Auf Siddhartas Spuren: Reisen zu den heiligen Stätten des Buddhismus
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Book preview
Auf Siddhartas Spuren - Frankfurter Allgemeine Archiv
978-3-89843-158-3
Einführung
Von Hans Peter Trötscher
Steinig und reich an Hindernissen ist der Pfad der Erleuchtung; langwierig die Befreiung aus schädlichen körperlichen und mentalen Verstrickungen. Nicht Selbstverwirklichung, sondern die Überwindung des Ich ist das Ziel buddhistischer Lehren. Diese Tatsachen ignorieren viele in ihrer unreflektierten Begeisterung für den Dalai Lama oder die esoterisch schicke Oberfläche fernöstlicher Philosophien. Wer den Anspruch und die spirituelle Tiefe des Buddhismus erfahren will, sollte sich also auf den Weg nach Asien begeben.
»Auf Siddhartas Spuren« nimmt den Leser mit zu den faszinierenden Schauplätzen des alten und des zeitgenössischen Buddhismus. Folgen Sie uns in ein japanisches Zen-Kloster, auf den heiligen Berg Koyasan und zum legendären tibetischen Kloster Ganden. Lesen Sie, wie das alte Lhasa täglich mehr vom modernen China überdeckt wird und entdecken Sie das buddhistische Ende der Welt am äußersten Rand des Himalaya. Begleiten Sie uns in das friedliebendste Land der Erde und erleben Sie Burma vor und nach der politischen Öffnung.
Tibet: Der große Buddha gebietet Schweigen
Glaube trotz Unterdrückung: Eine Pilgerfahrt zum Kloster Ganden in Zentraltibet
Von Peter Wittmann
Während sich über Lhasa noch der sternenklare Nachthimmel des tibetischen Hochlandes spannt, herrscht am Barkhor-Platz, dem zentralen Geviert vor dem Jokhang-Tempel, schon reges Treiben. Von überall her strömen Menschen, in den dürftig beleuchteten Straßen rund um den Tempel drängen sich Busse, Lastwagen und Taxis, und allerorten wird gebetsmühlenartig das Fahrtziel ausgerufen: Ganden. In Windeseile sind die Gefährte selbst für hiesige Verhältnisse gut besetzt. Nicht selten pressen sich in einen betagten Kleinbus zwei Dutzend Tibeter, Kinder kauern schlaftrunken auf dem Schoß ihrer Mütter, ein Junge drückt sich, quer über dem Armaturenbrett liegend, gegen die Frontscheibe, und im schmalen Mittelgang hocken einige Frauen auf mitgebrachten Holzschemeln.
Bald lässt man die Außenbezirke Lhasas hinter sich und erreicht die Brücke über den Kyichu, einen Nebenarm des Tsangpo, der Tibet von Westen nach Osten durchfließt, in tiefen Schluchten durch den Himalaja bricht und sich als Brahmaputra in den Golf von Bengalen ergießt. Im wechselnden Licht der aufgehenden Sonne geht die Reise nun durch intensiv genutztes Schwemmland. Bis an die schroffen Berghänge heran bedecken wogende Getreideäcker, leuchtende Rapsfelder und gepflegte Gemüsebeete fast lückenlos die weite Talsohle des Kyichu-Flusses. Von Pappelhainen gesäumte Uferstreifen und Kiesbänke ziehen vorüber, ab und an durchschneidet die Straße eine Ansammlung kubischer Lehmhäuser, festungsartig umschlossen von trutzigen Mauern.
Nach einer Stunde Fahrt verlässt man die befestigte Straße und biegt bei Taktse, einer größeren Ortschaft, auf einen ausgewaschenen Weg. Aufsteigende Nebelfetzen geben hin und wieder die Sicht frei auf eine endlose Fahrzeugkolonne, die sich mit zeitlupenhafter Geschwindigkeit die Serpentinen hinaufzieht. Am Ende der Karawane herrscht sogar völliger Stillstand. Manche der mit Menschen vollgestopften Lastwagen, Kleinbusse, Taxis, Dreiräder, Mopeds und Traktoren sind vom Terrain überfordert. Es wird rangiert, angeschoben, abgeschleppt, die dünne Luft ist erfüllt von schwarzen Rußwolken und dem beißenden Geruch heißgelaufener Kupplungen. Viele Menschen sind zu Fuß gekommen. Andere, denen die Schleichfahrt zu lange dauert, springen ungeduldig von den Fahrzeugen und ziehen, vorbei an zottigen Yaks, die von der Schnauze bis zum Schwanz mit bestickten Decken, Ringen, Messingplaketten und roten Wollquasten geschmückt sind, die steilen Bergwiesen hinauf. Sie alle wollen dabeisein, wenn in Ganden, der alten Klosterstadt hoch über dem Kyichu-Tal, das Thangka des Klosters, ein religiöses Gemälde von der Größe zweier Tennisplätze, entrollt wird.
Hinter einer der letzten Kehren, in fast viertausendfünfhundert Meter Höhe, taucht endlich wie eine Erscheinung das steinerne Ensemble ineinander verschachtelter Gebäude, steiler Treppenaufgänge und ummauerter Plattformen aus dem Morgennebel auf. Inmitten des kolossalen Amphitheaters schimmern die goldenen Tempeldächer im Licht der langsam höher steigenden Sonne. Erst auf den zweiten Blick fallen die von Gras und Gestrüpp überwucherten Ruinen ins Auge – stumme Zeugen eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte des Klosters.
Kaum eines der etwa sechstausend buddhistischen Heiligtümer Tibets war während der »Kulturrevolution« vor der Zerstörungswut der Roten Garden verschont geblieben, doch Ganden traf es besonders hart. Ein halbes Jahrtausend lang zugleich Kloster und Stadt, Universität und Handelsplatz, nahmen 1966 chinesische Soldaten im Kollektivwahn die Anlage zuerst unter schweres Artilleriefeuer, dann fielen Bomben. Innerhalb weniger Stunden war das Stammkloster des einflussreichen Gelbmützenordens, in dem zeitweise bis zu viertausend Mönche lebten, dem Erdboden gleichgemacht. Als die chinesische Besatzungsmacht in den achtziger Jahren begann, ihre rigide Unterdrückungspolitik schrittweise zu lockern, kehrte allmählich wieder Leben in den fast völlig zerstörten Mauern ein. Doch erst in den vergangenen Jahren ist ein Teil der einst bedeutendsten Tempelstadt Zentraltibets wieder aufgebaut worden. Argwöhnisch kontrolliert von chinesischen Sicherheitskräften, die in einem Posten innerhalb des Klosterbezirks stationiert sind, leben heute wieder einige hundert Mönche in Ganden.
Tibetische Holzfigur F.A.Z.-Foto / Eilmes
Die Lage ist weiterhin angespannt, Gängelungen durch die chinesischen Truppen und schikanöse Eingriffe in den Klosteralltag sind an der Tagesordnung. Immer wieder ist es deswegen zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und aufgebrachten Mönchen gekommen. Die bisher letzte große Konfrontation liegt vier Jahre zurück. Damals hatten sich die Mönche der Anordnung der chinesischen Behörden widersetzt, sämtliche Fotografien des Dalai Lama aus dem Kloster zu entfernen. Über Megaphone wurden die vierhundert Mönche, die sich auf dem Hauptplatz versammelt hatten, unter Androhung von Strafen aufgefordert, in ihre Räume zurückzukehren. Als die ersten Steine flogen, eskalierte die Situation. Die verängstigten Polizisten schossen zuerst in die Luft, dann – so Augenzeugen – auch auf Menschen. Mehrere Mönche wurden verwundet, zwei von ihnen sollen ihren Verletzungen später erlegen sein. In den darauffolgenden Tagen verhafteten die Chinesen hundert Mönche des Klosters und verstärkten drastisch ihre Militärpräsenz in dem Gebiet.
Heute ist von den Ereignissen jenes 7. Mai nichts zu spüren. In bunten Gruppen lagern Tausende von Menschen auf den Bergwiesen rund um das Kloster. Die Stimmung scheint heiter und ausgelassen, die Picknickteppiche sind mit Speisen und Getränken reichlich gedeckt. Zahllose Gebetsfahnen flattern im auffrischenden Wind auf einer kahlen Bergkuppe, die von den angereisten Pilgern auf einem spirituellen Rundgang, der »kora«, Gebete murmelnd umwandert wird. An der Stelle, an der der schmale Fußpfad beginnt, lodern mit Wacholder- und Rhododendronzweigen angefachte Feuer. Aus großen Messingkellen wird immer wieder Wasser in die Glut gegossen, bis der würzig duftende Rauch in dicken Schwaden über die Hänge zieht und den Blick auf die umliegenden Berge verhüllt.
Im Innern der Klosteranlage windet sich eine bunte Menschenschlange durch die verwinkelten Gassen. Im Serkhang-Tempel, dort, wo in einem mit Gold und Silber verzierten Chörten die sterblichen