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Rückkehr nach Skiathos
Rückkehr nach Skiathos
Rückkehr nach Skiathos
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Rückkehr nach Skiathos

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Benni Delproposto fliegt nach Skiathos, um dort seinen Urlaub zu verbringen. Er besucht diese griechische Insel schon seit zehn Jahren, und durch die Aufregung der Rückkehr erinnert er sich, wie er zum ersten Mal, in Begleitung seiner lieben Freundin Laura, hier angekommen war.

Diesmal wollte er zusammen mit seinen Freunden – Wolfgang, Helmut, Stefano und natürlich Laura – diese zehnte Wiederkehr feiern. Aber jeder hat seine Verpflichtungen. Außer Anna – eine langjährige Freundin, die er vielleicht sogar als Lebensgefährtin haben möchte – die mit ihm hätte hier sein sollen. In letzter Minute musste sie aber nach Athen zu einer Vernissage einer berühmten Kunstgalerie. Eine Gelegenheit, die sie nicht verpassen möchte, da sie sich mit Kunst beschäftigt. Sie verspricht aber, in zwei Tagen nachzukommen.

So versucht Benni nun alleine den Urlaub zu genießen.

Zwischen einer Mail an die Betti – seine Angestellte, die mit José seine Tätigkeit als Produzent und Verkäufer von Katzenstreu weiterführt – und eine an Laura (die als Trader in einer Bank arbeitet), schlängelt er sich zwischen Horst und Helga, ein deutsches Ehepaar, der hübschen Griechin Kore und der chronischen Verspätung Annas durch.

In einem Land, das von der Krise geplagt ist, befindet sich ein von Frauen, Ärger und politischen Spannungen umgebener Mann, auf der Suche nach einem sentimentalen Gleichgewicht.
LanguageDeutsch
Release dateAug 21, 2015
ISBN9786050407099
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    Book preview

    Rückkehr nach Skiathos - Andrea Campagnoli

    (1939)

    1

    Ich wäre nie nach Griechenland geflogen, wenn mich nicht eine Freundin aus Mailand, die ich seit zwanzig Jahren kenne, hierher gebracht hätte.

    In der Nähe von Brindisi drehte das Flugzeug nach Osten, überquerte den blauen Kanal von Otranto und schlich sich in den ersten Nebeln über Albanien ein. Laura saß neben mir, und ich konnte durch das Fenster nur die Wolken sehen, die immer kompakter wurden und sich allmählich in Gewitterwolken umwandelten, vielleicht wegen der Nähe zum Olymp, der fünf- oder sechstausend Meter unter uns war. Die Götter mussten wirklich mürrisch gewesen sein, denn auch nach der Ankündigung des Kapitäns, sich auf die Landung vorzubereiten, mussten wir weitertanzen, wobei ich – nach all den Jahren, die ich ohne das Fliegen verbrachte – nun so manche Herzinsuffizienz zu erleiden hatte, während Laura, die das Durchdringen und Durchstreifen der Lüfte liebte, alles mit großer Begeisterung genoss. Noch nicht vom Syndrom der Wettervorhersagen infiziert, war ich ziemlich perplex, als wir nach einer großen Wende in Richtung Westen aus der grauen Watte herauskamen und ich, umgeben von einem bleifarbigen Meer und von der Sonne überhaupt nicht geküsst, zum ersten Mal die Insel sah. Wir landeten nur ein paar hundert Meter von den Häusern entfernt mit einem großem Bremsgetöse der Motoren und dem Lärm des Fahrgestells auf einer Bahn, die umgeben war von Häusern, die wie Hütten aussahen, und von kleinen Hügeln, die mit Sträuchern und gelben Gras bedeckt waren. An den Fenstern liefen Tropfen herunter, aber als die Hostess, kurz bevor wir die Treppe hinab stiegen, mit einem Lächeln und einem leicht ironischen Ton, uns einen schönen Urlaub wünschte, erkannte ich, dass es kein Witz war, und dass es ein echter Wolkenbruch war. Damals war der Flughafen noch nicht erweitert worden, und die in aller Eile zurückzulegende Entfernung betrug nur einige dutzende Meter.

    Der heutige Flug ist eintönig, da es wie erwartet keine Störungen rund um den Himmel gibt und die wenigen verstreuten Kumuluswolken kein Gewitter versprechen. So kann das Flugzeug laut brummen, ohne auch nur ein wenig zu schaukeln, was das Warten hätte verkürzen können. Laura ist nicht hier bei mir, aber ich habe zumindest das Glück am Fenster zu sitzen, so dass ich nach unten schauen kann, wo die kargen Hügel, die von den dünnen gelben Linien der nicht asphaltierten Straßen durchfurcht sind, unter den Flügeln vorbeigleiten. Wer weiß, bei welchem Breitengrad wir gerade Griechenland überfliegen, weil ich vergeblich den Olymp suche. Aber es ist besser, einen gewissen Abstand zu halten. Von dem, was man so hört, sind die Götter mehr als stinksauer, und sicherlich hat es nichts damit zu tun, dass ich alleine unterwegs bin. Ich vermisse die Insel schon seit drei Jahren – zu viele – und der Wunsch, zurückzukehren, war schon vor der Abreise groß, und jetzt, eine halbe Stunde vor der Landung, kann ich es nicht mehr abwarten, diese klimatisierte Kälte loszuwerden und die heiße Luft durchzuatmen, die nach gerösteter mediterraner Buschlandschaft duftet. Mit der Idee, meine ersten zehn Jahre hier als Tourist zu feiern, kam mir auch der Gedanke, alle engen Freunde einzuladen, um mit mir diesen Urlaub zu verbringen. Mein ehemaliger Kollege Schafs-Dolly, ein Idiot, hätte den Ausdruck „teilen" benutzt, ein Wort, das ich zutiefst hasse, weil es suggeriert, dass wir uns so sehr mögen, dass wir bereit sind, jede Ungerechtigkeit zu schlucken.

    Es tut mir leid, nicht in der Lage gewesen zu sein, die Gruppe zusammenzubringen. Helmut hat mir sofort gesagt: „Oh nein, ich bin Schwabe! Ich bin Minustemperaturen auch im Sommer gewohnt und dort ist es zu heiß für mich!" Tatsache ist, dass er ein Schwabe ist und deshalb, außer dass er geizig ist, in Wirklichkeit nur mit sich selbst zu Hause und nicht mit seinen Freunden den Urlaub verbringt, dort oben auf der Schwäbischen Alb, zwischen engen Tälern, von grünen Hügeln umgeben, die tausend Meter über dem Meeresspiegel kaum überschreiten. So machen es in der Tat die meisten Deutschen in Zeiten der Krise, auch wenn sie, um es mit Wolfgang zu sagen, nicht mehr das sind, was sie einst waren, denn heute ist es ihnen alles ziemlich egal. Real gibt es für sie eigentlich keine Krise, weil sie an einem ausgeglichenen Haushalt festhalten und, schwierige Zeiten voraussehend, schon vor vielen Jahren wirtschaftliche Manöver durchgeführt hatten, die für uns nur dann denkbar gewesen wären, wenn sich Italien auf dem Mond befunden hätte. Das ist aber, was nun in der Tat geschehen ist; denn plötzlich standen wir Italiener am Rande eines Mariannengrabens.

    Nur eine Frau hätte Helmut dazu bewegen können, in diese Regionen hinabzusteigen und einen so heißen Ort zu betreten. Die letzte, die dies schaffte, war eine Punkerin, die einmal wegen Drogenbesitz und Trunkenheit am Steuer festgenommen worden war. In Wahrheit war sie gar nicht gefahren, sondern saß als Fahrlehrerin neben einem Schüler. Als ein Streifenwagen sie aus dem Verkehr zog, war sie gerade dabei, den Fahrschüler zu würgen, weil er nicht angehalten hatte, um eine ältere Fregatte, die gerade aus einem Geschäft herausgekommen war, einen Zebrastreifen überqueren zu lassen. So gab Helmut die Story weiter, zumindest wie Brigitte sie erzählt hatte, Brigitte, das „verdrehte" Mädchen, das damals seine Freundin war und ihn durch allerlei Abenteuer führte. In der Tat, mit ihr war er in diesen Breitengraden, trotz der Hitze!

    Wolfgangs „Nein war entschieden, aber das hatte ich erwartet. Seitdem er drüben lebt, kommt er nur selten nach Europa - und schon gar nicht, um sich auf eine griechische Insel zu begeben. Nichts gegen Griechenland, aber das Leben in der Karibik hemmte seine Motivation. „Wir sehen uns im Dezember in Mailand. Ansonsten, warum kommst du nicht mal zu mir? Das Angebot reizte mich, aber ich vermisse meine Insel, und zwei Flugstunden sind für meine Wesensart bereits zu viele, geschweige denn mehr als acht. Wolfgang fehlt mir sehr, aber wir hören uns fast jeden Tag über Computer, und seine wertvollen Tipps als unübertrefflicher Verkäufer sind immer nützlich. Ohne seine Hilfe hätte ich bestimmt nicht so viel Erfolg mit dem neuen Artikel gehabt, den ich vor ein paar Monaten auf den Markt gebracht habe.

    Auf keinen Fall darf ich das Telefonat mit Stefano vergessen – wegen des Werbefilms, den er für mich drehen soll. Um vor der hinterlistigen Konkurrenz zu bestehen, muss ich eine breitere Kundenbasis erreichen. Die Situation ist bedrohlich für mich, aber bis jetzt habe ich immer das Ziel erreicht, den Umsatz zu verdoppeln und den Gewinn zu verdreifachen. Ich sagte Stefano, dass ein Urlaub auf Skiathos eine gute Sache sei, aber er muss gerade in diesen Wochen einen Dokumentarfilm drehen und konnte deshalb nicht kommen. Es tat ihm leid, weil er vor mehr als zwanzig Jahren in Griechenland war, und so wäre er gerne wieder mit seiner neuen Freundin gekommen. Ich weiß nicht, wie sie heißt. Er sagte es mir, aber ich bin immer noch beim Namen Francesca, die ich einmal bei einem Abendessen kennengelernt habe, aber das ist fünfzehn Jahre her und ist natürlich nicht mehr aktuell. Ich bin ein zerstreuter Typ. Manchmal höre ich gar nicht richtig zu, oder höre nur einen Teil von dem, was man mir sagt, und dann verliere ich mich in meinen Gedanken. Am Ende erinnere ich mich nicht mehr, oder noch schlimmer, ich erfinde Dinge, die gar nicht stimmen.

    Stefano hat aber ein viel besseres Gedächtnis als ich und erinnert sich sogar an die Zeit und den Tag seines ersten Kusses mit einem bestimmten Mädchen. Natürlich versäumt er auch nicht, ihren Geburtstag zu feiern. Ich würde sagen, dass seit dem Tag seines ersten Kusses ungefähr vierzig Jahre vergangen sind, aber das betrifft mich ja nicht, obwohl – obwohl ich doch ein wenig neidisch bin: natürlich nur auf seinen Eigensinn, sich an das Ereignis zu erinnern und es dann auch noch zu feiern! Es ist ja nicht wegen seiner zahlreichen Freundinnen! Das ist es zumindest, was ich mich selbst glauben lasse. Ehrlich gesagt, dachte ich, dass er zumindest kommen würde, aber freiberuflich zu sein, hat auch seine Schattenseiten. Ich hab es besser, weil ich nicht alleine arbeite, was es mir erlaubt, eine Woche Urlaub zu machen. Es tut mir Leid für Stefano, weil wir uns sicherlich amüsiert hätten. Er ist viel unternehmungslustiger als ich. Wir haben uns kennengelernt, als er noch nicht für die Filmindustrie arbeitete, sondern sich mit Musik beschäftigte. Eines Abends rief mich ein ehemaliger Mitschüler an, der sich, um sein Physikstudium in Berlin zu finanzieren, einen Job als Simultandolmetscher für eine italienische Sängerin, die zu der Zeit in Deutschland arbeitete, verschafft hatte. Er fragte mich, ob ich ihn in Mailand vertreten könnte, wo sie eine Platte aufnehmen sollte, die aber von ihrem deutschen Label produziert wurde. Man suchte einen Übersetzer für den deutschen Manager. Ich war ein bisschen perplex, aber die Idee, ein wenig Geld zu verdienen und eine berühmte Sängerin kennenzulernen, lockte mich an. So traf ich Stefano, der der Assistent des italienischen Produzenten war, während der Deutsche unsere Sprache ganz gut beherrschte, so dass meine Anwesenheit nicht erforderlich war. Stefano half mir aus der Verlegenheit und lud mich ein, einer Aufnahme beizuwohnen. Ich stimmte zu, und so begann unsere Freundschaft.

    Laura bedauerte es am meisten, nicht mitkommen zu können. Sie hätte mich auch ins Hotel begleitet, das wir gewählt hatten, und das nicht mit unserem üblichen Fünf-Sterne-Hotel zu vergleichen war. Sie argumentiert, dass, wenn man bloß eine Woche am Meer verbringt, muss man zumindest in einem vernünftigen Hotel wohnen, vor allem in Griechenland, wo die Standards nicht immer mit den italienischen vergleichbar sind. Vor Jahren war sie mal auf Kreta, wo sie mit ihrer Freundin in einem Zimmer geschlafen hat, das komplett verschalt war. Zwar erfordert Holz weniger Wartung als eine normale Wand und schützt vor der Kälte, aber Ende Juni mit mehr als dreißig Grad ist es nicht das Beste, auch nicht mit einer Klimaanlage. Um Anna, die ständig Budgetprobleme hat, entgegen zu kommen, konnte ich Laura überzeugen, ein Drei-Sterne-Hotel zu buchen. Wir kannten es, da wir es jedes Mal vom Reisebus aus sahen,  wenn wir in die Stadt fuhren. Es verfügt über einen schönen Pool mit einem gepflegten Rasen, aber es ist sicherlich kein Fünf-Sterne-Hotel. Ich habe versucht, Anna den komfortableren Aufenthalt anzubieten, aber sie wollte absolut nichts davon hören. Laura hatte die Nase gerümpft und protestiert. Obwohl sie auch bereit war, den Restbetrag für Anna zu bezahlen, die im Grunde genommen ihre engste Freundin war, gab es keine Diskussion. Sie, die weiß, wie stur und stolz Anna ist, hat sich überzeugen lassen und ich bin sicher, dass sie in die Vasilis Poolbar gekommen wäre, vor allem, um mir einen Gefallen zu erweisen. Leider hatte sie auf die Reise verzichten müssen, weil ihr Chef die Marktsituation als zu unsicher und gefährlich einschätzte, um ihr den Urlaub zu gewähren. Die griechische Krise und die Gefahr, in der sich die Eurozone befindet, wirken weiterhin stark auf den Spread. So musste sie das Zimmer absagen und vor ihren Bildschirmen sitzen, um Staatsanleihen zu kaufen und verkaufen. Sie spürte es schon vor drei Monaten, als wir gebucht hatten, denn sie meinte, dass sie eine schreckliche Sehnsucht nach Skiathos hätte, aber dass sie lieber nicht darüber nachdenken wolle. „Wer weiß, ob ich die Insel dieses Jahr wiedersehen werde." Das war der Satz, den sie mit leiser Stimme ausgesprochen hatte, während ich so tat, als hätte ich ihn nicht gehört.

    Jetzt hat sich das Flugzeug nach rechts gewandt und da liegt sie – meine grüne Insel, mit Strandkiefern, Eukalyptus- und Olivenbäumen bedeckt, die sich mit der mediterranen Buschlandschaft vermengen. Ich sehe das wunderschöne Hotel mit dem Strand, in das mich Laura beim ersten Mal geführt hatte, wo ich nun gern wieder wohnen würde, wenn es nicht um Anna ginge. Das Wasser ist wunderbar ultramarinblau: die Farbe der Ägäis. Hier unten sind die kleinen Inseln, etwas mehr als große Felsen, und die größere ist Tsougria, die genau vor dem Städtchen Skiathos liegt, wo ich nur einmal gewesen bin. Vielleicht fahre ich übermorgen dorthin.

    Die Anspannung im Flugzeug steigt nun, einerseits wegen der Landung und andererseits wegen der ermutigenden Aussicht. Jetzt fliegen wir immer tiefer und es scheint, als ob wir in einem Wasserflugzeug im Idroscalo landen würden, das hier in der großen Einbuchtung des neuen Hafens, wo auch die Fähren vom Festland anlegen, seine Entsprechung findet. Hier stehen sie, die Autos und warten an der Ampel, und mit einem letzten Satz berührt das Flugzeug den Boden! Der Flugkapitän beginnt sofort zu bremsen, um zu vermeiden, unten am Strand von Xanemos jenseits der Rollbahn zu landen. Jemand klatscht, froh, noch am Leben zu sein. Wir erreichen das Vorfeld, wo höchstens zwei Flugzeuge Platz finden. Ich schaue hinaus, um nach meinem alten Lotsenfreund zu suchen, der jedoch offenbar durch eine kräftig gebaute Frau ersetzt wurde, die einen Lärmschutzkopfhörer und eine zitronengelbe Weste trägt. Mit großen Gesten macht sie dem Piloten deutlich, dass er die Motoren auszuschalten kann. Die Fahrgäste, die ich hoffentlich erst wieder bei der Rückreise sehen werde, sind bereits aufgestanden und nun warten sie. Ich tue das Gleiche, indem ich sitzen bleibe, und meine Musik höre. Ich bin noch ungeduldiger als sie, weil ich schon weiß, was auf mich wartet und vor allem weil ich es eilig hab, ins Wasser zu springen, auch wenn es leider von Vasilis Poolbar aus nicht so einfach ist, denn das Meer ist davon weit entfernt. Ich opfere mich völlig auf – für Anna, so wie Laura sich für mich aufgeopfert hätte, mehr noch als für ihre beste Freundin!

    Endlich kann ich aussteigen. Auf der Leiter strömt mir eine angenehme warme Luft entgegen, die, auf der letzten Stufe angelangt, schon einen stickigen Effekt hat, aber ich weiß, dass es sich um die Wirkung der Klimaanlage handelt. Mir ist es allerdings egal, weil es das ist, was ich erwartet hatte und jetzt fülle ich meine Lungen mit einer salzhaltigen und mediterranen Macchia beladenen Brise. Ich folge den Mitreisenden in Richtung Eingangstür der Gepäckhalle. Kaum eingetreten, werde ich von hysterischen Tönen der Handys empfangen, die sich mit den verschiedenen griechischen Telefongesellschaften verbinden, deren Anzahl sich auf zwei beschränkt. Die wichtigere der beiden ist auch der Sponsor der neuen Katamarane, die neuerdings zwischen den Inseln und dem Festland verkehren. Ich sollte auch mein Smartphone anmachen, aber darauf habe ich keine Lust. Dann überlege ich, dass Laura in ihrem Büro auf ein SMS von mir wartet, und so mache ich ein Foto von der Halle und schicke es ihr. Ich höre draußen den Lärm des auf dem Band ausgeladenen Gepäcks, das gerade in Bewegung gesetzt wird. Ich traue meinen Augen nicht, als ich sehe, dass der dritte Koffer meiner ist. Dieses Mal gebe ich jegliche Selbstkontrolle auf, dränge mich wie ein Wilder durch die Menge und ergreife mein Gepäck. Ohne Zeit zu verlieren, gehe ich zum Ausgang, wo ich nach dem Schild meines Reiseveranstalters suche. Es befindet sich in der Hand eines etwas molligen und zerzausten Mädchens, das mich mit einem Lächeln begrüßt.

    – Sie sind der Herr?

    – Benni Delproposto.

    Sie sucht mich in der Liste und während sie meinen Namen streicht, begeht sie den offensichtlichen Fehler, ihn laut auszusprechen. Was auch richtig wäre, wenn sie nicht, mit wenig Takt und ihren groben Manieren, in einer einzigartigen Kakophonie, nur meinen Vornamen wiederholt hätte.

    - Nun, Herr BENITO! Ich heiße Sie willkommen! Ein Taxi, das Sie direkt zum Vasilis Poolbar begleiten wird, wartet hier gleich vor dem Hauptausgang auf Sie. Gegen Achtzehn Uhr werde ich dann vorbei kommen, um …

    – Nein, nein! – unterbrach ich sie. – Das brauchen Sie nicht. Danke, aber ich komme schon seit zehn Jahren hierher und so können Sie sich die Anstrengung sparen.

    Ich hätte ihr auch sagen wollen, dass sie mich lieber Benni, oder noch besser, Herr Delproposto, nennen sollte, aber sie kaut einen Gummi mit offenem Mund, und so bedanke ich mich und lasse sie weiterarbeiten. Ich gehe raus und ein Mann mit Stoppelbart und struppigen Haaren fragt mich auf Englisch, wohin ich gehen will. Dann zeigt er mir das Taxi, das mich ans Ziel bringen wird. Ich brauche nur ein paar Sekunden, um in das Auto zu springen, während der Fahrer den Kofferraum des Mercedes schließt. Das Modell ist gar nicht mal so alt. Durch das Autofenster sehe ich die neidischen und verwirrten Gesichter meiner Landsleute, die mich anglotzten. Sie, hingegen, werden gebeten, einen der unter der heißen Sonne geparkten Busse zu erreichen, die sie zu den verschiedenen Hotels bringen werden. Ich muss lachen, weil das Panorama hier rund um den Flughafen und die Gegend, die sie während ihrer Fahrt zu ihren Zielen sehen werden, so öde ist, dass sie sich fragen werden, was sie eigentlich bewegt hat, hier nach Griechenland zu kommen. Jemand, der einen Urlaub mit Big Brother verwechselt, müsste es sich mindestens für ein paar Stunden gefallen lassen, die Fähre zur Insel Alonissos zu erreichen, wo sie dann in ihren verschlossenen Touristenplätzen durch spezielle Teams aus jungen Männern und Frauen animiert werden – natürlich Made in Italy.

    Ich bin inzwischen bereits unterwegs. Während die vertrauten Bilder der Umgebung vor meinen Augen vorbeiziehen, einschließlich des überraschend erneuerten Fußballplatzes, dessen Wände frisch gestrichen wurden und dessen Tribüne mit neuen bunten Sitzen versehen worden sind, denke ich an Anna, die einzige, die fest entschlossen ist, mich auf dieser Reise zu begleiten. Schade, dass sie noch nicht hier bei mir ist. Sie rief mich eine Woche vor der Abreise an.

    – Benni, ich bin es, Anna.

    Aus der ein wenig aufgeregten Stimme habe ich sofort erkannt, dass etwas nicht stimmte und so habe ich sofort an die Reise gedacht.

    – Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll.

    "Figuriamoci! Da haben wir’s!" dachte ich, und war schon auf ihre Absage gefasst.

    – Be’, na ja, – meinte ich, – versuch’s mit einer kleinen Zeichnung.

    Ich hörte sie ganz nervös lachen.

    – Jag mich nicht zum Teufel.

    Aber dann korrigierte sie sich, weil sie weiß, dass ich diesen Satzanfang hasse, da ihn immer Silvia benutzte, meine Ex, wenn sie mit einem ihrer Geistesblitze herauskam.

    – Entschuldigung, ich wollte sagen, dass ich ein Problem habe.

    – Das hatte ich durchschaut.

    – Du musst wissen, dass Riccobono mir einen Vorschlag gemacht hat.

    – Dein Freund, der Kunstsammler?

    Sì, il conte Amedeo Riccobono, dem ich seine Bibliothek und seine Fonds der zeitgenössischen Kunst reorganisiere. Er hat mir gestern gesagt, dass er nicht nach Athen zu einer Ausstellung von einem vielversprechenden jungen Künstler, ein künftiger Großer der Weltkunstszene, dessen Werke schon hochbezahlt sind, André Yussuf, gehen kann.

    – Ist das nicht der Künstler, über den du ein Buch schreiben wolltest?

    No, der heißt Robert Madison. Riccobono hat mir angeboten, an seiner Stelle zur Vernissage zu gehen.

    – Be’, dai, das ist eine gute Gelegenheit.

    – Ja und stell dir vor, er hat in meiner Anwesenheit Mike Veniamis angerufen, um ihm meine Ankunft anzukündigen!

    – Und wer ist dieser?

    – Er ist einer der bekanntesten Sammler der zeitgenössischen Kunst, und ist der Inhaber der Galerie in Athen, in der Yussuf ausstellt.

    – Eine Kunstgalerie gerade in Athen?

    – Er hat sie vor einem Jahr eröffnet.

    – Vor der Wirtschaftskrise.

    – Ja, es ist die letzte, die er nach New York, London und Tokio eröffnet hat. Übrigens, Veniamis ist ein Grieche, der sich in den USA hat einbürgern lassen. Er hat sein Glück in der Fast-Food-Industrie gemacht.

    Patatine fritte, ketchup e quadri. Das hört sich cool an.

    – Ich bin auch von Riccobono beauftragt worden, den Kauf eines Werkes zu verhandeln. – hat Anna gesagt und dabei mein Kommentar überhört.

    – Ah, gut, das freut mich. – hab ich ihr gesagt, aber das hat gar nicht gestimmt, denn ich hätte sie am liebsten erwürgt, oder besser, den reichen Mann, der solche Vorschläge macht; von dem Griechen ganz zu schweigen.

    – Mach dir keine Sorgen, ich komme auch gut alleine zurecht.

    An dieser Stelle hatte ich entdeckt, dass ich eifersüchtig bin, ein Zustand, der mir bisher unbekannt war.

    – Oh Benni, sag das nicht. Pass auf, du fährst am Sonntag los,  und die Vernissage der Ausstellung findet zwei Tage später statt. Ich hab schon gesehen, wie ich von Athen nach Skiathos komme.

    Also habe ich gleich ausgerechnet, dass sie drei Tage später ankommen würde, und das war besser als nichts.

    – Na gut, ich freue mich wenn du kommst. – hab ich ihr gesagt.

    – Ja, Benni, ich werde kommen. Warte auf mich!

    Ma certo, ich werde auf dich warten.

    – Verzeihst du mir? – hatte sie unsicher hinzugefügt.

    – Ich denk nicht dran. Was sollte ich dir verzeihen?

    – Danke, Benni, für mich ist diese Angelegenheit sehr wichtig.

    – Sicher, ich bin doch nicht dumm. Komm, wir hören uns sobald du in Athen angekommen bist.

    2

    Abends um diese Zeit ist der Blick über die Bucht des alten Hafens herrlich. In der Abenddämmerung ist das Blau des Himmels verblasst, und die Lichtreflexe des Wassers glitzern in einem hellen Rosa. Ich hatte Anna immer gesagt, dass sie das Schauspiel des Sonnenuntergangs in Skiathos von der kleinen Halbinsel Bourtzi aus sehen sollte. Das hat ihr auch Laura bestätigt. Aus irgendeinem Grund haben wir es nie geschafft, unseren Urlaub zu kombinieren, um zusammen hierherzukommen. Dies scheint das richtige Jahr zu sein.

    Mit einem gewissen Neid denke ich an die Vernissage in Athen und zwischen den Gästen sehe ich Anna, die Umgang hat – vielleicht Hand in Hand – mit diesem griechischen Einwanderer, der wie viele in den Vereinigten Staaten sein Glück gemacht hat. Meins habe ich auf wundersame Weise in Italien gemacht, wo ich es geschafft habe, kurz vor der Krise einen kleinen Schatz zusammenzukratzen, der es mir erlauben wird, mich einigermaßen durchzuschlagen. Ich weiß hingegen nicht, mit welchem Geld Anna den Aufenthalt in Athen bezahlen kann. Wahrscheinlich wurde ihr das Hotel von ihrem Mentor angeboten, diesem „Graf" Riccobono, der so viel Geld hat, dass es sich leisten kann, seine aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende Villa in der Brianza mit Kunstwerken vollzustopfen, und den ich zutiefst hasse. Aber das ist okay, denn der ist stinkreich und sie muss arbeiten, vor allem jetzt, wo der berühmte, mit vorwurfsvollem Ton ausgesprochene Satz „Ma va a lavorare!", nicht mehr passt.

    Ich werde sie morgen Nachmittag anrufen, mit dem Vorwand, wissen zu wollen, ob die Reise in Ordnung war, und was sie zu tun gedenkt. Schade für diesen Zwischenfall, denn ich hatte mir einen ganz anderen Urlaub vorgestellt. Ich wollte zusammen mit meinen Freunden feiern, aber ich muss zugeben, dass es sich um eines meiner unmöglich zu realisierenden Unternehmungen handelte, dessen Ausgang schon von Anfang an klar war. Sicherlich hatte ich eine ganz andere Absicht! Ich habe die letzten Wochen vor der Abreise mit dem Nachsinnen über meine Freundschaft mit Anna verbracht, und ich habe beschlossen, dass dies doch die perfekte Gelegenheit sein könnte, um die „Beziehung zu verwandeln". Hat sie noch Lust auf eine solche Veränderung? Das ist die Frage.

    Und Laura? Ich glaube nicht, dass sie darunter leiden würde. Sie ist ja eine starke Frau! Darüber hinaus hatte ich ja schließlich auch mit ihr nie eine „richtige Beziehung! Das war nur ein „Freundschaftsbund, der sich mit den Jahren verstärkt hat und ab und zu „Komplizenschaft" war.

    Es sind viele Jahre vergangen, seitdem ich Anna kennengelernt habe. Ich erinnere mich noch an den Morgen, als der Big Boss FdM, die von Wolfgang erfundene Abkürzung für "faccia di merda", also einem Arschgesicht, mit ihr ins Vertriebsbüro eintrat, um die neue Angestellte vorzustellen. Sie trug eine weiße Jacke und eine schwarze Hose, und sie sah frech aus mit ihrem Pony, aber ihr Lächeln verbarg die normale Verlegenheit, die jeder in einer neuen Arbeitsumgebung spürt. Nach der Führung durch die Eich & Söhne Srl, die italienische Tochtergesellschaft der Eich & Söhne GmbH von Stätten, einem kleinen und fleißigen Städtchen auf der Schwäbischen Alb, das auch, wegen den eisigen Temperaturen im Winter als Kleinsibirien beschimpft wird und dessen voller Name – Stätten am Kalten Markt – kein Zufall ist, setzte Anna sich an den Schreibtisch, der rechts von mir stand.

    Dolly, der nach dem turbulenten Abgang von Wolfgang die Verkaufsleitung zu übernehmen hatte, hatte sich sofort bemüht, sie zu belehren. Nicht so sehr, weil er ihr hätte den Arbeitsverlauf erklären können, sondern weil er mit ein paar doofen Sprüchen, über die nur er alleine nervös und laut lachen konnte, versuchte, die Spannungen abzubauen, um dann Marinella zu beauftragen, Anna zur Seite zu stehen. Erst am Ende ihrer zweiten Woche in der Firma, als wir zufällig alleine im Büro waren, tauschten wir unsere ersten Worte als Kollegen.

    – Er scheint mir ein bisschen ... – hatte Anna über Dolly sagen wollen.

    – Was soll’s, hier ist es eben so. Das Unternehmen ist ein Monopolist, denn die Konkurrenz hat ein unüberbrückbares technologisches Gefälle, und die Produkte verkaufen sich von selbst. – hatte ich geantwortet und damit waren wir auf derselben Wellenlänge. Den Rest hatte sie in der darauf folgenden Woche begriffen, als sie einen Tag lang bei mir zusah, worin meine Arbeit bestand. Sie verstand sofort, dass der Abstand mit dem ich sie behandelte, nichts mit ihr zu tun hatte, sondern davon abhing, dass ich mich nicht in die Leitung der Büroarbeit einmischen wollte.

    Die Kundentelefonate des geklonten Schafs waren episch, wie der Don Quijote, den er immer wieder zitierte. „Non dica così", rief er beispielsweise einem Kunden gereizt ins Ohr, der am anderen Ende der Leitung erzürnt war, wegen einer heiklen Beschwerde, die dem Kunden einen großen Schaden verursacht hatte.

    Ma io mi sto mettendo in discussione, sto pensando a voce alta per cercare di trovare una soluzione¹.

    Es war offensichtlich, dass man eine zufriedenstellende Lösung in diesem Fall nur durch einen direkten Kundenbesuch hätte herbeiführen können, aber er hatte ja im Büro immer „soviel zu tun. Sein Meisterstück lieferte er an einem Tag im Juli ab, als er begann, seine auf dem Papier gelisteten Kunden anzurufen, um ihnen einen guten „Urlaub zu wünschen. Schon auf diese Idee gekommen zu sein, war dämlich. Die damalige Globalisierungskrise in der Branche war spürbar, und man hörte die Ratlosigkeit am anderen Ende der Leitung. Jemand wurde sogar sauwütend, weil er sich von diesem Fremden veräppelt gefühlt hatte. Nach dem ersten Telefonat, hatte es Anna nicht mehr ausgehalten und ist unter irgendeinem Vorwand rausgegangen. Ich folgte ihr zum Kaffeeautomaten. Wir waren alleine, und so hatte ich sie zum Mittagessen zu einer Pizza eingeladen. Ich wollte nicht, dass man uns entdeckte, und so hatten wir uns an

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