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Blutschwur: Die Söhne des Drachen
Blutschwur: Die Söhne des Drachen
Blutschwur: Die Söhne des Drachen
Ebook376 pages4 hours

Blutschwur: Die Söhne des Drachen

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About this ebook

Cathrin ist Geschichtsstudentin und glaubt nur an das, was sie sieht und historisch belegt werden kann. Als ihr Hund brutal umgebracht und sie von zwei merkwürdigen Männern mit Schwertern gerettet wird, begreift sie, dass ihre Welt nicht so ist, wie sie zu wissen glaubt.
Denn seit Jahrhunderten tobt ein Krieg. Die unsterblichen Kresniks kämpfen gegen ihre blutrünstigen Brüder, um die Auferstehung ihres Schöpfers zu verhindern.
Cathrin schlittert unfreiwillig in diesen Kampf hinein. Sie ist der Schlüssel, weil sie am entsetzlichsten Tag ihres Lebens überlebte. So muss sie nicht nur lernen mit einem Schwert umzugehen, sondern auch ihre Emotionen im Zaun zu halten, denn die Kudlaks haben einen gefürchteten, gewissenlosen Anführer, der seinem Herren treu ergeben ist. Und er wird vor nichts und niemandem Halt machen, um sein Ziel zu erreichen …
Nicht einmal vor Cathrins Liebsten.

Ein Urban Fantasy Roman von der Autorin von NERDIKON und TECHNIKGIRL.
LanguageDeutsch
Release dateSep 16, 2015
ISBN9783940036896
Blutschwur: Die Söhne des Drachen

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    Book preview

    Blutschwur - Stefanie Mühlsteph

    Inhalt

    Impressum

    Prolog

    Cathrin

    Brennende Kälte

    Abschied

    Flucht ohne Ausweg

    Verfluchtes Blut

    Ein überraschender Neuzugang

    Süßes und Saures

    Waffenstillstand

    Der Rausschmiss

    Zusammenkunft

    Bekenntnisse

    Aus alter Zeit

    Interview mit einem Kudlak

    Mensch sein

    Nichts bereuen

    Unter Feinden

    Gebrochene Herzen

    Alles wird gut

    Vendetta

    Der Feind aus der Vergangenheit

    Die Sünde in der Sünde

    Im Leben

    Grausames Geständnis

    Der Klang der Wellen

    Des Rätsels Lösung

    Tanzende Klingen

    Das schwarze Band

    Von Angesicht zu Angesicht

    Epilog

    Danksagung

    Das Buch

    Über die Autorin

    Buchtipps

    Blutschwur

    Stefanie Mühlsteph

    © 2014 by Verlag Torsten Low,

    Rössle-Ring 22, 86405 Meitingen/Erlingen

    Alle Rechte vorbehalten.

    Umschlaggestaltung und Illustrationen:

    Vee-Jas – Juliane Seidel und Tanja Meurer

    http://www.vee-jas.de/

    Lektorat und Korrektorat:

    M. Low, F. Low, T. Low

    eBook-Produktion:

    Cumedio Publishing Services - www.cumedio.de

    ISBN: 978-3-940036-89-6

    Die Leidenschaft lauert in uns allen.

    Erst schläft sie, wartet auf den passenden Moment und wenn dieser gekommen ist, öffnet sie ihr Maul und heult wie ein hungriger Wolf.

    Sie spricht zu uns und leitet uns. Die Leidenschaft beherrscht uns alle und wir gehorchen ihr.

    Was bleibt uns auch anderes übrig.

    Prolog

    ondon bei Nacht war ein wundervoller Anblick. Die Reklametafeln des Piccadilly Circus leuchteten in den buntesten Farben und lockten Menschen in die Einkaufsstraßen der Innenstadt. Das Parlament und der Big Ben strahlten golden neben dem London Eye, das so hoch war, dass es fast die Wolken berührte.

    Doch diese ganze Pracht interessierte ihn nicht. Er war fernab des Menschentrubels. Er war dort, wo sich keine Touristen die Klinke in die Hand gaben, sondern gelehrige Studenten.

    Der Mann stand vor den backsteinernen Mauern eines Studentenwohnheims und blickte hinauf. Das Licht in dem Fenster, das er beobachtete, war schon vor vielen Stunden gelöscht worden. Seine saphirblauen Augen wirkten sehnsüchtig.

    Die Lady, die er nach einer langen Suche endlich fand, schlief tief und fest in ihrem Bett. Ihren ruhigen Atem konnte er bis herunter auf die Straße hören. Ihren Duft atmete er tief ein. Nicht ihr Blut interessierte ihn, obwohl es ihm auch sehr gemundet hätte, sondern sie.

    Kannte die schwarzhaarige Schönheit ihr Schicksal?

    Der Mann schüttelte den Kopf. Nein, sie konnte nicht wissen, was passieren würde, in was sie unweigerlich hineinschlitterte. Sie war nur ein Spielball des Schicksals – genau wie er. Er hatte sich schon vor Jahrhunderten seiner Vorherbestimmung ergeben und ihr würde es genauso ergehen. Sie würde sich nicht einmal entscheiden dürfen. Denn so waren die Spielregeln.

    Er blies sich das dunkle Haar aus der Stirn und vergrub die Hände in seiner Jeans. Menschliche Gesten. Doch menschlich war er schon lange nicht mehr.

    Wenn sie sich begegneten, würde seine Herzdame schon längst wissen, was er war und ihn töten – oder es zumindest versuchen.

    Der Mann wandte den Blick ab. Er würde ihr niemals das Leben nehmen. Er konnte es nicht. Obwohl es so einfach wäre, mit bloßer Hand ihr kleines Herz zum Schweigen zu bringen – was vielleicht besser für sie wäre, als das, was ihr bevorstand. Wäre sie an jenem Tag umgekommen, wäre ihre Seele von den Wirren dessen, was sie nun erwartete, verschont worden. Es wäre einfacher gewesen für sie – und für ihn. Jetzt gab es kein Zurück mehr – für sie beide.

    Er schloss die Lider. Die Düfte der vielen Menschen in den Hauptstraßen benebelten seine Sinne. Er wollte wieder das warme Leben in sich spüren, wie es seine Kehle hinunterglitt, ihn stärkte und wärmte. Ein fataler Wunsch und doch war Blut das Einzige, das ihn dem Leben näher brachte, durch das er aussah, als wäre er einer der Ihren. Sie, die gesegnet waren mit der Vergänglichkeit der Sterblichkeit. Sie, die nach Unsterblichkeit strebten, aus eben jener Angst vor den finsteren Tiefen des Todes und ohne das Wissen, was es bedeutete, wirklich unsterblich zu sein. Er hätte mit ihnen getauscht. Sein Leben gegen die Ruhe und den Frieden kalter Friedhofserde. Doch er lebte, überlebte – eine grausame Ewigkeit lang.

    Cathrin

    ie waren wiedermal zu spät – und dieses Mal war es nicht Jessicas Schuld, sondern ihre. Warum kam ihr Vater auch auf die Idee, ihr die Gelder zu kürzen? Sie konnte nur schwer den Impuls, das Handy in die Hand zu nehmen und in Lyon anzurufen, unterdrücken. Sie verlangte nicht viel von ihm, geschweige denn, dass er sich um sie kümmerte, doch er könnte ihr zumindest jetzt unter die Arme greifen. Immerhin war sie seine Tochter.

    Mit einem Klaps auf den Hintern scheuchte Cathrin ihren Hund in das Gehege. Dorian schlenderte hinein und wurde von zwei Beagledamen herzlich begrüßt.

    »Dein Wauwau ist ein richtiger Aufreißer!«, lachte Jessica und warf ihr blondes Haar in den Nacken.

    »Mein alter Fettsack ist eben ein Macho mit Übergewicht.« Cathrin schloss die Käfigtür ab und wandte sich Jessica zu. Ihr Dorian hatte seine Aufmerksamkeit eh schon anderen Hunden gewidmet und zeigte für sein Frauchen und Dosenöffner kein Interesse mehr.

    »Mädels!«

    Cathrin rollte theatralisch die Augen undunterdrückte den Fluchtimpuls.

    »Ach, guck mal, da ist ja James!«, murmelte Jessica. Die fettigen Haare hingen ihm ins Gesicht und brachten seine mausähnlichen Gesichtszüge zur Geltung.

    »Hi, Mr. Porky!«, sagte Cathrin.

    »Du sollst mich nicht so nennen, das weißt du!«, bemerkte er trotzig und schob seine Unterlippe vor.

    »Ich weiß, Mr. Porky«, antwortete sie unschuldig. Mr. Porky war ihr Spitzname für James, seit er mit einer Tüte voll gebackener Speckschwarten aus einem Supermarkt kam und den ganzen Inhalt mit voller Inbrunst in einer halben Stunde verputzte. So bekam er seinen Kosenamen– der allerdings nur von Cathrin benutzt wurde.

    »Seid ihr auf dem Sprung?«, fragte James und spazierte mit den beiden Frauen aus dem großen, viktorianischen Rundbogen des Studentenwohnheims hinaus.

    »Jep, Sir Adamy wird uns sonst zum Frühstück verspeisen«, antwortete Jessica.

    »Adamy ist eigentlich ein netter Professor, die Klausuren und Bewertungen der Hausarbeiten sind absolut fair. Ich hatte letztes Jahr drei Vorlesungen bei ihm.« James strich sich mit ein paar Fingern seine langen Haare aus dem Gesicht.

    Cathrin zog stumm eine Augenbraue hoch. War ja klar, dass Mr. Magna-cum-laude das sagen würde.

    »Und, was macht ihr heute Abend?«

    »Wohl lernen, ich muss noch eine Hausarbeit über die Kolonialisierung schreiben«, seufzte Jessica und verschränkte die Arme am Hinterkopf. Ihr war der Unmut im Gesicht abzulesen.

    »Im Green Sheep arbeiten«, antwortete Cathrin knapp und konnte sich ausmalen, dass es mitten in der Woche nicht viel Trinkgeld geben würde.

    »Schade, ich dachte, wir könnten in die Neuverfilmung von ›Das Bildnis des Dorian Gray‹ gehen.«

    Jessica lächelte betreten. »Nein, James, ich hab wirklich keine Zeit«, murmelte sie und stieß ihre Freundin sanft mit dem Ellenbogen an.

    »Du, Mr. Porky, wir müssen echt los, sonst reißt uns Adamy noch den Allerwertesten auf«, sagte Cathrin und zog Jessica weiter. Sie ließen einen geknickten James zurück, der ins nächste Collegegebäude einbog. Ihr Tempo verringerte sich erst, als sie außer Hörweite waren.

    »Danke Cathi!«

    Sie lächelte. »Nichts zu danken.«

    Die beiden gingen eine breite Straße entlang, die von einer Baumallee geschmückt wurde. Häuserreihen standen eng beieinander. Die Gebäude waren nicht breit, sondern reichten über viele Stockwerke in die Höhe. Kleine, langgestreckte Fenster im viktorianischen Stil zeugten vom Alter der Wohnungen. Cablecars, die schwarzen Londoner Taxen mit ihren runden Formen und gelben Schildern, fuhren an den Studentinnen vorbei, Richtung Zentrum.

    »Mist, zehn nach neun!«, kreischte Jessica plötzlich. Ruppig zog sie an Cathrins Arm. Diese ließ sich mitreißen und musste ihre Tasche festhalten, da Jessica in ihrer Panik vergessen hatte, welche Kraft sie besaß. Die Kalifornierin genoss seit ihrer frühen Kindheit eine Schulung in Kickboxen und konnte mit ihren geschickten Händen nicht nur leckeren Kuchen backen, sondern auch so manches Sperrholzbrett zertrümmern – was Cathrin allerdings nicht für gut hieß. Kampfsport und Waffen waren nicht ihr Ding. Nicht ihre Welt – auch wenn sie selbst immer noch eine Passion für Ritterspiele, Schaukampf und Mittelalter-LARPs besaß. Das war jedoch nur mit Gummischwerter aufeinander einschlagen und kein richtiger Schwertkampf.

    Kaum waren sie in dem älteren Gebäude aus grauem Stein verschwunden, standen sie vor der hölzernen Vorlesungstür im ersten Stock. Sie waren durch die hellen Gänge mit den großen Fenstern gehetzt und hatten dabei fast keinen anderen Studenten gesehen. Alle waren in den Vorlesungen oder lernten in der College- und Landesbibliothek.

    »Sei leise!«, ermahnte Jessica ihre Freundin und drückte vorsichtig die Tür auf, die auf der Stelle lautstark zu quietschen anfing. Zerknirscht kniff Cathrin ihre Augen zusammen. Schon vernahm sie eine bekannte, strenge Stimme.

    »Ah, die Ladies Reeves und Blanchette!«

    Jessica schloss die Tür. Ihr Blick fiel auf einen Mann Mitte dreißig. Seine schwarzen Haare waren kurz gehalten, nur die Koteletten an seinen Ohren waren extrem lang. Was wohl daran lag, dass seine Spezialisierung das achtzehnte Jahrhundert war und er sich mit seiner Fachrichtung identifizierte.

    »Schön, dass Sie uns nun auch besuchen, werte Damen«, sagte Adamy.

    Cathrin schluckte schwer. »Entschuldigen Sie, Sir, wir wollten die Vorlesung nicht stören«, entschuldigte sie sich kleinlaut und versuchte, dem stechenden Blick der rabenschwarzen Augen standzuhalten.

    »Letzte Reihe«, bellte der Dozent und wandte sich wieder der beschrifteten Tafel zu.

    Jessica und Cathrin zwängten sich in die letzte Reihe, die mit Notstühlen ausgestattet war. Kaum hatten sie sich niedergelassen, hielt der Dozent laut einen Vortrag über die Anfänge der industriellen Revolution und die damit verbundenen Risiken und Möglichkeiten.

    Cathrin zog einen Block und Stifte aus dem Rucksack. Jessica hingegen startete ihren iPod und steckte sich die Kopfhörer in die Ohren.

    Mit hochgezogenen Augenbrauen starrte Cathrin Jessica an. Die Amerikanerin legte entspannt das Kinn auf den Tisch und war im Begriff die Augen zu schließen.

    »Ich glaube das grad echt nicht!«

    Irritiert zog sich Jessica einen der Stöpsel aus der Ohrmuschel. »Was denn?«

    »Na, das!«, knurrte Cathrin und zeigte auf den MP3-Player.

    Jessica rollte die Augen. »Das ist keine Musik, das ist Spanisch. Ich schreibe übermorgen einen Test über Del amor y otros demonios

    Cathrin sah sie verständnislos an.

    »Das ist ein Buch über den Journalisten García Márquez, der 1949 der Öffnung der Krypta des ehemaligen Konvents Santa Clara beiwohnte, um darüber Bericht zu erstatten«, verteidigte sich Jessica.

    »Alles klar«, beendete Cathrin kurzerhand die Diskussion, bevor ihre Wut im Bauch die Redeführung übernahm. Sie hasste es, wenn Jessica die Vorlesungen dazu nutzte, um für andere Fächer zu lernen.

    »Außerdem schreibst du eh mit«, flüsterte Jessica und steckte schnell die Hörer wieder an ihren angestammten Platz.

    Man konnte noch in der ersten Reihe Cathrins unverständliches Knurren vernehmen.

    Nach gefühlten drei Stunden war die Vorlesung vorbei und endlich konnte Cathrin ihre Berge an beschriebenen Blättern einpacken.

    »Na, Honey, Mensa?«, schreckte eine helle Stimme sie aus den Gedanken auf.

    »Natürlich!«, stimmte sie zu und verbiss sich den Kommentar Du bist ja auch noch da! Die letzten Minuten hatte sogar Jessica mitgeschrieben. Anscheinend war das Hörspiel zu Ende oder sie hatte keine Lust mehr. Das war bei ihr nicht immer klar zu bestimmen.

    Schnell hatten die Freundinnen den Vorlesungssaal verlassen. Sie wollten nicht noch zu einem privaten Gespräch mit Professor Adamy gerufen werden, der nicht nur dieses Jahr ihr Professor für zwei Vorlesungen war, sondern auch ihr Mentor seit Beginn ihres Studiums. Zum Glück mussten sie nicht oft zu ihm. Sie waren in der Regelstudienzeit und hatten nicht die schlechtesten Noten vorzuweisen. Zwei Gründe niemals mehr vor seine stechenden Augen treten zu müssen.

    »Puh, was ein Stress heute«, stieß Jessica aus und fuhr sich durch das offene Haar.

    Cathrin sah ihre Freundin aus dem Augenwinkel an und verbot sich einfach jeglichen Kommentar. Sie hatte Hunger und würde jetzt nicht auf Grundsatzdiskussionen herumreiten, wie der Tatsache, dass sie immer alles mitschrieb und Jessica zuhause einfach alles gemütlich abschrieb.

    Ein großes Backsteingebäude erhob sich mitten auf dem Campus. Viele Menschen strömten in die vier Eingänge der Mensa. Nicht nur Studenten aßen hier zu vergünstigten Preisen, sondern auch ältere Leute kamen her, wenn sie ein billiges Mittagsmenü wollten.

    »Schau mal, wer da wartet!«, quietschte Jessica und deutete auf drei junge Männer.

    Cathrin rollte kommentarlos mit den Augen.

    Brennende Kälte

    och ein Ale, Sweety!«, hörte Cathrin ihre Kollegin durch den Gesprächslärm brüllen.

    Sie seufzte tief. Es war Mittwoch und schon um halb neun waren so viele Leute da wie sonst nur an Feiertagen.

    »Was hier abgeht ist irre!«, sagte eine andere Kellnerin, die ihr Tablett am Tresen mit Gläsern belud.

    »Du sagst es, dabei muss ich noch eine Hausarbeit über den Fall Konstantinopels 1453 schreiben«, erklärte Cathrin und sah zu dem Platz, an dem gerade noch ihre Kollegin gestanden hatte. »Super, dann rede ich eben mit mir selbst!« Sie füllte einen Pint mit britischem Bier.

    Sie war seit Anbeginn ihres Studiums im Green Sheep, einem pubähnlichen Tanzlokal in der Prince Consort Road, angestellt.

    »Ale!«, schrie sie lauthals das Getränk aus.

    »Ich bin sehr beeindruckt, wie hübsch die Londoner Barkeeperinnen sind«, säuselte ein älterer Mann mit schottischem Akzent, den sie sofort als Familienvater einstufte.

    »Dankeschön, darf ich Ihnen etwas bringen, vielleicht ein Stout oder etwas zu essen?«, fragte sie höflich. Sie war oft genug von betrunkenen Männern auf einen Drink eingeladen worden, die sicherlich mehr wollten, als ein nettes Pläuschchen zu halten. Dieser jedoch schien nur schmeicheln zu wollen, wahrscheinlich war er wirklich verheiratet und zuhause warteten Frau und Kinder.

    »Ich hätte gerne ein paar Chips und ein Soda«, antwortete der Ältere und lächelte sie an.

    Sie erwiderte das Lächeln. Flink tippte sie die Bestellung in die Kasse ein und wandte sich den neuen Bestellungen zu. Plötzlich stellten sich ihre Nackenhaare auf. Sie spürte etwas – bohrende Blicke.

    Cathrin starrte ihre Gänsehaut auf den Armen an. Wurde sie etwa beobachtet? Sie schüttelte den Kopf. In letzter Zeit fühlte sie sich öfters so unangenehm belauert. Fast wie von einem Stalker verfolgt. Vielleicht brütete sie auch nur eine Erkältung aus.

    Abwesend goss sie die durchsichtige Flüssigkeit ins Longdrink-Glas, stellte es dem Mann am Tresen hin und nahm das Geld entgegen. Ihre Augen jedoch waren schon nicht mehr beim Gast, sie suchten die Menschenmasse nach der Person ab, die sie so penetrant anstarrte.

    Am Tresen saßen nur wenige Leute und diese waren entweder mit ihrem Essen beschäftigt oder suchten unter den anderen Gästen nach willigen Flirtopfern.

    Ihr Blick glitt über die Gesichter der Gäste, die an den Tischen saßen und angeregt miteinander sprachen. Ein paar Meter vom Tresen entfernt befand sich der kleine Tanzbereich, in dem das Neonlicht von einem tiefen Blau in ein leuchtendes Rot überging. Es tanzten nur wenige Gäste und diese waren auch eher mit ihren Begleitpersonen beschäftigt.

    Cathrin schob die Brauen zusammen. Endlich konnte sie in einer dunklen Ecke einen jungen Mann ausmachen, der sie zu beobachten schien. Durch das schummrige Licht konnte sie nicht einmal seine Haarfarbe ausmachen. Wie konnte er sie dann so scharf beobachten? Sie versuchte ihn mit dem gleichen, stechenden Blick zu verunsichern, jedoch schien er wenig beeindruckt zu sein– zumindest zeigte er keine Regung, die darauf schließen lassen konnte.

    Trotzig wandte sie sich um und stellte am rotblinkenden Licht des Transportschachtes am anderen Ende des Ladentischs fest, dass die Küche das Essen schon längst fertiggestellt hatte.

    Hastig fischte sie den Teller mit den Kartoffelstäbchen aus dem Aufzug.

    Sie biss sich auf die Unterlippe, um den spitzen Schrei zu unterdrücken. Der brennende Schmerz bahnte sich durch ihre Fingerspitzen. Instinktiv ließ ihre Hand den Teller los.

    Sie kniff die Augen zusammen, fluchte innerlich über ihre Gedankenlosigkeit und wartete auf das unvermeidliche Klirren von zersprungenem Geschirr.

    Es geschah jedoch nichts. Verwundert öffnete sie ein Lid und konnte eine Männerhand erkennen, die den Teller offenbar gerade noch rechtzeitig abgefangen hatte.

    »Das ist doch zu heiß!«, überschlug sie sich und fischte unter der Theke schnell ein paar Topflappen hervor, um den Teller zu übernehmen.

    Verwirrt sah sie sich um, die Chips standen schon bei dem Gast. Jetzt erst konnte sie die neue Situation realisieren. Irgendjemand hatte ihr aus dieser misslichen Lage geholfen! Schnell fand sie auch denjenigen, der die Verantwortung dafür trug. Er lehnte an einer Ecke der Theke mit dem Rücken ihr zugewandt.

    Sie musterte ihn genauer. Ihre Augen weiteten sich. War das nicht genau der Kerl, der gerade noch in der anderen Ecke des Lokals gesessen hatte? Es war doch unmöglich, dass er sich so schnell durch die Menschenmassen gedrängt hatte.

    Für den Bruchteil einer Sekunde wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Sie wollte und sollte sich bedanken, doch ihre scharfe Zunge war auch ohne aktive Beteiligung ihres Kopfs schneller.

    »Dankeschön, aber Sie dürfen nicht auf dieser Seite des Einschanks stehen.« Vorsichtig legte sie ihre Hand auf seine Schulter. Der Fremde drehte sich um.

    Sie musste schwer schlucken. Der schwarzhaarige Mann hatte ein ebenmäßiges Gesicht mit zwei saphirblauen Augen, die von dunkelgrünen Linien durchzogen wurden.

    »Ich weiß, aber ich dachte, dass Sie sich freuen, wenn ich Ihnen helfe«, sagte er in einem altmodischen Londoner Akzent, den sie nur von wirklich alten Stammgästen kannte.

    »Ja, sicher, ich muss Sie dennoch bitten auf die andere Seite des Tresens zu gehen.« Gut, dass ihre Zunge das Denken und Reden übernommen hatte. Ihr Kopf wäre dazu nicht mehr fähig gewesen.

    »Natürlich«, antwortete er gentlemanlike und begab sich geschwind auf die andere Seite. Dabei ging er so nah an ihr vorbei, dass sie seinen Duft einatmete. Cathrin konnte sich nicht erklären, was dieser Kerl für Aftershave aufgetragen hatte, doch es benebelte ihre Sinne.

    Sein weißes Hemd war ein Stück aufgeknöpft, sodass Cathrin den Ansatz der breiten Brust begutachten konnte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihn die ganze Zeit angaffte, als ob er ein Ausstellungsstück wäre. Schnell wandte sie den Blick ab.

    Er setzte sich auf einen nahestehenden Barhocker.

    Sie sah auf, in die durchdringenden Augen ihres Gegenübers.

    Er konnte unmöglich so schnell an den Tresen gehastet sein! Aus dem Augenwinkel suchte sie die Ecke nach dem Kerl ab, der sie so penetrant angestarrt hatte, doch dieser war verschwunden – oder saß er nun direkt vor ihr?

    »Was suchen Sie, Miss?«

    Sie blickte ihn an, musterte sein schönes Gesicht mit den wohlgeformten, sinnlichen Lippen. »Ich dachte, ich hätte Sie vor wenigen Minuten dort drüben gesehen.« Sie zeigte auf den einsamen Tisch auf der anderen Seite des Pubs.

    Der Mann lächelte charmant. »Dort saß ich nicht. Sie müssen mich verwechselt haben, Miss.«

    Sie nickte, doch innerlich wusste sie, dass dies nicht wahr sein konnte. Es war der Kerl, der ihr die Haare zu Berge stehen ließ. Darin bestand kein Zweifel, oder?

    Sie sah ihn wieder an. Er war wirklich ein ansehnlicher Mann. Lecker würde ihn Jessica betiteln. Doch etwas stimmte nicht. Sie spürte es, ein Kribbeln in ihrem Bauch, das ihr sagte, dass hier nicht alles koscher ablief.

    Ihr Blick fiel auf die rechte Hand des Mannes, die langsam eine rötliche Farbe annahm.

    Ein Stich durchzuckte sie.

    »Bitte zeigen Sie mir Ihre Hand«, forderte sie ihn ohne große Umschweife auf.

    »Das brauchen Sie nicht, Miss. Es ist nichts.«

    Sie sah ihm in die Augen. »Sie müssen sich die Hand verbrannt haben, der Teller kam direkt aus dem Ofen. Also bitte, zeigen Sie mir Ihre Hand.«

    Widerstrebend hob er seine Hand.

    Cathrin biss sich schuldbewusst auf die Lippe. Eine sehr deutliche Brandwunde war zu erkennen, deren Blasen sich langsam mit Wundwasser füllten. »Es tut mir so leid«, wisperte sie und ging zum Spülbecken, um ein paar Tücher mit kaltem Wasser zu benetzen.

    »Das müssen Sie nicht tun!«

    »Das bin ich Ihnen schuldig«, überschlug sie sich. Wieder begegneten sich ihre Blicke. Cathrin starrte ihn an als wäre er ein Botticelliengel. Dann holte sie die Realität zurück. Sie musste dem armen Kerl zumindest die verbrannte Hand verbinden, bevor sie wieder in ihr persönliches Traumland abdriftete. »Ich verarzte Sie und Sie dürfen sich etwas zu trinken aussuchen. Das geht auf meine Rechnung.«

    »Nicht nötig!«, versuchte der Mann zu beschwichtigen und abermals trafen sich ihre Blicke. Sie konnte nicht sagen, wie lange sie den Fremden anstarrte, seine Ebenmäßigkeit bewunderte, doch irgendwann spürte sie wieder die kalten, nassen Tücher in ihrer Hand. »Entschuldigung!«, murmelte sie und begann mit dem nassen Stoff über seine Haut zu streichen. Erst jetzt fiel ihr auf, wie außergewöhnlich blass er war. Die blauen Adern zeichneten sich unter seiner Reispapierhaut ab.

    Ihre Finger berührten seine Haut. Schmerz stieg ihre Hand empor, jedoch dieses Mal stärker, intensiver. Sie presste die Lippen aufeinander. Brennend kalt bahnte sich die Qual durch ihre Hand. Erschrocken zog sie die Hand weg und sah auf, in die verdunkelten Augen des Mannes, der ihr seine Hand ebenfalls entzog und sich langsam vom Hocker erhob.

    »Dankeschön für die Hilfe«, sprach er tonlos. Einen Wimpernschlag später war er verschwunden.

    Cathrin riss die Augen auf, blickte sich um, suchte nach ihm, doch er war weg, wie vom Erdboden verschluckt. »Was für eine Erscheinung!«, flüsterte sie und hielt immer noch die kalten Tücher in der Hand.

    Der Schmerz pochte in ihren Fingerspitzen. Ob er allerdings vom heißen Teller oder dieser Berührung kam, konnte sie nicht mit Sicherheit bestimmen.

    Sie schüttelte den Kopf. Es war total unlogisch, Berührungen konnten nicht schmerzen.

    »Sweety, einmal Sheperd´s Pie, bitte!«, brüllte eine Kellnerin und riss Cathrin aus den Gedanken.

    »Kommt gleich.«, flüsterte sie und tippte die Bestellung ein. Hatte sie das gerade vielleicht nur geträumt? Wieso hatte keiner außer ihr diesen Schönling bemerkt? Die Kellnerinnen hätten sich darum gerissen, ihn zu bedienen! Hatte ihr Kopf ihr einen Streich gespielt?

    Kopfschüttelnd widmete sie sich der Bestellung.

    Kurz nach Mitternacht saß Cathrin in der Tube. Sie musste zwar bis St. James’ Park nur zwei Stationen fahren, doch die fast leere Bahn machte selbst ihr etwas Angst. Dabei glaubte sie weder an Monster, die über Menschen herfielen, noch an mystische Vorgänge.

    Sie hatte bequem am Rand Platz genommen und konnte aus dem Fenster blicken. Die dünne Bahn mit den wenigen Sitzplätzen fuhr nur unterhalb der Londoner Straßen, weswegen man nur Dunkelheit sah, wenn man aus dem Fenster blickte, doch es gab Cathrin ein Gefühl der Sicherheit, zumindest zu erahnen, wo sie sich gerade befand.

    Es raschelte. Ein älterer Mann blätterte die Seite seiner Tageszeitung um. Seine Augen glitten über die geschriebenen Zeilen. Nachdenklich legte er seine Stirn in tiefe Falten.

    Cathrin schmunzelte.

    Er sah kurz auf. Er musste bemerkt haben, dass sie ihn beobachtete. Freundlich zwinkerte er ihr zu und versank wieder in der Zeitung.

    Sie blickte aus dem Fenster. Eine monotone Stimme drang aus den Lautsprechern und verkündete, dass sie Sloane Square erreicht hatten. Die Tube stoppte, die Türen öffneten sich, doch niemand stieg ein oder aus. Einen Augenblick später schlossen sich die Türen wieder und die Tube setzte sich in Bewegung.

    Plötzlich spürte sie wieder dieses Gefühl auf der Haut, als ob sie jemand beobachten würde. Sie musste ihre schwarze Jacke etwas enger um sich ziehen, damit die Gänsehaut sich nicht über ihren ganzen Körper erstreckte. Es verstörte und gruselte sie zugleich, warum ihr Körper so reagierte. Normalerweise ignorierte sie penetrante Blicke, doch wieso konnte sie es nicht im Pub und wieso tauchte dieses Gefühl ausgerechnet in der Tube wieder auf? Irritiert ließ sie den Blick schweifen, konnte jedoch keine andere Person außer dem älteren Mann entdecken.

    Verwirrt sah sie auf ihre Finger, die immer noch vor Schmerzen pochten. War das wirklich real gewesen? Ihre Finger sagten Ja, jedoch ihr Verstand stritt es vehement ab. Sie schüttelte den Kopf und gähnte. Das gleichmäßige Geräusch der fahrenden Bahn beruhigte sie.

    »St. James’ Park. Bitte achten Sie auf die Lücke zwischen der Bahn und der Plattform«, ertönte jäh die monotone Stimme aus den Lautsprechern.

    »Mein Stichwort!«, flüsterte sie.

    Der graumelierte Mann sah sie lächelnd an. »Passen Sie auf sich auf, Miss, es ist mitten in der Nacht!«

    Cathrin erwiderte das Lächeln. »Immer doch!«

    Beschwingt stieg sie aus der Bahn.

    Der Heimweg war nicht lang, denn die Caxton Street war nur wenige Minuten von der Station entfernt. Ein kalter Wind blies ihr entgegen, als sie aus der Unterführung trat.

    Cathrin verengte ihre Augen zu Schlitzen, stellte den Kragen der Jacke auf und ging durch die spärlich beleuchteten Straßen. Die gusseisernen Laternen mit ihren gelben Leuchtschirmen ließen die bewegten Schatten der Bäume wie Gespenster wirken. Sie gähnte demonstrativ, um die aufkeimende Angst zu vertreiben. Sie ging diesen Weg mindestens dreimal in der Woche und kannte jeden einzelnen Strauch, der sich in den Böen

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