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Nicht jeden Tag ist Beerdigung
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Nicht jeden Tag ist Beerdigung

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About this ebook

Der Mörder Franz Werker hat seine Strafe abgesessen. Erst wenige Tage ist er zurück, da wird eine Frau erschlagen aufgefunden. Haben die nicht recht, die ihn für gefährlich halten, die nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen? Der Kampf um den Nachweis seiner Unschuld ist auch ein Kampf in ihm selber: zwischen Selbstaufgabe und Überlebenswillen.
LanguageDeutsch
Release dateOct 28, 2015
ISBN9783360501226
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    Book preview

    Nicht jeden Tag ist Beerdigung - Horst Bastian

    Impressum

    eISBN 978-3-360-50122-6

    © 2015 (1997) Verlag Das Neue Berlin, Berlin

    Cover: Verlag

    Die Bücher des Verlags Das Neue Berlin erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

    www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

    Horst Bastian

    Nicht jeden Tag ist Beerdigung

    Das Neue Berlin

    Für Britta

    1. Kapitel

    Die Eisentür klappt ins Schloß. Franz Werker ist frei. Er hatte gleich weitergehen wollen, hatte es sich hundertmal durchdacht: Straßenpassanten würden annehmen müssen, er sei hier nur zu Besuch gewesen. Oder besser, er wäre Zivilbeschäftigter in der Anstalt. Ein normaler täglicher Weg durch das Tor. Jetzt aber steht er. Die Weite der Straße lähmt ihn. Er kann nach rechts weg oder nach links. Und wo diese Straße endet, beginnt eine andere, wird gekreuzt von weiteren Straßen, und nirgendsmehr Gitter, nur freie Straßen überall hin.

    Nieselregen. Das Pflaster glänzt. Wasserperlen auf den sattgrünen Blättern der Bäume. Über Sekunden schließt er die Augen. Die Nässe tut wohl auf dem heißen Gesicht. Tief atmet er. Auch in den Mund holt er die Luft, und sie schmeckt nach Wiesen und reifendem Korn, nach frischem Mörtel und kochendem Teer. Sie ist ganz anders als auf der anderen Seite des Tores, da ist er sich absolut sicher.

    Nun geht er. Die ersten Schritte sind tastend: als lernte er das Laufen erneut. Niemand verfolgt ihn, packt ihn beim Ellenbogen, niemand brüllt ihn zurück. Es könnte trotz allem ein Traum sein, es könnte … Unwirklich erscheint ihm alles, er selbst ist nicht wirklich.

    Nach einer Weile spürt er das Pflaster unter den Füßen, hört Sandkörner knirschen, hört: Eine Straßenbahn quietscht, ein Baby spektakelt in einem Kinderwagen, ein Mädchen lacht, aus einem Fenster dringt Musik. Etwas Klassisches, er kennt sich nicht aus. Ihm ist nach Lachen und Weinen, er könnte beides zu gleicher Zeit. Endlich sind seine Sinne wach; vertraut er ihnen, glaubt er sich selbst. Jetzt geht er schneller, kraftvoller auch: kein Wandern im Kreis mehr, ein Gehen mit Ziel.

    Plötzlich verharrt er und dreht sich um: Wenn ihn nun jemand erwartet hatte – in der Nähe des Tores? Er hatte sich nicht umgeblickt, nicht richtig gesehen, höchstens geglotzt. Präsentiert hatte er sich gefühlt, Vorhang auf für den Mann aus dem Knast, und das Publikum hatte im Dunkeln gesessen: tausend Augen vielleicht oder zwei. Nicht zu ändern. Ohnehin unwahrscheinlich, daß dort jemand gestanden hatte. Wer hätte ihn abholen sollen, es ahnen können, daß er herauskommen würde: zu dieser Stunde, an diesem Tag? Eindringlich hatte er darum ersucht: Keine Mitteilung nach draußen! Die ersten Stunden, ich brauch sie für mich … ein allmählicher Übergang …

    Verstohlen betrachtet er sich im Glas einer Schaufensterscheibe. Der Anzug sitzt. Muttel hatte ihn genäht, vorher Maß genommen, nur mit den Augen, diese alte, geprüfte Frau. Vorhin erst, in der Effektenkammer, hatte er davon Kenntnis erhalten. »Gesicht zur Wand, Werker – eine Überraschung für Sie.« Von damals dagegen die Aktentasche, dieses lederlappige Ding, abgewetzt, fleckig. Nein, auch nicht von damals: Die war schon vor zwanzig Jahren ein volles Arbeitsleben alt. Sein Haarschnitt ist kurz. Verdächtig …? Mann, Mann, dreh dich nicht raus, versuch es erst gar nicht, du bist, wer du bist! Anders gerätst du ins Schleudern, über kurz oder lang, du weißt doch Bescheid. So mancher der »Knast-Kollegen«, Rückfalltäter, ist draußen nur deshalb gestolpert, weil er mit einer Lüge begann. Außerdem, was heißt denn das, kurze Haare – mit beinahe fünfzig verpflichtet dich niemand zum Modegeck. Reine Privatsache, die Frisur. Nicht im Bau. Aber hier! Jawohl. Jetzt bin ich hier …!

    Trotzdem beeilt er sich, Abstand zwischen sich und die Anstalt zu bringen. Später, im Zentrum der Stadt, im Gedränge Hunderter von Menschen, wird ihm leichter, er fühlt sich geschützt. Manchmal ertappt er sich dabei, seit Minuten am selben Fleck verweilt zu haben, gaffend, mit offenem Mund. Nicht, daß er aus einem anderen Jahrhundert käme oder gar von einem anderen Stern: Er weiß von all diesen Dingen, kennt sie seit langem – nur eben aus zweiter Hand. Vom Bildschirm. Aus tausend Gesprächen. Durch die Lektüre von Zeitungen, Büchern. Und jede Zeile mit einem Hauch von Exotik behaftet: so unerreichbar die Welt vor dem Tor, bereits der erste Quadratmeter Straße ein anderer Kontinent. Jetzt aber ist er ein Reisender, hat er den Fuß auf diesen fernen Erdteil gesetzt. Nein, kein Reisender, eher ein Siedler, er möchte hier seßhaft werden. Reisende sind Besucher …

    Mehrmals versucht er, die Fahrbahn zu überqueren: viel zuviel Autos, und immer sind sie schnell heran. Andere Leute erreichen die Gegenseite bequem, sogar eine Oma mit dicker Tasche und Einkaufsnetz. Amüsierte Gesichter. Gelten sie ihm? Er kann sich nicht komisch finden. Zwei kleine Mädchen, Hand in Hand, wollen nun über die Straße. Rasch gesellt er sich ihnen bei, mimt den Beschützer, bedeutet den Autofahrern, bitte sehr, etwas zu bremsen, Kinder, ihr seht’s doch, bei Kindem weiß man nie so genau. Na also, na bitte, nun hat er’s geschafft.

    Ein rotes Backsteingebäude. Über dem Eingang ein Schriftblock, schmiedeeisern: STANDESAMT. Am Straßenrand eine Hochzeitskutsche: Schimmel davor. Wartend eine Gruppe festlich gekleideter Menschen. Lange Röcke. Viel Samt und viel Seide. Die Tür wird geöffnet – das eben vermählte Paar erscheint. Sie in Weiß und mit Schleier, Rosen im Arm, er in schwarz und weiß gestreiftem Anzug, eine zu schmale Fliege unter dem wuchtigen Kinn. Hände strecken sich ihnen entgegen, ein dichter Halbkreis von Händen, und soviel Glück, wie gewünscht wird, paßt in keine Familie hinein.

    Eine Familie, denkt Werker, was das nun wieder bedeutet. Reiß dich zusammen. Außerdem, die dort sind höchstens verheiratet; ein Kind erst macht die Familie. Andererseits, der Schnitt ihres Kleides – ob da nicht doch was zu strampeln beginnt? Wie alt mögen sie sein, die beiden? Zwanzig vielleicht. Zwanzig? Du, das heißt Jahre! Aus Babys sind Eltern geworden, so gut wie jedenfalls. Soviel fehlt dir, Franz Werker, zwanzig Jahre, die holst du nie auf. Hättest drin bleiben sollen, hier draußen kriegst du erst mit, wer du bist. Er wendet sich ab, flüchtet. Er will zum Bahnhof. Aber ihm kommen Leute entgegen, viele, zu viele Leute. Alle Menschen der Erde strömen heute vom Bahnhof her. Haben nur sein Gesicht vor sich. Er ist der Sträfling. Er senkt den Kopf. So geht er an gegen viele, kalt seine Stirn vom Angstschweiß, aber, verdammt, er geht. Und auf einmal kann er nicht mehr: Es dreht ihn herum, er läßt sich schieben, über Minuten spürt er sich kaum.

    Aber er will sich spüren, weiß, daß alles sonst sinnlos ist.

    Irgend wo schert er aus. In einer Nebenstraße erholt er sich. Was hatte ihn da gepackt? Knastkoller wahrscheinlich, durch Zeitzünder ausgelöst – falls so etwas überhaupt möglich ist. Ein Opa mit Dackel biegt ein in die Straße. Beim Anblick Werkers zerrt der Hund an der Leine und kläfft.

    »Nu wat, nu wat«, sagt der Opa, »dat is doch ein guter Onkel, dat riecht man doch, ollet Kamel!«

    Kontaktfreudig ist sein Lächeln. Er nestelt nach Zigaretten, öffnet mit steifen Fingern die Schachtel, wird anbieten wollen, Franz Werker ahnt es, er fürchtet, dann keine Stimme zu haben, ist dem Alten gleichzeitig dankbar, schafft ein entsprechendes Lächeln, hebt bedauernd die Arme an, ich hab keine Zeit, soll das bedeuten, ein andermal, sicher, bei Gelegenheit rauchen wir eine. Sachte entfernt er sich rückwärts, dreht sich um und schlendert mit aller Gewalt.

    Allmählich löst sich etwas in ihm, die Füße gehen von selbst, die Gedanken suchen ein Wort für den Regen, ein lobendes, weil er so wohl tut auf dem Gesicht. Ein guter Onkel, dat riecht man doch … In einem Schaufenster stehen Fernsehgeräte. Alle sind eingeschaltet, aber sie zeigen kein Bild. Der Mann tritt näher, will die Preisschilder lesen. Auf einmal erschrickt er: Weil einer wie er auf den Bildschirmen ist. Wie er ist falsch, er ist es tatsächlich: Sobald er die Nase kraust, tun es die Fernsehmenschen ebenfalls. Schließlich entdeckt er die Kamera im Fenster, das Objektiv auf ihn gerichtet. Was es alles gibt, denkt er, was sie alles erfunden haben … Dann macht es ihm Spaß, Grimassen zu schneiden, sich selbst zuzuplinkern, und er findet sich telegen.

    Nun schlendert er wieder. Den Blicken weicht er nicht aus. Als er angelacht wird von zwei Mädchen – junge Damen, denkt Werker –, schmunzelt er mühelos. Und einmal dreht er sich sogar um und sieht einer schönen Frau hinterher. Dennoch, er ist ein Fremder hier, einer ohne Anliegerrecht. Wird er von Passanten bedrängt oder gar angerempelt, so möchte er um Verzeihung bitten. Was immer ringsum geworden ist, egal, ob es Gediegenes ist oder Pfusch, er, Werker, hat keinen Anteil daran.

    Gewiß, er hatte die Jahre im Strafvollzug schwer und sehr schwer arbeiten müssen, meistens als Schlosser, im Teilwerk einer Traktorenfabrik. Vielleicht war das auch eine Leistung, nur kann er durchaus nicht stolz auf sie sein. Es gibt nichts an seiner Vergangenheit, das sich vertrüge mit Worten wie ehrenhaft oder stolz. Spät ist es in seinem Leben geworden … Er spürt seinen Herzschlag: die Angst.

    Wieder möchte er allein sein – da er inmitten dieser Menschen ohnehin einsam ist. Schlafen will er, lange schlafen. Also muß er nach Hause. Doch ein weiteres Mal in Richtung des Bahnhofs zu gehen, traut er sich nicht mehr.

    Merkwürdig, während der letzten Wochen im Bau, selbst am heutigen Morgen noch, hatte er sich die ersten Stunden der Freiheit immer bei Eisbein und Bier vorgestellt. Man ruft den Kellner, und der schleppt an. Muß er, es ist sein Beruf. Man wischt sich den Bierschaum vom Mund und läßt sich erneut bedienen. Schmeißt notfalls eine Stubenlage, ist umworbener Gast, ein freier Mann.

    Kindische Träume. Werker erinnert sich an einen Kriegskameraden, einen Berliner. Erstens, hatte der häufig gesagt, kommt es anders, und zweitens, als man denkt. Ein Ungläubiger, der nichts mehr vom Leben erwartet hatte. Gefangenschaft endlich – ein Lichtblick: war man wie er noch heil und gesund. Ja, erstens kommt es anders – dann aber ist er am Typhus verreckt –, und zweitens, als man denkt.

    Werker entdeckt einen Taxistand. Er will kein Verschwender sein, aber heute ist heute. Außerdem ist er kein armer Mann. Anfangs steht er allein und wartet.

    Dann kommen eine junge Mutti und ihre vielleicht vier Jahre alte Tochter hinzu. Die Kleine, ein Plappermaul, berichtet, was im Laufe des Tages im Kindergarten geschah. »Und Tante Helga hab ich erzählt, daß wir ganz schön oft beten.«

    »Wer betet – wir?« Für die Mutti ist das eine verblüffende Neuigkeit.

    »Klar, wir! Wenn ich schnell auf Toilette muß, ganz nötig, und überhaupt keine Zeit mehr habe für die Tür und so alles, dann bete ich dich, daß du sie zumachst.«

    Mutti und Werker lachen. Das Kind wechselt das Thema: »Ich bin schon mal mit Taxe gefahren, nämlich mit Onkel Klaus.« Und nach einer Pause: »Stimmt’s, Mutti, du hast es versucht mit Onkel Klaus, aber es hat nicht geklappt! Und mit Onkel Wolfgang genauso, da hat es auch nicht geklappt.« Ein Seufzer. »Na, vielleicht wird’s noch klappen, nicht?«

    »Bestimmt«, sagt die Mutti, obwohl sie errötet.

    Werker muß schmunzeln. Er ist dem Kind dankbar, fühlt sich weniger abgesondert von den anderen Menschen, weniger isoliert: weil andere ebenfalls wund sind im Herzen, Einsamkeit kennen und sicher auch Angst.

    Sein Taxi fährt vor. Da lächelt er Mutter und Kind zu, sein Gruß zum Abschied. Der Türgriff des Wagens macht ihm zu schaffen: Er zieht und zieht, entdeckt nun den Drücker, bedient ihn – mit peinlich spätem Erfolg. Im Fond des Taxis sitzt er steif aufgerichtet und hält die Hände im Schoß. Die Aktentasche hat er sich auf die Schuhe gelegt.

    Hörbereit hatte der Taxifahrer seinen Kopf nach hinten gedrückt: vergeblich. Jetzt legt er den Gang ein, fährt los. Schließlich fragt er: »Wohin denn nun, Mann?«

    »Nach Hause!« sagt Werker hastig.

    Der Fahrer dreht sich kurz um, wirklich erheitert. Er schüttelt den Kopf. »Immer diese genauen Details.«

    »In Richtung Berlin, erst mal raus aus der Stadt. Etwa sechzig Kilometer von hier.« Nun wagt er es auch, sich günstiger hinzusetzen. Er blickt nach draußen, möchte alles auf einmal erfassen: was links ist, was rechts und was vorn, Grünflächen, neue Häuser – ihre Vielzahl begeistert ihn. Er kennt diese Stadt, aber er erkennt sie nicht wieder. Selten ein Fleck, wo die Erinnerung Platz finden könnte. Andererseits – wozu sich erinnern, zwanzig Jahre lang hat er’s getan. Jetzt zählt das Heute.

    »Wenn’s geht, nicht so schnell«, bittet Werker.

    Wieder ein prüfender Blick des Fahrers. Er scheint befriedigt: Als hätte er vorher geglaubt, der Mann im Fond übe an seinem Fahrstil Kritik. Seine Mundwinkel zucken ironisch. »Lange sind Sie wohl nicht weggewesen – von Ihrem schönen Zuhause?«

    »Warum?«

    »Warum! Weil Sie gar keine Sehnsucht haben.«

    Franz Werker gibt keine Antwort. Aber er lächelt, lehnt den Kopf an das Fenster und blickt wieder hinaus.

    2. Kapitel

    Mißgünstige sagen von Orte, es wäre auch nur ein Nest. Menschen mit weiterem Herzen dagegen sprechen von einem Städtchen, mehr noch, von einem Ferienparadies. Soviel Ruhe, soviel Wiesen und Wälder ringsum …

    Ein Rathaus hat Orte und einen Marktplatz mit Katzenkopfpflaster, kleine Läden, fast alle privat, niedrige Häuser, oft katenähnlich, an ihren Fenstern meist Außenspiegel, die Straßen von rechts und links reflektierend, das Interesse der Leute – ihr öffentliches Interesse – bekundend, die in den Stuben zu Hause sind.

    Am Rande des Städtchens dann Lauben in Gärten, auch mehr oder minder stabile Häuschen mit zwei Zimmern, drei oder vier. Wenn dort die Schornsteine rauchen, so ist das beinahe Teil der Natur, wie ein Angebot für Poesie.

    Marga und Gerhard Werker wohnen hier schon ein Vierteljahrhundert. Sie ist zwei Jahre älter als er, vierundsiebzig inzwischen. Aber ihr Kopf: volles Haar und Wasserwelle, wie aus dem Ei gepellt! Selbst ihr Arbeitskittel hat Chic: wie sie ihn gürtet und wie er ihr sitzt.

    Gerhard Werker will kontrastieren, trägt das dünne Haar strähnig und stopplig das Kinn. Nach allem möglichen riecht sein Zimmermannsanzug, nach Hühnermist unter anderm und seit langem nicht mehr nach Holz. (Verwittert die Fensterluken, morsch und halb liegend der Gartenzaun.) Doch seine Augen sind wach, frech und listig, erinnern an einen Fuchs.

    Werkers hängen Bettwäsche auf im Garten. Gerhard läßt eben ein Laken schleifen: nicht mehr, als er letztlich verantworten will.

    Da ist Marga verärgert. »Na, was stellst du dich an!«

    Zänkisch blickt er auf ihre Frisur. »Ich! Wer sonst, wenn nicht ich! Kein Wunder, wenn man kaum was zu beißen kriegt! Nichts Warmes …! »

    Fäuste macht sie, haut sie sich in die Hüften: »Ach, und die Wäsche wird wohl von selbst?«

    »Red mir nichts ein! Weil du eitel bist wie …, na, wie so’n Früchtchen. Egal weg hockst du rum beim Frisör!«

    Freundlich wird sie, die Unschuld selbst. »Das fünfte Mal war es heute.«

    Er kontert sofort: »Ja, in fünf Tagen!«

    »Hm – wenn du die zehn dazwischen vergißt.«

    Soviel Sanftmut entwaffnet ihn. Dabei ist er einen Kopf größer als sie, vom breiteren Kreuz erst gar nicht zu reden. Zerknirscht pfropft er die Wäscheklammern auf, eine zerbricht ihm unter der Hand, er wirft sie fort und spuckt hinterher. Kann sein, sie hat das bemerkt, aber sie zeigt es nicht. Überredend lenkt sie nun ein: »Schimpf nur mit mir, hast ja recht …Andererseits – du machst es mir nicht weniger schwer; zieh dich endlich ordentlich an. Schließlich kann es jeden Tag sein.«

    Er stutzt, er stopft seine Fäuste in die Taschen der Zimmermannshosen. »Ach, auch noch rausputzen für den Herrn! Nein, du, niemals! Der geht mich nichts an!«

    Jetzt zittert er. Jetzt ist ihm – das sieht sie – überhaupt nicht nach Streiten zumute. Zu oft und immer aus diesem Grunde hat sie ihn in Nächten weinen hören.

    Absichtlich läßt sie einen Bettbezug fallen. »Da hast du’s – die Neunmalklugen sind doppelt dumm.«

    Er hat ihre Worte nicht registriert. So wartet sie nicht, bis er ihr abermals hilfreich ist, klemmt allein die Wäsche fest, streckt die Arme, verzieht keine Miene wegen der Schmerzen in den Gelenken und ist minutenlang still. Ihr Alter, ihr Gerhard, räuspert sich, brubbelt: »Wie sieht er denn aus?«

    »Wie schon«, sagt sie und freut sich und nimmt ein bißchen Rache an ihm.

    »Entschuldige! Ich glaubte, daß ich mal fragen darf.«

    »Natürlich darfst du.« Sie zuckt mit den Schultern, mißt dem Gespräch – dem Anschein nach – nur geringe Bedeutung bei. »Hättest ja mal mitkommen können – all die Jahre.«

    Was weißt denn du von den Jahren, möchte er sagen, was weißt denn du überhaupt von mir! Doch er sagt nichts, er schluckt. Weil sie sehr wohl weiß, weil es sie immer auch selbst betraf.

    Ruhig sagt sie: »Es wär sogar deine Pflicht gewesen – deine einfache menschliche Pflicht.«

    »Meine Pflicht.« Gedankenschwer nickt er. »Und seine? Wo war seine Pflicht mir gegenüber? Seine einfache menschliche Pflicht?«

    Seine Gedanken spulen zurück: In Pommern war er eingeschult worden, als Arme-Leute-Junge, in Rekow, einem Zweihundert-Seelen-Nest. Zur Einsegnung die ersten Schuhe, zwei Nummern zu groß. Jahrzehnte sollten sie

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