aber völlig unpolitisch. Mal mehr lesbisch, mal mehr hetero, je nach Lust und Laune. An dem einen Tag wollte ich ein Freak sein, am nächsten Tag plante ich das Leben als gediegene Gattin an der Seite eines gediegenen Akademikers in meiner Kleinstadt. Am übernächsten Tag stand ich dann vor der Haustür einer wunderschönen Frau, die ich noch am Abend meines Gattinnenlebens bei einem Pizzaessen kennen gelernt hatte, klingelte vergebens und setzte mich auf die Stufen, um auf sie zu warten, egal, wann sie kommen würde. Sie kam und es war ihr peinlich, da sie ihren Lebensgefährten erwartete, der aber nichts wissen durfte. Ich solle jetzt gehen, aber am Nachmittag des nächsten Tages sei sie allein. Also beschloss ich, bis dahin lesbisch zu bleiben und pünktlich wieder zu kommen. Sie war damals so alt wie meine Mutter, und als ich am folgenden Tag um drei auf ihrem Sofa lag, gingen mir grässliche Gedanken an Sex mit der eigenen Mutter durch den Kopf und ich verließ sie eilig. Aber erst nachdem sie vorher schnell gekommen war, durch ihre eigene Hand, übrigens.«

    A. kichert verlegen und ich werde rot. Meine Güte, auch auf das sollte ich vorbereitet sein und nicht so blöde erröten, nur weil meine Interviewpartnerin selbstvergessen Intimes von sich gibt. »Was war in der Zeit zwischen zwanzig und dreißig? Noch immer nicht im Klaren, ob oder ob nicht?«, frage ich eilig und stelle fest, dass mir das L-Wort verdammt schwer über die Lippen kommt. Immer noch, oder besser: immer wieder einmal verkrampfe ich mich dabei. Lesbisch. Manchmal klingt es pathologisch, dann wieder so kämpferisch, so leichthin tapfer, aber nie entspannt, nie wie »katholisch« oder »musikalisch«.

    »Aber Sie haben mich gefragt, ob es heute leichter ist, sich als Lesbe zu outen?«, fährt A. fort.

    Schon wieder hat sie mich erwischt. Dabei erwischt, wie ich Eigenes einbringe, meine Betroffenheit zu verdecken versuche, um mir Blöße zu ersparen. Sie erinnert mich an meine Frage, und als fragende Wissenschaftlerin stehe ich doch über den Dingen. Sollte ich wohl. Und mich nicht an Eigenes, an Ähnliches, an ähnlich Schweres erinnert fühlen. Nein, ich bin hier, bei meiner Interviewpartnerin – und lasse mein unvollständiges Puzzle draußen. Im Auto, mit dem ich hergekommen bin. Bei dem an der Heckscheibe ein unübersehbar großer Rainbow-Sticker klebt. Da bin ich mutig.

    Und doch: Genauso wenig wie mir lesbisch empathisch über die Lippen kommt, genauso wenig bleibe ich cool, wenn sie mir etwas über die Geilheit einer ihrer Geliebten schildert.

    »Also, ich muss einfach sagen, dass ich heute, mir … also, ich habe mir da einen eigenen Schrank zurechtgezimmert: Er heißt Ehe und darin hocke ich fest. Es ist lähmend, denn ich weiß, dass ich festgefahren bin. Und es gelingt mir keine Entgleisung. Aus den Schienen, die mich magnetisch festhalten. Ich besitze also diesen Anzugsschrank und der steht in meinem Eheschrank in meinem Lebensschrank. Wie diese russischen Holzpuppen, Puppe in Puppe in Puppe. Manchmal«, sie lacht nachdenklich, »manchmal verlasse ich den Schrank und gestatte mir Ausflüge in die andere Welt. Nicht, dass ich das geheim hielte, nein, das nicht. Meine Familie und viele meiner Freundinnen und Freunde wissen, dass ich manchmal nach Wien fahre, ins Frauencafe gehe oder im Orlando zu Abend esse – in die Szene sozusagen. Mit irgendeiner netten Frau, selten aber mit M., denn es tut eigentlich bloß weh, wenn ich daran denke, sie danach R. wieder ausliefern zu müssen. So kommt es mir vor, vielleicht ist es nicht so. Ich bin eifersüchtig, wenn ich weiß, dass sie sich dann zu ihm ins Bett legt und nicht zu mir. Schlichtweg eifersüchtig.«

    »Haben Sie nie mit ihr darüber gesprochen, wie es wäre, wenn sie sich zu Ihnen beiden bekennen würde?«, frage ich sie schnell. Das brennt mir auf der Zunge. Wie kann eine Frau wie diese hier, eine wirklich … Nein, aus, stopp, kein Urteil über ihr Aussehen, ihre Ausstrahlung. Sie ist das Subjekt meiner Untersuchung, nicht meines Begehrens. Also, wie kann man sich das so lange bieten lassen, ohne sich dabei entwürdigt zu fühlen?

    »Sie hat Angst, große Angst vor Liebesentzug. Davor, dass sich ihre Familie spalten würde, dass sie sie damit zerstört. Etwas, was in ihren Kreisen heilig ist, übermächtig, erdrückend wichtig und unauflösbar. Etwas, was unsere Liebe aber auflöst. Das ist M. und mir zwar mittlerweile bewusst und deshalb haben wir nicht aufgehört, darum zu kämpfen. Aber sie fürchtet sich vor der Verachtung, mit der sie rechnet. Woher sollte sie es auch anders wissen? Sie liest ja keine Bücher über uns, sieht keine Filme, in denen wir vorkommen könnten, als glückliche lesbische Paare. Sie hat keine Role-Models. Wie auch, wenn sie immer unter Kontrolle ist? Unter dieser verdammten heterozentrierten Kontrolle – auch wenn ich mich frage, ob sie sich einfach kontrollieren lässt, aus Bequemlichkeit …«

    Wütend bricht A. ab. Ich sehe, dass sie wieder mit den Tränen kämpft und spüre diese gewaltige Kraft, die uns zeigt, welchen Platz wir finden sollen, welchen Platz wir zugewiesen bekommen haben. Sie hat Recht: Es ist so schön unspießig für die Leute, Lesben oder Schwule im Freundeskreis zu haben. Man deutet uns sowieso an, wo wir zu stehen haben, und wir wissen auch, wo sie ihren überdimensional riesigen Platz in Anspruch nehmen. Den Normplatz, den wir ungern betreten. Zum einen, weil wir uns dort nicht wohl fühlen, zum anderen, weil er eben besetzt ist. Kein Territorium kreuzt das andere, auch wenn Heten auf unsere Feste gehen. Aus Solidarität? Aus neugieriger Offenheit? Auch wenn Lesben ihre Partys besuchen, an ihren Tischen zum Abendessen eingeladen sind. Aus Mangel an Abwechslung? Aus verzweifelter Offenheit? Ich lache leise in mich hinein, A. schaut mich verwundert an. Ich erkläre ihr kurz meine Gedanken und sie nickt nachdenklich dazu.

    »Nicht selten würde ich am liebsten alles laut herausschreien. Hier geht es nicht darum, die Geliebte einer verheirateten Person zu sein. So im klassischen Hetero-Sinn, Sie wissen schon: die ewige Geliebte, die am Wochenende und zu den Feiertagen allein zu Hause sitzt und daran denken muss, wie der Begehrte Familie lebt.

    Nein, da ist noch etwas anderes: M. spielt Heterofrau und das ist Verrat. Ich fühle mich verraten, und ich fühle sie verraten. An eine Macht, die keine Lesben sehen will. Die sie zwar duldet, wenn sie uns dann doch erkannt hat, aber nicht unter sich haben möchte. Die uns zu erdrücken scheint und keine Kraft lässt, zueinander zu stehen – schon gar nicht zu unserer Lebensvariante. Und das wiegt für mich unglaublich schwer.«

    »Und wie lange geht das nun schon so?«

    »Seit zwölf Jahren!« Ich starre sie an. So lange? So lange lässt sich eine das bieten? Was muss es sein, dass sie das durchgehalten hat? Es ist mir unangenehm, diese Frage zu stellen. Es scheint mir doch zu intim, aber ich bin schrecklich neugierig. »Warum haben Sie es nicht eher aufgegeben? Gibt es keine andere? Eine, die Sie nicht quält?« Das hätte ich nicht sagen sollen. A. zieht die Augenbrauen hoch und blickt mich unmerklich geringschätzig an. Sie sucht nicht einmal nach einer Erklärung, sondern macht eine wegwerfende Handbewegung. Was verstehen Sie davon? Soll es wohl

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