Die Königshalle in Lorsch: Wiedergeburt der Antike im frühen Mittelalter
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Anliegen des Buchs ist es, über eine Zusammenstellung der historischen Fakten hinaus die Königshalle in den größeren Zusammenhang jener Zeit im 8./9. Jahrhundert zu stellen, die sich u.a. untrennbar mit dem Namen Karls des Großen verbindet. In dieser Zeit wurde eine neue Kultur geboren, die bis heute die Kultur des Abendlands genannt wird.
Erstmals setzt der Autor neben der sorgfältigen wissenschaftlichen Darstellung auch erzählerische Mittel ein, um aus den nüchternen, historischen Daten eine Geschichte werden zu lassen, die die Vorstellung anregt und den Fakten Leben einhaucht.
Das Buch ist Teil der Reihe "einblicke - Kunstgeschichte in Einzelwerken", die jeweils einzelne Kunstwerke aus der gesamten abendländischen Kunstgeschichte zum Thema hat. Band 2 handelt von einem Werk von Paul Gauguin (Erscheinungsdatum: Oktober/November 2015), Band 3 stellt ein Tafelbild von Jan van Eyck vor (Dezember 2015).
Christof L. Diedrichs
Christof L. Diedrichs ist promovierter Kunsthistoriker und als solcher u.a. als freier Autor tätig. Seit einer Reihe von Jahren engagiert er sich besonders aktiv in der Erwachsenenbildung. Von 2008 bis 2014 war er Leiter und Dozent für Kunstgeschichte an der Victor-Klemperer-Akademie, Freiburg i.Br. ("Studium 50plus"). In dieser Zeit hat er ein neues Konzept der Auseinandersetzung mit Kunst für interessierte Laien entwickelt, dessen Grundlage die selbstbewusste, reflektierte Aktivität des Betrachters gegenüber der oft begegnenden Fixiertheit auf erklärende Literatur ist. Über die Buchreihe macht er dieses Konzept auf gut verständliche Weise einem größeren Publikum zugänglich.
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Book preview
Die Königshalle in Lorsch - Christof L. Diedrichs
INHALT
Einleitung – Über die Betrachtung von Kunstwerken
Die sog. Königshalle in Lorsch
Außenbau –Das Innere
Herkunft der Formen
Geschichte des Klosters Lorsch
Datierung der Königshalle –Funktion
Kunst im Kontext
Renovatio Imperii Romanorum–Die Karolinger und die römische Antike –Mehr als nur Kopien: Spolien –Karolingischer Bronzeguss –Fazit –… und in Lorsch?
Wie es sich im Jahr 880 hätte zutragen können
Anhang
Die weitere Geschichte des Klosters Lorsch und der Königshalle
Literatur zur sog. Königshalle
Abbildungen
Abbildungsnachweis
Glossar – Erklärung von Fachbegriffen
Dank
Die Reihe „einblicke – Kunstgeschichte in Einzelwerken"
EINLEITUNG
ÜBER DIE BETRACHTUNG VON KUNSTWERKEN
Wir sind es gewohnt, angesichts eines Kunstwerks, wenn es älter als ein paar hundert Jahre ist, in Ehrfurcht zu erstarren. Mit der Erstarrung geht das Eingeständnis einher, dass wir zu wenig wissen über Zeit und Zusammenhänge der Entstehung eines solchen Kunstwerks. Folglich werfen wir nur einen kurzen, oberflächlichen Blick darauf, finden – erwartungsgemäß – keinen oder keinen befriedigenden Zugang und sehen uns stattdessen nach der Möglichkeit um, auf einem Faltblatt oder im Rahmen einer Führung mehr zu erfahren. Eine Erschließung des Kunstwerks, so glauben wir, gehe nur unter Anleitung von Fachleuten, denen wir im Übrigen während ihres Vortrags nahezu blind glauben.
Selbstverständlich ist das nicht ganz falsch: Ein so unglaublich altes Kunstwerk wie beispielsweise die Königshalle in Lorsch – auch bekannt als die „Lorscher Torhalle" – erschließt sich nicht von selbst. Es verbinden sich Geheimnisse mit ihr, welche demjenigen verborgen bleiben, der nicht die entsprechenden Fragen zu stellen weiß; und auch die Antworten auf diese Fragen kann sich niemand aus den Fingern saugen.
Und doch könnten wir wesentlich weiter gehen bei der Beschäftigung mit dem Kunstwerk, ohne sogleich den Blick abwenden und nach Hilfe in schriftlicher oder mündlicher Form suchen zu müssen.
Wie das gehen kann, nennen wir eine Methode. Methoden zur Betrachtung und Deutung von Kunstwerken gibt es zuhauf, aber sie werden nur von Fachleuten angewandt. Der ‚Laie‘, der diese Methoden in der Regel nicht kennt, fühlt sich meist zurückgeworfen auf die Frage des Gefallens, gibt sich allzu häufig zufrieden mit der Beurteilung, ob etwas schön sei oder hässlich.
Tatsächlich ist diese Reaktion besonders angesichts von Architektur durchaus begründet. Architektur, ob mittelalterliche oder zeitgenössische, ist lesbar wie eine Sprache, und wer deren Bestandteile und Regeln nicht kennt, steht vor ihr wie vor einem chinesischen Schriftzeichen: Es macht, so glauben wir, kaum Sinn, dessen Einzelteile genau zu betrachten, wenn man weder weiß, wie es funktioniert, noch was es bedeutet. Es bedarf in diesem Fall also durchaus der Erklärung.
Andererseits aber ist uns ein chinesisches Schriftzeichen, recht betrachtet, wesentlich fremder als ein Bauwerk im ‚Alten Europa‘, das immerhin unserer eigenen, vertrauten Kultur angehört. Und schließlich ist es selbst beim Erschließen eines so fremden, chinesischen Schriftzeichens unerlässlich, dass wir zunächst, noch bevor wir nach seiner Bedeutung fragen, sehr genau hinschauen. Hinsehen ist die notwendige Voraussetzung für Verständnis. Wer eine fremdsprachige Inschrift entziffern will, muss sie zunächst lesen.
Für das Hinsehen aber ist wichtig, dass der Sehende um seine kulturelle Prägung weiß. Sehen ist keine rein körperliche Tätigkeit, der Geist des Sehenden und seine Prägung durch Erziehung und Bildung ist wesentlich mit daran beteiligt. „Man sieht nur, was man weiß", soll Goethe sinngemäß gesagt haben,¹ und auch Antoine de Saint-Exupérys geflügeltes Wort über das Sehen mit dem Herzen² gehört in diesen Zusammenhang, denn es zeigt, welchen Einfluss Gefühle und Vorwissen des Sehenden auf den Akt des Sehens haben. Man kann mit und ohne Brille alles rosarot oder auch schwarz sehen, wir alle wissen, dass das nichts mit der äußeren, physikalisch wahrnehmbaren Wirklichkeit zu tun haben muss.
Wenn der Satz „Man sieht nur, was man weiß" wirklich stimmen würde, wäre jede Form von Wissenschaft – die durch Beobachtung Wissen schafft – sinnlos. Hätte Goethe recht mit seinem allzu eingängigen Aphorismus, dann gäbe es keinen Erkenntnisfortschritt auf dem Weg der Beobachtung. Dann wäre das Sehen rein reproduzierend und würde nichts weiter bewirken, als das Vorwissen des Sehenden zu bestätigen.
Tatsächlich spricht Goethe hier nur von einer besonders verbreiteten Art des Sehens, die entsteht, wenn der Sehende über das Sehen nicht nachdenkt. Diese Art des Sehens ist vor allem bei kunstinteressierten Laien weit verbreitet, die in der Betrachtung von Kunst nicht selten eine willkommene Gelegenheit sehen, ihre umfassende Bildung zu demonstrieren. Dabei steckt in jedem Kunstwerk ein ‚Mehrwert‘, etwas, das über das schon Bekannte hinausgeht. Kein Bild der Kreuzigung Christi beispielsweise erzählt nur die Kreuzigung Christi nach. Es steckt immer etwas Neues darin und eben darin liegt die spezifische Botschaft dieses Bilds.
Sehen hat also notwendigerweise zwei Aspekte: