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Apfelwein trifft Weissbier
Apfelwein trifft Weissbier
Apfelwein trifft Weissbier
Ebook268 pages3 hours

Apfelwein trifft Weissbier

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About this ebook

»Auf der mit Naturstein gepflasterten Fläche standen zwei Steinbänken und auf einer davon saß die Tote, als würde sie den Ausblick in den künstlichen Dschungel genießen.«

Ein toter Bräutigam in einem Silberbergwerk im Bayrischen Wald. Eine Hinrichtung im Vordertaunus. Und eine weibliche Leiche im Palmengarten. Eigentlich wollte Kommissarin Jenny Becker mit ihrem neuen Freund - Staatsanwalt Biederkopf - einen gemütlichen Urlaub in Bayern verbringen, aber die drei Mordfälle scheinen auf mysteriöse Weise miteinander verknüpft zu sein. Ein Krimi um Liebe und Liebhaber, verbotene Stimulanzien und Vergangenheitsbewältigung. Und ein neuer Fall für Jenny Becker, der nicht nur ihr unter die Haut geht …
LanguageDeutsch
PublisherConte Verlag
Release dateNov 9, 2015
ISBN9783956020797
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    Book preview

    Apfelwein trifft Weissbier - Andrea Habeney

    Verlag

    If a writer falls in love with you, you will never die…

    Dich zu treffen war Schicksal,

    dich zu lieben ist Mut,

    dich zu bekommen ist Geduld,

    dich zu haben ein Traum

    und von dir geliebt zu werden ein Wunder …

    Kommissarin Jenny Becker beschattete mit der Hand ihre Augen gegen das gleißende Sonnenlicht. Ihr Blick schweifte über das Gebirgsmassiv, dessen höchste Erhebung, der Große Arber, in der Ferne sichtbar war.

    Als sie eine Berührung an ihrer Schulter spürte, ließ sie die Hand sinken, drehte sich um und lächelte Michael Biederkopf an. Es war ihr erster gemeinsamer Urlaub. Obwohl sie sich schon einige Jahre kannten, hatten sie und der Staatsanwalt erst vor Kurzem zueinander gefunden. Beide litten noch unter den Nachwirkungen des kürzlich abgeschlossenen Falls.

    Ihre Beziehung war auf eine harte Probe gestellt worden, hatte sie jedoch mehr oder weniger unbeschadet überstanden. Nichtsdestotrotz ließen sie es langsam angehen und näherten sich einander eher vorsichtig an. Zu Hause in Frankfurt hatten sie sich überwiegend am Wochenende getroffen, und Michael war nur zweimal über Nacht geblieben. Jetzt im Urlaub, ohne äußere Störfaktoren, wollten sie sich wieder näher kommen.

    Ein Münchner Kollege, der seit Jahren in Frankfurt lebte, hatte ihnen Bodenmais, einen kleinen Ort im Bayerischen Wald, empfohlen.

    Heute war ihr vierter Tag, sie waren mit dem Bus zur Talstation der Seilbahn gefahren, hatten sich von dieser zum Gipfel bringen lassen und wollten nun zu Fuß zurück ins Tal wandern.

    Heiß war es, und sie legten immer wieder Pausen ein und genossen die endlose Aussicht über Bergketten und Täler.

    An einer Berghütte machten sie eine längere Rast und tranken zwei Radler. Jenny rieb sich die Waden. »Man merkt, dass ich zu viel im Büro sitze und zu wenig Sport treibe.«

    Michael lächelte. »Das werden wir in Zukunft ändern!«

    Sie sah ihn gespielt missmutig an. »Warum wusste ich, dass du das sagen würdest?«

    »Weil du mich kennst!«

    Sie antwortete nicht. Zu frisch war in ihrem Gedächtnis noch die Zeit, als Michael Biederkopf plötzlich verschollen war und sie befürchten musste, ihn in Wirklichkeit gar nicht zu kennen. Auch wenn sie inzwischen wusste, dass er sie nicht hintergangen hatte, blieb doch ein Gefühl der Unsicherheit.

    Er deutete ihren Gesichtsausdruck richtig und seufzte. »Komm, lass uns weitergehen!« Energisch griff er ihre Hand und zog sie hoch.

    Gegen Abend erreichten sie den Ort. Dunkle Wolken zogen am Himmel auf, und sie waren erleichtert, als sie wenig später trocken die Lobby des Hotels betraten. Erstaunt sah Jenny sich um. »Was ist denn hier los?«

    Die Eingangshalle war voller Menschen in festlicher Kleidung. Der Geräuschpegel war erheblich, und Jenny konnte ärgerliche Stimmen ausmachen.

    Michael holte an der Rezeption den Zimmerschlüssel. »Laut dem Concierge handelt es sich um eine Hochzeitsgesellschaft, die eigentlich draußen im Garten feiern wollte. Jetzt wo das Wetter überraschend umgeschlagen ist, sind sie nach drinnen gekommen. Das Hotelpersonal hat wohl nicht schnell genug reagiert und deckt gerade erst den Saal ein.«

    Jenny schüttelte den Kopf. »Lass uns nach oben gehen. Das ist mir zu viel Trubel!«

    Auf dem Weg zum Fahrstuhl mussten sie sich durch die Menge drängen. Jenny trat auf etwas Rutschiges und verlor das Gleichgewicht. Sie hörte einen spitzen Aufschrei und kippte gleichzeitig nach hinten.

    Michael fing Jenny auf, und sie blickte in das erschrockene Gesicht einer jungen Frau in einem üppig verzierten Brautkleid. Einen Moment verstand Jenny nicht, was geschehen war, dann sah sie jedoch den Schleier, den die junge Frau an sich raffte.

    »Oh je, ich wollte nicht drauftreten. Aber in dem Gedränge …«

    Die Braut lächelte fröhlich. »Nichts passiert. Ich bin nur erschrocken, als ich plötzlich gestoppt wurde. Schönen Abend noch!«

    Mit diesen Worten verschwand sie in der Menge. Jenny und Biederkopf setzten ihren Weg fort und erreichten unbeschadet den Aufzug. Erleichtert stiegen sie ein und fuhren nach oben. Auf dem Zimmer zog Jenny die Schuhe aus und rieb sich die Zehen. Michael warf sein Hemd auf einen Stuhl und meinte mit einem Zwinkern: »Ich gehe duschen, kommst du mit?«

    Jenny zuckte zurück. »Ich will noch rasch einen Anruf erledigen.«

    Er nickte enttäuscht und verschwand im Bad. Jenny fluchte leise. Warum hatte sie einen Rückzieher gemacht? Nichts wäre ihr lieber gewesen als eine gemeinsame Dusche. Aber immer war da die Angst, die Angst, sich wieder voll auf jemanden einzulassen. So wird das nichts, schalt sie sich. Du vermasselst alles.

    Damit ihre Täuschung nicht auffiel, musste sie jetzt tatsächlich jemanden anrufen. Sie sah auf die Uhr. Kurz nach fünf. Vielleicht waren ihre Kollegen noch im Büro. Sie nahm ihr Handy, wählte, und nach zweimaligem Klingeln meldete sich Logo.

    »Hi, ich wollte nur mal hören, ob ihr ohne mich zurechtkommt«, fragte sie gespielt fröhlich.

    »Schwierig«, meinte Logo. »Wenn man erst zwanzig Jahre bei der Polizei ist, so wie ich, kennt man sich noch nicht so gut aus.«

    Jenny lachte. »Eben, das macht mir Sorgen! Aber frag mich ruhig, wenn du was nicht weißt!«

    »Alles klar! Wie ist der Urlaub? Und wie läuft es mit deinem Staatsanwalt?«

    »Beides gut. Ich meld mich wieder. Grüß den Kleinen!«

    »Mach ich. Tschau!«

    Bei dem Kleinen handelte es sich um Sascha Meister, den Jüngsten im Team, der nicht wegen mangelnder Erfahrung, sondern wegen seiner Körpergröße von über einem Meter achtzig Kleiner genannt wurde.

    Jenny ließ sich zurücksinken und horchte auf das Geräusch der Dusche. Sie freute sich schon auf die Zeit nach dem Abendessen. Vielleicht würden sie noch an der Bar etwas trinken und Musik hören. Dann würden sie auf ihr Zimmer gehen und dann …

    Michael kam aus dem Bad, seine Haut war noch feucht und von der Hitze gerötet. Schnell stand sie auf und ging an ihm vorbei. Nachdenklich sah er ihr nach.

    Als sie eine gute Stunde später zum Abendessen hinuntergingen, erlebten sie eine Überraschung. An der Tür zum Speisesaal stand der Kellner, der sie am Abend zuvor bedient hatte, und rang die Hände.

    »Wir haben ein Problem mit Ihrem Tisch«, teilte er ihnen verlegen mit. »Die Hochzeitsgesellschaft, Sie verstehen? Das Wetter.«

    Jenny verstand gar nichts und sah mit hochgezogenen Brauen zu Michael, der nachhakte. »Was ist denn los? Haben Sie etwa keinen Platz für uns?«

    »Doch, natürlich. Aber Sie müssten sich einen Tisch teilen. Ich bin untröstlich, aber es ist nur für heute Abend. Es kamen viel mehr Gäste zu der Hochzeit als angekündigt, und wir können sie ja nicht wegschicken. Sie könnten auch am Buffet teilnehmen.«

    Biederkopf verzog ärgerlich das Gesicht. »Es wird doch möglich sein, einen Tisch für zwei Personen zu organisieren.«

    Der Kellner bekam einen hochroten Kopf. »Leider nicht. Aber ich könnte Ihnen einen sehr schönen Platz anbieten. Am Fenster.«

    Michael wandte sich an Jenny. »Sollen wir woanders hingehen? Auf die Halbpension kann ich gerne verzichten.«

    Der Kellner rief dazwischen. »Sie müssten für das Hochzeitsbuffet natürlich nichts extra bezahlen!«

    Jenny spähte unschlüssig an ihm vorbei in den Speisesaal. Er war voll, die Stimmung schien gut zu sein. Das Personal hatte den Saal noch in letzter Minute festlich geschmückt. Auf den weiß gedeckten Tischen standen Blumenbouquets, und Kristallgläser fingen das Licht der altmodischen Kronleuchter ein. Es roch nach Essen, und das Wasser lief ihr im Mund zusammen.

    »Lass uns doch hierbleiben«, meinte sie. »Nach der Wanderung hab ich einen Bärenhunger. Bis wir woanders etwas gefunden haben …«

    Er nickte. »Wie du möchtest.«

    Der erleichtert wirkende Kellner führte sie an eine lange Tafel, an der bereits zehn festlich gekleidete Personen saßen. An ihrem Ende – in der Nähe des Fensters – waren drei Plätze frei. Sie grüßten die Hochzeitsgäste, die fröhlich zurückgrüßten, und setzten sich. Der Ober blieb neben ihnen stehen. »Ein Glas Champagner vielleicht? Heute sind alle Getränke im Preis inbegriffen.«

    Biederkopf sah Jenny fragend an. Sie winkte verlegen ab. »Ehrlich gesagt hätte ich lieber ein Helles.«

    Michael nickte. »Zwei.«

    Sie lächelte ihn an. »Ich kann Champagner nicht ausstehen.«

    Er beugte sich verschwörerisch vor. »Ich ebenso wenig.«

    Als die Hellen kamen, tranken sie einen ordentlichen Schluck und machten sich anschließend daran, das Buffet zu plündern.

    Als sie von ihrem zweiten Buffetgang zurückkamen, saß die Braut auf dem freien Stuhl neben ihnen. Von Nahem sah sie nicht mehr so jung aus, wie Jenny zunächst gedacht hatte. Sie schien eher um die dreißig zu sein.

    »Ich war so frei«, meinte sie strahlend. Ihre Wangen waren gerötet, ob vor Aufregung oder vom Champagner war schwer zu sagen. »Wir bringen hier alles durcheinander. Ich wollte mich entschuldigen!«

    Jenny winkte ab, und Michael ließ seinen Charme spielen. »Das macht doch nichts. Im Gegenteil, wir profitieren ja in erheblichem Maß von Ihrer Feier. Sie sind übrigens eine wunderhübsche Braut!«

    Jenny bestätigte die Aussage: »Ein tolles Kleid!«

    Die Braut strahlte noch mehr. »Ja, nicht wahr? Sind Sie auch verheiratet?«

    Jennys merkte, wie sie rot wurde, doch Michael reagierte souverän. »Nein, wir sind erst seit Kurzem ein Paar.«

    Die Braut nickte verständnisvoll. »Ach so. Ich bin übrigens Carolin Bergmann, das heißt ab morgen Carolin Steinbach!«

    »Ab morgen?«, erkundigte sich Jenny.

    »Die standesamtliche Trauung ist erst morgen. Wir heiraten im Silberbergwerk. Das wird sicherlich fantastisch. Waren Sie schon dort?«

    Bevor Jenny etwas sagen konnte, meinte Michael: »Noch nicht, aber wir wollen es uns auf jeden Fall anschauen.«

    Jenny hielt die Luft an und wartete, dass das Unheil seinen Lauf nehmen würde. Und natürlich tat es das: Carolin war begeistert. »Dann müssen Sie unbedingt morgen mitkommen. Sie sind herzlich eingeladen. Bei einer Hochzeit wird der ganze Stollen mit Kerzen erleuchtet. Es soll fantastisch aussehen! Bitte sagen Sie ja! Es gibt einen Imbiss und Getränke und auf Wunsch eine kleine Führung. Dann kann ich mich für Ihr Verständnis heute revanchieren. Sie müssen kommen! Bitte!«

    Biederkopf sah unbehaglich zu Jenny. Er wusste, dass sie größere Menschenansammlungen nicht mochte und lieber mit ihm allein das Bergwerk besichtigt hätte. Jenny nickte ihm unmerklich zu. Es war unmöglich, jetzt abzusagen, ohne die junge Braut zu kränken. Auf die Schnelle fiel ihr keine Ausrede ein. »Wir freuen uns und kommen natürlich gerne.«

    Carolin klatschte wie ein kleines Mädchen in die Hände und stand auf. »Wir treffen uns morgen um elf Uhr am Eingang des Stollens. Jetzt muss ich meinen Bräutigam suchen. Bis dann!«

    Als sie außer Hörweite war, beugte sich Michael vor. »Tut mir leid. Das war nicht gerade geschickt von mir.«

    Jenny lächelte. »Ach, egal. Vielleicht wird es ganz schön.«

    Pünktlich fanden sie sich am nächsten Vormittag vor dem Stollen ein. Eine kleine Menschenansammlung wartete dort bereits, und zwei junge Frauen verteilten gefüllte Sektgläser. Jenny nahm ihres widerwillig. »Um die Uhrzeit Sekt! Da ist mit mir den ganzen Tag nichts mehr anzufangen.«

    Biederkopf beugte sich zu ihr und flüsterte: »Nipp einmal und gib mir den Rest.«

    Um Punkt elf Uhr öffnete sich wie von Zauberhand der Eingang des Stollens. Es war dunkel darin. Die Gruppe der Wartenden drängte heran, wurde jedoch von einem älteren Mann in einem Bergmann-Kostüm aufgehalten. Mit Grabesstimme sprach er ein paar Worte über die Geschichte des Stollens. Dann winkte er sie näher und drehte sich um, um voranzugehen. Als er über die Schwelle trat, wurden im Gang nacheinander Fackeln entzündet.

    Der Effekt war beeindruckend. Unwillkürlich fühlte Jenny, wie sie sich in Bewegung setzte, um den geheimnisvoll wirkenden Tunnel zu betreten. Sie zwang sich zu warten, bis alle anderen in der schwach erleuchteten Höhle verschwunden waren, dann folgten Biederkopf und sie Hand in Hand.

    Der Stollen wand sich kurvenreich in die Tiefe. Sie hielten einige Meter Abstand, und oft verloren sie die anderen Hochzeitsgäste aus dem Blick.

    Die Atmosphäre war unbeschreiblich. Das flackernde Licht erhellte die unregelmäßigen steinernen Wände nur unzureichend. Die Luft war kühl und feucht. Jenny erinnerte sich, dass sie durch die Filterwirkung der langen Stollen ausgesprochen rein war. Es musste hier sogar einen Therapiestollen geben, wo sich Asthmatiker stundenweise aufhielten und auf eine Besserung ihrer Beschwerden hofften.

    So faszinierend es war, so bedrückend empfand Jenny die Enge. Sie erschauderte, und Biederkopf drückte ihre Hand. Er beschleunigte seinen Schritt. »Komm, wir verlieren die anderen.«

    Er hatte recht. Der Rest der Hochzeitsgesellschaft war kaum mehr zu hören. Sie gingen rasch weiter, und die Stimmen wurden wieder lauter. Nach mehreren Minuten erweiterte sich der Stollen zu einer großen Höhle.

    Hier sollte offensichtlich die Hochzeit stattfinden. In der Mitte war ein Holztisch aufgebaut, auf dem eine dicke Kerze brannte. Daneben lag ein aufgeschlagenes Buch. Hinter dem Tisch stand ein älterer, großgewachsener Mann in einem dunkelgrauen Anzug, vermutlich der Standesbeamte.

    Er sah prüfend über die Menge. »Es scheint, als wären alle Gäste eingetroffen. Bitte stellen Sie sich hinter dem Brautpaar auf.«

    Jenny reckte sich und konnte die Braut gerade so erkennen. Neben ihr stand ein etwas grobschlächtiger Mann Mitte dreißig mit einem Bürstenhaarschnitt. Das musste der Bräutigam sein.

    Eine junge Frau in einem pinkfarbenen kurzen Kleid und ein pickliger junger Mann, der dem Bräutigam ähnlich sah, schienen als Trauzeugen zu fungieren.

    Jenny und Michael hielten sich im Hintergrund und bekamen kaum etwas von der Zeremonie mit. Die Stimmen trugen in dem gewölbeartigen Raum zwar weit, brachen sich aber an den Felsen, sodass sie nur wenige Worte verstanden. Jenny fühlte sich unbehaglich. Eigentlich gehörten sie gar nicht hierher. Zum Glück dauerte die Zeremonie nur wenige Minuten. Mit tragender Stimme erklärte der Standesbeamte die beiden zu Mann und Frau, und nach dem obligatorischen Kuss drehte sich die Braut zu den Gästen um.

    »Im Nachbarraum, pardon, in der Nachbarhöhle, ist ein kleines Buffet aufgebaut. Wenn ihr möchtet, könnt ihr euch jetzt auch im Bergwerk umsehen. Es stehen einige Mitarbeiter bereit, um euch alles zu zeigen.«

    Jenny schubste Michael. »Sollen wir verschwinden?«

    Er zögerte. »Wir wollten doch das Bergwerk besichtigen.«

    »Aber nicht mit so vielen Leuten.«

    Er winkte ab. »Das verläuft sich. Die meisten kommen doch hier aus dem Ort und kennen das Bergwerk. Sicher rennen sie direkt zum Buffet! Schau, es ist kaum mehr jemand zu sehen.«

    Er hatte recht. Die letzten Gäste verschwanden gerade durch einen der Tunnel. Michael durchquerte, gefolgt von Jenny, den Raum und sah auf das kleine Schild neben dem nächsten Durchgang. Zur Wilddiebhöhle. Sie ließen ihn links liegen und gingen zu einer weiteren Öffnung in der Mauer. Hier hing ebenfalls ein Schild, das jedoch alt und kaum noch lesbar war.

    Michael grinste Jenny an. »Hier ist auf jeden Fall niemand reingegangen, wollen wir?«

    Sie erschauderte gespielt. »Und wenn wir hier drinnen auf Nimmerwiedersehen verschwinden?«

    Er grinste noch breiter. »Feigling!«

    »Das lasse ich nicht auf mir sitzen. Los!« Sie schob ihn voran, und sie liefen hintereinander in den schmalen Gang.

    Es wurde rasch dunkler. Die Fackeln endeten nach einigen Metern, und als der Gang einen Knick machte, konnte Jenny kaum noch die Hand vor Augen erkennen. Sie blieb stehen und sah Michael an. »Vielleicht war es doch keine so gute Idee, hier entlangzugehen. Im Dunkeln kommen wir nicht weit.«

    Biederkopf kramte etwas aus seiner Bauchtasche hervor. »Voilà.« Er hielt eine schmale Stabtaschenlampe in der Hand und knipste sie an.

    Jenny musste lachen. »Du warst wohl bei den Pfadfindern?«

    Er salutierte mit der Hand, die die Lampe hielt, sodass das Licht über die Wände aus Felsgestein jagte. »Fähnlein Fieselschweif, allzeit bereit!«

    Jenny musste noch mehr lachen und boxte ihn. »Trotzdem können wir hier nicht weiter. Nachher fallen wir noch irgendwo runter.«

    »Ach was. Vorne war doch ein Hinweisschild. Irgendwo muss der Weg hinführen, und wo Besucher Zugang haben, wird wohl kaum Absturzgefahr bestehen.«

    Jenny sah zweifelnd nach vorne. »Wahrscheinlich stand auf dem Schild Zugang verboten«, murmelte sie, setzte sich aber in Bewegung. Der Gang war hier etwas breiter. Biederkopf hielt sich dicht neben ihr und leuchtete den Weg aus. Jenny schmiegte sich an ihn.

    Unheimlich war es. Die kleine Lampe erhellte den Weg nur unzureichend. Ab und zu fiel das Licht auf einen vorstehenden Felsen, ansonsten lag alles im Dunkeln. Der Gang wand sich endlos lange durch den Berg. Jenny sah nach oben. Es war unmöglich zu erkennen, wo die Decke begann. Sie dachte an die unzähligen Tonnen Felsgestein, die über ihren Köpfen hingen, und schauderte. Biederkopf legte den Arm um sie.

    Jenny drückte sich gegen ihn. Trotz oder gerade wegen des wohligen Grusels, der sie befallen hatte, genoss sie den Ausflug mit Michael in die Dunkelheit der Höhlen. Ganz allein waren sie hier. Da konnte alles geschehen. Sie lächelte in sich hinein. Schade, dass hier überall nur harter Felsboden war.

    Das Licht von Biederkopfs Lampe machte einen Schwenk nach links, und Jenny blieb erschrocken stehen. »Wo ist die Wand hin?«

    Michael griff sie am Arm. »Pass auf. Hinter dem Geländer geht es steil runter.«

    Jenny trat einen Schritt zurück. »Tut mir leid, aber ich kann das nicht. Da hört der Spaß auf. Du weißt, ich hab es nicht so mit großen Höhen. Dazu noch im Dunkeln. Wenn einer von uns ausrutscht …«

    Er zog sie wieder an sich. »Ich passe auf dich auf. Nur noch ein kleines Stück.«

    Sie sah zu ihm hoch. »Du weißt, wo es hingeht? Du hast das alles geplant!« Anklagend stach sie den Finger in seine Brust.

    »Aua. Zugegeben, ich habe mir vorher den Plan des Bergwerks angeschaut. Wir sind gleich am Ziel.«

    »Okay, ich bin gespannt.« Jenny ließ ihn los und hielt sich an die rechte Stollenwand. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Biederkopf hielt sich dicht hinter ihr.

    Nach einigen Metern weitete sich der Gang. Der Hall ihrer Schritte änderte sich, und Jenny hatte das Gefühl, die Decke würde sich entfernen. Das Geländer links verschwand außer Sichtweite, und rechts tauchte an der Wand eine Fackel auf. Biederkopf ging auf sie zu und inspizierte sie. »Elektrisch, wie ich dachte«, murmelte er und tastete an der Halterung. Kurz darauf ging ein diffuses gelbliches Licht an, das den Raum nur in geringem Umkreis erleuchtete. Neugierig sah Jenny sich um. Am Rande des Lichtkreises konnte sie schemenhaft mehrere Liegen erkennen, alle in einer Reihe exakt ausgerichtet. »Das ist der Therapieraum, richtig? Für die

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