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Ian und der Stein der Götter
Ian und der Stein der Götter
Ian und der Stein der Götter
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Ian und der Stein der Götter

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About this ebook

Als in den 40er Jahren des 21. Jahrhunderts in der unwirtlichen Wildnis der Venus eine außerirdische Station entdeckt wird, deren Zentrum ein gewaltiger schwarzer Kristallmonolith ist, weiß niemand, was das eigentlich sein soll. Doch als der Monolith nach und nach Menschen verschwinden lässt, ist klar – dies ist ein Tor zu irgendeinem anderen Raum jenseits davon. Man nennt ihn bald das „Tor der Ewigen Seligkeit“, und Auswanderungswillige verlassen das Solsystem ins Nirgendwo.
Niemals kehrt jemand von dort zurück, und keine Menschenseele weiß, warum – oder wie es auf der anderen Seite aussieht.
Dies ist die Geschichte des jungen Iren Ian Perry, der das Portal durchquert, um ein neues Leben zu beginnen. Und auf der anderen Seite erwartet ihn ein Schicksal, wie er es sich phantastischer niemals hätte ausmalen können...
Dies ist der zweite Band der Reihe „Aus den Annalen der Ewigkeit“ von Uwe Lammers. Ein Roman aus dem Oki Stanwer Mythos (OSM).
LanguageDeutsch
PublisherXinXii
Release dateMay 1, 2014
ISBN9783960280965
Ian und der Stein der Götter

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    Ian und der Stein der Götter - Uwe Lammers

    Ian und der Stein der Götter

    [1]

    Eine Geschichte aus dem Oki Stanwer Mythos

    AUS DEN ANNALEN DER EWIGKEIT

    von Uwe Lammers

    Vorbemerkung:

    In den Tiefen des Oki Stanwer Mythos ist immer wieder die Rede von einer legendären, mythischen Rasse technisch sehr weit entwickelter Wesen, die offensichtlich schon überall da gewesen sind, wo Intelligenzwesen irgendwann ihren Fuß hinsetzen. Dieses Volk, das allgemein nur als „Baumeister" bekannt und dessen Aussehen unbekannt ist, zeichnete sich dadurch aus, dass sie nahezu überall technische Einrichtungen zurückließen, die sich einem Verständnis und einem Nachbauen konsequent verweigern.

    Wenn es ein Volk doch schafft, diese Einrichtungen zu benutzen, so stellt es oftmals fest, dass dies eine zweischneidige Angelegenheit ist, die durchaus die eigene Vernichtung zur Folge haben kann. Ein prominentes Beispiel dieser Technologie, die von den Baumeistern zurückgelassen wurde, stellt das so genannte Torsystem dar: rechteckige Stelen aus schwarzem Kristall, wie es zunächst scheint, die einfach nur in der Gegend herumstehen. So eine Stele wurde auch im irdischen Sonnensystem durch die Angehörigen der chinesischen MING-2-Expedition zur Venus im Jahre 2045 entdeckt.[2]

    Eine schwarze Kristallstele, sieben Meter hoch und viereinhalb Meter breit, verborgen in einem Kuppelraum, dessen Wände aus blauem Metall bestanden, das ebenso wie der Baustoff der Stele jeder Materialprüfung widerstand. Nicht einmal das Alter der Station war mittels Baustoffanalyse zu ermitteln. Nur soviel wurde klar:

    Der vermeintliche Kristall war alles andere als ein Kristall[3], und er schien imstande zu sein, sich unter bestimmten Umständen in ein Tor zu verwandeln, das in andere Räume führte. Denn wann immer sich die inneren Schotttüren schlossen, geschah hinter ihnen irgendetwas mit gespenstischer Lautlosigkeit. Wenn sich die Türen wieder öffneten, waren alle Personen, die dahinter verweilt hatten, fort. Auf diese Weise waren sieben Taikonauten der chinesischen Expedition verschwunden.[4]

    Während die Materialprüfungen kläglich versagten und die chinesische Regierung schließlich nach drei Jahren die internationale Öffentlichkeit einschaltete, um eine gemeinsame Erforschung der rätselhaften Station zu ermöglichen, entwickelte das geheimnisvolle Portal auf der Venus, das man mehr ironisch denn ernsthaft als „Tor der Ewigen Seligkeit" bezeichnet hatte – wie es oft so war, blieb dieser Name haften – , eine unbeschreibliche Anziehungskraft auf solche Menschen, die man als Rand der Gesellschaft bezeichnen konnte. Abenteuerlustige Gestalten, Lebensmüde, von Schicksalsschlägen Geplagte, die auf der Erde meinten, keine Zukunft mehr zu besitzen (oder nichts mehr zu verlieren hatten), solche Menschen, die auf der Flucht vor dem Gesetz waren... sie zog es in den folgenden Jahren immer häufiger zur Venus.

    Ausgestattet mit Überlebensausrüstungen durchschritten sie gegen Entrichtung einer großzügig bemessenen Pauschale das Tor und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Die Öffentlichkeit beäugte das Tor mit Skepsis, manchmal mit Spott, gelegentlich mit heimlichem Grauen. Manche meinten, es handele sich um eine Form von Restevernichtungsmaschine, eine Art außerirdischer Müllschlucker, und die bedauernswerten Menschen unterschrieben gewissermaßen ihr Todesurteil, wenn sie das Portal durchquerten.

    Andere widersprachen dieser Position natürlich vehement und meinten, der betriebene Aufwand für die Errichtung und den Betrieb einer solchen Anlage sei damit absolut unvereinbar. Es sei, wie allgemein gemunkelt werde, eher wirklich ein Tor, und die Gegenseite müsse so phantastisch und erstrebenswert sein, dass eine Rückkehr von den Auswanderern gar nicht gewünscht werde.

    Aus nahe liegenden Gründen forcierte das den Zustrom an „auswanderungswilligen" Menschen eher noch. So durchschritten bis zum Jahre 2064 fast zweitausend Personen das Tor und verschwanden ins Nirgendwo. Bis zum Jahre 2057 aber, in dem diese Geschichte beginnt, hatten sich erst knapp fünfhundert Menschen dem schwarzen Kristallkoloss anvertraut und waren spurlos verschwunden.

    Eine dieser Personen war ein junger Ire namens Ian Perry, der Geschichte schreiben sollte, ohne dass er davon auch nur entfernt etwas ahnte. Eigentlich wollte er nichts anderes mehr als ein schwarzes Loch des Vergessens, das ihn verschlang, alle Probleme hinter sich zurücklassen. Aber sein Herz bangte vor dem Schritt und wünschte sich, wie das häufig so ist, doch das Weiterleben.

    Und dieser Wunsch wurde erhört – jenseits des Tores...

    1.

    Jenseits des Portals, 10. November 2057

    Das schwarze Wabern hinter ihm verging.

    Der unbegreifliche, Panik erzeugende Sog, der Ian Perry eben noch auf der Venus gepackt hatte, in der Furcht einflößenden Kuppelhalle der Alienstation, er verschwand abrupt, und das wilde, hysterische Herzklopfen ließ in dem Maße nach, wie er nun allmählich realisierte, dass er entgegen allen Befürchtungen nicht tot war. Zwar hatte er das die ganze Zeit gehofft, gebangt und im Stillen gar darum gebettelt, aber eine Gewissheit auf ein Weiterleben gab es eben nicht – von hier war noch niemals jemand zurückgekommen. Er hätte jetzt also genauso gut tot sein können.

    Aber so verhielt es sich nicht.

    Sein Schrei des Entsetzens brach ab, erstickte in einem schon hysterischen Schluchzen.

    Wenn es der schwere Rucksack auf dem Rücken nicht vermocht hätte, dann bewirkte es nun das Nachlassen der unbändigen Anspannung: Eine Welle der jähen, nie gekannten Erschöpfung und Erleichterung überrollte ihn in gleichem Maße und ließ den jungen Iren in die Knie brechen.

    Ian versank zu seiner eigenen Überraschung tief bis zu den Oberschenkeln in einem Berg von modrigem, feuchten Laub, und als er nach geraumer Zeit endlich die Kraft fand, die Augen zu öffnen, während er die dunstige, von fremden Gerüchen geschwängerte Luft in seine Lungen sog, da erst wurde ihm klar, was geschehen war.

    Er hatte die Venus verlassen, ja, das gesamte solare System.

    Gütige Götter... er war FREI!

    Frei, ein neues Leben zu führen, aller Bande der Gesellschaft ledig!

    Der dreiundzwanzigjährige Ire wartete eine Weile, bis sich sein Kreislauf ein wenig beruhigt hatte, dann wagte er es, den Kopf anzuheben und sich vorsichtig umzublicken.

    Das braune, verwelkte Laub, in dem er nun kniete, stammte von eigentümlichen Bäumen ringsum, die so außerirdisch aussahen, wie es nur irgend denkbar war. Ihre silbrig schimmernden, feuchten Stämme umringten die Lichtung, auf der sich das Tor seit unvordenklichen Zeiten erhob, in einem geometrisch exakten Umkreis, als wären sie künstlich gepflanzt worden.

    Vielleicht waren sie das ja wirklich?

    Das bizarr vertraut wirkende Herbstlaub reizte ihn zu einem kleinen, etwas hysterischen Gekicher. Es war irgendwie absurd, auf einer fremden Welt, die Lichtjahre vom Solsystem entfernt liegen mochte, ausgerechnet auf Herbstlaub zu treffen. Auf atembare Atmosphäre, vielleicht auf Lebensformen, von denen man sich ernähren konnte…

    Das war echt ein irrwitziger Zufall.

    Und sein Glück.

    Natürlich… es gab die vielfältigen Theorien von Astronomen, dass sich das Leben auf den zahllosen via Fernbeobachtung entdeckten Exoplaneten auf sehr ähnliche Weise entwickelt haben sollte wie auf der Erde. Es gab inzwischen solare Weltraumobservatorien, von denen aus man fremde Sternsysteme auf Distanz recht gut beobachten konnte, darunter zahllose Mehrplanetensysteme, die dem solaren sehr ähnlich sahen. Aber beweisen ließ sich das eben nicht, weil keine dieser Welten in Reichweite lag. Alles, was man tun konnte, war, einen Blick aus dem solaren Aquarium in die Umgebung zu werfen.

    Die irdische Menschheit hatte das Sonnensystem, in dem sie entstanden war, eben bis heute nicht verlassen können. Die Systemraumfahrt war flink, natürlich… aber bis zum nächsten Sternensystem war man immer noch Jahre unterwegs, eher Jahrzehnte, und niemand hatte das Wagnis bis heute auf sich genommen. Das war schließlich ein nicht nur ökonomisch unkalkulierbares Risiko. Die Erdregierung neigte dazu, sich lieber mit technisch realistischen Projekten zu bescheiden. Immerhin hatte man mit der Erschließung des Solsystems noch genug zu tun.

    Es gab außerdem ja einen vermeintlich leichteren Weg zu den Sternen – durch die Gluthölle der Venus und durch das schwarze Portal der uralten Aliens, die niemand je kennen gelernt hatte. Es hieß zumindest, dass jenseits davon eine andere Welt liegen sollte. Selbst wenn man von den spinnerten Visionen der „Endzeit-Adventisten" absah, die von ihren Sternengöttern faselten, musste man zugeben, dass diese Möglichkeit prinzipiell bestand. Freilich war die Existenz dieser Welt auf der Gegenseite des schwarzen Monolithen bislang rein hypothetisch gewesen, ja, musste es sein – weil eben niemand von hier wieder zurückgekehrt war. Andere Unkenrufer sagten ja, man werde unweigerlich in Energie zerstrahlt, wenn man das schwarze Kristallportal passierte.

    Nun, so verhielt es sich jedenfalls nicht.

    Es GAB diese andere Welt.

    Er befand sich direkt in ihr.

    Der rothaarige Ire schob derlei wirre, theoretische Gedanken erst einmal von sich. Er wusste, dass es wichtiger sein würde, beispielsweise zu erfahren, wo die anderen Auswanderer geblieben waren und was sie inzwischen hier jenseits des Portals an neuer Zivilisation errichtet haben mochten. Dass er nicht der erste war, der auf der Venus das Tor der Ewigen Seligkeit durchschritten hatte, war Ian Perry natürlich bewusst.[5] Die Auswanderungsbehörden auf der Venus ließen inzwischen jeden, der das wollte und sowieso das Tor zu durchqueren vorhatte, bereitwillig Einsicht in die Auswanderungsbücher nehmen.

    Nun, was man so Auswanderungsbücher nannte.

    Die meisten Leute, die hier das schwarze, unbegreifliche Alienportal durchschritten, waren aus unterschiedlichsten Gründen nicht eben in sonderlich mitteilsamer Laune gewesen, denn zumeist hatten sie wenig Sympathien für die hinter ihnen zurückbleibende Welt und Gesellschaft, der sie entstammten. Sie hinterließen deshalb selten mehr als das Nötigste in diesen Auswanderungsbüchern. Zumeist nur ihren Namen und vielleicht noch die Geburtsdaten, außerdem in der Rubrik „Anlass/Letzte Bemerkungen gelegentlich obskures religiöses Geschwafel (Adventisten, die vermeintlich in die Heimat ihrer „Sternengötter aufbrachen, beispielsweise) oder Beschimpfungen an die Zurückbleibenden. Manche verfluchten ihre Eltern, ihre Heimatstadt, ihre Ehemänner, Vorgesetzten oder die irdische Zentralregierung, die sie zur Auswanderung genötigt hatte... unangenehmes Geschwafel, wie Ian gefunden hatte, als er das Buch flüchtig durchblätterte, eigentlich nur auf der Suche nach der leeren Seite, auf der er selbst seine letzten Bemerkungen an die Zurückbleibenden niederschreiben konnte.

    Nun, die Torbeamten nahmen derlei erhitzte Kommentare sehr gelassen hin. Sie wussten, und jeder andere wusste es natürlich auch: wenn man zu sehr über die Stränge schlug, wurde man einfach mit Paralysatoren niedergeschossen und in Lagerhaft genommen. Dann wurde der Stempel im Ausweis dauerhaft annulliert und die Kritiker sofort wieder zur Erde abgeschoben... oder wahrscheinlicher direkt nach Luna, zu den Mondminen, wo sie bis an ihr Lebensende schuften konnten. Es gab da wegen des Aufbaus der Lunasiedlungen jede Menge Bedarf an Arbeitskräften, und die Menschenrechte galten da wenig.

    Deshalb wagte eigentlich niemand mehr allzu viel Kritik, diese schrulligen religiösen Wirrköpfe schon gar nicht. Und zudem war es ohnehin schwierig genug, zur Venus zu gelangen. Schwierig und teuer. Warum also alles aufs Spiel setzen, um eine große Lippe zu riskieren? Wer so einen Blödsinn in seinen letzten Bemerkungen kundtat, bewies höchstens, was für ein Hohlkopf er war.

    Ian grinste euphorisch.

    Er hatte es geschafft, verdammt! Er war durch!

    Er entsann sich dennoch unweigerlich seiner eigenen letzten Bemerkungen. Seiner Ansicht nach waren sie deutlich geistreicher als das meiste, was man in diesen Büchern sonst so hatte lesen können. Er hatte halt echt was mitzuteilen gehabt. Und das hier war erkennbar die letzte Chance dafür. Er würde das solare System nie wieder sehen, davon musste er so oder so ausgehen.

    „Mom, Dad... ihr werdet nie glauben, dass eure DNS andere Sternsysteme erreicht", hatte er geschrieben. Auch wenn er genau wusste, dass sie das wohl nie lesen würden und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie es taten, hätten sie nur Flüche für ihn übrig. Tja, eine biedere, arrivierte irische Familie halt. Da gab’s nur zwei schwarze Schafe, Swan und ihn. Aber Swan hatte angefangen, das stand fest. Oh Gott, und wie… da wurde ihm jetzt noch heiß und kalt, wenn er nur dran dachte…! „Wenn die Legenden stimmen, gelingt mir das mit einem Schritt. Tut mir echt leid, das mit Swan, aber sie hat es selbst drauf angelegt... ja, ich wusste von Anfang an, dass es keine Chance geben würde, aber wenn ihr das hier jemals lest, wird das keinen Unterschied mehr machen. Wenn sie das Kind austragen möchte und es ein Junge werden sollte, soll sie ihn Henry nennen. Ich fange ein neues Leben im Morgen an. Zum Teufel mit den Konventionen!"

    Sein Grinsen gefror ein wenig, wenn er an Swan dachte. Aber nur ein wenig.

    Er beschloss, dass es besser war, die Vergangenheit ruhen zu lassen und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Er war dreiundzwanzig Jahre alt, stark, hoch gewachsen und kräftig. Er war gesund und trug im Rucksack Rationen für sechs Wochen bei sich. Ganz abgesehen vom technischen Equipment, das er für verdammt teures Geld von diesen Halsabschneidern von Schwarzmarkthändlern in Aphrodite Harbour, der tornahen Kolonistenstadt auf der Venus, abgekauft hatte. Das alles musste doch reichen, um hier zu überleben!

    Das musste einfach genügen.

    Seine Gedanken kehrten wieder zu dem schwarzen Monolithen zurück, fast zwanghaft.

    Viele Menschen auf der Erde glaubten, entsann sich Ian grimmig amüsiert, dass diese uralte außerirdische Station im Fels der Venus und deren Zentralstück, das Tor aus schwarzem Kristall, eine Gefahr darstellten. Dass alle Personen, die sich im innersten Raum befanden, wenn sich das Schott hinter ihnen schloss, von dem Tor für immer verschlungen werden würden, aufgelöst in ihre Atome. Dass das Tor nicht viel mehr sei als eine außerirdische Art des Müllschluckers, dessen Funktionsweise nur niemand verstehen konnte. Kritiker des Auswanderungskurses brachten immer in Anschlag, dass die Aliens sich doch sicherlich was dabei gedacht haben mussten, diese Station auf einer der unwirtlichsten Welten des Solsystems zu errichten. Wenn das ein allgemeiner Einstieg zu einer anderen Welt gewesen wäre, behaupteten sie, dann hätten sie die Station doch auf der Erde errichten können. Alle, die das Risiko also dennoch auf sich nahmen, mussten wohl als geisteskrank eingestuft werden.

    Befürworter der Auswanderung hielten stets dagegen, es könne doch keiner ausschließen, dass es auf der Erde solche Stationen gäbe, die hätte halt nur noch niemand gefunden. Und sie brachten lange Listen von möglichen Positionierungsorten in Anschlag und listeten zahlreiche rätselhafte Vorfälle der vergangenen Jahrhunderte auf, für die sie solche unentdeckten Portale verantwortlich machten – beispielsweise die legendären Schiffbrüche im vermeintlichen Bermuda-Dreieck.

    Ian hatte über solche albernen Dinge immer nur gelacht.

    Nun, so gab es jedenfalls für beide Positionen Befürworter und Gegner, doch den meisten Leuten war das schwarze Kristallding auf der Venus einfach unheimlich, die wenigsten spielten jemals mit dem Gedanken, diesem Ding auch nur nahe zu kommen. Niemand verstand, wie es arbeitete, nie kam eine Nachricht von der anderen Seite. Es mochte ja in der solaren Gesellschaft kein Zuckerschlecken sein… aber wenn man nicht wusste, ob man sich nicht gleich UMBRACHTE, wenn man durch das Portal ging, dann blieb man doch lieber am Leben, nicht wahr?

    Wem konnte man es wohl in Anbetracht der kargen Fakten verübeln, dass so viele Leute das für einen Müllschlucker hielten und die Auswanderer für Idioten, denen die Sonne das Gehirn geröstet hatte? Und dass sie, Duckmäuser, die sie nun mal mehrheitlich waren, lieber in der solaren Diktatur zurückblieben?

    ‚Sie haben sich geirrt’, dachte Ian zufrieden, und es tat ihm verdammt gut. ‚Sie haben sich geirrt!!‘

    Sein Atem hatte sich inzwischen wie der Herzschlag beruhigt, und nun öffnete er die Augen wieder weit und nahm die ersten Eindrücke des neuen Planeten, auf dem er sich befand, zur Gänze in sich auf.

    Ja, die Atmosphäre war unzweifelhaft atembar. Kühl und feucht roch sie, aber sie ließ sich gut atmen. Wie in einem irischen Moor, fand er. Der Sauerstoffgehalt musste etwa so hoch sein wie auf der Erde auf Meeresniveau. Ein gutes Zeichen.

    Er blickte sich um, neugieriger auf diese fremde Welt werdend.

    Da standen diese schlanken, silbergrauen Bäume mit ihren glockenförmigen Halos aus kugelgestaltigen Blättern. Echt, sie sahen aus wie Kugeln, verblüffend eingerollt. Erst dann, wenn sie welk wurden, schienen sie sich zu entrollen, deshalb erinnerte das trockene Laub auf der Lichtung so sehr an irdisches Herbstlaub.

    Auch die eigenwillig gedrechselten rötlichen und schockgrünen Halme des Bodengrases, das dort wuchs, wo genügend Sonnenlicht hinfiel, sahen exotisch aus. Jeder Grashalm signalisierte, dass dies hier nicht die Erde war, dass eine fremde Form der Evolution hier gewirkt hatte und ihre Spuren hinterließ.

    Überall glitzerte Tau.

    Es musste also wohl früh am Morgen sein, und frisch war es auch.

    Die Sonne, eine gelblich flimmernde, schwache Scheibe am Horizont, mühte sich vergebens, durch die dichten Wattewolken zu dringen, die den hiesigen Himmel bedeckten. Irgendwie sah er verdächtig seiner irischen Heimat ähnlich, dachte Ian, und dieser Gedanke trieb ihm erneut ein Grinsen aufs bartlose Gesicht. Jenes wagemutige Grinsen, das die Mädchen so verrückt nach ihm machte. Mädchen wie die sündige Swan, jedenfalls immer die falschen Mädel, schon auf der Schule damals...

    Er schüttelte den Gedanken erneut ab und war wieder froh, dass er kein Bild von Swan mitgenommen hatte. Er wollte diese Welt, diese Zeit vergessen, sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Es gab kein Zurück mehr, je eher er das verinnerlichte, desto besser war es! Verdammt noch mal! Aber es fiel ihm schwer, und das hätte jeder verstanden.

    Er konzentrierte sich wieder auf die Details der Umgebung.

    Das Sonnenlicht. Diffus, matt. Die Folge dieser Beleuchtung, die einem diesigen Herbsttag nicht unähnlich war, bestand in einem seltsamen Zwielicht, das die Distanzen verwischte. Aber das schien nicht bedeutsam.

    Später vielleicht.

    Er fragte sich, wie lang wohl die Tage auf dieser Welt sein mochten. Ob das gegenwärtige Wetter das normale war oder eine Ausnahme zum Positiven oder zum Negativen. Nun, das würde er herausfinden. Er hatte jetzt alle Zeit der Welt, um sich mit diesem Planeten vertraut zu machen. Nahm er jedenfalls an.

    Der sehnige, etwas stämmige Ire stand mühsam auf. Wegen des vollen Rucksacks ging das schwerer als sonst. Dann drehte er sich um und riss staunend den Mund auf.

    Das Tor, das ihn auf diese Welt gesandt hatte, gewissermaßen die „Gegenstation" zum Tor der Ewigen Seligkeit auf der Erde, war ebenso gebaut wie auf der Venus. Ein schwarzer Monolith, sieben Meter hoch, viereinhalb Meter breit. Der Sockel war etwas im Laub versunken, vielleicht über einen Meter weit. Aber das machte keinen großen Unterschied.

    Das riesige Alienportal ragte schweigend in den diesigen Himmel.

    Tiefschwarz.

    „Mann!", murmelte er beeindruckt.

    Unter freiem Himmel, in der schlichten Natur, da wirkte das Ding noch viel gigantischer als in diesem Kuppelraum auf der Venus. Das war echt faszinierend. Fast fühlte er sich versucht, sich erneut hinzuknien und das Ding regelrecht anzubeten. Schlichtere Gemüter, die nichts von Raumfahrt und Physik verstanden, hätten das bestimmt gemacht.

    Das war keine Technik mehr, das war Magie.

    Jedenfalls nichts, was er verstehen konnte.

    Die Kerle, die das Ding geschaffen hatten, mussten echte Genies gewesen sein.

    Der junge Auswanderer setzte seinen Rucksack ab und umschritt langsam das Tor. Dabei

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