Hobbits, Elben, Zauberringe: Die Welt des J.R.R. Tolkien
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Hobbits, Elben, Zauberringe - Frankfurter Allgemeine Archiv
Hobbits, Elben, Zauberringe
Die Welt des J.R.R. Tolkien
F.A.Z.-eBook 11
Frankfurter Allgemeine Archiv
Projektleitung: Franz-Josef Gasterich
Produktionssteuerung: Christine Pfeiffer-Piechotta
Redaktion und Gestaltung: Hans Peter Trötscher
eBook-Produktion: Rombach Druck- und Verlagshaus
Alle Rechte vorbehalten. Rechteerwerb: Content@faz.de
© 2012 F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main.
Titelgestaltung: Hans Peter Trötscher. Foto: © Florent Bhy / Fotolia
ISBN: 978-3-89843-237-5
Vorwort
Von Hans Peter Trötscher
»Dies ist der Meister-Ring, der Eine, der alle beherrscht. Dies ist der Eine Ring, den er vor langer Zeit sehr zur Schwächung seiner Macht verloren hat. Er begehrt ihn unbedingt – aber er darf ihn nicht bekommen.«
Gandalf der Graue
Das Hauptwerk von J.R.R. Tolkien erstreckt sich über den gewaltigen Zeitraum von rund 7.000 Jahren und handelt von der Schöpfung und Geschichte des fiktiven Kontinents »Mittelerde«. Besonders ausführlich widmet er sich dabei den letzten 80 Jahren des sogenannten Dritten Zeitalters, die im »Ringkrieg« und der Vernichtung des dunklen Herrschers Sauron gipfeln. Die zentralen Handlungsstränge, die Missionen des Hobbits Bilbo und seines Neffen Frodo, die stark an die Questen aus mittelalterlichen Minnedichtungen erinnern, bieten dem Leser eine reiche Auswahl an Identifikationsfiguren – passend für annähernd jeden literarischen Geschmack. Entsprechend waren schon die Bücher Tolkiens – allen voran die Trilogie »Der Herr der Ringe« und das Kinderbuch »Der kleine Hobbit« – große Publikumserfolge. Die filmischen Umsetzungen des Stoffs durch Peter Jackson haben seit 2001 weltweit Millionen Zuschauer in die Kinos gelockt und die Fangemeinde noch einmal deutlich vergrößert.
In diesem Buch wollen wir die Werkgeschichte sowohl der Bücher als auch der Filme Revue passieren lassen. Die Rezensionen und Erläuterungen der F.A.Z.-Autoren werden dabei ergänzt und untermalt von Interviews mit den Darstellern der Filme und des Regisseurs. Interessant ist da beispielsweise eine Aussage des Frodo-Darstellers Elijah Wood, der schon 2001 Peter Jackson bei den Dreharbeiten zum ersten Teil des Herrn der Ringe auf ein sogenanntes Prequel auf der Basis des »Hobbit«-Romans angesprochen hatte. Ihm wurde beschieden, dass dieses Bändchen doch ein wenig dünn für einen ganzen Spielfilm sei. Unnötig zu erwähnen, dass Jackson dem »Bändchen« nun ganze drei Spielfilme mit Überlänge abgerungen hat. Der »Hobbit« scheint aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein, wie seine Hauptfigur: man darf ihn nicht unterschätzen.
Auch Tolkien selbst sollte man tunlichst nicht unterschätzen, was die tun, die die »Ring«-Bücher für ein schlichtes Fantasy-Epos im mittelalterlichen Kostüm halten. Betrachtet man die Grundlagen des »Herrn der Ringe«, die vor allem in der exakten wissenschaftlichen Kenntnis der altnordischen und altgermanischen Dichtung und der Fähigkeit, Sprachen zu erschaffen, bestehen, wird klar, worin der Reiz und die Überzeugungskraft der »Ring«-Bücher begründet sind. Der Linguist Tolkien schafft es mit einer bespiellosen Liebe zum Detail, seine Leser in die Geschichte einzuspinnen und zu fesseln. Liest man den »Herrn der Ringe« nach längerer Zeit wieder, lassen sich eine Fülle vom Einzelheiten und szenischen Miniaturen entdecken, teilweise versteckt in Liedern und Gedichten, die sowohl die lang zurückliegende Vorgeschichte des Ringkriegs erklären als auch unmissverständliche Hinweise auf den Ausgang geben. Die Sprachen, denen wir hier ein eigenes Kapitel gewidmet haben, sind der Schlüssel zum Verständnis eines komplexen Werkes.
Die hier zum Teil wieder veröffentlichen Texte aus über 40 Jahren geben zudem einen Einblick in Rezeptionsgeschichte und Werkverständnis.
Hintergrund und Entstehungsgeschichte der Ring-Saga
Hobbingen liegt in Neuseeland. Hier fand Peter Jackson die geeignete Kulisse für seine Tolkien-Verfilmungen. Tolkien selbst bediente sich anderswo – und das sogar ohne je dagewesen zu sein. Foto: © Paul Liu / Fotolia
Ab mit ihm nach Walhalla
Dass Tolkiens Welt mittelalterlich sei, wird gern behauptet. Trifft das zu?
Von Tilman Spreckelsen
Klassiker oder Eintagsfliege – natürlich haben auch Bücher ihr Schicksal, und ihre Langzeitwirkung hängt unter anderem davon ab, ob sie mehrdeutig oder flach, anspielungsreich oder ohne jeden Zusammenhang mit dem literarischen Diskurs sind. Das gilt auch für die Bestseller von einst und jetzt: Die vergleichsweise vielschichtigen »Harry Potter«-Romane werden wohl noch gelesen werden, wenn die heute ebenfalls millionenfach verkauften, aber eher einfältigen »Twilight«-Bücher von Stephenie Meyer längst vergessen sind. Eben weil die Zauberschüler-Saga über eine raffinierte innere Matrix verfügt, die es lesend zu entdecken gilt und die von der Autorin auch am Ende des letzten Bandes noch längst nicht komplett enthüllt worden ist.
Dass auch J.R.R. Tolkiens bekannteste Bücher, »Der Hobbit« (1937) ebenso wie »Der Herr der Ringe« (1954/55), ständig auf etwas verweisen, das im jeweiligen Roman nicht explizit geschildert wird, teilt sich sofort mit. Da ist von längst vergangenen Schlachten, komplizierten Verwandtschaftsverhältnissen oder untergegangenen Reichen die Rede, ohne dass viel mehr als ein paar Namen fallen. Dialoge oder Gedichtzeilen in konstruierten Sprachen bleiben unübersetzt.
Diese Leerstellen sind dem Autor nicht etwa unterlaufen. Sie sind Teil seines ästhetischen Programms. Tolkien selbst schreibt in einem Brief vom 20. September 1963: »Der Reiz des ›Herrn der Ringe‘ liegt, glaube ich, zum Teil in den kurzen Ansichten von einer weitläufigen Geschichte im Hintergrund: Ein Reiz, wie wenn man von fern eine noch nie betretene Insel oder die schimmernden Türme einer Stadt in einem sonnigen Dunstschleier erblickt. Dort hinfahren heißt den Zauber zerstören.«
Womit haben wir es dann aber zu tun? Weil »Mittelerde«, der Schauplatz von Tolkiens Romanen, auf den ersten Blick nur lose mit unserer Realität verknüpft ist, stellt sich die Frage nach der Verfasstheit dieser Welt umso dringlicher. Wo kommt Mittelerde her, aus welchen Quellen speisen sich Tolkiens Vorstellungen, was stand ihm vor Augen, als er den Schauplatz seiner Romane und dessen Bewohner schuf?
Eine naheliegende Antwort ist: Der leidenschaftliche Mediävist Tolkien entwarf eine Art verfremdetes Mittelalter. Tolkiens Romane, schreibt der Bonner Germanist Arnulf Krause, seien »zutiefst und nachhaltig« durch eine Welt inspiriert worden, die Krause mutig »die wirkliche Mittelerde« nennt: Diese »existierte vor anderthalbtausend Jahren im Norden Europas als Welt der Germanen und Kelten zur Völkerwanderungszeit«, und in ihr seien »Elben, Zwerge und Drachen« zu Hause gewesen.
Wie »wirklich« eine Welt voller Fabelwesen überhaupt sein kann, sei dahingestellt. Aber tatsächlich lohnt die Frage nach dem Grad der mittelalterlichen Kontamination des »Herrn der Ringe«. Schon weil dessen Autor im Studium neben anderen alten und neuen Sprachen auch Angelsächsisch lernte und dies von 1920 an in Leeds ebenso unterrichtete wie Mittelenglisch – also die beiden wichtigsten Vorstufen des heutigen Englisch, unterschieden immerhin durch den seit der normannischen Invasion von 1066 enorm gestiegenen Einfluss französischer Lehnworte, der das Angelsächsische zum Mittelenglisch umformte. 1922 erschien Tolkiens »A Middle-English Vocabulary«, 1925 seine Edition des mittelenglischen Artusromans »Sir Gawain and the Green Knight« und 1936 seine bahnbrechende Interpretation des angelsächsischen Heldenliedes »Beowulf« aus dem 8. Jahrhundert. Überdies war Tolkien ein vorzüglicher Kenner der altisländischen Literatur, etwa der Götter- und Heldenlieder der beiden eddischen Sammlungen.
Wie sehr die Beschäftigung mit diesen und anderen mittelalterlichen Texten Tolkiens eigene Dichtung unmittelbar beeinflusst hat, ist seinen Lesern erst lange nach dem Tod des 1973 verstorbenen Autors bewusst geworden – nicht zuletzt, weil entscheidende Gedichte postum, zum Teil sogar erst in den jüngst vergangenen Jahren erschienen sind. Andere Arbeiten aus den 1920er und 1930er Jahren fanden wenig Beachtung in der Forschung und bei den Lesern, etwa das im Versmaß der Bretonischen Lais und daher in unmittelbarer Anlehnung an die Dichterin Marie de France (um 1135 bis um 1200) verfasste mittelenglische Epos »The Lay of Aotrou and Itroun« (entstanden um 1930, erschienen 1945). Es erzählt von der tragischen Begegnung eines Menschen mit einer in ihn verliebten Zauberin.
Hier wie in anderen Arbeiten aus dieser Zeit schrieb Tolkien als Dichter ebenso wie als Philologe: Es ging ihm darum, eine Lücke in der Überlieferung mittelalterlicher Literatur zu schließen und also den Fassungen, die dieser Stoff in anderen Sprachen wie beispielsweise dem Altisländischen erhalten hatte, eine mittelenglische an die Seite zu stellen. Dabei agierte der Philologe auf der Grundlage der genauen Kenntnis der übrigen Überlieferung sowie der passenden Versform und nicht zuletzt der Zielsprache Mittelenglisch, während der Dichter den je eigenen Ton beisteuerte. Der Tolkien-Kenner Tom Shippey hat dies am Beispiel von »The Lay of Aotrou and Itroun« gezeigt, indem er bei der Gestaltung des moralisch glasklaren Epos-Schlusses Tolkiens besonderen Zugriff analysierte: Schon die Tatsache, dass Aotrou sich überhaupt auf einen Handel mit der Zauberin eingelassen hat, führt bei Tolkien seinen Untergang herbei, selbst wenn er sich ihr in letzter Konsequenz, nämlich als Liebender, verweigert.
Der womöglich bedeutendste von Tolkiens Versuchen, bewusst ahistorisch als mittelalterlicher Dichter aufzutreten, erschien erst 2009 aus dem Nachlass. Es handelt sich um zwei zusammengehörende mittelenglische Langgedichte im achtzeiligen, sogenannten Fornyrdislag-Metrum der isländischen Lieder-Edda. Sie erzählen die Sigurd-Geschichte, die, jeweils modifiziert, auch als Völsungen-Saga oder im Nibelungenlied auf uns gekommen ist, und Tolkien schmiegt sich seiner Vorlage mal eng an, mal zieht er andere Quellen hinzu und füllt damit inhaltliche Lücken der Edda aus.
Bemerkenswert ist seine Mimikry, etwa wenn er die berühmten Eingangsverse der »Völospá« fast wörtlich zitiert und so den fünften Gesang der Lieder-Edda über die Erschaffung der Welt bruchlos in sein eigenes Werk integriert. Auch hier aber bringt er einen eigenen Akzent in seine Umsetzung des Sigurd-Stoffs, wenn er etwa die aktive Rolle Odins bei der Ermordung des Helden betont – der oberste Gott der Germanen braucht einen Kämpfer für die bevorstehende Apokalypse. Für diese Rolle ist der strahlende Sigurd auserkoren. Er soll sterben, um anschließend im germanischen Elysium, in Walhalla, mit Odin zu zechen, bis der Tag kommt, an dem der Kampf gegen die dunklen Mächte beginnt. Mit Sigurds Hilfe, weiß Odin, kann dieser Kampf gewonnen werden. So gesehen implantiert der moderne katholische Autor geradezu ein christliches Erlösermotiv in seine heidnische Vorlage.
Tolkiens dichterische Anverwandlung mittelalterlicher Stoffe und Versformen ist so erstaunlich wie unbekannt. Nur mit Mittelerde hat das alles nichts zu tun.
Wenigstens nicht direkt. Jeder Versuch, etwa die biederen Hobbits mit ihren Westen und Silberknöpfen, ihren Pfeifen und gemütlichen Teestunden in eine wie auch immer geartete mittelalterliche Realität zu integrieren, ist zum Scheitern verurteilt (siehe: »Zur Klassenlage der Hobbits«).
Gleichzeitig – und weit weniger offensichtlich – ist Tolkiens Werk aber aufs üppigste gespeist aus dem Fundus mittelalterlicher Literatur. Das beginnt mit den Namen, etwa denen der Zwerge im »Hobbit«, die fast ausnahmslos aus dem erwähnten Edda-Gesang »Völospá« stammen (auch der Name von Tolkiens Zauberer Gandalf findet sich dort). Es setzt sich fort in den hochmittelalterlichen Insignien der Ritterschaft, etwa der Funktion, die Wappen und Fahnen für die realen Adligen des 13. Jahrhundert ebenso wie für Tolkiens Protagonisten besitzen.
Die Anleihen aus nordischen Texten sind beträchtlich, zum Beispiel für das Erschaffen des Gestaltwandlers Beorn im »Hobbit«, der zwischen Mensch und Bär changiert, oder für die furchterregenden Warge, jene mit den Orks verbündeten Wölfe. Die Rätsel, die